Ich weiß, dass es _immer_ Luft nach oben gibt und dass man nicht einfach automatisch glücklich sein muss, weil "kleine Kinder in Afrika verhungern" (der Satz hat mir meine Kindheit verdorben)
Ich empfinde fast täglich (reale) Dankbarkeit, in Deutschland (verbeamtete) Lehrerin zu sein. Ich habe es schon mehrmals gesagt, für mich ist jede Lohnauszahlung ein 6er im Lotto und ich kann kaum sagen, wie schön es ist, dass es mich hierhin verschlagen hat.
In einem Land, das oft als Beispiel für das Schulsystem herangezogen wurde (wegen Ganztag und Gesamtschule), streiken gerade die LehrerInnen, keiner nimmt es zu Kenntnis und soviele in der Bevölkerung sind einfach der Meinung, ach, die doofen LehrerInnen, sie sollen sich nicht so anstellen.
Sehr gute FreundInnen von mir sind in Frankreich LehrerInnen. Alle grob 4-5 Jahre länger als ich (das Studieren in Deutschland macht sooooviel Spass), unterrichten (systembedingt) nur ein Fach (alle: Deutsch) und arbeiten fast alle an einer reinen Mittelstufe (es ist eine Gesamtschule ohne Differenzierung).
Da ich gerade in vielen Facebook-Gruppen Aufklärungsarbeit über die deutschen Lehrkräfte (ja, wir verdienen gut, aber nein, nicht 6000 Euro im Monat...) mache, hier umgekehrt.
Wofür und warum streiken gerade die Lehrkräfte?
- sehr viele französische Löhne sind "indexiert", sprich, wenn der Mindestlohn jedes Jahr am 1. Juli der Inflation angepasst wird, steigen die Löhne von den meisten MitarbeiterInnen, die "1,3 Mindestlohn" verdienen. Das war bis in den 80er hinein bei den Lehrern der Fall. Dann wurde es "eingefroren", sprich, es gibt keine automatische Anpassung bzw. kaum noch Erhöhung.
- aufgrund der neoliberalen Arbeitspolitik Macrons sind viele Steuer und Taxen eingeführt worden, in den letzten 4 Jahren haben Lehrer ca. 40 Euro auf ihrem Nettolohn (VOR Lohnsteuer!!) verloren. Von den steigenden Lebenshaltungskosten und dadurch geminderten Kaufkraft nicht zu sprechen.
- ein französischer Lehrer arbeitet 18 Stunden à 55 Minuten, 2 Überstunden können nicht abgelehnt werden, es können bis 3 Überstunden kommen (aufgrund der Tatsache, dass ein Lehrer nur ein Fach hat, ist das Schieben der Stunden schwieriger)
- viele LehrerInnen müssen an zwei verschiedenen Schulen arbeiten, weil sie sonst nicht auf ihre 18 Stunden kommen.
- Wenn aufgrund der Schülerzahl eine (Teil-)Stelle gestrichen wird, muss derjenige weichen, der als Letzter angekommen ist, auch wenn er 2 Kinder hat und 3 Minuten zu Fuss wohnt.
- Fahrzeiten zwischen 2 Schulen zählen nicht. Eine Freundin von mir hat im ländlichen Bereich 35 Kilometer zwischen den 2 Schulen, also geht quasi immer eine Mittagspause drauf.
- ein Lehrer verdient nach 15 Jahren ohne "Klassenlehrerzuschlag" und ohne Überstunden 1900 Euro netto VOR LOHNSTEUERN!
(wobei: wenn man 2 Kindern hat, ist man schon schnell nicht mehr steuerpflichtig!! Als Lehrer!!
Aktuelle Bildungsreform, die den Fass zum Brennen gebracht hat:
- Vorschulen sind ab dem neuen Schuljahr Pflicht (ändert nichts an der tatsächlichen Beschulungsquote von 99%)
-> in Folge dessen dürfen "Kindergarten" (jardins d'enfants) die Betreuung und "Beschulung" übernommen und haben Anspruch auf Kostenerstattung seitens der Kommune, obwohl sie keine ausgebildete Lehrkräfte beschäftigen.
(in der Vorschule liegt die Betreuungsquote auch bei ca. 30 Kids pro Klasse, eine pädagogische "Hygieneassistentin" wird mal mit anderen Klassen geteilt.)
- Vorschulen und Grundschulen sollen im Sinne einer "besseren Vernetzung" einer Mittelstufe zugeordnet werden, in der Mittelstufe ist dann ein stellvertretender Schulleiter für die Grundschulen zuständig, die Grundschulschulleiter werden verschwinden, der Kontakt zu den Eltern wird logischerweise "schwieriger" (an meiner Mittelstufe kamen SchülerInnen von 5 Grundschulen!! (und zwar ALLE SchülerInnen dieser Grundschulen gingen zu dieser Mittelstufe, da es in Frankreich keine freie Schulwahl im öffentlichen System gibt)
- die Fächerwahl in der Oberstufe wird komplett geändert, nähert sich dem deutschen System mit LK-System und so, nur, dass jede Schule unterschiedliche LKs anbietet und die SchülerInnen allerdings deswegen nicht wechseln dürfen (es war vorher anders, ich hätte für einen Latein-LK die Schule wechseln dürfen)
- Die Unis wählen nicht mehr nach "Zufallsprinzip" (wie in den letzten 3 Jahren der Fall), sondern dürfen danach wählen, wer den LK hatte. den es allerdings nur in einzelnen Schulen gibt...
tbc...