Kind mit ASS (und Asperger-Syndrom)

  • ...redet doch mal den leuten, dann erscheint ihre perspektive auch nicht mehr "komisch".

    Komisch ist, was die Mutter abzieht! Sich vom I-Helfer berichten lassen, die Beschwerden beim Schulleiter, keiner soll irgendwas wissen, gleichzeitig sitzt den ganzen Tag ein Erwachsener neben einem 11-Jährigen, der in die Pubertät kommt und sich völlig normal verhält. Der arme Junge, das ist doch Psycho und du wirbst um Verständnis. Und sei sicher, ich kenne Kinder mit Autismus und weiß, wie sie sich Verhalten, ich unterrichte seit 10 Jahren Kinder, die psychische Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen etc. haben. Der Thread macht mich gerade richtig wütend. Kecks, ich schätze deine Beiträge normalerweise sehr, aber was hier verbreitet wird ist grenzwertig. Wir kennen das Kind nicht mal!

  • Hallo!


    Ich kann gut verstehen, dass du dich sehr unwohl fühlst. Dass du mit dem Thema alleingelassen wurdest, ist auch nicht richtig. Ob jetzt die Mutter eifersüchtig, zu wenig offen, panisch, intrigant oder verzweifelt ist und der I-Helfer wichtigtuerisch oder engagiert, wissen wir nicht. Sicher ist, dass du ein Profi bist, dem die Mutter ihr Kind anvertrauen muss, der aber andererseits über das für die Familie existentielle Problem zu wenig weiß. Das wirst du nun sicherlich schnellstens ändern. Deine Sichtweise darfst du natürlich auch haben und bei der SL auflaufen und Unterstützung einfordern. Dass die Kommunikation mit der Mutter läuft, ist das A und O. Dazu muss man eben auch vernünftig mit dir reden.

  • Und sei sicher, ich kenne Kinder mit Autismus und weiß, wie sie sich Verhalten, ich unterrichte seit 10 Jahren Kinder, die psychische Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen etc. haben.

    Kennst du auch Asperger-Autisten? Mein Bruder ist Autist (Typ Kanner) und ich kannte aus der Förderschule kmE viele Kanner-Autisten. Später war ich mal für ein paar Wochen I-Helfer eines Asperger-Autisten am Gym und bei uns an der Schule haben wir auch immer mal einen Asperger-Autisten. Ich finde, die sind ganz anders drauf als die Kanner-Autisten.

  • .... Ich finde, die sind ganz anders drauf als die Kanner-Autisten.

    Was würdest du denn sagen, wie "die" drauf sind?


    Ich sag mal so, ich kenne Leute, die diese Diagnose bekommen haben. Erstaunlicherweise sind es nur Jugendliche (bzw. Erwachsene) aus gebildeten Elternhäusern. Und ich würde mir für diese Leute wünschen, dass deren Eltern sich Hilfe in Form von Therapie holen/geholt hätten, anstatt dass sie ihrem Kind eine Diagnose aufdrücken, die sie von jeder Verantwortung zu befreien scheint. Da werden Schulbegleiter neben 14-Jährige gesetzt, anstatt sie mal zu fragen, was sie so schweigsam macht. Und wenn du die Eltern kennenlernst, bekommst du eine Ahnung von der Dynamik zu Hause und warum das Kind unnötige Wörter vermeidet. Aber wahrscheinlich hab ich noch nie jemanden getroffen, auf den diese Diagnose wirklich zuträfe...
    Probleme in der sozialen Interaktion haben zunächst mal viele Menschen, wo die herrühren ist damit noch lange nicht geklärt.


    (In etwa wie die vielen ADHS-Diagnosen, die es eine Zeitlang gab, weil "gestörte Beziehung zur Mutter", "aggressive Väter, die sich zu früh aus dem Staub machen" und "zu viel PS4 zu wenig Fußball und Bäumeklettern" uncool sind.)


    Ich wünsche mir für jedwede Form von Verhaltensstörung, dass Eltern richtig gehört und Kinder wirklich gesehen werden. Eigentlich sollte doch niemand eine Festschreibung von krankhaften Symptomen ausgewiesen bekommen, die ihn oder sie zu etwas machen, das man auf eine bestimmte Weise behandeln müsste, weil endlich, mit der ICD-10 Nummer, scheinbar alles gesagt wäre.


    Oder wie der Depressionsforscher Eiko Fried schrieb: es bestehe ein grundlegender Irrtum darin, die Logik von Diagnosemnaualen medizinischer Krankheiten auf psychische Störungen zu übertragen. Da gibts nicht immer 3 Symptome-> Krankheit erkannt-> Tabletten verschrieben und fertig ist der Lack. Auslöser und Symptome bilden ein Geflecht, es geht um dynamische Systeme, nicht um Kategorien...

  • Ich finde eure Erfahrungen und Meinungen sehr interessant. Danke dafür!


    Was mir noch einfällt, das Kind spielt regelmäßig Videospiele („Ballerspiele“), die ab 16/18 sind. Wie steht ihr dazu? Kann so was auch die Ausraster des Kindes zuhause auslösen?

  • eher nein. autisten haben i.a. irgendwas, was sie runterbringt. bei sehr vielen ist das irgendwas mit bildschirmen - bestimmte spiele immer wieder spielen, bestimmte youtube-videos immer wieder gucken, eine spezifische serie, wenn sie noch klein sind der waschmaschine zuschauen oder aktiv die trommel drehen oder so... wenn das nicht-altersgemäße spiele sind, ist das eher egal, insofern es sie runterbringt. und das, was sie runterbringt, ist lebenswichtig, für sie, für ihr umfeld aber auch.


    zudem spielen sehr viele kinder nicht altersgemäße ballerspiele. die wenigsten drehen deshalb irgendwie durch.

  • Was würdest du denn sagen, wie "die" drauf sind?

    Für mich war die Wahrnehmung anderer Menschen ein entscheidender Punkt. Während die Autisten, die ich bisher kannte und sofern sie normal ansprechbar waren, nicht so große Probleme hatten, Emotionen des Gegenübers intuitiv zu lesen, konnte dieser Asperger-Autist das gar nicht. Er konnte mir perfekt beschreiben, was ich für eine Mimik in bestimmten Situationen hatte, aber er konnte überhaupt nicht deuten, was das bedeuten sollte. Klar, wusste er so ganz grob, was bestimmte Grundmimiken bedeuten sollten, aber die menschliche Mimik hat zahlreiche Feinheiten und Untertöne. Das war für ihn in der Komplexität nicht zu entschlüsseln. Außerdem war er ein Klugscheißer vor dem Herrn. Sheldon aus The Big Bang Theory ist ein Prototyp eines Asperger-Autisten. ;)
    Ich fand es nicht so einfach, mit ihm umzugehen, weil ich das nicht so kannte. Im Unterricht hatte er ja keine Probleme, weil da ja alles so seinen Gang ging und er auch ein super Schüler war. Ich war hauptsächlich für die Pausen da, um zu beobachten oder ihm mal Tipps zu geben, wie er mit seinen Mitschülern ins Gespräch kommen könnte, oder uns einfach in den Musikraum zurückzuziehen. Auch in Vertretungsstunden, wo dann eben kein oder nur ein wenig Unterricht lief, versuchte ich ihn einzubeziehen, als die Mitschüler mal etwas gespielt haben. Das hat er zwar nicht immer geklappt, aber die Klasse fühlte sich weniger unsicher. Sie wussten ja auch nicht, wie sie mit seiner Art umgehen sollten.

  • Zuerst: Danke keckks!

    Als Pädagoge und Asperger-Autist (ja, das geht) bin ich sehr froh darüber, hier mal neben der vielen Pauschalmeinungen und Erwartungen, wie „die“ zu ticken haben, von jemandem zu lesen, der/die sich merklich mit der Thematik auseinandergesetzt hat.

    Das Wichtigste: es gibt nicht DEN/DIE AutistIn, jeder ist ein Mensch und individuell. Autisten wollen (wie die meisten Menschen) nicht anders behandelt werden.


    Das im Beitrag beschriebene Verhalten deutet für mich sehr wohl auf einen vezögerten Meltdown hin. Das Verhalten der Mutter ist zwar nicht durchgehend korrekt, aber menschlich nachvollziehbar - zu allererst ist sie Mama. Das Lob ist aber nur vielleicht der Grund für die Ausbrüche daheim. Die Entscheidung, den Schüler weiterhin zu loben oder nicht, sollte die Lehrperson selbst anhand ihrer Einschätzung und Expertise treffen.

    Für die meisten ASS Menschen ist das ständige sich-an-neurotypische-anpassen-müssen ein seelischer und körperlicher Kraftakt. Stellt euch ein Gummiband vor, das so lange gedehnt wird, bis es reisst oder wegschnalzt.

    Eine Thematisierung des Autismus in der Gruppe und ggf Psychoedukation der Beteiligten sind früher oder später ohnehin nötig, hier ist besondere Feinfühligkeit bei der Einschätzung der Erziehungsberechtigten und Pädagogen gefragt. Das Wann und Wie sollte dabei gut überlegt sein.

    Ich hoffe, ein wenig geholfen zu haben, auch, wenn der Beitrag schon alt ist.

  • Ich finde eure Erfahrungen und Meinungen sehr interessant. Danke dafür!


    Was mir noch einfällt, das Kind spielt regelmäßig Videospiele („Ballerspiele“), die ab 16/18 sind. Wie steht ihr dazu? Kann so was auch die Ausraster des Kindes zuhause auslösen?

    Das erinnert mich an die "Killer-Spiele"-Debatte von 2006. Ich dachte wir wären mittlerweile weiter...

  • Wie erkennt ihr, ob der Meltdown bzw. Overload von der Schule verursacht wurde? Es kann doch ebenso ein Auslöser zu Hause gewesen sein??

  • Das erinnert mich an die "Killer-Spiele"-Debatte von 2006. Ich dachte wir wären mittlerweile weiter...

    Naja, dass solche Spiele nicht ohne Wirkung bleiben, dürfte unbestritten sein.

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

  • Wie erkennt ihr, ob der Meltdown bzw. Overload von der Schule verursacht wurde? Es kann doch ebenso ein Auslöser zu Hause gewesen sein??

    Wenn der Meltdown in der Schule passiert, dann liegt auch der Auslöser in der Schule. Mag sein, dass längerfristige Belastungen zu Hause dazu führen, dass der Auslöser zum Auslöser wird. Da man die häuslichen Bedingungen aber kaum beeinflussen kann, muss man den schulischen Auslöser abstellen.

    Wenn man mit der Thematik Autismus vertraut ist und das Kind gut kennt, kann man Auslöser sehr sicher erkennen und im Idealfall abstellen, bevor der Meltdown da ist.


    Das ist übrigens mit ein Unterschied zwischen fachlichem und nichtfachlichem Schulbegleiter. Ein fachlicher Schulbegleiter kann Belastungen identifizieren und wendet Strategien an, um sie zu reduzieren. Gerade im Umgang mit Autisten ist Professionalität sehr wichtig.

    Ein nichtfachlicher Schulbegleiter kann sich aber, wenn er engagiert ist, sorgfältig einlesen und Fortbildungen machen. Habe ich schon oft erlebt, dass sie dann den Fachlichen nur wenig nachstehen.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Wenn der Meltdown in der Schule passiert, dann liegt auch der Auslöser in der Schule. Mag sein, dass längerfristige Belastungen zu Hause dazu führen, dass der Auslöser zum Auslöser wird. Da man die häuslichen Bedingungen aber kaum beeinflussen kann, muss man den schulischen Auslöser abstellen.

    Das ist eine sehr "mehrdeutige" Antwort, um die HERKUNFT des Auslösers (Schule oder zu Hause) zu erklären!

  • Einige SuS sind in der Schule anders im Verhalten, als zu Hause.

    Das ist normal, denn zu Hause darf man sich eben „zu Hause“ fühlen und auch schon mal „gehen lassen“.


    Die besondere Herausforderung für ASS:

    Bei ASS SuS spielt der wichtige Strukturrahmen eine große Rolle im Umgang mit der Anpassung an den Schulbetrieb. Das ist für ASS SuS sehr anstrengend und herausfordernd. Lehrkräfte sind in der Schule für ASS Kinder besonders wichtige zuverlässige Struktur gebende Personen.


    Schule ist für ASS sehr anstrengend:

    - Geräusche, die man schlecht herausfiltern kann, um dem Unterricht zu folgen

    - Vertretungspläne für sich in den geordneten Schulalltag einbauen

    - der Weg zur Schule (Bus, Bahn,…)

    - das Schreibtempo

    - Gedränge in den Fluren

    - Gruppenarbeit

    - und anschließend die Schule auch noch „mit nach Hause nehmen“, obwohl man sich dort ausruhen müsste

    - oft schlafen ASS Kinder sehr schlecht und sind entsprechend müde

    - …


    Fazit: Der Herausforderung Schule, muss dieses Kind zu Hause erst einmal entkommen dürfen.

    Hausaufgaben, Lernen, Unterrichtsvorbereitungen müssen trotzdem in den Nachmittag eingebaut werden. Das ist wohl die Zusatzaufgabe, der sich auch das Kind stellen muss.


    Eine verabredete Struktur, welche nur mit familiärer Unterstützung funktioniert, könnte den Nachmittag erleichtern. (Ausruhen, Essen bis…, Hausaufgaben von bis,..Freizeit,…)

    Übersichtspläne, gut strukturiertes Lernmaterial,…


    Das ist natürlich auch für die Familie eine zusätzliche Herausforderung, besonders wenn mehrere Kinder ebenfalls und natürlicherweise Unterstützung benötigen, wenn man dazu als Eltern einen Arbeitsalltag hat,…

    Vielleicht hilft der Tipp weiter unten? (Freizeitunterstützung, Freizeitassistenz)


    Wenn es in der Schule gut läuft, dann haben alle Seiten ihren positiven Anteil daran.

    Vielleicht hilft es den Eltern, wenn sie lernen froh darüber zu sein, dass ihr Kind durch schulische und elterliche Unterstützung auf einem sehr guten Weg ist?



    Notfalls: Freizeitunterstützung suchen, ASS Kinder können auch hierin ihren Anspruch über das JuA geltend machen (ähnlich wie Schulassistenz), damit auch die Eltern etwas entlastend werden und die Familie aus der „Kampfspirale“ herauskommt.






    Zitat eines Unbekannten:“Haben Sie Ihr Kind heute schon gelobt“?


    Bester Spruch seit …. und darf sehr gerne angewendet werden.


    (Sollten MitschülerInnen ein ASS Kind wegen „Loben“ mobben, dann spricht man am besten noch einmal sehr offen mit der Klasse.)

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