Eine kleine Geschichte

  • In einer kleinen Schule in Europa chillt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Klassenraum. Ein schick angezogener Seminarlehrer nimmt sein Smartphone, um das lustige Bild zu fotografieren: Klick. Noch einmal: klick, und da aller guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick. Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Referendar, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seinem eigenen Smartphone angelt. Aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Seminarlehrer ihm das auf dem Boden liegende Handy schon in die Hand gegeben. Durch jenes kaum messbare, nie nachweisbare zu viel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Seminarlehrer durch ein Gespräch zu überbrücken versucht. "Sie werden heute einen guten Unterricht machen."
    Kopfschütteln des Referendars. "Aber man hat mir gesagt, dass die Klasse sehr pflegeleicht ist." Kopfnicken des Referendars.
    "Sie werden also nicht unterrichten?" Kopfschütteln des Referendars, steigende Nervosität des Seminarlehrers. Gewiss liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpasste Gelegenheit. "Oh? Sie fühlen sich nicht wohl?" Endlich geht der Referendar von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über.
    "Ich fühle mich großartig", sagt er. "Ich habe mich nie besser gefühlt." Er steht auf, reckt sich, als wollte er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. "Ich fühle mich phantastisch."
    Der Gesichtsausdruck des Seminarlehrers wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: "Aber warum halten sie denn heute keine Stunde mehr?“ Die Antwort kommt prompt und knapp.
    "Weil ich heute morgen schon unterrichtet habe." "War der Unterricht gut?" "Er war so gut, dass ich nicht noch einmal unterrichten brauche, die Schüler haben viel gelernt."
    Der Referendar, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Seminarlehrer auf die Schulter. Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis. "Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug!" sagte er, um des Fremden Seele zu erleichtern. "Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen", sagt der Seminarlehrer, "aber stellen Sie sich mal vor, Sie unterrichten heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus, und Sie würden drei, vier, fünf, vielleicht sogar zehn Dutzend Schülern etwas beibringen. Stellen Sie sich das mal vor!"
    Der Referendar nickt.
    "Sie würden", fährt der Seminarlehrer fort, "nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal unterrichten - wissen Sie, was geschehen würde?"


    Der Referendar schüttelt den Kopf.
    "Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Studienrat werden können, in vier Jahren Oberstudienrat und in ein paar weiteren Jahren vielleicht Studiendirektor. Sie hätten...", die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, "Sie hätten neue fordernde Aufgaben und würden vielleicht irgendwann Schulleiter werden - und dann..." - wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Freude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut von Kindern, die munter in der Aula herumtollen. "Und dann", sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache. Der Referendar klopft ihm auf den Rücken wie einem Kind, das sich verschluckt hat. "Was dann?" fragt er leise.
    "Dann", sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, "dann könnten Sie beruhigt hier im Klassenzimmer sitzen und beruhigt in die Aula blicken."
    "Aber das tu ich ja schon jetzt", sagt der Referendar, "ich sitze im Klassenzimmer und chille, dabei hat mich nur ihr Gelabere gestört." Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Seminarlehrer nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, aber es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Referendar in ihm zurück, nur ein wenig Neid.

  • Und wer gibt mir jetzt die Lebenszeit zurück, die ich verbraucht habe, diesen Müll zu lesen?

    »...Aus Mettwurst machste kein Marzipan! «
    Bernd Stromberg

  • Und wer gibt mir jetzt die Lebenszeit zurück, die ich verbraucht habe, diesen Müll zu lesen?

    Finde ich etwas hart, hat er oder sie doch ganz nett gemacht. Ist die Vorlage denn bekannt?

    • Offizieller Beitrag

    <Mod-Modus>


    Und schon wieder.
    Gut dass ich als Schulleiter nicht mehr Arbeiten muss und Zeit zum Sperren habe ich. :)


    Kl.gr.Frosch, Moderator

  • Ist die Vorlage denn bekannt?

    Böll, "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral".

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

  • Danke für die Aufklärung!
    Ich kannte die Vorlage nicht und war schlicht verwirrt.
    Fand das ganz eher schwer verständlich und wenig nachvollziehbar.
    Habe jetzt das Orignal gelesen und finde nicht, dass sich das wirklich eignet um es auf den Lehrerberuf zu übertragen...


    Immerhin bin ich jetzt nicht mehr so verwirrt.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

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