Gemeinschaftsschule ja oder nein?

  • Und was soll dann speziell an diesen SuS sein?

    Wenn in der Schweiz alle Hochbegabten Matura machen würden (was sicherlich nicht der Fall ist), wären in euren Jahrgangsstufen immerhin etwa 127 Schüler nicht hochbegabt, in Deutschland wären das dann schon 133. In Wahrheit sind es natürlich mehr. Hochbegabte sind nichts Ungewöhnliches, aber eine Minderheit.


  • Ich meine, dass eine Gemeinschaftsschule / Gesamtschule keine Chance hat, wenn nebenher die anderen Schultypen, insbesondere aber das Gymnasium weiter bestehen. DANN wird die Gemeinschaftsschule / Gesamtschule etwas für Idealisten bzw. die berüchtigte "Resteschule". Das heißt aber auch, dass eine Gemeinschaftsschule ohne andere (weiterführende) Schulen nebenher meiner Meinung nach eine gute Chance hätte.


    Böse Zungen werden das "Einheitsschule" nennen, aber für mich hat das keinen schlechten Klang - wie für die Mehrheit im Osten nicht.


    Zitat: “Am Mittwoch, 29. August, wurden in Dresden die Pläne zur Einführung einer Gemeinschaftsschule in Sachsen vorgestellt. Ein breites Bündnis steht hinter diesem Anliegen. Und 66 Prozent der Sachsen wünschen sich genau so eine Schule, bei den Jüngeren sind es sogar über 70 Prozent. Nur eine Partei mauert. Und das, obwohl auch ihre Anhänger die Gemeinschaftsschule mehrheitlich wollen. ”


    https://www.l-iz.de/bildung/le…-Volksantrag-geben-231768

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

  • Man beachte auch diese Umfrage:


    Zitat: "Mit rot-grün gefärbten Schulgründungen allein wäre der Boom aber nicht zu erklären. Die „Einheitsschule“, wie sie die Union verächtlich nennt, ist für viele Eltern offenbar kein Schreckgespenst mehr. In Umfragen erfreut sich das gemeinsame Lernen bis in hohe Klassenstufen großer Beliebtheit. Ebenso lehnt die Mehrheit der Eltern die Entscheidung für eine weiterführende Schule in der vierten Klasse als zu früh ab."


    https://www.welt.de/politik/de…Schreckgespenst-mehr.html

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

  • Dass Finnland homogener wäre, halte ich aber für Quatsch.

    Das ist erstmal kein Quatsch sondern eine Tatsache, dazu muss man sich nur den Wiki-Eintrag zu Finnland, Punkt 4 "Bevölkerung" durchlesen. Die Schweiz ist aber wiederum ein Beispiel dafür, dass es auch in einem Land mit einer extrem heterogenen Bevölkerung (25 % Ausländer, 35 % direkten Migrationshintergrund, mehr als 50 % Migrationshintergrund in der Elterngeneration, vier Landessprachen und diversen sonstigen Kauderwelsch, der hier so gesprochen wird) ein gutes und durchlässiges Schulsystem geben kann. Durchlässig und dreigliedrig übrigens. Das eine schliesst das andere nämlich überhaupt nicht aus.


    Woran mag das liegen? Nun ... ich denke, die Einstellung der Menschen hier zu Bildung im allgemeinen ist definitiv eine andere als in Deutschland. Das Land hat keine Rohstoffe, keine Automobil- und keine Schwerindustrie. Die Leute arbeiten entweder im Dienstleistungssektor, in der Pharmaindustrie oder in der Landwirtschaft. Viele Berufe in den beiden ersten Sektoren sind hochspezialisiert und erfordern einen akademischen Abschluss, wenigstens auf Fachhoschul-Niveau. Der Bedarf an Akademikern ist tatsächlich deutlich höher, als überhaupt Maturanden "produziert" werden. (Aus)Bildung ist also im Prinzip die wichtigste Ressource des Landes und damit identifiziert sich die Mehrheit der Bevölkerung. Die duale Berufsausbildung gilt als eine der besten der Welt und sie geniesst bei der Bevölkerung ein extrem hohes Ansehen. Gleichzeitig ist in den Köpfen der Leute nach wie vor die altehrwürdige Einstellung "ans Gymnasium gehen nur die, die es wirklich können" tief verankert. Wir jammern teils auf entsetzlich hohem Niveau, wenn wir uns über Jugendliche beklagen, die am Gymnasium "parken" weil sie halt den Notendurchschnitt hatten, aber nicht so recht wissen, wozu sie überhaupt Matura machen wollen. Hey ... sie *hatten* den Notendurchschnitt fürs Gymnasium, also warum sollten sie nicht da sein?!


    Das Land ist reich, die Wirtschaft brummt und die Leute merken, dass sich eine gute Ausbildung lohnt. Wer ackert, wird belohnt, so einfach ist das. Wer in Deutschland ackert, gerne mal 30 Jahre und mehr, der darf sich freuen, wenn er am Ende die Grundsicherung bekommt. Ich sehe da einen Teufelskreis, denn wie will man denn da der Jugend noch glaubhaft machen, dass Bildung geil ist? Da ist es im Prinzip völlig wurscht, ob man bei der Dreigliedrigkeit bleibt oder wir-haben-uns-alle-lieb-Gemeinschaftsschulen aus dem Boden stampft, das ändert alles nichts an der Perspektivlosigkeit mit denen viele Jugendliche in ihren Ausbildungsweg starten. Wer bei uns eine Lehre zum Laboranten bei der Roche anfängt, der weiss, dass er übernommen wird und einen guten Job sicher hat, der problemlos eine Familie mit 2 Kindern ernährt, wenn er sich nicht anstellt wie der letzte Blödmann. Wann war das gleich zuletzt in Deutschland so?



    Ist denn bei der strikten pro-frühe-Selektions-Fraktion auch ein Hauptschulkollege dabei? Oder rufen lediglich die Gymnasiallehrer besonders laut nach der frühen Trennung?

    Wer rief denn bisher noch einer möglichst frühen Trennung? Das muss an mir vorübergezogen sein. Ich selbst schrieb, dass ich die Selektion nach der 4. Klasse pervers früh finde (die Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen teilt diese Meinung) und ich glaube es gab noch jemanden hier im Thread, der ähnliches schrieb.



    Hochbegabte sind nichts Ungewöhnliches, aber eine Minderheit.

    Eben, im Sinne von IQ mind. 130 sind sie an einem Gymnasium nichts Ungewöhnliches, oder zumindest sollte das so ein. Genau deswegen werden bei uns die wirklich Schlauen auch nicht gemobbt, weil sie so ungewöhnlich gar nicht sind. Mir ist in den letzten 5 Jahren wirklich und wahrhaftig überhaupt noch kein einziger Fall von Mobbing am Gymnasium untergekommen. Unsere wirklich Schlauen langweilen sich auch nicht sonderlich. Meistens freuen sie sich einfach, dass sie mit allem immer schneller fertig sind als der Rest, und mehr chillen können. Zur Not kann man sie immer noch als Schülerstudenten an die Uni schicken, aber da melden die wenigsten Bedarf an (zu anstrengend ...).



    Stichwort "flexible Eingangsphase".

    Wenn ich das auf die Schnelle bei Wikipedia richtig verstanden habe, gibt es sowas bei uns tatsächlich auch. Kinder, die in der Entwicklung noch nicht so weit sind, können den Stoff der 1. Klasse Primar einfach in 2 Jahren abarbeiten. Ich wüsste jetzt nicht, was daran so schlecht sein soll, zumal bei uns in den ländlichen Gebieten in der Primarstufe ohnehin oft noch jahrgangsübergreifend gearbeitet wird.

  • BaWü hat ja jetzt 5 Jahre Erfahrung und die sind - was ich so mitbekomme - überwiegend ernüchternd; Google findet da ziemlich viel:


    Es mag nicht schön klingen; aber unter den gegebenen Rahmenbedingungen halte ich relativ stark und früh differenzierende Systeme mit klaren Schnittstellen für am leistungsfähigsten und für die KollegInnen am tragbarsten (ein Aspekt, der in der ideologischen Systemdebatte m. E. viel zu kurz kommt).


    Es ist, wie du es sagst: Eine "ideologische Systemdebatte".


    Hier werden die großen Fragen unserer Zeit in ein prototypisches Klassenzimmer projiziert.


    Dahinter steht wohl die reichlich naive Idee, dass die Gesellschaft morgen tolerant(er) wird, wenn wir heute alle Kinder ungeachtet ihrer individuellen Profile in eine gemeinsame Lerngruppe stecken. Dann wird schon alles irgendwie gut werden (müssen).


    Die Idee ist verquer. Es handelt sich um Kleinstgruppen (Lerngruppen, Schulklassen), Inklusion ist aber ein gesamtgesellschaftliches Thema. Es geht dabei doch gar nicht darum, dass behinderte Kinder mit nichtbehinderten Kindern ständig in einer Gruppe/Schule lernen, sondern dass behinderte wie nichtbehinderte Kinder (und überhaupt alle Menschen) prinzipiell Zugang zu den Bildungsgütern einer Gesellschaft erlangen können und dass man gemeinsam alles dafür macht, um sich wechselseitig bestmöglich zu fördern: Gemeinsam sind wir stark!


    Und wo findet diese Gemeinschaft statt? Bestimmt nicht vor allem im Klassenzimmer. Wer kam nur auf diese Schnapsidee und wieso wird sie so bereitwillig geglaubt?


    der Buntflieger

  • Wollsocken: Seitens der Lehrkraft hast du das Problem, dass du den Stoff nicht nur in leicht - mittel - schwer (bzw. offiziell in die drei Anforderungsbereiche) differenzieren musst, sondern in der flexiblen Eingangsphase auch nach Erst- und Zweitklassstoff. Und das zusätzlich zur Heterogenität, die junge Kinder zu Beginn ihrer Schulkarriere eh bereits mitbringen. Die Kinder müssen ja die Möglichkeit bekommen, die Anforderungen der ersten zwei Schuljahre in einem, in zwei oder in drei Jahren absolvieren zu können, was letztendlich für den Lehrer bedeutet, für zwei Klassenstufen Unterricht vorzubereiten - wobei am Ende nur die tatsächlich gehaltene Stunde im Rahmen des Deputats zählt. Ein Lehrer der flexiblen Eingangsphase hat damit immer mehr Arbeit als der einer regulären 2. Klasse - und wie wir hier im Forum wissen ist Doppelsteckung auch nicht immer der Regelfall. Aus meinen Augen ist die flexible Eingangsphase gerade mit Hinblick auf die Anforderungen des Anforderungsunterricht Deutsch und Mathematik für Kinder unbefriedrigend. Mit den einen Kindern übst du gerade erst das Buchstabenschreiben und den Aufbau von Zahlvorstellungen, während die einen Kinder bereits erste kleine Texte schreiben und munter im Zahlenraum bis 100 vor sich hinrechnen - entweder haben dann die Kinder auf Erstklass- oder die Kinder auf Zweitklassniveau das Nachsehen, da sich die Lehrkraft nicht zweiteilen kann. Und das, nur um am Ende sagen zu können, dass weniger Kinder sitzen bleiben. Wie gesagt: Im ländlichen Bereich kann man damit aus der Not eine Tugend machen, aber wenn man pro Jahrgang irgendwie 12 Schüler zusammenbekommt, tut man Lehrern und Schülern meiner Meinung nach eher einen Gefallen, wenn man jahrgangshomogene Lerngruppen bildet (In AGs sieht die Sache natürlich noch einmal anders aus...).

  • Man kann Gemeinschaftsschule gut machen.


    Mit zwei Lehrkräften in jeder Stunde, festen Sozialarbeitern, einer Schulkrankenschwester und pädagogischen Hilfskräften.
    Mit einer guten Ausstattung, z.B. kleineren Räumen für individuelle Förderung, Teilung von Klassen im naturwissenschaftlichen Unterricht, Bildung von Fördergruppen verschiedener Anforderungsstufen.
    Einer sprachlichen Förderung von fremdsprachigen Kindern, bevor sie in den normalen Klassen sitzen. Dazu gehört auch eine verpflichtende frühkindliche Sprachförderung.
    Dazu gehören aber auch ein Ganztagsschulkonzept, das nicht nur Aufbewahrung ist, sondern den Kindern die Teilnahme an Sport oder das Spielen von Instrumenten ermöglicht, wichtig wären also Kooperationen mit Vereinen und Musikschulen. Für jede Schule eine Bib mit Bibliothekar, in der die Größeren auch wissenschftlich arbeiten können.
    Und nicht zu vergessen: Eine gesunde Ernährung in einer Mensa, in der auch die Lehrer gerne mit den Kindern zusammen essen.


    Hab ich was vergessen?

  • Nochmal die Frage: ist aus Lehrersicht das Klammern an der Dreigliedrigkeit nicht nur für das Kollegium am Gymnasium erstrebenswert? Das würde ich gern mal von den HauptschullehrerInnen wissen.

    Morgen!


    Nein, ist es nicht. Ich würde mir eine Viergliedrigkeit zurück wünschen: Förderschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium. Sehr gerne darf es auch Gesamtschulen geben. (Ups, mir fällt gerade auf, ich habe meine Schulform eliminiert)


    Allerdings würde ich mir auch eine bessere Durchlässigkeit und Aufgeklärtheit wünschen. Die wenigsten Lehrer/Eltern/Schüler wissen darüber Bescheid, wie z.B. der Hauptschüler nach seinem HS9 oder HS10 weitermachen kann - Das Bild der Resterampe, des Bodensatzes, des zukünftigen Hartz 4 Empfängers... nervt einfach nur noch. Dass z.B. eine Ausbildung, die besser als 3 abgeschlossen wird, automatisch zum nächsthöheren Abschluss führt, ist den wenigsten bekannt. Dass viele größere Firmen 2jährige Ausbildungen für HS anbieten und diese nach Erfolg den Zugang zu einer höheren Ausbildung im gleichen Betrieb erlangen (wird dann ebenfalls verkürzt auf zwei Jahre), wird ebenfalls nicht vermittelt. Oder aufklären, welche tollen Programme die Berufskollegs anbieten. Viele Wege können noch zu einer höheren Ausbildung führen. Die Hauptschule ist keine Endstation.


    Mich nervt das Inklusionsgerede: Jedem Kind die gleichen Chancen!

    Das ist doch nicht wahr. Nur weil ich ein Kind mit Förderbedarf GE oder LE auf ein Gymnasium lasse, hat es doch nicht die gleichen Chancen. Und warum darf das Kind mit Förderbedarf auf das Gymnasium oder die Realschule und das Kind mit der (unverbindlichen) Hauptschulempfehlung wird womöglich abgelehnt? Das ist keine Chancengleichheit.
    Jedem Kind die beste, angemessene Bildung!
    So müsste es heißen. Und wenn ich mitbekomme, dass früher in den Förderschulen kochen, waschen, einkaufen, Bankgeschäfte etc. durchgenommen wurde und das nun alles wegfällt, dann bekommt dieses Kind nicht mehr die angemessene Bildung. Es sitzt z.B. in einem Chemiekurs oder Englischkurs oder Mathekurs und hört sich Sachen an, die es niemals verstehen wird. Lebenszeitverschwendung.


    Da ich in einem System arbeite, in dem ich binnendifferenziert ein Hauptfach unterrichte, möchte ich mich dazu auch noch einmal äußern. In meiner Klasse befinden sich also Schüler mit dem Ziel einen HS, RS, FOR und FOR-Q zu erreichen (ich erwähne nur am Rande, dass es natürlich teilweise noch Förderschüler und Flüchtlinge gibt). Ich muss jedem dieser Abschlüsse in meinen drei Stunden pro Woche bei einer Personenzahl von 30 gerecht werden. Da geht viel Zeit drauf, in der ich für die Schwächeren Dinge erkläre, die den Stärkeren völlig klar sind. Andersherum schalten die Schwächeren ab, wenn ich plötzlich auf gymnasialem Niveau arbeite. Lebenszeitverschwendung.


    Noch kurz zum Abschluss. "Meine" Hauptschüler, die sich aktiv um Lehrstellen bemüht haben, rennen aktuell von einem Vorstellungsgespräch zum nächsten und viele haben bereits bis zu drei Ausbildungsstellen sicher.

  • ...Die Hauptschule ist keine Endstation.
    ...

    So sollte es eigentlich sein. Da sich aber an der Hauptschule viele Verhaltensauffällige und "sozial Schwache" tummeln, vermeidet jeder diese Schulart, der es sich leisten kann. Dass etwas nicht sein soll heißt ja nicht, dass es nicht so ist oder nicht so gesehen wird.


    In Sachsen ist die Bildungsempfehlung erst seit 2 Jahren nicht mehr bindend. Dadurch ist derselbe Trend zu beobachten, wie in anderen Bundesländern: Kinder mit 2en und 3en in den Hauptfächern der Grundschule werden trotzdem tendenziell auf dem Gymnasium eingeschult.


    Oder wie Sofawolf weiter oben zitierte: es gibt eben durchaus ein Interesse vieler Eltern daran, dass Kinder länger gemeinsam lernen, bevor die Abitursentscheidung getroffen wird. Aber eben nur, wenn alle mitmachen. Niemand will der sein, der sein Kind an die Oberschule entsendet, weil dort weniger Leistungsanspruch herrscht, mehr schwierige Schüler sind, mehr Unruhe im Unterricht herrscht, weniger Wert auf Fremdsprachenerwerb gelegt wird, länger Zeit benötigt wird, um einen höheren Schulabschluss zu erwerben...


    Wie ist das denn in Berlin, das ist doch das einzige Land, indem die Grundschule 6 Jahre geht, oder? Wie ist dort die "Stimmung"?

  • So sollte es eigentlich sein. Da sich aber an der Hauptschule viele Verhaltensauffällige und "sozial Schwache" tummeln, vermeidet jeder diese Schulart, der es sich leisten kann. Dass etwas nicht sein soll heißt ja nicht, dass es nicht so ist oder nicht so gesehen wird.

    ...was nur einmal mehr die Notwendigkeit eines Auffangbeckens für die, die "sogar für die Hauptschule ungeeignet sind" bestätigt. Muss da vielleicht schon in KiGa/Vorschule viel intensiver vorbereitet werden, vor allem auch die Eltern in Regress genommen werden, wenn sie sich nicht um sozialverträgliches Verhalten ihrer Kinder kümmern?

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

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  • Mich nervt das Inklusionsgerede: Jedem Kind die gleichen Chancen!

    Also ich finde den Grundsatz "Jedem Kind die gleiche Chance" gut. Aber in der Umsetzung hat dieser Grundsatz für mich komplett andere Auswirkungen als das, was uns derzeit als Inklusion verkauft wird. Ich sehe das Ganze nämlich vom Ende her. Was kann ddas Kind bzw. dann der Erwachsene, wenn er seine Schullaufbahn beendet hat?


    Konkret: Mir ist ein Förderschüler, der nachher aber zumindest elementar seinen Alltag meistern kann, wesentlich lieber als ein Inkludierter, der dann einige Jahre am Gymnasium war, die Zeit dort mehr oder minder abgesessen hat und am Ende lebenslang auf Hilfe angewiesen ist, weil er die Grundlagen des Alltags eben nicht erlernt hat.


    Oder lernt man am Gymnasium als Inklusionskind:

    • Wie benutze ich einen Bus, die S-Bahn, ... und kaufe dafür eine Fahrkarte?
    • Wie kaufe ich im Supermarkt ein?
    • Wie funktioniert das im Straßenverkehr so ganz grundsätzlich? Radfahren?
    • ...

    Ich denke bzw. hoffe, daß entpsrechend behinderte Kinder, bei denen eh absahbar ist, daß es nicht für einen Schulabschluß reichen wird, an einer Förderschule genau soetwas vermittelt bekommen.

  • Also ich finde den Grundsatz "Jedem Kind die gleiche Chance" gut. Aber in der Umsetzung hat dieser Grundsatz für mich komplett andere Auswirkungen als das, was uns derzeit als Inklusion verkauft wird. Ich sehe das Ganze nämlich vom Ende her. Was kann ddas Kind bzw. dann der Erwachsene, wenn er seine Schullaufbahn beendet hat?
    Konkret: Mir ist ein Förderschüler, der nachher aber zumindest elementar seinen Alltag meistern kann, wesentlich lieber als ein Inkludierter, der dann einige Jahre am Gymnasium war, die Zeit dort mehr oder minder abgesessen hat und am Ende lebenslang auf Hilfe angewiesen ist, weil er die Grundlagen des Alltags eben nicht erlernt hat.


    Oder lernt man am Gymnasium als Inklusionskind:

    • Wie benutze ich einen Bus, die S-Bahn, ... und kaufe dafür eine Fahrkarte?
    • Wie kaufe ich im Supermarkt ein?
    • Wie funktioniert das im Straßenverkehr so ganz grundsätzlich? Radfahren?
    • ...

    Ich denke bzw. hoffe, daß entpsrechend behinderte Kinder, bei denen eh absahbar ist, daß es nicht für einen Schulabschluß reichen wird, an einer Förderschule genau soetwas vermittelt bekommen.

    ...die von dir genannten Beispiele sollten idR in der Grundschule gelernt werden (bspw. "Verkehrsunterricht" - wir hatten sowas noch, incl. Radfahrprüfung in der 3. Klasse, und da gehört das auch mMn spätestens hin).
    Am Gymnasium lernst du tatsächlich u.a. "wirtschaften" - war zu meiner Zeit Thema in (namentlich) "Politik", was aber mMn eher als SoWi durchgehen würde, und das in der 6. Klasse (ja, lang ists her), aber da heißt es dann "du hast X Euro pro Monat, was gibt Familie Y wofür aus"... das ist schon ein anderes Kaliber als "wie kaufe ich ein".


    Von daher - bevor solche "Basics" wie die von dir genannten beherrscht werden, sollte kein Kind überhaupt auf eine weiterführende Schule, egal welche.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Mir ist ein Förderschüler, der nachher aber zumindest elementar seinen Alltag meistern kann, wesentlich lieber als ein Inkludierter, der dann einige Jahre am Gymnasium war, die Zeit dort mehr oder minder abgesessen hat und am Ende lebenslang auf Hilfe angewiesen ist, weil er die Grundlagen des Alltags eben nicht erlernt hat.

    Von daher - bevor solche "Basics" wie die von dir genannten beherrscht werden, sollte kein Kind überhaupt auf eine weiterführende Schule, egal welche.

    Genau da sehe ich auch eines der großen Probleme der Inklusion. Es ist so oft einfach Quatsch, die aktuellen Unterrichtsinhalte auf Förderniveau herunterzubrechen, wenn eigentlich für das entsprechende Kind gerade eine ganz andere Thematik sinnvoll wäre. Das ist auf mehreren Ebenen sowas von unbefriedigend!

  • Die Problematik ist eher die, dass Eltern solcher Kinder ein großes Problem mit Ausgrenzung haben. Sie empfinden ihr Kind als ausgegrenzt und abgeschoben. Da die Förderschulen oft nicht schulintegriert, sondern zu Förderzentren zusammengefasst sind, wo man extra abgeholt wird und längere Fahrwege in Kauf nehmen muss, verstärkt sich dieses Gefühl.


    In den letzten Jahren hatte ich sg. Kooperationsklassen, d.h., dort sind vermehrt Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. In den letzten 2 Jahren wurde die zusätzliche Förderung auf ein Minimum beschränkt (Lehrermangel) und ich habe nur noch zwei Stunden in der Woche, die doppelt besetzt sind. Für Eltern, denen vom Kindergarten her die Kooperationsklasse und nicht die Förderschule empfohlen wurde, ein Schlag ins Gesicht, hatten sie doch große Hoffnungen in diese Klasse gesetzt.


    Spricht man Eltern auf einen möglichen Förderschulbesuch an, dann kommen meistens die Argumente:
    - Ich war selbst in der Förderschule, hatte keine Kontakte hier zu Gleichaltrigen, das möchte ich für mein Kind nicht.
    - Mein Mann möchte das auf keinen Fall. (Oft sind es auch Männer, die Diagnosen, die ohne Konsequenzen sind, durch das mangelnde Einverständnis zum Test verhindern.)
    - Ich habe mich auf der Förderschule nicht verstanden gefühlt und durfte nicht mehr zurück. (Danach hat die Mutter den Hauptschulabschluss aus eigenem Antrieb geschafft.)


    Vor allem Eltern, die selbst auf der Förderschule waren, versuchen einen Besuch ihres Kindes dort zu verhindern und hoffen, dass ihr Kind irgendwie durchkommt.


    Ich bin auch für Förderschulen als die Art, wo man am besten auf die Schüler und ihre Probleme eingehen kann und die Förderung am optimalsten ist.
    Aber man muss dringend etwas gegen das Ausgrenzungsgefühl tun. Entweder sollte es gemeinsame Projekten mit den anderen Schulen geben oder sollten die Förderklassen im Schulhaus oder im Schulzentrum sein und nicht isoliert irgendwo anders. Außerdem muss man nach Möglichkeiten suchen, den Förderschülern das Gefühl zu geben, dass sie eben nicht die "Restschüler" sind.

  • Genau da sehe ich auch eines der großen Probleme der Inklusion. Es ist so oft einfach Quatsch, die aktuellen Unterrichtsinhalte auf Förderniveau herunterzubrechen, wenn eigentlich für das entsprechende Kind gerade eine ganz andere Thematik sinnvoll wäre. Das ist auf mehreren Ebenen sowas von unbefriedigend!


    Hallo roteAmeise,


    die Idee der politisch gewollten Inklusion (nicht der eigentlichen) basiert ja darauf, dass wir alle uns mit behinderten Menschen ein Leben lang auseinandersetzen - dazu gehört auch, dass wir sie ein Leben lang unterstützen und begleiten. Dann müssen sie ja nicht mehr selbständig werden, denn sie sind ganz eingeflochten (eben "inkludiert") in die Gesellschaft. Und zwar so dicht, dass man gar keine Behinderungen mehr wahrnimmt. Es gibt dann nur noch ein ganzheitliches "Wir".


    Natürlich ist das realitätsfern und idealistisch ohne Ende.
    Ich sehe sie, jene Kinder, die in sogenannten Inklusionsklassen politisch korrekt stundenlang ins Leere starren.


    der Buntflieger

  • Ich verstehe, was du meinst, Caro, wobei man auch ehrlich sagen muss, dass, selbst wenn Förderkinder in einer Regelklasse inklusiv beschult werden, diese nicht zwangsläufig Teil einer Gemeinschaft sind und die Mitschüler dieses Kind als "ebenbürdig" empfinden. Gerade bei autistischen Kindern habe ich bislang die Erfahrung gemacht, dass die Mitschüler das Kind zwar akzeptieren, aber dennoch irgendwo das Bild des "Weirdos" in ihren Köpfen besteht und sie nicht aus freien Stücken den Kontakt zu besagtem Kind suchen, vlt. auch weil bezogen auf persönliche Interessen keine nennenswerten Schnittstellen bestehen.
    Besagte Förderklassen im Schulklassen können natürlich ein erster Schritt sein. Ich war selbst auf einer schulformbezogenen Gesamtschule mit einem Förderschulzweig Lernen und der Kontakt mit den Förderschülern war praktisch nicht vorhanden. Vlt. auch gerade deswegen hatten wir Gymnasiasten auch nicht gerade das beste Bild von Förderschülern im Kopf - das damalige Alter hat da nicht unbedingt geholfen, evtl. vorhandene Vorurteile abzubauen. Und auch hier hätte bei dem Einen oder Anderen wohl einfach kein Interesse bestanden, aktiv den Kontakt zu suchen, da die Interessen (und ehrlich gesagt die kognitiven Fähigkeiten) ein gutes Stück auseinanderliegen. Selbst als wir eine Zeit lang in der Sek I mit Hauptschülern in Religion beschult wurden, war es eher so, dass die Hauptschüler unter sich blieben und die Gymnasiasten unter sich (eine ehemalige Grundschulfreundin war unter den Hauptschülern, mit ihr hatte ich dann noch etwas Kontakt). Auch das zeigt, dass der Gemeinschaftsgedanke ab einem bestimmten Punkt schwierig zu initiieren ist und dass das manchmal auch nicht von den Beteiligten gewünscht ist (außer man erzwingt ist aufgrund einer gewissen Ideologie, aber ob das wiederum nicht mehr Schaden anrichtet als Vorteile?).

  • Zur "Ideologie" der Inklusion:


    Wie schon an anderer Stelle möchte ich auf die "handfesten" Interessen eines Staates hinweisen. So wie Familienpolitik nicht Kinder fördert aus Selbstzweck, weil Kinder etwas so schönes sind, so verhält es sich meines Erachtens auch mit der Inklusion. Diese ist kein Selbstzweck, weil es so schön ist, wenn Menschen mit Behinderung nicht ausgegrenzt sind, sondern weil auch diese eine Ressource sind.
    Auf dem Arbeitsmarkt der modernen bürgerlichen Gesellschaft konkurrieren Männer, Frauen, Weiße, Schwarze, Heteros, Homos, Behinderte, Nichtbehinderte, usw.
    Frühere Ausgrenzungen nach Geburt, Religion usw. sind für einen liberalen Arbeitsmarkt schlichtweg ein Hemmnis.

  • ...


    Oder lernt man am Gymnasium als Inklusionskind:

    • Wie benutze ich einen Bus, die S-Bahn, ... und kaufe dafür eine Fahrkarte?
    • Wie kaufe ich im Supermarkt ein?
    • Wie funktioniert das im Straßenverkehr so ganz grundsätzlich? Radfahren

    Es ging mir zwar mehr um Gesamtschulen, als um Inklusion aber noch mal für Außenstehende: der Großteil der Förderschüler ist auf Lernbehindertenschulen. Der Lehrplan IST ein runtergebrochener Hauptschullehrplan. Das ist für uns genauso frustrierend, wie für alle anderen Kollegen und die Schüler.


    Und meine Schüler sind selbständiger als mancher Gymnasiast in dem Alter. Sie sind viel häufiger(mit öffentlichen Verkehrsmitteln) in der Stadt unterwegs, kümmern sich früh um sich und die Geschwister, müssen mit wenig Geld auskommen. Denen muss keiner erklären, wie man überlebt.


    Wie man in unserer Gesellschaft überlebt, das müssen sie wissen. Ob man das in einer getrennten Extraschule ohne Therapie dafür mit "Bruchrechnen" und "Aufbau unserer Zellen"... lernt sei mal dahingestellt.

  • Zur "Ideologie" der Inklusion:


    Wie schon an anderer Stelle möchte ich auf die "handfesten" Interessen eines Staates hinweisen. So wie Familienpolitik nicht Kinder fördert aus Selbstzweck, weil Kinder etwas so schönes sind, so verhält es sich meines Erachtens auch mit der Inklusion. Diese ist kein Selbstzweck, weil es so schön ist, wenn Menschen mit Behinderung nicht ausgegrenzt sind, sondern weil auch diese eine Ressource sind.
    Auf dem Arbeitsmarkt der modernen bürgerlichen Gesellschaft konkurrieren Männer, Frauen, Weiße, Schwarze, Heteros, Homos, Behinderte, Nichtbehinderte, usw.
    Frühere Ausgrenzungen nach Geburt, Religion usw. sind für einen liberalen Arbeitsmarkt schlichtweg ein Hemmnis.


    Hallo Morse,


    wurden denn Kinder mit Behinderungen vor 2012 etwa nicht individuell und z.T. hoch spezialisiert an Förderschulen ausgebildet und wann immer möglich dem Arbeitsleben zugeführt?


    Hast du dir schon ein SBBZ (früher Sonderschule) angeschaut und mit den Leuten, die dort arbeiten, gesprochen? Mir hat das geholfen, viele Vorurteile über Bord zu werfen, die ich aus purer Unkenntnis hegte.


    der Buntflieger

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