Seiteneinstieg Grundschule - Erste Erfahrungen

  • Es geht mir ehrlich gesagt aehnlich. Ich habe "offenen Unterricht" fuer meine Klasse jetzt erst einmal ausgesetzt. Ich habe hospitiert bevor ich die Klasse uebernommen habe. Die waren dabei zwar nicht laut, aber unkonzentriert und mehrheitlich erfolglos. Einige sind staendig aus der Klasse gerannt, haben in den Toiletten Unsinn gemacht oder den ganzen Tag gespielt.
    Im Vergleich zu meinen Schuelern in England sind sie sehr hinterher. Deutsch unterrichte ich derzeit nicht, aber was ich bisher so an Lese- und Schreibleistung von meinen 3ern und 4ern gesehen habe war ziemlich ernuechternd. In Mathe geht es mir aehnlich, aber da machen wir langsam Fortschritte.


    Der sogenannte offene Unterricht wurde in meiner Ausbildungszeit gerade populär bzw. Hochschuldozenten, die vermutlich nie selbst vor einer Klasse standen, propagierten ihn. Ich behaupte mal, 90% der Studenten schüttelten nur ihren Kopf und fanden das alles absurd. (Kann auch eine spezielle Ost-Sichtweise gewesen sein, denn da soll es ja heute noch Unterschiede geben.)


    Ich erlebe offenen Unterricht an unserer Schule auch eher chaotisch, aber die Kollegen, die ihn praktizieren, finden ihn nicht chaotisch. Die nennen das "produktive Unruhe". Da stecken also irgendwie auch ganz grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen dahinter, was guter Unterricht sei. Ich finde, da muss man eben auf die Ergebnisse schauen.


    Mit welchen Ergebnissen (Lesen, Schreiben, Rechnen) verließen die Grundschüler früher die Grundschule, als eher nach anderen Methoden unterrichtet wurde, und mit welchen Ergebnissen verlassen sie heute die Grundschule, wo eher nach neueren Methoden unterrichtet wird? Dazu gibt es ja etliche Untersuchungen, Studien, Artikel. Aber natürlich kann auch das bestritten werden. Da sind dann eben die Eltern schuld oder das Computerzeitalter oder oder oder ...

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

  • Eine Kollegin bei uns arbeitete vor ihrem Umzug an einer russischen Schule. Die sagt oft, das Einzige, was die Kinder dort während des Unterrichts machen durften, war atmen. Also es geht da schon anders zu und in Russland ist es vielleicht immer noch so.


    (Ihr gefiel das natürlich nicht. Sie mag eher die "produktive Unruhe".)

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

  • Alles fake und ich hab´s nicht drauf. Genau. Du hast den Durchblick. Kinder in Russland lernen im Kindergarten in der Regel bis 100 zu rechnen, nicht bis 1000. Aber das haben auch so einige in der 3. Klasse hier nicht drauf.
    Und meine persönliche Unterrichtspräferenz hat weniger mit meinen Fähigkeiten zu tun als mit der Atmosphäre, welche ich in meinem Klassenraum haben möchte. Hauptsache, du läßt erst mal einen vom Stapel, du Held.


    Ich dachte eigentlich, dass man nach PISA begonnen hatte, deutschlandweit Kinder in Kindergärten nicht mehr nur zu betreuen und den ganzen Tag spielen zu lassen, sondern spätestens im letzten Kindergartenjahr schon ein bisschen auf die Schule vorzubereiten (Stichwort frühkindliche Bildung).


    Doch nicht ?

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

  • Aber was ist denn Bildung? Einen Stift richtig halten und Muster malen oder Buchstaben schreiben?
    Wissen aus dem Sachkundeunterricht oder Experimente, die gerade zu (den Jahreszeiten) passen wie Färben mit Essen?
    Bücher vorgelesen bekommen oder selbst lesen?

    Only Robinson Crusoe had everything done by Friday.

  • Ich dachte eigentlich, dass man nach PISA begonnen hatte, deutschlandweit Kinder in Kindergärten nicht mehr nur zu betreuen und den ganzen Tag spielen zu lassen, sondern spätestens im letzten Kindergartenjahr schon ein bisschen auf die Schule vorzubereiten (Stichwort frühkindliche Bildung).


    Doch nicht ?

    Frühkindluche Bildung ist NICHT Zahlen und Buchstaben lernen.


    Sagen dir Vorläufer-Fertigkeiten etwas?
    Angemessenes Sozialerhalten, agieren in der Gruppe, Stifthaltung, Konzentration, Reime erkennen, Simultanerfassung von Mengen, Merkfähigkeit, Selbstsicherheit, zuhören, Selbständigkeit, sich organisieren etc.


    Google dir dochmal den Bildungs- und Erziehungsplan Hessen...

  • Frühkindluche Bildung ist NICHT Zahlen und Buchstaben lernen.
    Sagen dir Vorläufer-Fertigkeiten etwas?
    Angemessenes Sozialerhalten, agieren in der Gruppe, Stifthaltung, Konzentration, Reime erkennen, Simultanerfassung von Mengen, Merkfähigkeit, Selbstsicherheit, zuhören, Selbständigkeit, sich organisieren etc.


    Google dir dochmal den Bildungs- und Erziehungsplan Hessen...

    Dieser Thread ist scheinbar nicht mehr zu retten und zu einer Grundsatzdiskussion über Früherziehung mutiert...


    Schön, mag sein, daß per deutscher Definition Frühkindliche Bildung das Erlernen von Zahlen und Buchstaben keine Rolle spielt. Mich würde interessieren was eigentlich dagegen spricht? Ich sage nicht, daß in Rußland alles besser ist, sonst wäre ich wohl kaum hier, aber dieser Aspekt der Bildungspolitik ist besser. Das ist meine Meinung, die darf man kritisieren. Nur bitte nicht wieder persönlich werden oder mich zurück nach Rußland schicken. ;)

  • Vor allem kommen sie in die Schule, haben eine kreative Stifthaltung und schreiben die Zahlen spiegelverkehrt. Wenn schon etwas eingeübt wird, sollten die Erzieherinnen wenigstens darauf achten, dass sich nichts "Falsches" einprägt. Das bekommt man nur mühsam wieder weg.

  • Frühkindluche Bildung ist NICHT Zahlen und Buchstaben lernen.
    Sagen dir Vorläufer-Fertigkeiten etwas?
    Angemessenes Sozialerhalten, agieren in der Gruppe, Stifthaltung, Konzentration, Reime erkennen, Simultanerfassung von Mengen, Merkfähigkeit, Selbstsicherheit, zuhören, Selbständigkeit, sich organisieren etc.


    Google dir dochmal den Bildungs- und Erziehungsplan Hessen...


    Das finde ich genau richtig so. Das Schreiben, Lesen, Rechnen sollte der Grundschule vorbehalten bleiben. Die Kindergärten sollten lediglich in der von dir genannten Form, @Schmeili, darauf vorbereiten.

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

  • ... Wenn schon etwas eingeübt wird, sollten die Erzieherinnen wenigstens darauf achten, dass sich nichts "Falsches" einprägt. Das bekommt man nur mühsam wieder weg.

    Woher sollen sie es auch wissen? Wenn man fordert, dass im Kiga Anfangsunterricht stattfindet, müsste man ErzieherInnen selbstverständlich ein Lehramtsstudium angedeihen lassen.


    Aber Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Manche Kinder lesen mit 5, andere nicht- daran ändern Lehrer auch nichts.


    Ich weiß nicht, der Vergleich mit Russland oder eigenen Kindheitserinnerungen ist zwar ganz nett, aber als Hochschulabsolvent muss man von Alltagsbetrachtungen dann doch wegkommen. Grundschulpädagogik und -didaktik werden nicht umsonst an der Uni gelehrt.

  • Übrigens...Wenn ich so nen Quatsch wie "alle müssen aufstehen" in einem meiner Kurse am Gymnasium verlangen würde... die würden mich fragen was ich geraucht habe. Aber trotzdem - ich habe kaum "Störungen" im Unterricht, die SuS sind bei der Sache... das geht auch ohne solche autoritäre Zwangsmaßnahmen. Da reicht einfach konsequentes Auftreten und entsprechende Ausstrahlung.

    Ich glaube, damit erwischt man dich nur auf dem falschen Fuß. ;) Wenn es authentisch wirkt, wird so etwas recht schnell von Kindern akzeptiert. An dem Gymnasium, wo ich häufiger bin, machen die allermeisten Lehrer das und da meckert kein Schüler drüber. Je älter die Schüler, umso weniger wird es dort allerdings gemacht. Letztes Schuljahr mit neuer Klasse wollte ich das auch machen, aber ich habe gemerkt, das passt nicht zu mir. Man braucht es nicht, aber als vorgestrig-autoritär würde ich es nicht verschreien. Wenn's doch klappt ...

  • Der sogenannte offene Unterricht wurde in meiner Ausbildungszeit gerade populär bzw. Hochschuldozenten, die vermutlich nie selbst vor einer Klasse standen, propagierten ihn. Ich behaupte mal, 90% der Studenten schüttelten nur ihren Kopf und fanden das alles absurd. (Kann auch eine spezielle Ost-Sichtweise gewesen sein, denn da soll es ja heute noch Unterschiede geben.)


    Ich erlebe offenen Unterricht an unserer Schule auch eher chaotisch, aber die Kollegen, die ihn praktizieren, finden ihn nicht chaotisch. Die nennen das "produktive Unruhe". Da stecken also irgendwie auch ganz grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen dahinter, was guter Unterricht sei. Ich finde, da muss man eben auf die Ergebnisse schauen.

    Meine Hörgeräteträger sind kleine Lärmampeln, die auf zu hohe Lautstärke häufig empfindlich reagieren. Über die Lautstärke klagen viele meiner Schüler in den allgemeinen Schulen. Da kommt es wirklich drauf an, wie die Klasse so drauf ist oder wie dick die Knute ist, die die Lehrer drauf haben. Gute Klassen können im offenen Unterricht im Schnitt gute Ergebnisse erzielen, aber je schwächer die Klasse im Gesamten ist, umso unruhiger wird es und desto mehr leiden die Ergebnisse meiner Einschätzung nach. Ich sehe eigentlich immer einen Schüler in den Grundschulklassen, der in solchen Phasen viel Zeit mit Beobachten der Klassenkameraden verbringt statt zu arbeiten. Die sitzen dann oft am Rand oder mit dem Blick auf die Wand. Für mich macht es eine gute Mischung der Methoden.

  • .. .Ich sehe eigentlich immer einen Schüler in den Grundschulklassen, der in solchen Phasen viel Zeit mit Beobachten der Klassenkameraden verbringt statt zu arbeiten. Die sitzen dann oft am Rand oder mit dem Blick auf die Wand.

    Wenn du dieselben Kinder dann in frontaler Phase beobachtest, sind sie dann 45 min. konzentriert?


    Ich denke, in offenem Unterricht sieht man einfach wesentlich deutlicher, wie selbständig die Kinder schon arbeiten können.


    Die faszinierendste Freiarbeit sah ich an einer Förderschule für sozial-emotionale Extremfälle. Believe it or lass es, es war die am leichtesten zu unterrichtende Klasse im Haus.


    Ich finde es schade, dass offener Unterricht so einen schlechten Ruf hat, weil viele schlicht damit überfordert sind. Niemand muss und als Einsteiger ist es natürlich 1000 mal einfacher, frontal zu arbeiten. Es ist aber nicht generell besser oder lerneffizienter.

  • Ich finde es schade, dass offener Unterricht so einen schlechten Ruf hat, weil viele schlicht damit überfordert sind. Niemand muss und als Einsteiger ist es natürlich 1000 mal einfacher, frontal zu arbeiten. Es ist aber nicht generell besser oder lerneffizienter.

    Es gibt ja nicht nur "offen" oder "frontal". Ne gute Mischung an verschiedenen Lernformen, angepasst an die Klasse, den Lehrer und das Unterrichtsziel macht's.
    In meiner Klasse haben sie zwischen August und April nur stur in Einzelarbeit in ihren Arbeitsbuechern eine Seite nach der anderen abgearbeitet. Das nannte man dann "offenen Unterricht". Das Ergebnis? Einige hatten nicht mal die Haelfte des Buches geschafft, zwei von 8 Klassenarbeiten geschrieben (weil, die machten sie ja, wann sie wollten), staendig zwischen Heften gewechselt (mach ich mal zwei Aufgaben bei Addition/Subtraktion und hol mir dann mein Geometrieheft zum ein bissl malen...Multiplikation/Division mag ich nicht...). Nun habe ich mit einer Klasse zu kaempfen, der es schwer faellt Erklaerungen zu folgen, Klassenkameraden zuzuhoeren, eigene Gedankengaenge zu erklaeren, mit anderen gemeinsam etwas zu erarbeiten und generell Lernfortschritt damit gleich setzt, ob sie ueber drei Seiten den gleichen Aufgabentyp 50 Mal gemacht haben. Heftfuehrung ist miserabel, weil sie vorher nie in einem Matheheft gearbeitet haben (nur in ihren Arbeitsbuechern) und wenn wir etwas gemeinsam oder praktisch erarbeiten, kommt staendig: "Koennen wir jetzt in unseren Buechern arbeiten?" Dann soll man sich einzeln zu jedem Schueler setzen und die Aufgabenstellungen erklaeren, wenn man das in zwei Minuten abgehandelt haette, wenn sie denn mal zuhoeren wuerden.
    Aufgabenstellungen mit Zeit finden sie ganz schwierig, weil das ist ja stressig. Bei Arbeiten hatten sie es bisher, dass ihre alte KL sich dazu gesetzt und jede Aufgabe erklaert hat, bis sie die Antwort richtig hatten. Ich bin fast vom Stuhl gefallen.
    Gluecklicherweise gewoehne ich meinen 1ern das gar nicht erst so an.

  • Das finde ich genau richtig so. Das Schreiben, Lesen, Rechnen sollte der Grundschule vorbehalten bleiben. Die Kindergärten sollten lediglich in der von dir genannten Form, @Schmeili, darauf vorbereiten.

    In Ordnung, aber kannst du auch begründen, warum das der Grundschule vorbehalten sein sollte? Ich habe ja nun einmal gesehen, daß es in einem anderen Land klappt, und ich denke nicht, daß deutsche Kinder dümmer sind als russische. Wo liegt also der Sinn?

  • Wenn du dieselben Kinder dann in frontaler Phase beobachtest, sind sie dann 45 min. konzentriert?
    Ich denke, in offenem Unterricht sieht man einfach wesentlich deutlicher, wie selbständig die Kinder schon arbeiten können.


    Die faszinierendste Freiarbeit sah ich an einer Förderschule für sozial-emotionale Extremfälle. Believe it or lass es, es war die am leichtesten zu unterrichtende Klasse im Haus.


    Ich finde es schade, dass offener Unterricht so einen schlechten Ruf hat, weil viele schlicht damit überfordert sind. Niemand muss und als Einsteiger ist es natürlich 1000 mal einfacher, frontal zu arbeiten. Es ist aber nicht generell besser oder lerneffizienter.

    Ne, sie sind natürlich nicht die ganze Zeit konzentriert. Keine Unterrichtsmethode schafft das. Diese Kinder haben aber mehr Leitplanken in dem Unterricht, weil er er mehr durch die Lehrkraft getaktet ist und auch mehr in Interaktion mit der Lehrkraft erarbeitet wird. Das entspricht mehr ihren Bedürfnissen. Andere SuS können sehr selbstständig arbeiten und sich Sachen selbst erschließen, wodurch sie entsprechend durch diese Taktung ausgebremst werden. Deshalb macht es meiner Meinung nach die Mischung, damit beide Seiten zu ihrem Recht kommen.


    Ich sage auch nicht, dass offener Unterricht per se schlechter als Frontalunterricht ist (s.o.) - man muss eben bei beiden Methoden die Stellen kennen, wo es haken kann. Eine Klasse mit gutem Lernverhalten in der Freiarbeit kann Ausreißer stark disziplinieren. Sind es aber zu viele, kippt die Stimmung und kaum einer kommt gescheit voran. Da muss die Klasse mehr an diese Arbeitsform herangeführt werden. Da gibt es ja genug, was man machen kann: die Phasen vorerst kurz halten, verstärkte Reflexion des eigenen Lernverhaltens und allgemeine/einzelne Ziele formulieren, Lärmampeln, Hilfskarten (Begrenzung der Hilfe durch die Lehrkraft, um mehr gegenseitige Hilfe zu fördern), Token-Systeme usw.
    Mich nervt vor allem, wie das in den letzten Jahren konnotiert wird - offener Unterricht: super, Differenzierung soooo einfach, kindzentriert, Antwort auf alles; Frontalunterricht: bäh, autoritär-veraltet, nur Gleichschritt-Marsch und keine Individualität möglich. Das stimmt ja beides nicht!

  • Klar, jeder hat da eine andere Meinung. Ich fand das russische System ganz gut, da es scheinbar funktioniert. Jedem das Seine.

    Vor einigen Jahren gab es an unserer Schule unserer Erwachsenenbildung noch eigens eingerichtete Lerngruppen für Russlanddeutsche, in denen ich unterrichtet habe. Die waren auf eine Art und Weise schulisch sozialisiert, die völlig mit meinen pädagogischen Vorstellungen von der Bildungsarbeit mit Erwachsenen kollidierte. Diese Lerner brachten nämlich eine antagonistische Vorstellung von Unterricht mit, mit einer Vorstellung von Zwang und Kontrolle und einem Rollenverständnis, bei dem es die Aufgabe des Lehrers war, mit militärischer Disziplin zu agieren, und die Aufgabe der Lerngruppe, diese Disziplin und Aufsicht möglichst geschickt zu unterwandern. Dieser Haltung habe ich mich aus guten Gründen immer verweigert, was seitens der Lerner regelmäßig als Schwäche fehlinterpretiert wurde. Viele gute Lerngelegenheiten gingen so verloren, die aber genau so wenig möglich gewesen wären, hätte ich die Erwartungen an die Schule nach "russischem Modell" erfüllt.


    Nein. Weder finde ich das russische System gut, noch kann ich erkennen, dass es funktioniert. Zumindest nicht, was meine Vorstellungen von Bildung und Persönlichkeitsentwicklung angeht. Die jetzige russische Gesellschaft mit ihrer kultischen Verehrung des Machismo und ihrem Bedürfnis nach dem "starken Mann an der Spitze" kommt ja nicht von irgendwoher.

  • Oh, das klingt aber teilweise schon "sehr lange her".


    Oder ist das alles nur Ironie?


    PS: Übrigens glaubte man in alter Zeit (sehr alter Zeit), dass die Ohren Sitz des Gedächtnisses seien und deshalb zog man Kindern an den Ohren, damit sie sich etwas besser merken und sicherlich kommt auch der Spruch daher: sich etwas hinter die Ohren schreiben.

    Ich glaube, die tatsächliche Erklärung ist, dass man schon vor sehr langer Zeit erkannt hat, dass Ohren empfindlich sind und das Ohrenziehen deswegen gut geeignet ist, Kinder durch Schmerzen gefügig zu machen. Hört sich für mich realistischer an, als so eine mythologisierende Erklärung.


    Ich bin in meiner Grundschulzeit Ende der 70er in einem norddeutschen Dorf allerdings auch noch ab und zu an den Ohren gezogen worden. Man darf nicht vergessen, dass körperliche Gewalt als Mittel der Erziehung erst seit sehr kurzer Zeit in unserer Gesellschaft verpönt ist. Das Recht der Eltern, Kinder durch Prügel zu züchtigen wurde erst 2000 abgeschafft und ich kann mich an die öffentliche Diskussion in den 80er erinnern, als so ein Verbot als völlig unverhältnismäßiger und abstruser Eingriff in die Elternrechte abgelehnt wurde.

  • In Ordnung, aber kannst du auch begründen, warum das der Grundschule vorbehalten sein sollte? Ich habe ja nun einmal gesehen, daß es in einem anderen Land klappt, und ich denke nicht, daß deutsche Kinder dümmer sind als russische. Wo liegt also der Sinn?

    Weil du Kinder früher einschulen müsstest. Wenn du behauptest, Erzieher könnten deine Arbeit genauso adäquat erledigen, machst du definitiv was falsch.

  • Wenn SuS meinen Chemieunterricht verlassen, dann können alle zumindest basale Dinge der Chemie. Klar gibt es auch welche, die trotz meiner Bemühungen sehr wenig mitnehmen. Das ist aber immer noch gefühlt zehntausend mal mehr, als sie anscheinend aus der frühkindlichen Förderung mitnehmen.
    Selbst die allerwichtigsten Dinge wie still sitzen, nicht reden, wenn jemand anderes redet, warten bis man dran ist, nicht schreien / den Lautstärkepegel unten lassen wird nicht ausreichend genug vermittelt. Ich stelle mal die steile These auf, dass diese Dinge gar nicht trainiert werden, und auch von den darauf folgenden Grundschulen nicht.
    Wie sehen eure speziellen Übungen dafür aus?
    Wenn ich von Mashkin höre, dass an deutschen Grundschulen ein riesiger Lautstärkepegel herrscht bei offenen Arbeiten dann möchte ich innerlich den Kopf gegen die Wand schlagen. Da muss sofort die offene Arbeit abgebrochen werden und durch eine Übung zum Thema "leise arbeiten" stattfinden.
    Ich will von der Grundschule und von der Vorschule gar nicht, dass die bereits irgendwelche naturwissenschaftlich angehauchten Experimente machen. Ich kann sehr gut damit leben, wenn SuS da durchaus Dinge einfach nicht gemacht haben an der Grundschule.
    Aber was sitzen muss: Konzentrationsfähigkeit, stilles arbeiten, kommunikatives Arbeiten bei strengster Einhaltung des Geräuschpegels. Es gibt so Kinder, ja, die können das und die sind dann beschulbar. Ein Großteil müsste erstmal zurück zu den Basics.
    Mir kommt das so vor, als würden diese Basics gar nicht gezielt unterrichtet. Bitte nennt mir konkrete Unterrichtseinheiten zum Arbeitsverhalten, wie unterrichtet ihr diese basics? Macht ihr das überhaupt? Wenn ich Mashkin höre, dann wird so getan als würde man an Grundschulen Fachinhalte unterrichten, bevor die Grundlagen unterrichtet werden.


    Das ist so, als würde ich in meinem Chemie-Anfangsunterricht damit beginnen Reaktionsmechanismen zu unterrichten, obwohl da jegliche Grundlage im Atombau etc. fehlt. So wirkt Grundschule auf mich: Es werden offene Unterrichtsformen zu inhaltlichen Dingen gemacht, obwohl das still Sitzen und disziplinierte Arbeiten als Voraussetzung gar nicht ausreichend vermittelt wurde. Mehr will ich eigentlich gar nicht, lasst bitte irgendwelche Experimente in Sachkunde weg, aber bringt denen die Grundlagen dabei. Ihr seid die Grundschule. Ich komm am Gymnasium auch nicht auf die Idee Atombau und Reaktionsgleichungen im Unterricht zu überspringen, weil es als chic gilt gleich die anspruchsvollen Sachen zu machen. Im Gegenteil, ich muss sehr viel Zeit mit diesen Basics verbringen. Sonst kommen die SuS an die Uni und wollen Chemie studieren und die Dozenten regen sich tierisch auf, dass die Grundlagen fehlen und niemand das kann, was er eigentlich sollte.
    Die würden mir auch sagen "Herrschaftszeiten, Frau X, lassen Sie verdammt nochmal den Jahn-Teller-Effekt bei Komplexen weg, bringen Sie ihnen verdammt noch einmal überhaupt erstmal bei, was ein Atom ist und wie man stöchiometrische Reaktionsgleichungen aufstellt." Und recht hätte die Person.


    Es kommt einem manchmal so vor, als wenn "die Grundschule" (also die aktuelle Strömung der Grundschuldidaktik) da nach den Sternen greift und ach so tolle Dinge (offener Unterricht, tolle naturwissenschaftliche Experimente, neue Medien) machen möchte, aber sich zu schade ist die Schüler dazu zu bringen konzentriert arbeiten, lange still sitzen, auswendig lernen usw. zu können.
    Vielleicht macht man sich bei Eltern und Schülern unbeliebt, wenn man diese Grundlagen old school vermittelt? So jemanden wie Mashkin mit russischem Einschlag würde ich mir extrem mehr wünschen.
    Und das Gejammer von wegen "die sind gedrillt und dann nicht mehr so kreativ" will ich gar nicht hören. Ich habe 1000x lieber disziplinierte Schüler, denn wenn diese Grundlagen stimmen, kann ich mit meinen tollen Experimenten in Chemie usw. locker Motivation wecken. Auf Kreativität (vor allem im Verhalten) lege ich weniger Wert als auf Disziplin.
    Aber den Grundschülern erstmal das Arbeiten beibringen ist nicht chic, oder? Da kann man nicht eine tolle Ausstellung machen und den Eltern zeigen "ohhh wir batiken T-Shirts in bunten Farben", was dann vermutlich so ablief, dass bei lautem Rumgeschreie und wildem Herumgerenne (ich glaube Mashkins Bericht da sehr) herumgepanscht wurde. Auch würden die Kinder zuhause nicht erzählen, wie lustig das in der Schule ist (ja, macht ja auch Spaß in Farben herumzupanschen und ausgelassen zu sein), sondern von der strengen Lehrerin zuhause erzählen, nicht? Ich hatte eine sehr strenge, alte Grundschullehrerin auf einem Dorf und ganz ehrlich, ich bin trotzdem gerne zur Schule geangen. Sie war extrem streng und hat aber für Ordnung gesorgt so,dass die verhaltenskreativen Kinder ganz schnell auf Spur kamen. Es wurde immer sichergestellt, dass die Lernwilligen lernen konnten.
    Ich meine ich sehe es auch am Gymnasium, es gibt KuK wie ich, die die Schüler auch mal durch Übungen zum Aufstellen von Verhältnisformeln bei Ionenverbindungen "quälen" (wobei das vielen auch Spaß macht, weil es logisch ist) bis es eben sitzt! Eine Kollegin haben wir, die zeigt immer ganz viele youtube Videos von Brainiac wo alles spektakulär ist. Klar lieben ihre Schüler Chemie. Wenn man die aber übernimmt stellt man fest, sie können fast nichts.
    Ich könnte es mir auch einfach machen und spektakuläre Experimente zeigen und auch selber machen lassen, dann würden die zuhause alle erzählen wieeeeee toll Chemie ist. (Ja, Wollsocken, bei Dir erzählen die das ja auch so trotz fachlicher Tiefe, wir wissen es!)
    Aber es ist sinnvoller das so zu machen wie ich, diese Highlights mal (!) einzusetzen und zwar dann, wenn man sichergestellt hat, dass die nüchternen (!) Grundlagen sitzen.

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