Ich glaube, man muss hier mal zwei Dinge auseinander halten. Was mich in dem Artikel auch tierisch nervt und weshalb ich auch Mikaels zynischen Kommentar geliked habe ist z. B. die Sache mit dem Lehrerzimmer, in dem mal eben Kurse abgehalten werden, weil es sonst keinen Platz gibt. Es ist ja nicht das erste mal, dass ich hier über solche "Behelfsmassnahmen" lese die nur deswegen initiiert werden, weil der Träger die Schule schlichtweg verrotten lässt. Es geht gar nicht drum, ob man das grundsätzlich mal kann, weil es eh nicht so schlimm ist, wenn da mal Kurse im Lehrerzimmer stattfinden, es geht ums verdammte Prinzip. Wenn man sowas immer mit sich machen lässt, dann bleiben die Dinge eben so wie sie sind, gibt ja keinen Grund sie zu ändern.
Das von mir bereits erwähnte Gymnasium Münchenstein hat lange um die Sanierung gekämpft. Die Gelder waren längst bewilligt, doch dann wurde immer wieder alles rausgeschoben bis das Gebäude am Ende wirklich fast zusammengebröselt ist wie ein Kartenhaus. Es waren am Ende die Schüler selbst, die Tische und Stühle ins Freie umgezogen haben und auch eine Petition lancierten, dass es doch jetzt endlich losgehen soll mit der Sanierung. *Unsere* Schüler sind richtig schnell richtig laut geworden, als unsere liebe Regierungsrätin Frau Gschwind vor 2 Jahren plötzlich anfing, laut darüber nachzudenken, im Baselland würde es doch sicher auch ein Gymnasium weniger vertragen und ganz konkret uns damit meinte. Daraufhin gab es die erste SO-Vollversammlung, die unsere Schule seit Anbeginn der Zeit überhaupt gesehen hat, alle Delegierten aus allen Klassen plus noch so viel mehr bist die Aula mit über 300 Personen gestopft voll war und auch gleich noch die Lokalpresse dazu eingeladen. Das hat Frau Gschwind so nervös gemacht, dass sie morgens um 7:30 Uhr bei unserer Chefin im Büro anrief, ob die doch bitte die Presse wieder abbestellen könnte. Dieses Jahr hat unser Chor zusammen mit Liestal den Kulturpreis Baselland gewonnen, die SCNAT hat uns das Label "MINT-freundliche Schule" verpasst und wir sind zusammen mit Liestal Vorreiter im Projekt Digitalisierung, die anderen drei Gymnasien kacken sich lieber noch eine Runde in die Hosen. Frau Gschwinds laute Gedanken werden immer leiser. Wer so medienwirksam ist, den kann man nicht einfach einstampfen.
Und das ist der andere Punkt in der Diskussion: Eine Schule, die sich nicht weiterentwickelt, ist eine tote Schule. Als ich vor 5 Jahren an unsere Schule gekommen bin, war gerade ein bisschen ein komischer Punkt erreicht, an dem wir in der Folge auch etwa 3 Jahre lang zu beissen hatten. Infolge des HarmoS-Prozesses ist bei uns im Baselland das Gymnasium von 3 1/2 Jahren auf 4 Jahre verlängert worden, was zu einem für uns doch einigermassen unerwarteten Rückgang unserer Schülerzahlen geführt hat. Dazu muss man wissen, dass wir eine bikantonale Schule sind, der Aargau hat mit Baselland und Basel-Stadt einen Staatsvertrag, wonach die SuS aus dem Fricktal auch dorthin in die Sek II dürfen, weil es im Fricktal selbst keinen Standort gibt und die Anbindung an den ÖV in unsere Richtung für die Jugendlichen besser ist als an die restlichen Standorte im Aargau. Von diesem Staatsvertrag plus der Attraktivität unserer Anbindung an den ÖV plus der Tatsache, dass wir bis zur Matura insgesamt 12 1/2 Jahre hatten, Basel-Stadt aber runde 12 Jahre (das halbe Jahr war einfach perfekt zum nach er Matura Chillen) hat unsere Schule jahrzehntelang sehr gut gelebt ohne eigentlich grossartig sonst was tun zu müssen. Die ersten zwei Jahre nach der Bildungsreform hatte Basel-Stadt noch eine Übergangslösung mit der kürzeren Zeit bis zur Matura zudem sind wir objektiv betrachtet einfach ein hässlicher alter Rostkasten, der an einem wirklich grässlich langweiligen Ort steht und plötzlich war Basel-Stadt für das Fricktal unglaublich viel attraktiver. So kam es, dass wir drei Jahre in Folge statt neunzügig nur noch siebenzügig am Gymnasium waren bzw. aktuell immer noch sind, was nicht nur Frau Gschwind zum lauten Nachdenken angeregt hat, sondern ganz konkret auch ein paar Köpfe in befristeter Anstellung gekostet hat.
In so einer Situation muss man dann einfach dringend zusehen, was man tun kann, um sich wieder attratkiv zu machen. Neben unserem preisgekrönten Chor und den Laptop-Klassen haben wir als einzige Schule im Kanton noch ein "Selbstlernsemester" und bieten in der 2. Klasse interdisziplinäre Projektarbeiten an, die ebenfalls das selbständige Arbeiten der Jugendlichen gezielt fördern sollen. Am Anfang fanden das alle relativ mühsam, es sind auch einige organisatorische Fehler gemacht worden, aber unterdessen ist die Stimmung gut und es spricht sich rum, dass es eigentlich ganz cool ist, am Gym dann doch etwas weniger als anderswo von den Lehrpersonen belästigt zu werden. Zudem sind wir im Kanton bekannt als die, die das Leben nicht gar so ernst nehmen und nicht ständig einen auf pseudo-elitäre zukünftige Nobelpreisträger machen, die auch die "Ghetto-Kids" bis zur Matura durchschieben, kurz ... wir zerbröseln zwar, aber wenigstens ist es lustig. Nächstes Jahr sind wir wieder achtzügig am Gymnasium und erstmalig seit über 10 Jahren mal wieder vierzügig an der FMS. Dafür haben wir nach Bekanntwerden der Anmeldezahlen den Wein aus dem Keller geholt.
Wir können sicher nicht mithalten mit Bäumlihof in der Stadt (habe ich schon mehrfach hier erwähnt), die 2013 als bestes Gymnasium der Schweiz ausgezeichnet worden sind, speziell gelobt fürs pädagogische Konzept "GBPlus". Der Preis kam in diesem Fall übrigens nur 3 Jahre nach der Einführung des Konzepts und unterdessen absolvieren ungefähr 75 % der SuS dort das Gymnasium im sogenannten "Selbstlernmodus" bei dem sich eben Phasen des selbständigen Arbeitens mit Blockunterricht im Klassenverband ständig abwechseln. Zudem ist Bäumlihof auch noch für über 100 Millionen CHF saniert worden und hat sich seither von der hinterletzten Ghetto-Schule mit dem schlechtesten Ruf weit und breit zum absoluten Vorzeigeprojekt gemausert. Ich find's ja wirklich dekadent, was die da hochgezogen haben, aber gut ... es sei ihnen gegönnt, die Stadt hat halt mehr Geld als wir aufm Land. Ach ja ... Sportklassen haben sie dort auch noch, vielleicht schaue ich ja doch mal wieder nach Stellenausschreibungen.
Mein persönliches Fazit: Es braucht beides. Den Arsch in der Hose einfach mal auf den Tisch zu hauen und der Politik den Mittelfinger zu zeigen, aber auch den Mut zu neuen Konzepten.