Im Prinzip (!) funktioniert das ganz einfach: Man gibt den SuS einen Arbeitsauftrag und ein paar Termine für Prüfungen oder Abgabe irgendwelcher Dossiers etc. die sie erstellen sollen und schickt sie nach Hause zum selber machen. In der ersten Runde (ist jetzt auch schon wieder 2 Jahre her) haben wir es für meinen Geschmack aber ziemlich übertrieben und die SuS völlig krampfhaft wirklich ganz alleine gelassen. Das geht natürlich nicht, weil die ja selber lernen erst mal lernen müssen und obendrein stimmt es in dieser Extreme auch mit der Uni-Realität nicht überein. Wir Chemiker haben z. B. sehr viel Präsenzzeit im Labor und diversen Übungsgruppen, also ist man die meiste Zeit im Studium eigentlich gar nicht mal so sehr auf sich selbst gestellt. Aber Du weisst ja selbst, wie es wirklich ist an der Uni.
So war dann auch das Feedback unserer ersten Selbstlerner. Mathe und Schwerpunktfach Chemie (das war in dem Jahrgang ich) haben eindeutig am besten abgeschnitten, weil wir die SuS eben doch noch relativ eng beim selbst lernen begleitet haben. Bei mir wussten die SuS z. B. ganz genau zu welchen Zeiten sie mich erreichen können um Fragen zu stellen, in anderen Fächern hatten sie ihre Selbstlern-Zeiten im Stundenplan völlig asynchron zu den entsprechenden Fachlehrpersonen eingetragen. Mittlerweile ist es in allen Selbstlern-Fächern (es sind 5 an der Zahl - Mathe, Deutsch, Englisch, Französisch und das Schwerpunktfach) so, dass die Selbstlern-Zeiten der SuS mit den Stundenplänen der Fachlehrpersonen synchronisiert sind. Die SuS können sich also ihre Zeit selbst einteilen, d. h. sie können auch nach Hause gehen oder während der Selbstlern-Zeit für Chemie für ein anderes Fach was machen, ich bin aber trotzdem da, wenn einer Hilfe braucht. Etwa 80 % der SuS packen das ganz gut und finden es auch richtig toll, dass sie einfach mal nach ihrem eigenen Rhythmus arbeiten können. Die restlichen 20 % darf man auf keinen Fall übersehen und muss entsprechend intervenieren.
Die grösste Herausforderung für uns Lehrpersonen ist dabei, dass man das Arbeitsmaterial extrem gut vorbereiten muss, damit die SuS damit auch wirklich komplett selbständig arbeiten können. Dann muss man das ganze Semester im Kopf sehr genau durchdenken und im Hintergrund möglichst subtil die Selbständigkeit der SuS irgendwie lenken. Einigen Kolleginnen und Kollegen ist es in der ersten Runde ziemlich schwer gefallen einfach mal wirklich loszulassen und sich während der Selbstlern-Zeit produktiv anderweitig zu beschäftigen. Das Selbstlernsemester verändert eben auch sehr stark den Arbeitsrhythmus auf Seiten der Lehrperson. Schwierig war es in der ersten Runde auch mit den Fremdsprachen, da war nach dem Selbstlernsemester eindeutig eine Verschlechterung der Sprechkompetenz der SuS festzustellen. Frag mich jetzt nicht, wie die das unterdessen gelöst haben, aber es scheint jetzt irgendwie besser zu laufen. Ich muss mich da bei Gelegenheit echt mal wieder mit einem Sprach-Kollegen unterhalten.
Wenn ich es richtig im Kopf habe, werden die ersten 5 Jahrgänge unserer Selbstlerner an der Uni Basel weiter begleitet und müssen irgendwann Fragebögen ausfüllen um entsprechende Rückschlüsse auf die Qualität unseres Konzepts ziehen zu können. Ich erwarte eigentlich, dass sich beim ersten Jahrgang noch kein besonders positiver Effekt zeigt. Ich mache jetzt das zweite mal mit und gebe völlig andere Arbeitsaufträge als beim ersten mal aus. Ich glaube, dass ich jetzt besser vorbereitet bin und ich finde, dass auch die Stimmung in den Klassen jetzt viel besser ist. Viele Kolleginnen und Kollegen haben auch gelernt, dass es sinnvoll ist, die SuS mit kleineren freien Arbeitsaufträgen bereits in den ersten beiden Jahren am Gym aufs Selbstlernsemester vorzubereiten. Ich würde mir sogar wünschen, dass wir das ganze Konzept ausweiten und nicht nur auf ein Semester beschränken. Ich glaube, ich hab's hier auch schon ein oder zweimal verlinkt:
https://www.gbbasel.ch/schule-2/gbplus
Das Gymnasium Bäumlihof in Basel bietet den Selbstlern-Modus eben die kompletten 4 Jahre an und die Resonanz darauf ist extrem positiv. Durch meine Arbeit als Ressort-Delegierte fürs Schwerpunktfach Chemie habe ich die Leute dort auch ein bisschen kennengelernt und kann jetzt nicht behaupten, dass die weniger Arbeit hätten, nur weil die SuS dort sehr viel selbständig wurschteln.