Ich muss bei diesen Themen auch immer schmunzeln. Ist es echt so, dass S. von heute blöder sind? Ich selbst hatte wirklich echte Schwierigkeiten in Mathe. Ich hab das bis zur 8. gut kapiert, danach ging bergab. Erst im BK hatte ich einen Mathelehrer, bei dem ich plötzlich alles verstanden habe. Und ich wage zu behaupten, dass ich erst im Studium richtig kapiert habe, wie es geht. Hätte mich in der 10 jemand mit dem Umstellen einer Formel behelligt: ich wäre wohl eine von Plattylus´ erwähnten Schülern gewesen.
Machen wir uns nichts vor: die Interessen dieser Altersgruppe sind nicht hauptsächlich die Schule, sondern alles andere. So wie bei uns damals auch. Trotzdem müssen basics natürlich beherrscht werden. Wer sich irgendwie durchmogelt, scheitert dann meist an der Uni. Ist dann eben so. Und scheitern sie nicht (an der FH durchaus möglich), dann ist es doch auch ok. Dann müssen sie im Beruf zeigen, was sie können. Und solche Durchmogler aka Lebenskünstler kommen meist sehr weit. Ohne großartig eine Formel umstellen zu können. Trotzdem können sie in ihrem Jon nachher gut sein. Ist das dann so schlimm, dass sie einige Skills in Mathe nicht drauf haben?
Ich hatte auch schon immer Probleme mit Mathe. Immer. Schon in der Grundschule . Egal bei welchem Lehrer und egal wie oft ich mich hingesetzt habe, um den Kram zu üben. Und hier klingt auch schon der Knackpunkt in der Formulierung mit: Mathe war und ist für mich "Kram". Nicht wow, nicht yeah, nicht toll, sondern ein notwendiges Übel, das man als Werkzeug schonmal braucht aber sonst bei mir keinerlei Begeisterung und Interesse weckt. Mein Geständnis:Neulich musste ich googeln, wie man nochmal den Prozentsatz rechnet. Habe ich ewig nicht mehr gemacht. Wahrscheinlich seit 15 Jahren nicht mehr. Also vergessen, da kein Interesse. So geht es mir als Erwachsene, als Lehrerin heute. Wenn ich mir erinnere, wie ich und meine Klassenkameraden mit 15 drauf waren, siehts da noch viel düsterer aus. Wir haben heimlich oder auch öffentlich Alkohol während der Schulzeit getrunken, andere verhauen, im Matheunterricht den Sitznachbarn den Zirkel in die Hand gehauen, die Lehrer bis zum Heulen gemobbt, Lehrern die Tür vor den Kopf geknallt und Unterricht hat uns nicht interessiert. Gab halt wichtigeres im Leben.
Ich nehme heute folgendes wahr: Die Schüler von heute sind absolut nicht unhöflicher, schlimmer oder dümmer als früher. Im Gegenteil - gerade was Höflichkeit betrifft bin ich immer wieder positiv überrascht, wie zuvorkommend auch die "Schlimmen" sein können. Früher war das eher so, dass man sich vor seinen Freunden geschämt hat, wenn man dem lehrer die Tür aufgehalten hat oder ihn gegrüßt hat. Ich beobachte heute viel mehr Freundlichkeit und viel weniger "Selbstdarstellung durch Verstoß gegen Höflichkeitsformen" seitens der Schüler. Was ich aber auch wahrnehme, ist eine zunehmende Hilflosigkeit der SuS gepaart mit utopischen Zukunftsvorstellungen. Da sitzen sus zB in der Haupt- oder förderschule, die denken, ihnen stehen alle beruflichen Wege offen, wenn sie nur wirklich wollen. Weil man ja "alles schaffen kann, was man schaffen will". Insgeheim merken die sus aber, dass diese Vorstellung mit der Realität nicht übereinstimmt. Und hier setzt Hilflosigkeit ein. Weil sie niemand darauf vorbereitet hat, dass nicht jeder alles kann und dass "wollen" allein nicht reicht. In einer Schockstarre von Resignation und geplatzen Utopien verharren die sus dann, bis sie irgendwann auf den Arbeitsmarkt treffen und die harte Realität sie wie ein Schlag trifft, wenn der Chef sagt, dass die Fertigkeiten nicht ausreichen. Die Inklusionsdebatte trägt mMn auch zu dem Dilemma bei: Alle sollen gleiche Chancen haben. Von der Idee her ganz schön. Wird aber oft verwechselt mit "jeder kann alles schaffen". Wenn der L oder ESE Schüler zB in die Regelschule gesetzt wird. Er denkt möglicherweise "toll, ich bin jetzt auch ein Teil von diesem System und kann auch Abschluss xy wie die anderen machen". Ist aber meistens nicht so. Klar gibt es Ausnahmen. Aber unter dem Deckmantel "jeder kann alles schaffen und muss unter allen Umständen alle Möglichkeiten haben", werden so viele Schüler in eine Situation gebracht, der sie nicht gewachsen sind. Und da KANN nichts gutes bei rauskommen. Es muss sich grundsätzlich etwas an der Wertschätzung von Berufen und Abschlüssen ändern - solange nur Abitur und Studium etwas wert sind und zB Pflege und Handwerk nicht gewürdigt werden, versucht sich auch die Mehrheit durchs Abi zu wurschteln.
Ich möchte nicht in det haut der SuS von heute stecken. Die Erwartungen sind erschlagend, sowohl von sich selbst als auch von der Gesellschaft. Da sind Erfahrungen des ständigen Scheiterns vorprogrammiert.
Ich halte sehr viel von den jungen Leuten heute. Gedanken wie "was soll aus Deutschland werden?" liegen mir absolut fern. Auch wenn viele meiner sus keinen richtigen Dreisatz können und andere Defizite haben - sie werden ihren Platz finden, wenn sie gelernt habe, was leistbar ist und was nicht. Ich bin jedenfalls regelmäßig stolz auf sie, wenn sie sich so wesentlich sozialkompetenter zeigen, als ich und meine Mitschüler es in dem Alter waren.