Bekommt heute jeder die Fachoberschulreife hinterhergeschmissen?

  • Oh Mann, Leute ... ich bin das Geheule echt sowas von leid. Ihr und ich, wir haben *studiert* und zwar die meisten derer, die hier gerade heulen eine *Naturwissenschaft* bzw. irgendwas aus dem technischen Bereich. Geht mal bitte ganz kurz in euch und überlegt euch, wie viele Jahre eures Lebens ihr euch schon tagtäglich mit Zahlen, mathematischen Symbolen und Operationen beschäftigt.


    Ich unterrichte an einem Gymnasium in einem Kanton mit einer Maturitätsquote von gerade mal 22 %. Guess what ... auch meine SuS haben Mühe mit Dreisatz und Potenzen. Warum ist das nun so, meine Güte, dafür gibt es viele Ursachen. Wie bereits erwähnt sind Lehrmittel und Methoden andere als zu unserer (glorreichen) Zeit. Sind sie besser oder sind sie schlechter? Keine Ahnung, auf jeden Fall anders. Irgendjemand hatte bei uns mal die drollige Idee das Mathe-Buch der Sek I bunt zu bebildern und mit möglichst vielen abstrusen "Anwendungsaufgaben" zu füllen in der Hoffnung, die Jugend würde sich dann weniger fürchten und hätte mehr Bock aufs Rechnen. Wir haben früher halt relativ stupide immer den gleichen Aufgabentypus geübt solange bis die einen es eben konnten und die anderen gekotzt haben. In meiner Erinnerung waren wir nämlich auch nicht recht viel besser im Dreisatzen als die Dyskalkulie-Jugend von heute. In meinem Abi-Jahrgang mit ca. 50 Leuten hatten um die 15 Wahnsinnige den Mathe LK gewählt, darunter auch ich. Wir konnten es irgendwie, währen die restlichen 35 oder so im Grundkurs völlig untergingen. Und ich meine wirklich völlig, im Sinne von absolut gnadenlos. Keine Dreisatz-Genies weit und breit zu sehen in diesem arme-Würstchen-Haufen. Meine steile Hypothese lautet daher: Die meisten Jugendlichen scheissen einfach auf Mathe und zwar heute ebenso wie früher.


    Da sind wir bei einem weiteren Punkt angelangt, an dem es liegen könnte, dass die Dreisatz-Welt im Jahre 2018 gefühlt kurz vor dem Untergang steht. Unseren Jugendlichen scheint es signifikant schwerer fallen, die Arschbacken zu kneifen, als das vor 20 oder 30 Jahren zu unseren (wie bereits erwähnt glorreichen!) Zeiten gewesen sein mag. Vielleicht waren wir aber auch schon Memmen, wer weiss. In jedem Fall beobachte ich häufig, dass meine Jugendlichen wenn's ums Dreisatzen geht, relativ schnell die Flügel strecken weil sie sich selbst zu wenig zutrauen. Da hilft virtuellen Baldrian streuen. Je mehr, desto besser. Bei manchen hilft es aber auch nicht und dann gilt ab irgendeinem Punkt halt mal: gut, dann heul doch, biste selber schuld.


    Weiter im Programm. Unser Schulsystem ist nicht - und war es auch noch nie! - darauf ausgelegt unseren Jugendlichen vernetztes Denken anzutrainieren. Das gibt der 45-min-Bulimie-Takt aus Kaisers Zeiten einfach nicht her. Dreisatz und Potenzen, das gehört in die Schublade "Mathe" und die geht nach 45 min, spätestens nach 90 min zu und dann geht die Schublade "Französisch" oder "Geschichte" oder "Sport" auf. In der finden wir dann Subjonctif, Weltkrieg und Speerwurf aber halt keinen Dreisatz und keine Potenzen mehr. Meine armen Schafe gucken mich regelmässig an, als käme ich vom Mond, wenn ich sie frage, was denn wohl der Logarithmus von 10^0 sei. Was hat denn dieser blöde Logarithmus jetzt nur in der Chemie-Schublade zu suchen, da lag der doch bis eben nicht rum?! Nochmal ... ich schreibe über Gymnasiasten und zwar über die rund 20 % intelligentesten und leistungsfähigsten Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs. Sicher krankt das deutsche Schulsystem daran, dass zunehmend mehr SuS an der falschen und für sie zu anspruchsvollen Schulform landen. Meine wirklich herzallerliebsten und wirklich schlauen Schäfchen machen sich beim Dreisatzen und Logarithmieren aber auch in schöner Regelmässigkeit komplett zum Ei.


    Dass sie es aber verdammt noch mal doch drauf haben, das merke ich im Projektunterricht oder wenn wir im Labor stehen. Ich habe mit meinen Chemikanten an der Berufsschule Scheissdrecksaufgaben im Stil von "Wie viel Gramm eines zu 30 % verwitterten Natriumcarbonat-Decahydrat müssen Sie einwiegen um 250 mL einer 80 %igen Schwefelsäure vollständig zu neutralisieren?" gerechnet. Alta ey ... ich wiege überhaupt kein verwittertes Natriumcarbonat-Decahydrat ein, das kloppe ich in die Tonne und kauf mir eine neue Packung, die nicht verwittert und verschimmelt ist. So eine Kacke hat einfach *nichts* mit der Realität zu tun. Das soll rechnen wer auch immer Rechnen um des Rechnens willen geil findet, meine Gymnasiasten könnte ich in 100 Jahren nicht dazu bewegen, dafür auch nur den kleinen Finger krumm zu machen. Aber WEHE man gibt ihnen eine KONKRETE Aufgabe, z. B. die komplexometrische Bestimmung des Eisengehalts in Rinderhack versus Spinat, was glaubt ihr, wie die da plötzlich alle rechnen können. Weil sie nämlich immer schon gewusst haben, dass Hack eben doch viel cooler ist, als das blöde Grünzeug. Ich gebe zu, an der Stelle wird es an anderen Schulformen sicher schwierig, aber hey ... es hat ja eben schon seine Berechtigung, dass meine Schäfchen am Ende das Maturzeugnis in der Hand halten und an die altehrwürdige ETH zu Zürich studieren gehen dürfen. Es zeigt nur einfach die Problematik der Schubladisierung des Dreisatzens auf. Gib dem Dreisatz eine für einen halbwegs intelligenten Jugendlichen offensichtliche Daseinsberechtigung und schon zeigt dieser sich auch willens sich mit ihm (dem Dreisatz) zu beschäftigen.


    Ein weiteres Anekdötchen möchte ich in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen: Erst gestern kam ein Physik-Kollege ganz aufgeregt zu mir um mir mitzuteilen, dass einer meiner Schwerpunktfachkurse gerade eine sensationell gute Prüfung bei ihm geschrieben hätte. Was das Thema denn gewesen sei, fragte ich ihn. Thermodynamik, Wärmekapazität und so. Ach was ... Na das machen wir in Chemie ja auch gerade. Guck einer an, was es nicht nützen kann EXAKT das gleiche Thema in zwei Schubladen zu finden. Jetzt mag man sich natürlich fragen, warum das mit dem Logarithmus nicht funktionieren will. Nun ... wenn ich meine Schäfchen frage, was sie denn aus dem Mathe-Unterricht bisher über den Logarithmus wüssten, dann kommt meist ein zögerliches "naja ... da war so ein x und ein y und irgendwo ein log und dann haben wir immer die Buchstaben hin- und hergetauscht". Der olle Logarithmus scheint ihnen in der Mathe einfach vollkommen losgelöst von jeglicher Realität so vor sich hinzuvegetieren. Seid doch an der Stelle mal bitte ganz ganz, also wirklich ehrlich zu euch selbst: Wann habt ihr richtig geschnallt, was das eigentlich soll mit dem Logarithmus? Man lernt den erst dann wirklich schätzen, wenn man tagein tagaus höchst selbst mit wirklich grossen Zahlenskalen umgehen muss und sich die Notwendigkeit ergibt, diese möglichst übersichtlich darzustellen. So z. B. wenn man als Chemiker halt mal eben was titriert oder ne Pufferlösung ansetzt oder sonst mal eben zum Spass mit dem Logarithmus kuschelt.


    Ein weiteres Problem ist, dass wir unseren Kindern und Jugendlichen heutzutage tatsächlich zu viel und nicht zu wenig zumuten. Aus aktuellem Anlass (über den ich mich nicht weiter äussern will, wie euch sicher nicht entgangen ist rege ich mich eh schon auf) habe ich heute mal unseren Lehrplan Sek I für Chemie gesichtet. Meine Güte, was da alles drinsteht, was meine Schafe alles schon können sollten! Das ist ein müder Witz, wirklich. Ich bin froh, wenn wenigstens eine knappe Mehrheit die dort festgehaltenen Anforderungen nach 3 Jahren Grundlagenfach am Gymnasium erfüllt. Man sollte 13-/14-jährige Kinder wirklich nicht mit Dingen belästigen, die das Abstraktionsvermögen ihres pubertären Gehirns derart überfordern, dass sie im schlimmsten Fall eben auf Dauer komplett dicht machen und ein Fach schon auf dem neuronalen Friedhof beerdigen bevor es richtig losgegangen ist. Ein Blick auf den Lehrplan Mathe lässt mich vermuten, dass es sich in anderen Fächern ähnlich verhält wie mit meiner schönen Chemie. Die regelmässige Lektüre dieses Forums lässt mich weiterhin vermuten, dass der Trend zum "immer schön oberflächlich von allem ein bisschen was und vor allem möglichst früh rein ins kindliche Gehirn prügeln" in Deutschland ein ähnlicher ist, wie hierzulande.


    Zuguter letzt ... Jawohl, der Punkt geht an euch: Es ist fatal, dass der politische Wille in Deutschland immer mehr Jugendliche zu Abschlüssen zwingen will, denen sie intellektuell gar nicht gewachsen sind. Ihr habt dafür mein ehrliches Mitleid, ich wollte nicht mit euch tauschen. Ich wünsche euch allen die Kraft euch wenigstens ein bisschen dagegen aufzulehnen und hin und wieder mal zu zeigen, wo der Hammer wirklich hängt. Ich weiss, wie schwer es ist sich durchzusetzen, wenn nicht absolut *alle* an einem Strang ziehen. Aber BITTE ... lasst dieses ewige "wir haben's früher voll drauf gehabt mit dem Dreisatz!!" doch einfach mal stecken. Verklärte Vergangenheitserinnerungen nennt man sowas und die sind kein besonders guter Fachdidaktiker.

    Einmal editiert, zuletzt von Wollsocken80 ()

  • Ich glaube plattyplus bezog das nicht nur auf Mathe. Jedenfalls sind meine FHR-Schüler auch keine Kronleuchter in Englisch, eher so der Haufen 2 Taschenlampen, und ein paar Lichterketten... und egal wie vielen ich verdiente 5en gebe, die meisten bekommen die ausgeglichen und am Ende den Abschluss.

    Only Robinson Crusoe had everything done by Friday.

  • Aber was soll denn bitteschön die Frage nach der hinterhergeschmissenen Fachhoschulreife für eine Diskussion auslösen? Nüchtern betrachtet ist sie doch einfach zu beantworten und wurde hier auch schon zigfach beantwortet: politischer Wille. Zack, Ende der "Diskussion". Oder wollten wir doch mal wieder ein bisschen heulen, wie doof die Jugend nicht heutzutage ist?

  • @Wollsocken80:
    Und was machst du mit denen, die dir in Chemie bei der Klausur ein leeres Blatt abgeben, nicht weil sie es nicht könnten, sondern weil sie nicht in der Lage sind die Aufgaben zu lesen? Dabei denke ich jetzt gar nicht an irgendwelche Formeln sondern an formulierte Sätze, die normale deutsche Schriftsprache halt.


    Oder was machst mit denen, die sich morgens telefonisch im Sekretariat abmelden mit der Begründung, daß sie keinen freien Parkplatz finden würden, wir als Schule für die freien Parkplätze zu sorgen hätten und da wir dies eben nicht hinreichend tun würden, denn sonst hätten sie ja einen freien Parkplatz gefunden, sie keinen Anlaß sehen würden in der Schule zu erscheinen?

  • ... Unser Schulsystem ist nicht - und war es auch noch nie! - darauf ausgelegt unseren Jugendlichen vernetztes Denken anzutrainieren. Das gibt der 45-min-Bulimie-Takt aus Kaisers Zeiten einfach nicht her...

    Sehe ich auch so. Und by the way ich mags, dass du immer wertschätzend von deinen SchülerInnen sprichst. Aber ich glaube, dass einem der Allerwerteste auf Grundeis geht, wenn der Großteil durchzufallen droht, egal wie man selbst da vorne rumhampelt.


    Ich kenne das zur Genüge, 9 Jahre Unterricht und die Kids finden nicht raus, wie viel mal 2 6 ergibt. Manchmal raufe ich die ergrauenden Haare aber ich bin nicht auf die Schüler sauer, weil ihr IQ nunmal nur so hoch ist, wie er ist. Und nicht auf die abgebenden Kollegen, weil ich hatte sie selbst jahrelang ;) Aber ich muss eben auch auf gar niemanden sauer sein, weil mich niemand zur Rechenschaft zieht. Keine Erwartungshaltung. Das ist beim TE sicher vertrackter.

  • Oder was machst mit denen, die sich morgens telefonisch im Sekretariat abmelden mit der Begründung, daß sie keinen freien Parkplatz finden würden, wir als Schule für die freien Parkplätze zu sorgen hätten und da wir dies eben nicht hinreichend tun würden, denn sonst hätten sie ja einen freien Parkplatz gefunden, sie keinen Anlaß sehen würden in der Schule zu erscheinen?


    :rofl: Einen Einlauf verpassen, was sonst?

  • Seid doch an der Stelle mal bitte ganz ganz, also wirklich ehrlich zu euch selbst: Wann habt ihr richtig geschnallt, was das eigentlich soll mit dem Logarithmus?

    Tatsächlich in der 10. Realschulklasse – er war eigentlich nicht im Lehrplan (wenn ich mich richtig erinnere), aber mein Mathelehrer hat ihn uns beigebracht, damit wir in Zinseszinsaufgaben auch die Anlagezeit berechnen konnten. Fand ich damals ziemlich spannend, wahrscheinlich weiss ich es deshalb auch heute noch.


    Aber was du mit Schubladen meinst, das habe ich auch schon innerhalb des Matheunterrichts beobachtet – übrigens auch beim Logarithmus. Wenn ich die "3-mindestens-Aufgabe" in der Stochastik mache, dann sind nicht wenige Lernende schockiert, dass im Lösungsweg der Logarithmus auftaucht. Was hat der denn auf einmal hier zu suchen … :P


  • Oder was machst mit denen, die sich morgens telefonisch im Sekretariat abmelden mit der Begründung, daß sie keinen freien Parkplatz finden würden, wir als Schule für die freien Parkplätze zu sorgen hätten und da wir dies eben nicht hinreichend tun würden, denn sonst hätten sie ja einen freien Parkplatz gefunden, sie keinen Anlaß sehen würden in der Schule zu erscheinen?

    Froh sein, dass der Unterricht nicht durch diese Person gestört wird (Unterstellung).


    Bei Klassenarbeiten die Note für unentschuldigtes Fehlen geben.

  • Oder was machst mit denen, die sich morgens telefonisch im Sekretariat abmelden mit der Begründung, daß sie keinen freien Parkplatz finden würden, wir als Schule für die freien Parkplätze zu sorgen hätten und da wir dies eben nicht hinreichend tun würden, denn sonst hätten sie ja einen freien Parkplatz gefunden, sie keinen Anlaß sehen würden in der Schule zu erscheinen?

    Ähh… rausschmeissen?


    Edit: An meiner Schule gilt als Grund für entschuldigtes Fehlen nur ein Arztzeugnis oder eine im Voraus genehmigte Abwesenheit. Ansonsten fehlt der Lernende unentschuldigt. Werden 3 unentschuldigte Abwesenheiten überschritten, kann der Lernende auf Antrag entlassen werden.

  • @plattyplus


    mach aus deinem "müsste" am Anfang einfach ein "muss", bzw ein "werde".
    Und nicht nur "sitzenlassen" sondern wirklich runter von der Schule.
    zu-dumm-zum-zum.
    Wäre mal eine interessante Note... wäre das die 7?

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Plattyplus' Beispiele sorgen schon für ein Schmunzeln, aber eigentlich sind diese Situationen mehr als dramatisch. Ich könnte auch x solcher Beispiele nennen.
    Und dann sind wir doch wieder beim "Früher war alles besser". Auch ich habe mal geschwänzt, nicht auf alles Lust gehabt, Hausaufgaben nicht gemacht etc. Aber das wurde dann so gut es ging verheimlicht. Heute sagt dir der Schüler ins Gesicht "Frau Alterra, ich war nicht mit auf der Exkursion, weil ich keinen Bock drauf hatte" und "Hausaufgaben mache ich aus Prinzip nicht, Sie sind nur zu faul das im Unterricht zu machen" und erwartet, dass dies keine Relevanz bei der Notengebung etc. hat.
    Mittlerweile müssen bei den Klausuren Operatorenlisten ausgelegt werden, damit die Schüler den Arbeitsauftrag nochmals nachvollziehen können. Aber selbst diese Erklärung der Operatoren hilft nicht bzw. löst noch mehr Fragen aus. Selbst banale Aufträge wie "Fassen Sie den Inhalt zusammen" müssen zusätzlich erklärt werden.

  • Oh ja, mein Favorit: ich konnte nicht für die Englischklausur lernen, wir hatten ein Auswärtsspiel. Sie müssen das verstehen, ich spiele bei Schalke.


    Ja, verstehe ich. Aber dann muss er halt auch verstehen, dass er bei der Einstellung im Sport Erfolg hat, aber ohne Fachabi. Wobei halt, irgendwie hat er es doch geschafft, trotz der 5 in Englisch und Mathe in der 11.

    Only Robinson Crusoe had everything done by Friday.

  • Ich muss bei diesen Themen auch immer schmunzeln. Ist es echt so, dass S. von heute blöder sind? Ich selbst hatte wirklich echte Schwierigkeiten in Mathe. Ich hab das bis zur 8. gut kapiert, danach ging bergab. Erst im BK hatte ich einen Mathelehrer, bei dem ich plötzlich alles verstanden habe. Und ich wage zu behaupten, dass ich erst im Studium richtig kapiert habe, wie es geht. Hätte mich in der 10 jemand mit dem Umstellen einer Formel behelligt: ich wäre wohl eine von Plattylus´ erwähnten Schülern gewesen.


    Machen wir uns nichts vor: die Interessen dieser Altersgruppe sind nicht hauptsächlich die Schule, sondern alles andere. So wie bei uns damals auch. Trotzdem müssen basics natürlich beherrscht werden. Wer sich irgendwie durchmogelt, scheitert dann meist an der Uni. Ist dann eben so. Und scheitern sie nicht (an der FH durchaus möglich), dann ist es doch auch ok. Dann müssen sie im Beruf zeigen, was sie können. Und solche Durchmogler aka Lebenskünstler kommen meist sehr weit. Ohne großartig eine Formel umstellen zu können. Trotzdem können sie in ihrem Jon nachher gut sein. Ist das dann so schlimm, dass sie einige Skills in Mathe nicht drauf haben?

    • Offizieller Beitrag

    Die Diskussion nervt mich schon seit Jahren.


    Ich erinnere mich noch gut an den Kollegen - eigentlich keiner von den alten "damals war alles besser"-geistigen Frühpensionären, sondern eher jung - der über Jahre schärfste Durchsetzung der Stadards, Querversetzungen, "absägen" und Rausschmisse forderte.
    Dann bekam er kurz nacheinander drei Kinder. Immer noch arbeitete er mit Selektion, "Rauskegeln", "gehört hier nicht her", "sich dem politishen Willen entschlossen entgegen stellen!!"


    Und dann kamen die Kinder langsam in die Schule. Offesichtlich gab es Probleme. Sie waren nicht gut. Bei einem stellte sich raus, dass er nah am Förderbedarf Lernen war. Die anderen beiden intelligent, aber LRS, grundsätzlich schüchtern, stottern, unsicher. Liebe Kerlchen, aber es war echt schwer - hardcore mobbing zum Teil. In der Pubertät wurde es dann richtig hart. Absenzen, Angst. Viel Leid, auch in der Familie.


    Der Kollege wurde immer stiller in den Konferenzen. Wir wunderten uns, wo seine Tiraden blieben. Seine Notengebung wurde weniger drastisch. Er bekann mit den Schülern zu sprechen, er sprach auch mit Kollegen, was man tun könne, wenn ein Kind wegen schlechter Rückmeldungen immer mehr in sich zurück zieht, sich nichts mehr zutraut, vor lauter Angst nicht mal mehr lernt.


    Später gehörte er zu denen, die bei diesen Themen sehr darauf drängten, sich den einzelnen Schüler und dessen Lebensweg genau anzuschauen. Zu sehen, wo man stützen und kompensieren kann und zu verstehen, dass hinter jedem Schüler eine Familie und mehrere Schicksale stehen. Eines seiner Kinder hat keinen Schulabschluss. Die Existenzängste durchziehen dann dann ganze Leben. Bei den anderen dauert der Kampf noch an.


    Ich wünsche ihm bzw seinen Kindern Lehrer, die nicht "absägen, auskippen, rausschmeißen". Vielleicht geht noch was, für diese Familie.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Und dann sind wir doch wieder beim "Früher war alles besser". Auch ich habe mal geschwänzt, nicht auf alles Lust gehabt, Hausaufgaben nicht gemacht etc. Aber das wurde dann so gut es ging verheimlicht. Heute sagt dir der Schüler ins Gesicht "Frau Alterra, ich war nicht mit auf der Exkursion, weil ich keinen Bock drauf hatte" und "Hausaufgaben mache ich aus Prinzip nicht, Sie sind nur zu faul das im Unterricht zu machen" und erwartet, dass dies keine Relevanz bei der Notengebung etc. hat.

    Falsch. Nicht *früher* war alles besser, sondern *Du* hattest Dich und Deinen Kram besser im Griff. Leider passiert das vielen Lehrern immer mal wieder, dass sie zu sehr von den eigenen, ganz persönlichen Erinnerungen auf "früher war alles besser" schliessen. Ich hab auch einen Kollegen bei uns in der Chemie, der das gerne macht, der ist aber sehr nachdenklich geworden, als ich dann mal anfing von *meinem* früher zu erzählen. So gesehen bin ich nämlich heute schon fast froh darüber, dass ich selbst als Schülerin in einer echten Arschlochklasse war. Die 9 Jahre am Gymnasium habe ich unsäglich darunter gelitten. Nur um mal ein paar Anekdoten aus der Zeit aufzuzählen:


    • In der 7. Klasse kann ich mich an einen Schüler erinnern, der während der Deutschstunde sein Geschlechtsteil auspackte und anfing sich zu befriedigen.
    • Unsere Deutschlehrerin der 7. Klasse war auch unsere Klassenlehrerin. Wir haben die arme Frau derartig gemobbt, dass sie irgendwann den Spruch losliess "Wenn ich nachher mit dem Auto an einen Baum fahre, dann ist das eure Schuld." Wir haben es tatsächlich geschafft, dass sie aus der Klasse rausgenommen wurde. Mann, was waren wir stolz auf uns.
    • In der Oberstufe hatten wir einige Subjekte dabei, die mehr weg als da waren und sich gar nicht die Mühe machten ihre Abwesenheit mit irgendwas anderem als "kein Bock" zu begründen. Die waren aber vergleichsweise harmlos, in ihrer Abwesenheit störten sie ja den Unterricht nicht.
    • Ein paar der Jungs kochten zur Weihnachtszeit im Aufenthaltsraum der Oberstufe Glühwein im Wasserkocher und sassen anschliessend regelmässig sturzbesoffen im Unterricht. Mindestens einer davon wurde in der Zeit auch astrein zum Alkoholiker.
    • Ich selbst sass unterdessen mit einer Freundin auf einem Mäuerchen und pfiff mir vor jedem Nachmittagsunterricht einen Joint rein. Anders hielt ich den Musikunterricht bei Frau H. einfach nicht aus. Dumm nur, dass ich mich während einer LK-Exkursion mal von der Polizei mit einem Joint erwischen liess, das hätte mir fast einen Schulausschluss eingebracht.
    • Wir boykottierten auch nicht nur bei einer Lehrperson den Unterricht. Ich erwähnte weiter oben bereits unseren berühmt-berüchtigten Mathe GK, im GK Englisch lief exakt das gleiche ab. Ich habe Englisch geliebt, ich hatte immer mind. 13 Punkte. Der Punktedurchschnitt lag bei Prüfungen auch gerne mal bei 3 - 4 Punkten. Punkte, nicht Noten! Rechne Dir aus, was der Rest abgeliefert hat, wenn ich eben 13 oder 14 Punkte hatte.


    Ich habe meinen Jahrgang vor allem in der Oberstufe regelrecht gehasst. Da ich in der 11. Klasse aus der Kirche ausgetreten war, durfte ich ans Nachbargymnasium für den Ethik-Unterricht. Zufällig ergab es sich auch, dass in der 13 mein GK Sozialkunde stufenübergreifend unterrichtet werden musste, weil wir im Jahrgang selbst nicht mehr geüngend SuS für diesen GK hatten. Meine Güte, war das ein Aha-Erlebnis für mich - die anderen sind echt ganz anders als wir!


    Fazit: Idioten gab es immer schon. Vielleicht sind die Idioten heute noch extrovertierter als damals und fallen mehr auf. Das Problem vergrössert sich in dem Moment natürlich noch mehr, wenn solche Typen an einer für ihren Intellekt ungeeigneten Schulform landen. Viele Verhaltensweisen, die hier beschrieben werden, sind einfach nur Symptome von Überforderung. Auch die, die zu meiner Schulzeit am meisten aufgefallen sind, waren im Grunde genommen einfach nur intellektuell überfordert. Bemerkenswert, wenn man mal die Übertrittsquoten ans Gymnasium von anno dazumals und dann auch noch in Bayern recherchiert.

  • Stimmt, es war eine katholische Schule. Keine Ahnung, was die Eltern dazu so sagten. Da müsste ich meine Mutter fragen aber die gibt's nicht mehr. Ohnehin war die gegen Ende meiner Schulzeit ja auch eine derjenigen, deren Tochter nicht mehr ganz so auf Spur war. Zumindest war ich leistungsmässig nie überfordert, im Gegenteil, für meinen 1.9er Schnitt hab ich im Wesentlichen nichts gemacht. Für mich war's einfach der Normalzustand, bis zur 12. Klasse hatte ich ja keine Vergleichsmöglichkeiten.

  • Mein aktuelles Aha-Erlebnis aus der Techniker-Schule Maschinenbau:


    Thema des Handlungsfelds: Qualitätskontrolle


    Aufgabenstellung:
    Sie sind in der Wareneingangskontrolle der Firma tätig. Es kommt eine große Lieferung Schrauben der Festigkeitsklasse 12.9, eine Mindestzugfestigkeit von 1200N/mm² ist also gefordert. Der Hersteller gibt an, daß seine Schrauben eine Festigkeit von 1200-1300n/mm² aufweisen. Wie viele Schrauben müssen sie testen, um mit 99% Sicherheit sagen zu können, daß die Schrauben der Qualitätsanforderung (1200N/mm² Zugfestigkeit) entsprechen. Da es sich um eine zerstörende Prüfung handelt, die Schrauben werden bei der Prüfung ja über die Dehngrenze hinaus belastet, wollen sie natürlich so wenige Schrauben wie möglich testen.


    Die angehenden Techniker waren am Kotzen. Formelsammlung, Taschenrechner etc., alles erlaubt. :teufel:


    Und dabei ist seit 2012 dank des Bologna-Prozesses der Abschluß des staatlich geprüften Technikers mit dem des Bachelors vergleichbar. Da sollte dann doch wohl auch zumindest ansatzweise ein vergleichbares Niveau erwartet werden können?

  • Und dabei ist seit 2012 dank des Bologna-Prozesses der Abschluß des staatlich geprüften Technikers mit dem des Bachelors vergleichbar. Da sollte dann doch wohl auch zumindest ansatzweise ein vergleichbares Niveau erwartet werden können?

    Beliebter Fehler. Die Abschlüsse sind gleichwertig, aber nicht gleichartig. Eine Aussage über das Niveau und die Inhalte wird im DQR/EQR nicht getroffen. Ein Bachelor in Anglistik ist auch gleichwertig zu einem beliebigen Techniker. Der DQR/EQR drückt einfach nur aus, dass beide Abschlüsse innerhalb ihres Ausbildungsweges auf der gleichen Stufe stehen. Daraus ergibt sich keine Rechtsbindung oder irgendwelche anderen Konsequenzen.


    Was den Dreisatz und den Logarithmus angeht: beim Logarithmus kann ich ja noch irgendwie nachvollziehen, wenn man da einen Moment braucht, bis sich erschließt, was das eigentlich soll und man damit rechnen kann. Das kann relativ abstrakt wirken.
    Aber beim Dreisatz hört der Spaß auf. Wer den nicht hinbekommt will entweder nicht oder ist eher unterdurchschnittlich intelligent. In beiden Fällen hat der Schüler an einem Gymnasium nichts zu suchen.

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