AAARGH!!! Soll ich? Muss ich?
Nein, jetzt nicht...
(1/3)
Ok, der Beitrag altersmüffelt, ich habe ihn vor mir hergeschoben, hätte wohl auch besseres zu tun, z.B. in Abiturverfahren prüfen und gutachten, aber antworten muss ich doch. Keine Lust, aber trotzdem. Einerseits, weil eine sachliche Richtigstellung der Aussage sowohl auf fachlicher als auch auf argumentativer Ebene dringend notwendig ist, andererseits, weil ich mittlerweile von Alias erfahren habe, dass meine Reaktion anscheinend "unwürdig" sei, was ja nun auch nicht stehengelassen sollte. Aber das kostet Mühe, nicht nur für mich, sondern auch für den Leser - es ist halt um Zehnerpotenzen schwieriger, vierteldurchdacht aus der Hüfte geschossene Slogans schlüssig zu beantworten, als sie in die Welt zu setzen. Fehlendes Nachdenken erhöht immer die Mühe für das Publikum deshalb habe ich die Arbeit der Antwort gescheut. Nun denn... *Stöhn* Weil es mich eben einfach ärgert:
Erstens: Zyklon B wurde nicht zur Ermordung von Menschen erfunden. Es handelte sich bei dieser Substanz um ein von der Firma Degesch Anfang der 20er Jahre entwickeltes Mittel zur Schädlingsbekämpfung, das sowohl zur Befreiung von Kleidungsstücken von Schädlingen in großer Menge Verwendung fand als auch für die Ungezieferbekämpfung ganzer Gebäude verwendet. Beide hygienische Problemfelder waren in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation nach dem ersten Weltkrieg von großer Bedeutung. Dadurch, dass man die Wirksubstanz auf ein Granulat aufbrachte, war Zyklon B leicht zu transportieren und zu lagern und sehr sicher in der Anwendung. Soweit war es also ein sinnvoller Beitrag zur allgemeinen Hygiene geleistet, ein positiver Beitrag der chemischen Wissenschaft.
Das änderte sich natürlich in dem Moment, als das Mittel von den nationalsozialistischen Schlächtern als Mordwaffe entdeckt wurde und sich die Firma Degesch zum Komplizen machte. Der Lagerkommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, betonte in einem Schreiben, wie stolz er auf seine persönliche Entdeckung gewesen sei, die endlich als unzureichend empfundene Mittel zum Massenmord wie Massenerschießungen, systematisches Verhungernlassen, Vergiftung durch CO aus Gasflaschen oder durch Autoabgase abgelöst hätte. In anderen Zusammenhängen sinnvolle wissenschaftliche und technische Möglichkeiten wurden ebenfalls durch die Nationalsozialisten zum Genozid missbraucht. Missbrauchen kann man jedes Werkzeug und sei es ein Hammer oder Paracetamol - warum also die Rancune gegen die "Wissenschaft"? (Ich verwende ebenfalls Anführungszeichen, aber aus anderen Gründen als Alias.) Steven Novella hat es sehr schön auf den Punkt gebracht: "What do you think science is? There's othing magical about science. It is simply a systematic way for carefully and thoroughly observing nature and using consistent logic to evaluate results." Wo da jetzt Zyklon B als Massenmordwerkzeug bleibt, muss wohl ein Geheimnis bleiben.
Aber machen wir zweitens hier nicht halt - es geht um die Schrecken in der Welt und die Frage nach der Religion im Vergleich zu totalitären Ideologien und ihren Verbrechen. Handelt es da um "nonoverlapping magesteria", wie Stephen Jay Gould über das Verhältnis von Religion und Wissenschaft postuliert? Nein, das ist nicht der Fall. Ist es der Atheismus, der die sittliche Enthemmung, die zum Verbrechen führt, überhaupt erst ermöglicht? Auch das ist zwar ein Mythos, der immer wieder von Apologeten, die es eigentlich besser wissen müssten, verbreitet wird, wie z.B. Kardinal Ratzinger, der in Theologenkreisen als intellektuelles Schwergewicht gehandelt wird; und ein Mythos, der wieder und wieder von Politikern, Journalisten und (leider!) hier auch Lehrern nachgeplappert wird, die oft genug ein zu unzureichendes Wissen um Ideengeschichte und einschlägige Quellen haben, um sich ein differenziertes Urteil zu bilden. Aber es ist eben nur ein polemischer Mythos. "Fake News" würde man heutzutage sagen.