Lernzieldifferenter Unterricht

  • Hallo zusammen!


    Ich habe ein Kind in der Klasse (Bayern, 1.Klasse), das bis jetzt nur sehr wenig kann. Buchstaben benennen, aber nahezu nichts lesen, mittlerweile Mengen zählen, aber nur bis 6 und immer wieder von vorne, Zahlen zerlegen nur mit meiner Hilfe, usw
    Es macht Fortschritte, aber nur sehr kleine im Vergleich zur restlichen Klasse.


    Ist es möglich/sinnvoll, schon in der 1. Klasse Lernzieldifferenz zu beantragen? Oder ist das noch zu früh? (Ich möchte den Eltern nichts vorschlagen, was dann doch nicht geht. Aber die Einwilligung bräuchte ich ja, um es anzulaiern..)
    Wie sieht es dann bei den Lernstandsgesprächen aus? Brauche ich dazu einen angepassten Bogen?


    Viele Grüße.

  • Hallo Krümelmama,
    ohne entsprechende Tests würde ich so etwas nicht im Alleingang machen.
    Das ist ein klassischer Fall für den MSD. Ich würde also den MSD einschalten, der dann entsprechende Tests macht und rät, wie man weiter vorgehen kann. Ich würde eher auf Überprüfung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs abzielen. Das Kind kann nach Elternwillen in der Klasse verbleiben.


    Ich habe/ hatte in meinen Kooperationsklassen immer Schüler, wo der MSD in den ersten beiden Schuljahren beobachtet und getestet hat - das sind ja die Kooperationsschüler. Aber kein einziger Schüler wurde lernzieldifferent unterrichtet (das hieße ja, dass er aus der Notengebung herausfällt), sondern eher zusätzlich gefördert, erhielt einen Förderplan, besuchte/besucht außerunterichtlich Logo und Ergo oder wiederholte freiwillig das 1. Schuljahr.


    Bei uns versucht man bei ganz schwachen Kindern zum Besuch einer Förderschule zu raten, damit sie in 3 Jahren das Versäumte aufholen können und evtl. zurückgeschult werden können, wenn es andere Schwierigkeiten sind.


    Wenn ein Kind lernzieldifferent unterrichtet wird, hat das in Bayern weitreichende Konsequenzen.
    Er erreicht z.B. keine Klassenziele, wenn der Stoff nicht aufgeholt wird. Außerdem ist das lernzieldifferente Unterrichten dazu gedacht, dass ein Kind vom Notendruck befreit wird und es Zeit hat, das Versäumte nachzuholen. Das wäre im 1. Schuljahr noch nicht der Fall.


    An deiner Stelle würde ich also sehr bald den MSD einschalten und mir andere schulexterne Beratungen holen, z.B. den Schulpsychologen - natürlich alle mit Einverständniserklärung der Eltern.


    Aus der Grundschulordnung verschiedene Paragraphen:
    1Die Lernziele der Schülerinnen und Schüler, die auf Grund ihres sonderpädagogischen Förderbedarfs voraussichtlich die Lernziele der Grundschule nicht erreichen, sind in einem individuellen Förderplan festzuschreiben; ansonsten kann ein Förderplan bei Bedarf erstellt werden. 2Der Förderplan enthält Aussagen über die Ziele der Förderung, die wesentlichen Fördermaßnahmen und die vorgesehenen Leistungserhebungen. 3Die Lernziele im Förderplan sind mindestens jährlich fortzuschreiben. 4Die Erstellung des Förderplans erfolgt unter Einbeziehung der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste. 5Der Förderplan soll mit den Erziehungsberechtigten erörtert werden.

    (5) Schülerinnen und Schülern mit festgestelltem sonderpädagogischem Förderbedarf, bei denen von einer Bewertung der Leistungen durch Noten abgesehen wird, ist abweichend von den Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 das Vorrücken zu ermöglichen, wenn zu erwarten ist, dass sich die Lernziele des Förderplans auch in der nächsthöheren Jahrgangsstufe erfolgreich verwirklichen lassen.

    (1) Die Klassenleiterin oder der Klassenleiter meldet nach eingehender Erörterung mit den Erziehungsberechtigten Schülerinnen und Schüler, die auf Grund des möglichen Vorliegens der Voraussetzungen nach Art. 41 Abs. 5 BayEUG für eine Überweisung an ein Förderzentrum in Betracht kommen, der Schulleiterin oder dem Schulleiter, legt den hierfür maßgeblichen Sachverhalt dar, berichtet über den vermuteten sonderpädagogischen Förderbedarf sowie die bisher durchgeführten Fördermaßnahmen und gibt einen Überblick über die Schulleistungen und das Lernverhalten; eine vorhandene Stellungnahme der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste ist beizufügen.


    Zu den Lernentwicklungsgesprächen:
    Bei uns gibt es keine Extrabögen für Schüler, die einen getesteten sonderpädagogischen Förderbedarf haben oder sogar aus vielen Beurteilungen ganz herausfallen. Die Protokollbögen sind nicht amtlich, deswegen hat man da gewisse Freiheiten. Wir füllen das, was nicht zutrifft, nicht aus.
    Manche Schulen haben ganz offene Bögen, andere wiederum ausdifferenzierte Ankreuzbögen. Beim letzteren kann man nicht immer alles ankreuzen. Es geht letztendlich nur um ein Protokoll.

  • Danke für deine ausführliche Antwort.


    Den MSD werde ich auf jeden Fall kontaktieren. Vielleicht macht es auch Sinn, direkt gemeinsam mit den Eltern zu sprechen (in dem Fall ein sensibles Pflaster..).


    Ich dachte, wenn ein erhöhter Förderbedarf besteht und das Kind über einen Förderplan eigene Ziele erhält (z. B. in Mathe einen kleineren Zahlenraum), wäre dies bereits lernzieldifferenter Unterricht. Was ist da der Unterschied? Tatsächlich nur die Noten? Die gibt es ja in der 1.Klasse eh nicht..

  • Wie man da vorgeht, ist ja in jedem BL anders.
    Aber ich bin dafür, so früh wie möglich abklären zu lassen, ob ein Förderbedarf besteht.


    Das lässt sich später einfach nicht mehr aufholen.


    Ich habe gerade -wieder mal- so einen Fall, wo die Grundschule das Kind einfach durchgeschleust hast. Der Schüler kann nicht lesen und schreiben - in Klasse 5. :( Und er hat auch nicht die intellektuellen Fähigkeiten, um das irgendwie zu kompensieren.

  • Ich dachte, wenn ein erhöhter Förderbedarf besteht und das Kind über einen Förderplan eigene Ziele erhält (z. B. in Mathe einen kleineren Zahlenraum), wäre dies bereits lernzieldifferenter Unterricht. Was ist da der Unterschied? Tatsächlich nur die Noten? Die gibt es ja in der 1.Klasse eh nicht..

    Mir wurde vom MSD und der Schulleitung immer mitgeteilt, dass eine Herausnahme aus der Notengebung bei Kindern mit festgestelltem sonderpäd. Förderbedarf heißt, das Kind lernzieldifferent nach Förderplan zu unterrichten. Ich kann es nur schreiben, wir es mir weitergegeben wurde. Ich unterrichte allerdings in 3/4. In anderen Fällen - außer denjenigen, die neu nach Deutschland kommen und noch nicht Deutsch sprechen, die haben 2 Jahre Notenschutz, wenn sie es brauchen - kann man keine Kinder aus den Noten herausnehmen, es sei denn, sie erfüllen besondere Kriterien, die im Gesetz festgelegt sind. (Stichwort: Inklusion)


    Ist das Kind eigentlich in der Schuleinschreibung bzw. schon im Kindergarten aufgefallen?
    Das gucken wir auch meistens noch an um ein komplettes Bild zu bekommen.


    Die Paragraphen in den Schulgesetzen sind eher notenbezogen - es geht um Notenschutz und Nachteilsausgleich.


    So wie ich die Gesetze und das, was so gesagt wurde, verstanden habe, ist das so angelegt, dass die Betroffenen so gefördert werden, dass sie durch ihre Beeinträchtigungen dennoch an der Schule teilnehmen können. Außerdem bekommen sie unter bestimmten Bedingungen Notenschutz oder Nachteilsausgleich. Nämlich: die Herausnahme aus der Notengebung bei sonderpädagogischem Förderbedarf zieht die im Beitrag 2 genannten Konsequenzen mit sich - zumindest so erhielt immer die Auskunft von der Schulleitung und dem MSD, wenn ich nachfragte. (Der andere Fall sind Kinder, die neu in Deutschland sind und kaum Deutsch sprechen, da ist es gesetztlich verankert, dass sei 2 Jahre Zeit haben.)
    Da im 1. Schuljahr keine Noten gegeben werden, erübrigt sich da erst der Notenschutz und Nachteilsausgleich. Schwache Kinder machen bei uns, wenn die Eltern damit einverstanden sind, eine Überprüfung zum sonderpäd. Förderbedarf mit. Im Idealfall werden sie zusätzlich (meistens geht das auf eine Stunde in der Woche hinaus, Doppelbesetzung) vom MSD oder auch von einer Förderlehrkraft betreut - das ist sehr wenig.
    Spätestens wenn Noten gegeben werden, muss das Kind die Leistungsnachweise mitschreiben, wenn es keinen Notenschutz, keinen Nachteilsausgleich oder keine lernzieldifferente Beschulung hat. Eine lernzieldifferente Beschulung heißt Unterricht nach eigenem Förderplan und in der Regel das nicht Erreichen des Klassenziels (weil das Kind ja die normalen Proben nicht mitschreibt, differenzierte Proben dürfen wir in Bayern nicht schreiben). Durch den Förderplan darf es dennoch vorrücken (siehe oben).


    Ich denke, dieser Passus aus der Bayerischen Schulordnung ist noch interessant:
    http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BaySchO2016-G5
    (vor allem § 32, 33, 34 - da sieht man z.B., wen es betrifft)


    Und dieser aus der GO:
    http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVSO-11


    Hier sagt Nr. 2 und 3 noch etwas zum sonderpädagogischen Förderbedarf.


    In den Leitlinien zum Lehrplanplus (die wurden mir einmal bei einer entsprechenden Veranstaltung bewusst gemacht) ist alles so schön ausgedrückt. Die Unterstützungsmöglichkeiten, die angesprochen sind, sind eher Zukunftsmusik.
    https://www.lehrplanplus.bayer…itlinien/textabsatz/39198


    Vielleicht klappt es in der ersten Klasse ohne Notendruck noch etwas besser zu differenzieren, auch wenn man alleine in der Klasse ist.


    Rede mit deiner Schulleitung. Wenn die Eltern misstrauisch gegenüber dem MSD sind, versuche ich im 3. Schuljahr dann eine Beratung durch die Schulpsychologie oder der Beratungslehrkraft anzuregen. Doch man kann die Ängste gut entkräften, weil der Elternwille beim evtl. Förderschulbesuch zählt.


    Wenn du bei dem Kind grundsätzliche Dinge wie Konzentration, mangelnde Merkfähigkeit, mangelnde Strukturfähigkeit feststellst, würde ich immer von vorneherein die Ergotherapie empfehlen. Das ist besser als nichts.

  • Danke nochmal!


    Das Kind wurde bereits zurückgestellt. Ein Ergotherapeut ist in der Familie...


    Wir haben jetzt die Möglichkeit es in eine Förderstunde zu stecken, zumindest ein Anfang (für Kind und Eltern).


    Ich war wohl etwas vorschnell (da ich denke, dass frühzeitiges Handeln wichtig ist), aber die Mühlen mahlen langsam.
    Im Gespräch mit dem MSD habe ich Möglichkeiten zum groben Vorgehen erhalten (1. Klasse erst mal beobachten, abklären/Ausschluss von Sehproblemen, Wahrnungsproblemen, Antrag für eine Überprüfung stellen, ...). Also, es dauert ...
    Für den Unterricht bleibt mir zunächst nur das "klassische Differenzieren" und für das LEG eine große Portion Feingefühl, um dem Kind die die Motivation zu nehmen..

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