Guten Tag zusammen,
seit Beginn dieses Schuljahres bin ich als Seiteneinsteigerin an einer integrierten Gesamtschule in NRW tätig.
Ich weiß diese Gelegenheit wirklich sehr zu schätzen und meine Motivation war zu Beginn sehr hoch, da das Lehramt für mich keine Notlösung, sondern (zumindest in meiner Vorstellung) meinen Traumberuf darstellt.
Leider hat meine Motivation bereits zu Beginn einen heftigen Dämpfer erhalten. Die ersten Tage und Wochen glichen einem kleinen "Kulturschock". Dies war zu Beginn in erster Linie relativ starken Disziplinproblemen geschuldet, da ich anfangs viel "zu nett" (es macht mich noch immer traurig, dass dies scheinbar tatsächlich möglich ist) und zu inkonsequent (diesen Schuh muss ich mir in der Tat anziehen) auftrat.
Seitdem ich Disziplin im Unterricht stärker einfordere und auf Störverhalten konsequenter reagiere, hat sich dies schon gebessert. "Reibungslos" läuft es jedoch noch immer nicht, da ich teilweise bis zu sechs ES/AAS/ADHS/LE-Schüler habe, die größtenteils (noch) keine Schulbegleitung haben. Einige dieser SuS werden bereits kurzbeschult und/oder nicht benotet. Dennoch Sorgen sie für ein sehr unruhiges Unterrichtsklima, dass selbst eigentlich ruhige SuS häufig ansteckt. Nach jeder Stunde muss ich für mindestens vier SuS "Verhaltensbögen" ausfüllen, in denen das Störverhalten dieser SuS kontinuierlich dokumentiert werden soll.
Der Umgangston der SuS untereinander ist sehr rau, daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Woran ich mich bislang jedoch noch nicht gewöhnen konnte ist die mangelnde Leistungsbereitschaft (oder doch -fähigkeit?) vieler SuS. Naiverweise ging ich davon aus, einer prinzipiell lernwilligen Schülerschaft gegenüberzustehen, was vielleicht meiner eigenen (heile-Welt-)Schulzeit geschuldet ist. Leider sind viele Kinder nicht einmal bereit die Aufgaben richtig zu lesen. Ich werde permanent mit Fragen überhäuft, die bereits in der Aufgabenstellung stehen. Gestern haben wir in einer sechsten Klasse eine Mindmap zu einem Tier erstellt, zu welchem die SuS zuvor bereits zwei Doppelstunden Informationen gesammelt haben. Ich habe vorne auf dem Pult nach Hilfegrad gestaffelte Hilfekarten ausgelegt. Das Unterrichtsmaterial war Material, welches eigentlich für Grundschüler gedacht war. Dennoch war mehr als die Hälfte der SuS selbst mit der letzten Hilfekarte (hier war die "richtige" Mindmap bereits vorgegeben und die SuS mussten nur noch vorgegebene Verben an den richtigen Stellen der Mindmap ergänzen) nicht in der Lage, die Aufgabe richtig zu bearbeiten. Viele bemerkten nicht einmal, dass auf der Hilfekarte Verben standen, die zugeordnet werden sollten, sondern zeichneten einfach nur die vorgegebene Mindmap ab um dann zu verkünden: "Das war ja einfach, da musste man ja gar nichts machen."
Versteht mich nicht falsch, ich bin mehr als gewillt binnendifferenziert zu unterrichten. Dennoch wünsche ich mir einen gewissen Anspruch, der hier leider auf der Strecke bleibt. Ich will überhaupt nicht gemein klingen (klinge ich gemein?), aber mich frustriert das Leistungsniveau massiv. Im achten Jahrgang ist es noch viel schlimmer, wobei hier ja auch die Pubertät ihr übriges tut, sodass ich durchaus nachvollziehen kann, dass die SuS in diesem Alter häufig andere Dinge im Kopf haben als den Unterricht. Dennoch ist es frustrierend, wenn es in den Kursarbeiten Fünfen und Sechsen regnet (es gab auch einige gute und befriedigende Leistungen, die mir zeigen, dass es nicht ausschließlich an meinem Unterricht gelegen haben kann) und auf die Frage "Wer hat für diese Arbeit denn wirklich gelernt?" maximal fünf SuS die Hand heben, während mir die anderen sagen, sie würden lieber "zocken".
Da Sitzenbleiben bei uns bis zur neunten Klasse nicht möglich ist, steht auch keine direkte Konsequenz bevor. Mit den Eltern einiger SuS habe ich bereits am Elternsprechtag gesprochen und da kamen dann Aussagen wie "Ich kann ihn ja nicht verprügeln damit er lernt." oder "XY bekommt eh keinen Schulabschluss". Außerdem stehen viele der SuS auch in den Hauptfächern fünf und sechs, sodass meine Nebenfächer für viele Eltern vermutlich das kleinere Übel sind.
Bitte entschuldigt meinen Redeschwall, ich musste dies einfach mal loswerden, da ich sonst niemanden habe, mit dem ich über meine Situation (und Frustration) sprechen kann. Das Unterrichten macht mir generell Spaß, aber manchmal wünsche ich mir schlichtweg andere Adressaten. Das klingt fürchterlich gemein, aber es entspricht leider der Wahrheit. Weiß jemand, welche Möglichkeiten man als Seiteneinsteiger in NRW hat, die Schule und Schulform zu wechseln? Ich habe eine Sek II Stelle und die Oberstufe macht mir unglaublich viel Spaß. Die SuS sind motiviert und erkennen, dass es Spaß machen kann neues Wissen zu erfahren. So habe ich mir den Beruf vorgestellt. Leider wird es an Gesamtschulen (oder zumindest an meiner) immer SuS geben deren "Schicksal besiegelt" ist (Zitat eines Klassenlehrers!) und die die Schule nach der 9. Klasse ohne Hauptschulabschluss verlassen werden. Es fällt mir unglaublich schwer das zu ertragen.
Zum Glück sind die Kollegen sehr nett und hilfsbereit, doch traue ich mich nur bedingt, mein Anliegen im Kollegium zu äußern.
Vielen Dank an alle, die bis zum Schluss durchgehalten haben. Über euer Feedback und eventuell den ein oder anderen Ratschlag wäre ich sehr dankbar.
Alleine durch das Aufschreiben meiner Gedanken fühle ich mich etwas "erleichtert".
Viele herzliche Grüße,
eure seica