Soll ich für eine Partei wählen, mit deren Parteiprogramm ich weitgehend nicht übereinstimme, bis auf den einen Punkt, der mir sehr wichtig ist und in dem die Partei tatsächlich etwas bewegen will?
Sollte man höhere Löhne fordern, damit man mehr Geld zum Leben hat, oder lieber nicht, weil dann die Firma pleite ginge/die Produktion ins Ausland verlagert würde?
War hier der Plural gemeint? Dann Dilemmas oder schöner (finde ich) Dilemmata.
Is niiiiiiich bös gemeint.
Soll man Kinderarbeit verbieten, obwohl sie für einige Familien exiszenzsichernd ist?
Oder vielleicht etwas alltagsnäher:
Soll man verraten, dass der Freund/die Freundin etwas Schlimmes getan hat?
Soll jemand, der am Tag der Klassenarbeit mit starker Erkältung in der Schule war, eine mildere Bewertung bekommen?
Soll es in einer Klasse verpflichtend sein, dass Klassensprecher(in) und Stellvertreter(in) unterschiedlichen Geschlechts sind?
Was ist bei euch in der Kommunalpolitik gerade Thema, was im Jugendgemeinderat (wenn ihr sowas habt), wofür setzt sich eure SMV an der Schule aktuell ein? Das wären typische Themen für Dilemma-Diskussionen mit einem entsprechenden Lebensweltbezug. ("Der Gemeinderat beschließt, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien künftig das Essen in der Mensa kostenfrei erhalten. Alle anderen Mensanutzer zahlen zur Finanzierung einen Euro pro Essen zusätzlich." / "Stadt X muss wegen Haushaltsproblemen entscheiden, ob sie das Hallenbad schließt oder den Skatepark einem privaten Investor überlässt, der 10€ Eintrittsgeld erheben möchte zur Kostendeckung."/ "Partei Y fordert in der Kommunalwahl die Einführung eines kostenfreien Nahverkehrstickets für alle Bürger der Stadt. Die Stadtverwaltung ist verhandlungsbereit, allerdings würden im Gegenzug die Kita-Gebühren um 30% steigen, zwei öffentliche Bäder müssten geschlossen werden und ein öffentliches Grundstück, dass an die lokale Stadtbau-Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau verkauft werden sollte muss im Gegenzug an einen privaten Investor verkauft werden, der ein luxuriöses Studentenwohnheim mit Concierge-Service errrichten möchte."...)
Gibt es abgesehen von der Urteilskompetenz als übergeordnetes Ziel ein Thema der Unterrichtseinheit, an das angedockt werden könnte oder sollte, damit die SuS auch über entsprechendes Wissen verfügen um urteilen zu können?
Die Schwierigkeit bei dieser Art der Reihenplanung ist meines Erachtens, dass du sehr gut im Blick haben musst, zu welchen Themengebieten die SuS auch bereits über ausreichend Vorwissen verfügen, um am Ende eben nicht nur Werte zu reflektieren, sondern auch ein begründetes (Wert-)Urteil fällen zu können. Vielleicht kannst du da andocken an Themen, die die SuS bislang bereits behandelt haben.
Konfrontier deine SuS auch (evtl.als Abschluss) mit Dilemmata die sie zwingen, ihren eigenen "Wertkorb" kritisch zu überdenken, weil z.B.bestimmte, starke Partikularinteressen dem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen oder eine absolute Gemeinwohlorientierung Ungerechtigkeiten für Einzelne zur Folge hätte, die als untragbar empfunden werden, Dilemmata also, bei denen sich solche klassischen Konfliktlinien überschneiden.
Um welche Klassenstufe handelt es sich denn und seit wievielen Schuljahren haben die in RLP dann damit bereits Politikunterricht?
Doch, die Diskussion um Werte und das Fällen begründeter Werturteile in der Folge ist absolut legitim im Politikunterricht. Werturteile sind eine der Urteilsebenen, die sehr stark an die Stufen moralischer Entwicklung nach Kohlberg angelehnt sind. Detjen/Massing/Weißeno unterscheiden verschiedene Urteilsarten, darunter ganz klar auch die Werturteile die ihren Platz in der Politikdidaktik im Bereich der Urteilskompetenz haben. Den Reihenaufbau, den du schilderst findet man so auch in Ansätzen in der entsprechenden Fachliteratur um spezifisch Werturteile zu schulen.
Vgl. http://zesa.ph-weingarten.de/fileadmin/redaktuere/Subdomains/Zentrum_fuer_Sekundarbildung/Vortragspraesentation_Prof._Weisseno.pdf (S.13)
Vielleicht auch ein interessantes Dilemma:
"Plastikflut".
Partei Z will eine Abkehr von sämtlichen synthetischen Stoffen (quasi alles via Petrochemie aus Erdöl hergestelltes).
Klingt erst mal gut, hm?
Dann laß doch mal - versuchsweise - ein paar SuS im Unterricht alles "abgeben", was irgendwie synthetisch ist.
Da wäre ich mal auf die Überraschung gespannt.
Ansonsten klingt deine Idee, mMn sehr gut, vor allem solltest du darauf achten, bei welchen Themen deine SuS besonders interessiert reagieren; da du eh nicht "alle" behandeln kannst, lieber ne offene Tür nehmen als eine verschlossene.
Ich hab keine fachliche Ahnung, vielleicht ist das auch Quatsch und man müsste die Themen sicher einzeln intensiv aufrollen aber so als aktuelle Beispiele fielen mir ein:
- Fusionfestival und geplanter Polizeieinsatz
- Urteil um Lifeline-Kapitän und Einsatz privater Seenotrettungsboote
- Friday-Demos und Schulpflicht
- Antrag der AfD in Sachsen, "die Antifa" zu verbieten
- Sprache und Geschlecht
- Kopftuch
- Flugverbote zur Klimarettung...
jugendparalment geht eigentlich immer gut, und die kinderarbeitsfrage kannste an den kindergewerkschaften in bolivien (pro kinderarbeit, aber gegen ausbeutung) schön machen. das führt selbst in ethik 5 zuverlässig in politische debatten, v.a. wenn du das mit minenkinderarbeit im england vergangener jahrhunderte kontrastierst. ein einfaches verbot der kinderarbeit ist dann schnell als unterkomplex ersichtlich, eine solidarisierung als sehr sinnvoll, und all die grundlegenden fragen zum globalen süden (warum sind die so arm, dass ihre Kinder arbeiten müssen? Warum ist das bei uns nicht mehr so?...) diskutierst du dann auch sofort.
insofern ist die dilemmamethode meiner meinung nach nur suboptimal geeignet, da es da ja gerade nicht darum geht, einen dritten weg zu finden, sondern sich auf begründungen für die beiden miesen dilemmaoptionen zu konzentrieren. politik ist dagegen so gut wie nie ein entwieder/oder, sondern immer dialog und offene auseinandersetzung und dann kompromissbildung (solange alle parteien grundlegende diskursregeln achten).
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