Deutschland verdummt, Schüler auf dem Niveau von Kleinkindern

  • Nur: wir haben inzwischen die ersten Eltern, die als Kinder die negativen Entwicklungen, die er anspricht, selbst "erlitten" haben ...

    Ich würde fast so weit gehen und sagen: Großeltern.
    Freiarbeit, Gruppenarbeit, Laissez-Faire, Antiautoritäre Erziehung sind doch Stichworte, die nicht erst nach 1995 geprägt / verwendet wurden (eher ~30 Jahre davor (oder noch früher)).

  • Ich würde fast so weit gehen und sagen: Großeltern.Freiarbeit, Gruppenarbeit, Laissez-Faire, Antiautoritäre Erziehung sind doch Stichworte, die nicht erst nach 1995 geprägt / verwendet wurden (eher ~30 Jahre davor (oder noch früher)).


    Hallo Bear,


    noch viel früher sogar. Schon zur Kaiserzeit gab es reformpädagogisches Denken (nachweisbar) und wahrscheinlich ist das schon so, seit Schule vor ca. 200 Jahren zum staatlichen Pflichtprogramm wurde.


    Früher war die Autorität der Schule aber sicherlich größer und - so hört man immer wieder - Eltern standen mehr auf der Seite der Lehrenden und weniger auf der ihrer Kinder. Das braucht auch nicht zu verwundern, da Schule irgendwie immer gesichtsloser erscheint; wenn Eltern das Gefühl haben, dass die eigenen Kinder letztlich nur etwas von den Noten haben und der Rest mehr oder wenig beliebig ist, wird eben vermehrt Notendruck gemacht und Unterricht/Lehrer etc. kritisiert, wo es nur geht.


    Ich meine: Die derzeitige Kultusministerin von BW bezeichnet die Lehrkräfte ganz offen und direkt als "Dienstleister" - was soll man dazu noch sagen? So wird man dann eben auch wahrgenommen und behandelt.


    der Buntflieger

  • "Natürlich gibt es Eltern, die die Möglichkeit haben, sich die Zeit für die Kinder zu nehmen. Es gibt Eltern, die es als wichtig erachten, die Schulleistung zu begleiten. Es gibt auch Eltern, die es sich finanziell leisten können, besonders für sich und ihr Kind zu sorgen. Aber da reden wir von privilegierten Ausnahmen."


    Das halte ich, mit Verlaub, für Unsinn. Das klingt ja so, als wäre gute Kindererziehung eine Art Luxus, der nur mit überdurchsschnittlich viel Zeit oder finanziellen Mitteln funktioniert. Und alle, die das nicht haben, können das gar nicht und können auch nichts dafür, wenn es nicht klappt....

    Jein... die können da doch was "für" - und jetzt wirds wieder provokant:
    Die haben den "Fehler" gemacht, Kinder in die Welt zu setzen, obwohl sie selbst als Eltern ungeeignet sind (ob mangels Begabung oder mangels Interesse/Zeit ist da nebensächlich).
    Und dann erwarten sie, dass die, die einen Bildungsauftrag haben, einen Erziehungsauftrag gleich mit übernehmen, was sie in dem Rahmen, wie es erforderlich wäre, aber gar nicht dürfen.
    Und von daher - ja, eine sinnvolle, gesellschaftstaugliche Erziehung seitens des Elternhauses wird immer mehr zum "Luxus", weil immer mehr, die das besser gar nicht täten, sich vermehren wie die Karnickel.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Nach meiner Einschätzung meint Winterhoff etwas anderes, als einige hier schreiben.
    Kann mich aber auch irren.
    Ihm geht es darum, dass erstens das eigenverantwortliche Lernen viel zu früh einsetzt und man Kinder damit überfordert. Zweitens benötigt Lernen eine Beziehung zum Lehrer. Im oben verlinkten Sternartikel ist das nur teilweise angesprochen. Vorwürfe an Lehrer kann ich aber keine erkennen.


    Vor ein paar Tagen war Winterhoff auch bei Markus Lanz. (Nachzusehen hier, relativ am Ende der Sendung: https://www.zdf.de/gesellschaf…-vom-23-mai-2019-100.html ).
    Mir ist er von seiner Art her zwar etwas zu verbissen, aber ich finde durchaus, dass er einen Punkt hat.


    Dabei geht es mir weniger um die Veränderung auch meiner Schülerklientel in den höheren Klassen, viel dramatischer empfinde ich die Veränderung in den letzten Jahren bei den Fünftklässlern. Der Anteil derer, die eine extrem kurze Konzentrationsspanne haben, Erklärungen nicht folgen können oder wollen, nicht in der Lage sind, ein Heft halbwegs vollständig zu führen oder einen halbwegs graden Satz fehlerfrei in einer schriftlichen Leistungserhebung schreiben zu können, hat nach meinem persönlichen Empfinden (!) in den letzten Jahren extrem zugenommen. Da wird sich extrem angestrengt, damit der Übertritt ans Gymnasium notentechnisch erreicht wird und dann sitzen sie bei uns und zeigen eine Arbeitshaltung zum Davonlaufen. Ich verstehe nicht, was da passiert ist, dass es dazu gekommen ist. Ist das bei euch (Bayern, Gymnasium) auch so?


    Edit: Habe mir das Video der Sendung gerade nochmals angeschaut. Winterhoff kommt ca. von der 28. Minute bis ca. 11 Minuten vor Schluss zu Wort.
    Ein Punkt, der bei mir besonders „nachhallt“: Dass er darauf aufmerksam macht, dass in der Medizin jede neue Therapie durch Studien in ihrer Wirksamkeit bewiesen werden muss, bevor sie angewendet werden darf, er aber den Eindruck hat, dass sich in der Pädagogik jeder „Dahergelaufene“ etwas ausdenken kann, was dann unbewiesen umgesetzt wird und die Folgen dann von den Kindern ausgebadet werden müssen.

  • Schönes Video. Und so ganz ohne Lehrerbashing...
    Gruß !


    Das war für mich auch sehr informativ. Deutlich besser als der oben von dir verlinkte Artikel; erschreckend nur, dass mir der Lanz fast noch sympathisch wird, wie er so offen über Lehrer und ihre wenig beneidenswerte Lage spricht. ;)


    der Buntflieger

  • Ja, es ist schon erstaunlich wie sich der Wind in der öffentlichen Debatte dreht, hier am Beispiel der Bildungspolitik. Ich behaupte einmal, dass noch vor ein paar Jahren so eine Diskussionsrunde in den MSM undenkbar gewesen wäre. Da hätte man einen ideologisierten Bildungspolitker, einen Inklusionsapologeten, einen universitären Elfenbeindidaktiker sowie einen Zahlendreher von der OECD eingeladen, die dann unisono verkündet hätten, dass alles Schlechte an den Schulen nur an einer unmotivierten, dem Zeitgeist hinterhinkenden und sich auf dem Beamtenstatus ausruhenden Lehrerschaft läge.


    Mittlerweile traut sich aber sogar der Mainstream-Lanz ein paar Fachleute von der Basis, vielleicht sogar in Zukunft ein paar Lehrer, einzuladen, die erzählen, was wirklich abläuft.


    Ein Hoffungsschimmer für Deutschland, zumindest im Bereich der Bildungspolitik?


    Gruß !

  • Und?
    Kauft ihr jetzt alle das Buch?


    Herr Winterhoff taucht immer auf, wenn wieder eines seiner Werke fertig ist.
    Die Geschichte mit dem Baumarkt kannte ich schon von einem der vorherigen Male, die kann also nicht aktuell sein.


    Letztlich: Er ist Psychiater! Er weiß, wie er Menschen ansprechen kann.


    Wikipedia fasst zusammen: "Seine Werke erzielen hohe Auflagen und stoßen auf entsprechend große mediale Resonanz, in der Fachwelt jedoch auf verbreitete Kritik."

  • Und?
    Kauft ihr jetzt alle das Buch?

    Nöö.


    Aber im Gegensatz zu irgendwelchen Bildungspolitkern, die oft nichts anderes gelernt haben, als Politk zu machen, und die einem das Blaue vom Himmel versprechen um wiedergewählt zu werden (wo ist denn da der Unterschied, ob jemand sein Buch verkauft oder sich selbst (=Politiker)), habe ich das Gefühl, dass Winterhoff zumindest weiß, wovon er spricht. ´


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Ich glaube, dass Winterhoff sehr geschickt ist, diverse Allgemeinplätze gut zu verpacken, dabei verschiedene Richtungen zu bedienen


    ... und viele sich aus dem bunten Blumenstrauß etwas auswählen und deshalb meinen, es sei "etwas Richtiges".


    Kann er seine Äußerungen über den Alltag in Schulen und in Elternhäusern auch belegen
    oder reichen dafür ein paar schöne Anekdoten aus seinem 30jährigen Therapeutendasein?


    Hält er selbst den Forderungen nach empirischen Daten und genauer Erhebung stand, wenn er Behauptungen in seinem Buch veröffentlicht?


  • Hallo Palim,


    natürlich nicht. Einmal bin ich kein Freund der Psychoanalyse und ihrer zahlreichen Spielarten (für mich ist das wissenschaftlich gesehen Humbug), zum andern jagt der Lanz doch jeden durch seine Sendung, der populistisch nur irgendwie verwertbar sein könnte. Auch seine vorgebliche Sympathie für Lehrer kann jederzeit wieder ins Gegenteil umschwenken, je nach Stimmung des Mainstreams.


    Oben schrieb ich schon, dass ich Schlüsse vom Einzelfall auf die Allgemeinheit - sofern hier ein wissenschaftlicher Anspruch vorliegt - nicht für zulässig halte. Allerdings teile ich die Kritik am Bildungsidealismus, der in dieser Sendung (Lanz) thematisiert wird. Wohltuend ist es allemal, aber für die konkreten Thesen des Psychoanalytikers würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen wollen.


    der Buntflieger

  • Lies es. Dann weißt du es.

  • Nur decken sich seine Aussagen in erschreckend weiten Bereichen mit meinen Beobachtungen an der Schule (und ich "beobachte" halt jetzt auch schon 25 Jahre). Die "Fachwelt", die ihn kritisiert - das sind nicht zufällig genau die Bildungswissenschaftler, die uns z.T. den ganzen Schlamassel eingebrockt haben?

  • Hält er selbst den Forderungen nach empirischen Daten und genauer Erhebung stand, wenn er Behauptungen in seinem Buch veröffentlicht?

    Seit wann ist das in der "Bildungswissenschaft" ein relevantes Kriterium? Oder verlangt man das von Winterhoff nur deshalb, weil er Psychiater und kein Bildungswissenschaftler ist?


    Die "Fachwelt", die ihn kritisiert - das sind nicht zufällig genau die Bildungswissenschaftler, die uns z.T. den ganzen Schlamassel eingebrockt haben?

    Wenn sich Wikipedia auf eine ominöse "Fachwelt" bezieht, sollte man sowieso misstrauisch werden..


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Seit wann ist das in der "Bildungswissenschaft" ein relevantes Kriterium? Oder verlangt man das von Winterhoff nur deshalb, weil er Psychiater und kein Bildungswissenschaftler ist?

    Man verlangt das von Winterhoff, weil er selbst das in seinen Artikeln herausstellt, dass seine Aussagen zu seiner Wissenschaft gehören.


    Ich bin Tiefenpsychologe, Analytiker, die Persönlichkeitsentwicklung ist ja eine Wissenschaft.

    Ein Punkt, der bei mir besonders „nachhallt“: Dass er darauf aufmerksam macht, dass in der Medizin jede neue Therapie durch Studien in ihrer Wirksamkeit bewiesen werden muss, bevor sie angewendet werden darf, er aber den Eindruck hat, dass sich in der Pädagogik jeder „Dahergelaufene“ etwas ausdenken kann, was dann unbewiesen umgesetzt wird und die Folgen dann von den Kindern ausgebadet werden müssen.

    Tut mir leid,
    aber dann ist er selbst auch einer der "Dahergelaufenen", die über Schule und Pädagogik daherreden, Unbewiesenes behaupten und meinen, das müsse nun angewendet werden.

  • Tut mir leid
    aber dann ist er selbst auch einer der "Dahergelaufenen", die über Schule und Pädagogik daherreden, Unbewiesenes behaupten und meinen, das müsse nun angewendet werden.


    Hallo Palim,


    faktisch ist es so, wie du es sagst.


    Wenn wir belastbare Daten wollen, müssen wir uns an die seriöse empirische Bildungswissenschaft halten und dem Reiz widerstehen, den solche öffentlichkeitswirksam vorgetragenen Kampfschriften ausstrahlen; ob sie nun von einem Bildungsideologen (geisteswissenschaftlichen Erziehungswissenschaftler), Populärphilosophen, Populärphysiker oder eben einem Populärpsychoanalytiker stammen.


    der Buntflieger

  • Nur mal so nebenbei:


    Nur weil einer Populär-irgendwas ist, kann das, was er sagt, trotzdem stimmen.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • So, jetzt habe ich mir das Video auch angeguckt (und konnte ihm da zumindest besser folgen als in dem Artikel). Kurzes Fazit meinerseits:


    Wo ich ihm absolut zustimme sind diese Punkte:
    - Beziehung ist gerade bei kleinen Kindern das A und O (und gelingt besser, wenn die Gruppen kleiner sind)
    - es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Beliebigkeit im vorschulischen Bereich (und ich ergänze mal: auch im Elternhaus!!!), der abnehmenden Bereitschaft sich anzustrengen und der Fähigkeit mit Misserfolgen umzugehen.


    Was mich aber wirklich ärgert, sind seine Aussagen dazu, wie es angeblich in (Grund-)schulen läuft!
    Wieviele Schulen gibt es denn, in denen Kinder tatsächliche autonom lernen?
    Er sagt zwar, dass er ja nicht über Lernmethoden redet, wirft dann aber doch munter alles Mögliche in einen Topf: autonomes Lernen= Lerntheken, Kopfhörer, Anlauttabelle, Sandwesten (habe ich vorher übrigends noch nie gesehen).....
    Und an seinen Ausführungen dazu merkt man auch, dass er gerade an der Stelle eben nicht weiß, was in der Schule konkret passiert. Ich habe mir eine zeitlang mal den Spaß gemacht in verschiedene Berichte von Schulinspektionen hier in Berlin reinzulesen. Und in wirklich allen Berichten, die ich gelesen habe, wurde immer wieder derselbe eine Punkt bemängelt: die Kinder haben zu wenig Gelegnheit zum selbständigen Lernen, es wird immer noch zu viel gelenkt und zu viel frontal unterrichtet. Nicht dass ich dieser Kritk zustimmen würde (ich denke auch ein gewisses Maß an Lenkung ist absolut nötig und Frontalunterricht ist für bestimmte Unterrichtsphasen absolut sinnig), aber es
    widerspricht für mich der Behauptung, an den Schulen würde zu viel autonom gelernt.
    (Oder ist das in NRW so anders?)


    Und so symphatisch ich es auch finde, dass er sich für Lehrer einsetzen möchte: die Erlaubnis "wieder Lehrer sein zu dürfen" brauche ich nun wirklich nicht, weil ich das schlicht schon bin! Schon immer! (und die Kollegen, die ich bisher an den verschiednesten Stellen kennengelernt habe sind es defintiv auch). Niemand zwingt mich die Kinder autonom lernen zu lassen.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

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