Ich bin auch so eine eher liebe Lehrerin, wenngleich ich mich in den knapp 3 Jahren Festanstellung schon etwas weiterentwickelt habe und inzwischen auch etwas tougher auftreten kann, wenn es nötig ist. Ich hoffe, dass du das auch lernen wirst, denn manchmal ist es sowohl für dich selbst, als auch für die Schüler angenehmer, wenn man mal gewisse Grundregeln tough durchsetzt, als wenn man nett daran erinnert, diese doch bitte einzuhalten.
Für die momentane Situation und dich, wie ich dich eben als Lehrertyp einschätze, waren wie ich finde schon viele gute Ansätze dabei, nur würde ich manche eben etwas abwandeln, damit sie zu dir als netter Person passen.
Sehr brauchbar finde ich z.B. den ersten, (bislang) 22 mal gelikten Beitrag von Krabappel. Wenn du das wörtlich so sagst, passt es überhaupt nicht zu dir, aber das Vorgehen finde ich gut: Besonders den Spin, dass du ja dem Wunsch der Schülerschaft selbst folgst und sie bei der eigenen Verhaltenskontrolle unterstützt, passt gut zu uns Schafen Ich würde übrigens auch noch erläutern, was genau Einzelarbeit (als die erste Sozialform, die ihr nun gezielt einüben werdet) bedeutet: Einzelarbeit heißt, dass es keinen Grund gibt, mit dem Nachbarn zu sprechen. Wer Fragen hat, meldet sicht und du wirst ihm dann weiterhelfen. Das gilt auch für Plenumsphasen, also Unterrichtgespräche: Es redet immer genau eine Person: Du, oder der Schüler, den du drangenommen hast. Wer Fragen/Kommentare hat: Melden. Sobald du dir sicher bist, dass diese Einzelarbeit durchgängig funktioniert, wirst du mal eine Partnerarbeitsphase einbauen. Gibt es hierzu noch Fragen? Gut, dann beginnen wir jetzt mit ...
Damit das jetzt funktioniert, ist es fundamental wichtig, dass du jetzt wirklich bei jeder Störung reagierst. Unverzüglich.
Was das Problem angeht, dass du den Anfang der Unterrichtsstörungen nicht bemerkst (weil sie unter deiner Toleranzschwelle liegen, oder deine Konzentration gerade auf etwas völlig anderes gerichtet ist): Versuch natürlich immer mal einen Blick für die Klasse übrig zu haben, aber wenn du das noch nicht hinbekommst (mit steigender Unterrichtserfahrung wirst du da mehr Kapazitäten entwickeln): Sobald dir dann was auffällt, reagieren. Nicht denken "oh mist, da quatschen ja schon wieder 5 Leute! Aber ich bin mitten in einem wichtigen Satz, den muss ich jetzt noch eben zu Ende führen/ Aber Jannes liest ja gerade den Text, das müssen wir jetzt fertig machen. Und wer hat denn da jetzt angefangen, wen sollte ich ermahnen?" - Nein, du stellst deine Konzentration sofort auf die Unterrichtsstörung um, suchst dir eine Person raus, deren Lippen sich gerade in dem Moment bewegen, und unterbrichst Jannes, je nach Situation z.B. so:
a) "Jannes, I'm really sorry to interrupt you, but Selma has obviously got a problem that she needs to share with the class; she's talking and I can't concentrate on you doing your job until her problem is solved. Selma, what's the problem?" "Niiiix." "Well, then stop talking now, please. Jannes is doing a great job here and I want to listen to him. So should you. Thank you. Jannes, can you please start again at the beginning of the paragraph?"
b) "Selma. It's Jannes' turn. Please stop talking and listen to him."
c) "Selma!"
Damit unterbrichst du den Unterrichtsflow natürlich total. Normalerweise würde ich sagen, dass nonverbale Signale unter Weiterlaufen des Unterrichts zunächst zu bevorzugen sind, aber um überhaupt erstmal ein Problembewusstsein zu schaffen, finde ich das in deiner Situation sogar gut. Ggf. auch mal drauf hinweisen: "Ich habe dich jetzt 3x ermahnen müssen, Peter. Das kostet die gesamte Klasse jedes Mal Unterrichtszeit und zerstört jedes Mal die Konzentration aller anderen, die sich am Riemen reißen und sich an die Klassenregeln halten!"
Wenn deine Schüler zu Diskussionen neigen (Selma: "Ich hab doch garnix gesahaagt." / Selma: "Boah, der Dorian redet die ganze Zeit und ich werd hier ermahnt!") würde ich auch darüber mal ein Meta-Gespräch mit der Klasse führen (ggf. proaktiv im Zuge des Metagesprächs von weiter oben zur Sozialformeinübung): "Ihr seid eine sehr unruhige Klasse. Häufig reden ganze Grüppchen. Ich werde euch das ab jetzt sehr deutlich spiegeln. Dabei ist es mir vollkommen egal, wer mit dem Gespräch angefangen hat, ob es darum geht sich ein Radiergummi zu leihen und wer am meisten redet. Wenn ich sehe, dass Leon redet, dann werde ich Leon ermahnen, und er braucht mir nicht ankommen mit "Ronja hat angefangen" oder "Lisa quatscht doch auch!". Das ändert nämlich rein gar nichts an der Tatsache, dass Leon in dem Moment, in dem ich zu ihm hingeschaut habe, gequatscht hat. Und dafür, dass Leon quatscht, ist einzig und allein eine Person verantwortlich: Nämlich du, Leon." - "Aber wenn einen einer was fragt, dann muss man doch antworten!" - "nein, das muss man nicht. Wenn Lisa Leon was fragt, kann er ihr nonverbal signalisieren, dass er nicht bereit ist jetzt ein Gespräch zu beginnen, sondern dass er dem Unterricht folgen will. Das erwarte ich von euch. Lasst ihr euch auf ein Gespräch ein, seid ihr selbst für die Unterrichtsstörung durch euch verantwortlich. Und daher lasse ich mich auf keinerlei Diskussion ein und verbitte mir weitere Unterrichtsstörungen durch unnütze Diskussionsversuche. Verstanden?"
Und wenn absehbar ist, dass einzelne (mehrere) Schüler sich auch bei dem Vorgehen, erstmal nur Einzelarbeit/Stillarbeit zu machen, nicht werden am Riemen reißen können, könntest du auch direkt noch ein System zum Umgang mit aufkommenden Störungen einführen: Störende Schüler erhalten eine Ermahnung als Warnschuss, bei der zweiten Ermahnung (oder meinetwegen dritten) bekommen sie einen Zettel mit nach Hause, auf welchem steht, dass Schüler xyz den Unterricht mehrfach gestört hat und die Eltern ihre Kenntnisnahme per Unterschrift belegen müssen. Du sammelst diese zu Beginn der nächsten Stunde wieder ein. Wer den fünften Zettel erhalten hat, muss (z.B.) ein Kurzreferat zu einem von dir gestellten, an den Unterricht angebundenen Thema halten, um gegenüber der Klasse die durch ihn verlorene Lerngelegenheit wieder gutzumachen. Wenn die sich gerne vor die Klasse stellen und was referieren/ da eine Show draus machen, müssen sie halt einen Text von mindestens 250 Wörtern mit Hintergrundinformationen zu einem an den Unterricht angebundenen Thema verfassen, den du dann korrigierst, bewertest und bei guter Qualität an die Klasse austeilst oder so. Dazu musst du dann immer (!) entsprechende Zettel (vllt. als Warnfarbe auf rotes Papier gedruckt) dabei und vor dir auf dem Tisch liegen haben, auf denen du nur noch den Namen des Schülers und das Datum eintragen musst, und ggf. ankreuzt, ob "einfach nur" der Unterricht gestört wurde, oder ob der Unterricht gestört wurde und der Schüler aufgrund der wiederholten Vorfälle zur nächsten Stunde eine Arbeit zum Thema (Lücke) einreichen muss.
Liste anlegen, wer wie viele dieser roten Zettel bekommen hat und bei x roten Zetteln eben den unteren Teil mit ausfüllen. Wenn es so schlimm ist wie von dir geschildert, hast du so auch direkt ein neues Ritual zu Stundenbeginn .
Noch ein Gedanke: Du sprichst mehrfach selbst deine eher gebückte Körperhaltung an. Die ist natürlich wirklich nicht ideal. Es ist aber auch echt schwer, daran zu arbeiten, weil du dich natürlich 28 Jahre lang daran gewöhnt hast, so zu stehen. Du nimmst es also selbst erstmal garnicht wahr. Wie wäre es, wenn du dir irgendwas unauffälliges in dein Mäppchen legst (nen Würfel, ein rotes Radiergummi, ...), das als Erinnerungsstütze dient: Wenn du es anschaust, soll es dich an eine aufrechte Körperhaltung erinnern. Das legst du dann neben dein Mäppchen aufs Pult und immer wenn dein Blick drauf fällt, richtest du dich auf (fest auf zwei Beinen stehen, Rücken gerade, Schultern nach hinten, Kopf hoch). Vllt. habitualisierst du das dann mit der Zeit.