Allgemeinbildendes Gymnasium als Ingenieur?

  • Deine Beratungsresistenz ist bemerkenswert. Dir wird von mehreren Seiten, mit guten Gründen, abgeraten ein bestimmten Fach zu studieren und nun "tendier[st du] derzeit stark" dazu, genau dieses Fach zu studieren.

  • Ein wenig muss ich, zumindest für meine Schule, den Post von Alte Dame relativieren:

    Korrekturen fallen größtenteils weg wegen des projektartigen Unterrichtscharakters

    NwT ist ein Hauptfach. In Hauptfächern schreibt man in BaWü vier Klassenarbeiten pro Jahr.
    Eine Klassenarbeit kann ersetzt werden durch eine andere schriftliche Leistung wie beispielsweise ein Projekttagebuch, Portfolio o.Ä.
    Doch erstens muss auch dieses korrigiert oder in irgendeiner Form bewertet und benotet werden.
    Und zweitens müssen auch dann immer noch drei Klassenarbeiten geschrieben werden, insofern auch entsprechend Theorie unterrichtet werden.
    Und wenn man, wenn NwT vierstündig unterrichtet wird zwei Stunden für reinen Praxisunterricht abzieht, bleiben pro Woche zwei Stunden für die Theorie übrig.
    Also wie bei Nebenfächern. Mit zwei Unterschieden: In Nebenfächern muss man keine drei Arbeiten schreiben.
    Und einige Stunden der zwei Theoriestunden kannst du abziehen für Projektplanung; die Aufgabenstellung eines Projekts wird erläutert, die Gruppen werden zusammengestellt (es empfiehlt sich, die Gruppen mehrmals im Jahr neu zu mischen, damit nicht immer die gleiche SuS zusammenarbeiten) und die Gruppen erhalten Zeit, das Projekt zu strukturieren, einen Zeitplan zu erstellen usw.
    D.h. unterm Strich hast du für die Theorie weniger Zeit als in Nebenfächern und musst dennoch mehr Klassenarbeiten schreiben.
    (Um auch das zu relativieren: Geht trotzdem zeitlich problemlos und in Biologie schreibe ich auch (freiwillig) drei Klassenarbeiten. Aber totales Zurücklehnen ist es halt auch nicht.)


    Den Praxisaspekt empfinde ich aber als angenehm, das kann ich auch unterschreiben; wenn ein Projekt so richtig läuft, beschränkt sich meine Rolle aufs Zugucken mit etwas Hilfestellung, wenn nötig.
    Und den Schülern macht das Fach auch bei mir/uns tatsächlich sehr viel Spaß.
    Das Problem ist dann eher, auch ein entsprechendes Niveau reinzukriegen, so dass nicht jeder, der eine Brücke aus Schaschlik-Spießen zusammenkleben kann, die nicht zusammenfällt, am Ende eine Zwei kriegt und NwT zu dem Fach verkommt, die den potenziellen Sitzenbleibern den Arsch rettet.


    Insgesamt wird NwT aber sehr unterschiedlich unterrichtet, bei keinem Fach gibt es mehr Unterschiede zwischen den Schulcurricula, der Stundenverteilung und sonstigen Regelements.
    Und mit dem neuen Bildungsplan ist NwT sehr viel mehr technischer ausgerichtet als früher - war es früher ein Kuchen, der aus (unterschiedlichen großen) Stücken Physik-, Biologie-, Chemie- und Geografie-Kuchen zusammengesetzt wurde, ist es heute mehr ein Kuchen mit eigenem Rezept.
    Einige Schulen hängen (wohl auch mangels "echten" NwT-Lehrern) noch mehr am alten Konzept als andere.

    Und glaube bitte nicht, dass man Dich dann als ehemaligen NwT-Lehrer zum Physiklehrer macht: Nur vertretungsweise oder wenn wirklich kein studierter Physiker zur Verfügung steht.

    Gerade weil du immer noch von "NwT + Geo = Kombi, mit der du NwT, Geo und Physik unterrichten wirst" ausgehst, möchte ich den Teil dick unterstreichen.
    Nö. Das wird wirklich nur passieren, wenn die Schule keinen "echten" Physiker kriegt und keine andere Wahl hat. Vorher wird eher der Phy/M-Kollege keine einzige Stunde Mathe abkriegen und nur noch Physik unterrichten.


    Zu Wirtschaft:
    Auch da gibt es wohl schulspezifische Unterschiede.
    Das Fach kann von Geografie- oder von Gemeinschaftskundeseite aus angegangen werden, jeweils mit einer Aufsetzer-Fortbildung.
    An meiner Schule gibt es sowohl GK-Leute, die das machen,als auch Geografen.

  • @Ummon, vielen Dank für die ausführliche Antwort. Solche Antworten helfen mir sehr.

    Deine Beratungsresistenz ist bemerkenswert. Dir wird von mehreren Seiten, mit guten Gründen, abgeraten ein bestimmten Fach zu studieren und nun "tendier[st du] derzeit stark" dazu, genau dieses Fach zu studieren.

    Nachgedacht. Auch vielen Dank hierfür. Ich bin hier im Forum um Input und Rat zu suchen und keine entgültige Entscheidung. Diese muss Ich für mich selbst treffen. Und hierfür bin ich euch für eure Hilfe und Tipps sehr dankbar.
    Ich kann Physik neben der Kombi NWT+Geo als Drittfach studieren und habe damit vermutlich sehr gute Chancen. Bei NWT bekomme ich viele Leistungspunkte angerechnet, weshalb dies für mich die geeignetere, günstigere, kürzere Variante ist.
    Kann man ein Drittfach auch noch nach dem Studium studieren? Angenommen ich studiere "nur" NWT+Geo und es sieht dann tatsächlich düster aus und ich bekomme keine Stelle, oder nur Vertretungsstellen. Kann ich mein Profil dann immer noch durch ein Drittfach Physik verbessern, oder kann man ein Drittfach nur während der Studienzeit der beiden gewählten Fächer studieren?


    Vielen Dank schonmal, liebe Grüße Tuuba

  • Du kannst das Drittfach auch noch nach dem Studium studieren aber ob du das dann wirklich machst, ist fraglich.
    Die meisten sind froh, wenn sie fertig sind :)


    Wenn dir für NWT vieles angerechnet wird, könntest du auch Geo+Physik als Hauptstudium machen und dann mit NWT erweitern. Wäre wahrscheinlich die sicherere Kombi.

  • Hallo miteinander,
    mir ist nochmal eine Frage in den Sinn gekommen. Da ich aus dem Süden komme, wäre die Schweiz für mich ebenfalls eine Überlegung wert.
    Kennt sich einer mit dem System in der Schweiz aus? Gibt es eine Möglichkeit als deutscher Maschinenbauingenieur (Bachelor) den Weg in das Schweizer Berufskolleg zu finden? Welcher Master wäre hierfür sinnvoll?
    Besteht in der Schweiz evtl. die Möglichkeit durch ein Aufbaustudium den Weg in ein Gymnasium zu finden? Ich weiß nur, dass man sich in der Schweiz direkt an der Schule bewirbt, aber nicht nach welchen Kriterien entschieden wird und ob es dort auch einen Quereinstieg gibt.


    Liebe Grüße Tuuba

  • Wieso benutzt Du nicht einfach die Suche-Funktion des Forums? Du bist ja nicht der erste, der diese Frage stellt. Wenn Du an einem schweizer Gymnasium irgendwas unterrichten willst, dann such Dir ein Fach aus und fang von vorne wieder an zu studieren, als Maschinenbauer kannst Du das vergessen. Einziger "Vorteil" wäre, dass Du dann nur noch ein Fach brauchst, z. B. Mathe ODER Physik. Maschinenbauer an der Berufsschule kann schon sein. Musst Du halt nach Stellenausschreibungen recherchieren. Fachunterricht an den Berufsschulen wird in der Regel aber nebenberuflich gegeben, d. h. die Leute haben noch zu 50 % oder so eine Anstellung in einem entsprechenden Betrieb.

  • @Wollsocken vielen Dank für die Antwort. Wie meinst du das, dass ich "nur ein Fach bräuchte, z.B. Mathe oder Physik"?
    Mein Maschinenbaustudium ersetzt mir ja am Gymnasium ja kein Fach, also müsste ich zwei Fächer von Grund auf studieren, oder?
    (Nur ein Fach zu studieren, wäre natürlich klasse, dann könnte ich nebenbei noch zur Finanzierung arbeiten.)

  • Nein, Du brauchst im Phil II Bereich in der Schweiz nur ein Fach fürs Gymnasium, das dann aber auf Master-Niveau. Oder Du hast ein Hauptfach auf Master-Niveau und ein Beifach auf Bachelor-Niveau. Wir haben in Chemie, Biologie und Mathe viele Kollegen, die nur das eine Fach unterrichten. Die Physiker haben meist noch Mathe dabei, aber auch nicht alle.

  • Vielen Dank, das ist interessant. Bezieht sich das jetzt nur auf das Berufskolleg, oder auch auf das Gymnasium? Durch googlen konnte ich keine Antwort finden: ist mit Phil II Sek II gemeint?

  • Allgemein kann man in Sek II nur mit einem Fach unterrichten. Noch zur Berufsschulen in der Schweiz: Diese vielen Schularten an beruflichen Schulen wie in D gibt es in der Schweiz nicht. Es gibt solche ohne oder mit Berufsmaturität (wie Fachhochschulreife in D, die allgemeine Maturität kann man an einer Berufsschule in der Schweiz nicht machen). Mathe braucht man zum Beispiel nur in Schulen mit Berufsmaturität und man unterrichtet auch nur solche Klassen, keine berufliche Grundbildung.

  • Also ehrlich ... Wenn Du Dich für das schweizerische Bildungssystem interessierst, dann spuckt Dir Tante Google sehr wohl einen Haufen Informationen dazu aus, auch Wikipedia hat einen Eintrag dazu. Wie Du meinem Profil entnehmen kannst, unterrichte ich an einem Gymnasium, also werde ich wohl auch Gymnasium meinen. Da ich aber ohnehin gerade mit einer fetten Erkältung auf der Couch hocke ...


    Das schweizerische Bildungssytem unterscheidet sich doch sehr grundlegend vom deutschen Bildungssystem. Abgesehen davon ist die Schweiz für Dich als Deutscher Ausland, das muss Dir klar sein, wenn Du ernsthaft in Erwägung ziehst, hierher zu kommen. Ich würde Dir nicht empfehlen, in Deutschland wohnen zu bleiben und in die Schweiz nur zum Arbeiten zu pendeln denn gerade in einem sozialen Beruf wie dem des Lehrers, sollte man Land und Leute kennen, finde ich.


    Also ... Die Kinder hier müssen alle mindestens 1 Jahr in den Kindergarten, dann gehen sie mit 6/7 Jahren an die Primarschule, die hier im Gegensatz zu den meisten deutschen Bundesländern bis einschliesslich 6. Klasse geht. Dann wechseln alle einmal das Schulhaus und werden für die Mittelstufe (Sek I) auf drei Leistungsniveaus verteilt, die in etwa der deutschen Hauptschule, Realschule und dem Gymnasium entsprechen. Je nach Kanton sind die Bezeichnungen unterschiedlich, bei uns im Baselland sprechen wir vom Niveau A, E und P, entsprechend "allgemeine Ansprüche", "erweiterte Ansprüche", "progymnasiale Ansprüche". Anders als in Deutschland werden die Kinder hier sehr streng entsprechend ihrer Noten sortiert, also unabhängig davon, was die Eltern sich so vorstellen. Die Lehrerempfehlung hat hier auch noch ein deutlich höheres Gewicht, als in Deutschland. Dafür ist die Durchlässigkeit zwischen den drei Niveaus aber relativ gut. Beim Wechsel von A über E ins P "verlieren" die Kinder in der Regel ein Jahr, wird nur ein Niveau gewechselt, klappt das meist verlustfrei.


    Ans Gymnasium (Sek II, bei uns im Baselland und in den meisten anderen Kantonen also *nur* die Oberstufe vom 10. bis zum 13. Schuljahr) kann in Basel-Stadt und Baselland wechseln, wer im Niveau P der Sek I mindestens eine 4.0 im Schnitt des letzten Zeugnisses hat, Aufnahmeprüfung gibt es bei uns keine. Achtung ... die Notenskala ist invers zur deutschen, die 1.0 ist also die schlechteste, die 6.0 die beste Note. Ferner unterscheiden wir hier nicht zwischen Kern- und Nebenfächern, Zeichnen zählt also genauso viel wie Mathe. Aus dem Niveau E können die Jugendlichen ans Gymnasium gehen, wenn sie mindestens eine 5.0 im Schnitt haben. Wer es nicht ans Gymnasium schafft (im Baselland sind das 80 % der Jugendlichen ... ja, es gehen wirklich nur 20 % ans Gymnasium!), der kann aus dem Niveau E und unter bestimmten Umständen (Notenschnitt entscheidet wieder) auch aus dem Niveau A an die Fachmittelschule bzw. Wirtschaftsmittelschule weiter gehen. Vom Niveau her entspricht das wohl der deutschen Realschule, geht hier aber in der Regel bis zur 13. Klasse und schiesst mit der Fachhoschulreife ab. Dorthin gehen im Baselland noch mal 20 % der Jugendlichen. Die restlichen 60 % gehen in die Berufslehre. Mit der 20-20-60-Verteilung entsprechen wir im Baselland ungefähr dem gesamtschweizerischen Durchschnitt. In anderen Kantonen sieht die Verteilung teils völlig anders aus, vor allem in der Zentralschweiz sind die Übertrittsquoten an die weiterführenden Schulen extrem gering. Die Übertrittsbedingungen unterscheiden sich von einem Kanton zum nächsten auch erheblich. Wir haben bei uns im Schulhaus z. B. noch Schüler aus dem Nachbarkanton Aargau, die brauchen im Schnitt eine 4.7 um ans Gymnasium gehen zu dürfen (das gibt der Aargau vor, wir haben keinen Einfluss darauf).


    Mit Eintritt ans Gymnasium wählen alle SuS ein sogenannten Schwerpunktfach, das ist so ähnlich wie früher in Deutschland das mit den Leistungskursen. Allerdings kann man nicht einfach irgendwas wählen, es gibt fest vorgegebene Profile: A (Mathe/Physik), B (Biologie/Chemie), L (Latein), I (Italienisch), S (Spanisch), M (Musik), Z (Zeichnen), W (Wirtschaft- und Rechtslehre), PPP (Pädagogik/Psychologie/Philosophie). Alle anderen Fächer müssen als Grundlagenfach belegt werden, abwählen kann man nur entweder Zeichnen oder Musik. Von diesen Grundlagenfächern "sterben" einige wiederum schon nach der 3. Klasse (Biologie, Chemie, Physik, Geographie, Musik bzw. Zeichnen ... immer sofern nicht als Schwerpunktfach belegt), dafür gibt es die Möglichkeit in der 4. Klasse ein Ergänzungsfach zu wählen, mit dem spezielle Interessen vertieft werden. Maturprüfung (jeweils schriftlich *und* mündlich) machen alle SuS am Ende der 4. Klasse (= 13. Schuljahr) in Deutsch, Mathe, Französisch, dem Schwerpunktfach und entweder Englisch oder im Ergänzungsfach. Das Gymnasium ist damit tatsächlich im ganzen Land gleich strukturiert. In einzelnen Kantonen gibt es noch Langzeitgymnasien, die fassen einfach das Niveau P der Sek I mit dem eigentlichen Gymnasium, also der Oberstufe, zusammen.


    Leher fürs Gymnasium wirst Du hier, indem Du halt einfach ein Fach studierst, das am Gymnasium unterrichtet wird und dann machst Du an der Pädagogischen Hochschule noch eine pädagogisch-didaktische Ausbildung, die mit dem Eidgenössischen Lehrdiplom abschliesst. Die Ausbildung an der PH kannst Du begleitend zu Deinem Fachstudium beginnen, sobald Du den Fach-Bachelor hast. Du kannst aber auch (die meisten machen es so) erst mal das Fachstudium abschliessen und dann an die PH gehen. Es gibt im Fachstudium also kein ausgewiesenes "Lehramtsstudium" und damit gibt es per Definition auch keinen "Quereinstieg" ans Gymnasium. Wenn Du an der Primarschule oder Sek I unterrichten willst, studierst Du nur an der PH und musst dann auch immer mindestens 3 Fächer unterrichten. Welche Fächerkombinationen möglich sind, verraten Dir die Seiten der Pädagogischen Hochschulen. Das Eidgenössische Lehrdiplom gilt fürs ganze Land, natürlich musst Du immer die entsprechende Landessprache beherrschen, also halt Italienisch wenn Du im Tessin unterrichten willst. Aus rein praktischen Gründen ist es übrigens ausgesprochen nützlich, wenigstens zwei Landessprachen einigermassen sicher zu beherrschen.


    Berufsschule ist noch mal was anderes, dazu schrieb Philio ja schon was. Klassischen Fachunterricht in Mathe, Deutsch, etc. gibt es dort kaum, Mathe - wie Philio schon geschrieben hat - wird nur bei den Berufsmaturanden unterrichtet. Die Lernenden der technischen Berufe haben Unterricht im Fachrechnen, den gibt aber in der Regel eine Fachlehrperson, d. h. bei den Laboranten z. B. ein Chemiker oder bei den Kunststoffverarbeitern vielleicht ein Verfahrenstechniker. Chemie ist eigentlich das einzige Fach, das an der Berufsschule von studierten Chemikern unterrichtet wird, der restliche Fachunterricht wird wie bereits geschrieben von berufserfahrenen Leuten abgedeckt die oft auch noch selbst im Betrieb arbeiten. Die pädagogische Ausbildung für die Berufsschule (also das Lehrdiplom an der PH) ist die gleiche wie fürs Gymnasium und die Fachmittelschule, es nennt sich einfach "Lehrdiplom Sek II". Man kann extra Kurse für Berufspädagogik belegen und eigentlich sind die Berufsschulen auch angehalten nur Lehrpersonen mit eben dieser Ausbildung zu nehmen. Eigentlich ... die Realität sieht meist anders aus, ich habe auch schon an der Berufsschule unterrichtet.


    Wie ebenfalls schon geschrieben, unterrichten die meisten Naturwissenschaftler am Gymnasium nur ein Fach, grundsätzlich kann man aber schon auch zwei Fächer unterrichten, wenn man das will und die entsprechende Ausbildung dafür hat. Bei den Biologen haben wir ein paar mehr von der Sorte, da gibt es eine die noch Mathe unterrichtet, zwei die Chemie als Beifach haben und zwei weitere mit Geographie als Beifach. Ich selbst hätte noch eine Lehrbefähigung für Physik, unterrichte aber nur Chemie. Langweilig wird es mir damit nicht, weil ich mit dem Schwerpunktfach, dem Grundlagenfach und der Fachmittelschule ja schon mal drei Leistungsniveaus unterrichte. Ach ja ... als Gymnasiallehrer unterrichtest Du eigentlich fast immer noch an der Fach- oder Wirtschaftsmittelschule, die ist nämlich meist im gleichen Schulhaus dabei. Ausserdem kann ich bei nur 20 % Übertrittsquote ans Gymnasium das fachliche Niveau natürlich auch relativ hoch ansetzen. Da es keine zentralen Prüfungen gibt, sind wir nur sehr lose an einen Lehrplan gebunden und ich kann im Prinzip machen, worauf ich Lust habe. Das Schwerpunktfach mündet natürlich in jedem Fall in eine Maturprüfung und die muss man dann in einer interkantonalen Ressortgruppe mit den Kollegen anschauen, damit einigermassen sichergestellt ist, dass das Niveau an allen Schulen vergleichbar ist. Inhaltlich geht es aber vor allem in der Chemie teils sehr weit auseinander, was aber niemanden stört und auch keinerlei negativen Einfluss auf die Ausbildung der Jugendlichen hat. Im Gegenteil ... meine letztjährigen Maturanden berichten mir, dass sie auf ein naturwissenschaftliches Studium an der Uni sehr gut vorbereitet sind. Ne ganz tolle Wurst bist Du übrigens, wenn Du Dein Fach auf Englisch oder Französisch unterrichten kannst, hier führen praktisch alle Gymnasien (und das auch schon seit sehr langer Zeit) zweisprachige Klassen.

  • Die Arbeitsbedingungen am Gymnasium sind grundsätzlich gut, wobei man aber wissen muss, dass die Berufslehre in der Schweiz ein viel höheres Ansehen hat, als in Deutschland und in der Bevölkerung auch ein höheres Ansehen, als das Gymnasium. Wir "Gymler" werden gerne mal als Kostentreiber und faules Pack beschimpft, das nimmt hin und wieder echt groteske Züge an. Weil insgesamt so wenige Jugendliche ans Gymnasium gehen und nach 9 Jahren die obligatorische Schulzeit obendrein abgesessen ist, ist unsere Klientel wirklich ausgesprochen pflegeleicht. Wenn einer keine Lust hat, kann ich dem einfach die Tür weisen, er ist ja freiwillig bei uns. In einer Klasse sitzen maximal 24 Jugendliche, für Spezialunterricht wie das Praktikum in den Naturwissenschaften, werden die Klassen geteilt und man arbeitet mit maximal 12 Jugendlichen. Dazu kommen noch Unterrichtsgefäss wie interdisziplinäre Projektarbeit, in denen man sich fast beliebig austoben kann. Die Kooperation mit den Universitäten ist sehr gut, unsere Drittklässler werden zur Studienvorbereitung verpflichtend zu Informationsveranstaltungen geschickt und vor allem die ETHs in Zürich und Lausanne bieten regelmässig Workshops und Kurzpraktika für Schüler an. Auch wir Lehrer werden von den Unis regelmässig zu Weiterbildungsveranstaltungen eingeladen, das ist immer sehr toll.


    Mit einem Volldeputat unterrichtest Du im Baselland 22 Wochenlektionen bei einer gesamten wöchentlichen Arbeitszeit von 41.5 h. Die Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiedenen Aufgabengebiete ist signifikant anders als in Deutschland. Es ist schlicht nicht möglich mit "nur" Unterricht die Arbeitszeit voll zu bekommen und das ist auch an keiner Schule so erwünscht. Wir haben ein sogenanntens "Berufsauftragsformular" in das wir auf die verschiedenen Aufgabengebiete (Unterricht, Schulentwicklung, Beratung von Schülern und Eltern, Administration, ...) unsere Stunden verteilen, was einmal pro Jahr mit einem Mitglied der Schulleitung zusammen angeschaut wird. Wer bei uns im Schulhaus nicht mindestens in einer Arbeitsgruppe mitarbeitet, der kann seinen Berufsauftrag unmöglich erfüllen. Ich bin z. B. Mitglied in den Arbeitsgruppen "Digitalisierung" und "MINT-Förderung", bin im Konventsvorstand tätig und teile mir mit einem weiteren Kollegen den Fachvorstand in der Chemie. Damit habe ich dieses Jahr erstmalig Überstunden gesammelt, ein Amt weniger wäre ungefähr der ganz normale "Wahnsinn" bei uns.


    Mit den Eltern der Jugendlichen hast Du als Fachlehrer praktisch gar nichts zu tun. Es gibt zu Beginn der 1. Klasse einen Elternabend, da redest Du mal kurz mit denen und dann siehst Du sie vielleicht zur Abschlussfeier am Ende der 4. Klasse wieder. Wir erziehen am Gymnasium unsere Jugendlichen vom ersten Tag an zur Selbständigkeit und kommunizieren daher soweit es geht auch nur direkt mit ihnen und nicht mit den Eltern. Als Klassenlehrer führt man 1 x pro Schuljahr (obligatorisch aber auch nur in der 1. Klasse) Elterngespräche bis die Jugendlichen halt 18 sind. Die sind in der Regel aber unproblematisch, schweizer Eltern haben offenbar eine ganz andere Erwartungshaltung ans Gymnasium bzw. das Bildungswesen im Allgemeinen, als deutsche Eltern ... Ich musste jetzt z. B. mehrfach die Jugendlichen gegenüber den Eltern regelrecht "verteidigen" und denen ausdrücklich erklären, dass eine 3.5 in Chemie jetzt echt nicht so schlimm ist, wenn man als Schwerpunktfach eine Sprache gewählt hat.


    Was noch ... ah ja, Geld. Im Baselland verdienst Du als Gymnasiallehrer je nach Erfahrungsstufe und bei einem vollen Deputat (was nebenbei bemerkt kaum einer hat ...) zwischen 99'481.85 CHF und 155'502.75 CHF, verteilt auf 13 Monatsgehälter. Damit sind wir wiederum etwa gesamtschweizerischer Durchschnitt, in anderen Kantonen kann es deutlich mehr oder weniger sein. Verbeamtung gibt es nicht, aber aus einer Festanstellung schmeisst Dich so schnell keiner raus (kommt aber immer mal wieder vor). Dafür ist das Leben hier natürlich nicht gerade billig, wir zahlen in der Stadt 2500 CHF Miete für 85 qm. Insgesamt ist der Lebensstandard aber natürlich deutlich besser als in Deutschland.


    So, das ist jetzt viel geworden aber ich hoffe, es nützt wenigstens.

  • Guten Abend Wollsocken,
    Ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du dir die Zeit genommen hast so ausführlich zu antworten. Das hilft mir sehr weiter und erweitert meinen Horizont.
    Ich entschuldige mich, dass ich heute Nachmittag etwas unvorbereitet nachgefragt habe. Ich kam zuvor noch nicht auf die Idee, die Schweiz als Arbeitsort in Betracht zu ziehen. Was du aber erzählst, klingt sehr interessant für mich. Das angesprochene Unterrichten auf Englisch würde mich interessieren, da ich bereits 1 Jahr Science im Ausland unterrichtet habe und es hat mir sehr gut gefallen hat.
    Und ja, pendeln kommt für mich nicht in Frage, dafür liebe ich die Berge zu sehr ;) Wenn dann ziehe ich schon in die Schweiz.
    Zum Studium: ist zwecks Anerkennung egal, wo ich mein Fach studiere? Also CH oder D? In der Schweiz studieren ist leider auf Grund der Lebenshaltungskosten nicht möglich.


    Ich wünsche dir noch ein erholsames Restwochenende und nochmals vielen Dank für deine Hilfe

  • Ja, für die fachwissenschaftliche Ausbildung ist es egal ob D oder CH. Das Lehrdiplom machst Du besser direkt in der Schweiz, dann hast Du keine Probleme mit der Anerkennung. An der PH Basel kannst Du das in 1 Jahr Vollzeit durchziehen. Mit Mathe bist Du König, das wird immer gesucht. Da es viel weniger Gymnasien als in Deutschland gibt, ist es ansonsten nicht ganz so einfach, direkt eine Stelle zu finden. Physik ist aber auch OK und wenn Du wie gesagt auf Englisch unterrichten kannst steigert das Deinen Marktwert enorm. Viel Erfolg! :)

  • Vielen Dank für die Auskunft. Das klingt lukrativ, muss ich zugeben. Wird in der Schweiz auch ein deutsches Lehramtstudium anerkannt, oder muss es ein reines Fachstudium sein? In D wird ja zwischen M.ed. Mathe und M.Science Mathe unterschieden.
    Sehe ich das richtig, dass ich mit beiden in der Schweiz das Lehrerdiplom anschließen könnte?

  • Oh Mann ... nein. Ich dachte, das sei jetzt klar. Du brauchst fürs Gymnasium ein reines Fachstudium, kein Lehramtsstudium, das gibt es in der Schweiz fürs Gymnasium doch gar nicht. Die Uni Konstanz bietet zusammen mit der PH Thurgau einen Euregio-Studiengang an, in dem Du das deutsche Staatsexamen sowie das Eidgenössische Lehrdiplom erwerben kannst. Wenn Dich das interessiert, dann guck auf deren Website nach. Ich hab Chemie studiert, so ganz altmodisch auf Diplom und in der Physikalischen Chemie promoviert, daraus ergab sich irgendwie meine Zweifach-Anerkennung.

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