Latein in der Schule: Bringt das so viel für Grammatik?

  • Ich darf zugeben, dass ich Latein tatsächlich für das überflüssigste Fach halte, das man an deutschen Schulen so standardmäßig wählen kann.


    Ich kann nicht verstehen, wieso man eine tote Sprache lernen soll, wenn man auch eine lebendige lernen kann. Unabhängig davon, ob das dann Französisch, Spanisch, Italienisch oder Mandarin ist: Ich kann in den Urlaub fahren und das wirklich anwenden. Latein kann ich nicht direkt anwenden, insofern hat es im Wesentlichen weder Gegenwarts- noch Zukunftsbedeutung. Und ich habe vor einiger Zeit mal eine Studie gesehen (ich weiß, tolle Quellenangabe :P), dass das Erlernen einer lebendigen romanischen Sprache wie dem Französischen mindestens genauso nützlich ist, wenn man eine weitere lernen will, wie das Lateinische.
    Viele weitere Kompetenzen, die im Latein-Unterricht gefördert werden, werden mMn auch in anderen Fächern gefördert.


    Ich will keinesfalls sagen, dass Lateinunterricht komplett sinnlos ist. Aber von den Fächern, die es standardmäßig im Angebot der Schulen (zumindest Gymnasien) gibt, finde ich Latein dann doch am wenigsten sinnvoll.

  • ...das ist deine meinung. ich finde latein um längen nützlicher als französisch für mich persönlich. aber wirklich um ein paar lichtjahre nützlicher. man lernt doch keine sprache, damit man im urlaub ein bisschen plaudern kann bzw. reichen dafür zwei semester volkshochschule.

  • Bei mir blieb vom Lateinunterricht einiges hängen, das ich recht nützlich finde. Zum Beispiel tieferes Verständnis der Grammatik und die Möglichkeit der Herleitung von Fachbegriffen.
    Französisch hatte ich auch. Davon weiß ich fast gar nichts mehr. Und es nützt mir auch im weiteres Sinne nichts, das mal gehabt zu haben. Das waren tatsächlich drei Jahre quasi verschwendete Zeit für mich.

  • ...das ist deine meinung.

    Natürlich. Was soll es denn sonst sein?^^
    Tatsächlich lernen ich eine Sprache, um sie möglichst auch anwenden zu können, auch wenn das nur im Urlaub ist - und dafür reichen mMn zwei Semester keinesfalls, dann kannst du vielleicht ein Getränk bestellen, aber dich doch nicht wirklich mit den Menschen dort unterhalten. Wofür lernst du eine Sprache denn? Und wieso erfüllt dann das Lateinische diesen mir noch unbekannten Zweck, das Französische aber nicht?


    Ich sehe ein, dass das Lateinische im Alltag manchmal sinnvoll ist, z.B. bei Fachbegriffen. Mein persönlicher Eindruck (um das vielleicht noch einmal zu betonen, auch wenn es für mich eigentlich selbstverständlich ist, dass es hier um Meinungen geht) ist jedoch, dass man sich da oft überschätzt. Klar, man kann irgendwie den Zusammenhang sehen. Aber es gibt auch genug Fachbegriffe, die so speziell definiert sind, dass sie ohne weitere Kenntnisse nicht einfach von der wörtlichen Bedeutung aus dem Lateinischen vollends erschlossen werden können. Darüber hinaus finde ich, dass das das jahrelange Lernen nicht legitimiert. Die Kosten-Nutzen-Relation ist da für mich zu ungünstig.


    Das mit dem tieferen Verständnis für Grammatik glaube ich dir, Kathie. Eingrenzen will ich, dass es zwischen der lateinischen und der deutschen Grammatik ja tatsächlich größere Unterschiede gibt. Ganz so einfach, wie viele Schüler/innen das gern wollen, geht das mit dem Übertragen dann doch nicht. Darüber hinaus sind wir im Deutschunterricht ja sehr daran interessiert, nicht einfach nur Grammatik-Wissen zu vermitteln. Vielmehr versucht man ja, den SuS auch zu zeigen, wieso das wichtig ist (z.B. für die eigene Textproduktion, wenn man eine Geschichte spannender oder zumindest abwechslungsreicher gestalten will usw.). Das fehlt nach meinem persönlichen Eindruck im Lateinischen oft, eben weil es keinen konkreten Lebensweltbezug geben kann, da man "in freier Wildbahn" einem lateinischen Text so gut wie nie begegnet.
    Findet man grammatisches Wissen bei SuS wichtig, würde ich das auch lieber im Deutschunterricht stärken. Denn dort soll es ja, nach den Argumenten für Latein, am Ende eh genutzt werden. Ein eigenes "Zuarbeiter"-Fach zu haben ist ja nett, aber in Anbetracht der hohen Lernzeit, die die Kinder investieren, aus meiner Sicht nicht unbedingt ergiebig. Zumindest nicht, wenn es Alternativen in Form von lebendigen Sprachen gibt.


    Wie gesagt, meine Meinung. Ich stelle keinen Anspruch auf Deutungshoheit.

  • Wenn ihr einem Erwachsenen raten müsstet, welche Sprache er sich neben Englisch aneignen soll. Welche wäre das?

    • Offizieller Beitrag

    Französisch


    Nee im Ernst: warum will der Erwachsene eine Sprache lernen? Aus Langeweile?
    Wo würde er gerne später die Sprache anwenden? (Beruflich? Privat?)
    Wo reist er gerne hin oder möchte er irgendwann etwas damit machen?
    Was ist er für ein Lerntyp und was mag er an Sprachen? (struktur? Melodie? ...)


    Ich habe in der Schule Italienisch lernen _müssen_, weil es bei uns die einzige 3. Fremdsprache war. Zur Schule mit Russisch durfte ich nicht. Italienisch ist mir zu ‚singhaft‘, ich höre die Ton- und Höhenunterschiede nicht (mein Pflichtkurs mit Chinesisch an der Uni endete mit 0 Punkten..), es war mir zu nah an meiner Muttersprache, ich habe es nie mit Herz gelernt.


    Russisch an der Uni: es war auch eine Art Pflichtbelegung, aber die Struktur der Sprache war perfekt. Deklinationen, Kasus, keine beliebigen Präpositionen und so weiter... voll meines. Leider kein Interesse n der Kultur des Landes..


    Spanisch: in der Schule hätte ich es eh nicht belegen können (lief parallel zu Englisch und ich musste Englisch belegen, da Deutsch meine erste Fremdsprache war), ich hätte aber kein Interesse gehabt. Zu nah, zu viele o u a, zu wenig Struktur, kein Interesse an Spanien.
    Im Studium in den Kopf gesetzt, dass ich mal nach Lateinamerika will. Irgendwie funktioniert es doch auf einmal mit dem Lernen der Sprache ;)
    Und wenn man es schnell vor Ort anwendet, freut man sich umso mehr..


    Chili

  • Zitat von Krabappel

    Wenn ihr einem Erwachsenen raten müsstet, welche Sprache er sich neben Englisch aneignen soll. Welche wäre das?

    Klingonisch.


    Na gut, auch ne ernsthafte Antwort: Kommt drauf an, was er mit der Sprache machen will, was seine Interessen sind. Für mich ist Norwegisch definitiv die zweitnützlichste Sprache, aber das würde ich nun nicht pauschal als Antwort auf diese pauschale Frage geben; kommt halt immer drauf an, was man mag und möchte. So allgemein ist diese Frage nicht sinnvoll beantwortbar.

    Warum Trübsal blasen, wenn man auch Seifenblasen kann?

  • Eben, Interesse halt. Dass man eine Sprache lernen müsse, um hinterher Fremdwörter zu kennen oder eine andere Sprache noch schneller zu lernen, kam in der Liste jedenfalls bisher nicht vor...


    By the way, hast du versucht, Klingonisch zu lernen @Midnatsol? 8)

  • Was mich am Lateinunterricht damals noch fasziniert hat, war der Einblick in die Lebensweise im römischen Reich, in die damalige Kultur. Also mit hat’s Spaß gemacht.


    Französisch klingt sehr schön, aber wird weltweit ja kaum gesprochen.
    Ich würde Mandarin empfehlen. Oder Spanisch.


    Englisch natürlich sowieso, aber das ist klar.

  • Darüber hinaus finde ich, dass das das jahrelange Lernen nicht legitimiert. Die Kosten-Nutzen-Relation ist da für mich zu ungünstig.


    Angesichts der Tatsache, dass Unterrichtszeit im schulischen Bildungweg ein sehr, sehr wertvolles und begrenztes Gut darstellt, ist das ein sehr wichtiger Gedanke! Was in der Schule unterrichtet wird und wieviel davon, ist ohnehin immer stark eklektisch - ein Sachverhalt, der einem als Lehrer leicht aus dem Blick gerät und zu der verführerrischen Falschannahme führt, dass "der Stoff", den man "durchnimmt" irgendeine reale Abbildung eines Wissensgebietes sei, bzw. die Schulfächer auch nur ansatzweise einen generalisierten Überblick über die Bildungsbandreite abgäben. Deswegen muss man auch regelmäßig überprüfen, ob die Gründe, aus denen Schulfächer oder curriculare Inhalte in die Schule aufgenommen wurden, auch wirklich immer noch stichhaltig sind - und zwar in allen Fächern. Hat der deutsche Einigungsprozess des 19. Jh. im Geschichtsunterricht des beginnenden 21. Jh. die gleiche Relevanz wie im (bundesdeutschen) Geschichtsunterricht vor 1989? Oder Bismarcks Bündnissystem? Und umgekehrt - wann werden neue Bildungsinhalte so wichtig, dass man anderes wegfallen lassen muss, um ihnen Raum zu geben. Handarbeitsunterricht als Pflichtfach, aber keine Computerbildung? Wozu der Luxus des Religonsunterrichts?


    Die historischen Gründe, die den Lateinunterricht zu einer tragenden Säule der höheren Bildung vom Mittelalter bis zum beginnenden 20. Jh. gemacht haben, sind faszinierenderweise so sehr aus dem Bewusstsein, auch der gebildeten Schichten verschwunden, dass sie in diesem Thread überhaupt nicht mehr genannt worden sind sondern nur noch nachträgliche Rationalisierungen (Grammatik, Bildung etc.). Ich finde letzteres spannend, aber ebenfalls als Grund für ein mehrstündiges Fach nicht wirklich hinreichend. Latein ist unverzichtbares Handwerkszeug für im europäischen Kulturraum historisch arbeitende Akademiker. Die können das aber auch an der Uni lernen. Latein ist auch ein faszinierendes, spannendes Hobby. Aber In der Schule ist die Zeit dafür zu teuer, da ist anderes wichtiger.


    Zitat

    Vielmehr versucht man ja, den SuS auch zu zeigen, wieso das wichtig ist (z.B. für die eigene Textproduktion, wenn man eine Geschichte spannender oder zumindest abwechslungsreicher gestalten will usw.). Das fehlt nach meinem persönlichen Eindruck im Lateinischen oft

    Ich stimme zu. Die lateinischen Klassiker sind zwar wunderbare Lehrstücke für die Ziele des Deutschunterrichts, die du da nennst. Aber es ist im schulischen Rahmen, auch im Leistungskurs, nicht möglich, das sprachliche Niveau zu erreichen, dass Schüler die meisterhafte rhetorische Brillianz, die einen Text wie die "Orationes in Verrem" zu einem sprachlichen Schmuckstück macht, auch nur annähernd würdigen können. Geschweige denn für die eigene, deutsche Textproduktion zum Vorbild nehmen. Es geht einfach nicht.

  • Französisch klingt sehr schön, aber wird weltweit ja kaum gesprochen.

    Dir ist aber schon bewusst, das wir vier Nachbarländer haben, darunter ein ziemlich großes, in denen ziemlich viel französisch gesprochen wird? ;)

    • Offizieller Beitrag

    Nur die Hälfte von Afrika hat es als Amtssprache und Kanada/Québec...


    Soll ja keine Werbung für die Sprache sein, aber irgendwie vergisst man bestimmte Kontinente ziemlich schnell, finde ich.


    ‚Chinesisch‘. Mein Gott, WER lernt es wirklich bis zu dem Punkt, wo man es sinnvoll kann? Ich meine, wenn es beruflich sinnvoll sein soll, reicht es nicht, eine Schüssel Reis bestellen zu können.
    Und ein gewisses landeskundliches Interesse sollte auch vorhanden sein.

    • Offizieller Beitrag

    Eben, Interesse halt. Dass man eine Sprache lernen müsse, um hinterher Fremdwörter zu kennen oder eine andere Sprache noch schneller zu lernen, kam in der Liste jedenfalls bisher nicht vor...

    als Erwachsener vielleicht nicht, aber ich bin sehr froh, auf mein Latein zurückgreifen zu können. Mit Latein und Deutsch (Mittelhochdeutsch) habe ich übrigens eine Sprachprüfung in Englisch geschafft. War super listig, die auswertende Frau konnte es nicht glauben. Rezeptiv und produktiv mündlich voll schlecht (rezeptiv besser), rezeptiv schriftlich C1-Niveau. (Hatte nur 2-3 Schuljahre Englisch und dann halt im Linguistik- u Politikstudium viel auf Englisch lesen müssen). Gut, auf Probe im C1-Kurs, nach 8 Wochen die C1-Cambridge-Prüfung fast mit C2 abgeschlossen, und alles nach oben aufgewertet.


    Das Bewusstsein der Vernetzung der Sprachen sollte meiner Meinung nach in der Schule gestärkt werden. Bei mir war es tatsächlich, dass der Mittelhochdeutsch-Kurs mich mit Englisch versöhnt hat.


    Übrigens: schöne Grüsse aus London, schlimm schlimm wie schnell Sprache einrostet.

  • Ja, meine Güte, das ist mir bewusst, ich schrieb deshalb “weltweit”.

    Ja, aber dann ist deine Aussage doch ohne sprachlich-pragmatische Relevanz und ohne Aussagewert. Warum schreibst du das dann? Die Mehrzahl der Menschen weltweit kann kein Auto fahren - deswegen sollte man hierzulande statt eines Führerscheins besser was anderes machen?

  • als Erwachsener vielleicht nicht, aber ich bin sehr froh, auf mein Latein zurückgreifen zu können. Mit Latein und Deutsch (Mittelhochdeutsch) habe ich übrigens eine Sprachprüfung in Englisch geschafft. War super listig, die auswertende Frau konnte es nicht glauben. Rezeptiv und produktiv mündlich voll schlecht (rezeptiv besser), rezeptiv schriftlich C1-Niveau.

    Kann ich nachvollziehen. Ich spreche kein Wort Spanisch, aber einigermaßen Französisch und kann Latein lesen - spanische Texte kann ich recht gut lesen und verstehen, so lange ich mich dann hinterher nicht auf Spanisch äußern muss. Non hablo Espanol, ni siquera un pocito! :)

  • ‚Chinesisch‘. Mein Gott, WER lernt es wirklich bis zu dem Punkt, wo man es sinnvoll kann? Ich meine, wenn es beruflich sinnvoll sein soll, reicht es nicht, eine Schüssel Reis bestellen zu können.

    Ich bin ja nun alt genug, dass ich in den späten 70ern bis in die zweite Hälfte der 80er im Gymnasium war. Damals ist haargenau das gleiche über Japan als Wirtschaftsmacht und dass die Sprache der Zukunft Japanisch sei gesagt worden, wie heute über China. Ich erlaube mir in solchen Dingen die Gelassenheit des historisch gebildeten alten Sackes, der sich bei solchen dramatischen Empfehlungen zurückhält. :)

  • Vielmehr versucht man ja, den SuS auch zu zeigen, wieso das wichtig ist (z.B. für die eigene Textproduktion, wenn man eine Geschichte spannender oder zumindest abwechslungsreicher gestalten will usw.). Das fehlt nach meinem persönlichen Eindruck im Lateinischen oft, eben weil es keinen konkreten Lebensweltbezug geben kann, da man "in freier Wildbahn" einem lateinischen Text so gut wie nie begegnet.

    Man wird in "freier Wildbahn" aber auch nicht eben mal eine Erlebniserzählung verfassen - zumindest nicht schriftlich.
    Man darf sich und sein Fach da als Deutschlehrer nicht selbst überschätzen; und ich bin selbst einer. Ich zweifle auch an, dass theoretische Grammatikkenntnisse bei einem großen Teil der Schüler tatsächlich Auswirkungen auf die Ausdrucksfähigkeit hat.

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