Erfahrungen an der Berufsschule

  • Hallo,


    ich habe ein Angebot für eine Stelle an einer Berufsschule bekommen. Ich würde vornehmlich Sozialpädagogik bei Heilerziehern im vierten Lehrjahr unterrichten. Englisch ist mein Zweitfach. der weitere Einsatz ist noch nicht ganz geklärt. Nun wollte ich mal in der Runde um Erfahrungen im Berufsschulalltag bitten. Ich habe damals nach dem Ref ein Praktikum an einer BS gemacht (habe Sek II an Gym/Ges eigentlich) und da gab es ein sehr geteiltes Echo meinerseits. Denn ich konnte damals neben den normalen Standardunterrichtssituationen auch Klassen beobachten, in denen es drunter und drüber geht. Eine Freundin von mir ist seit einigen Jahren an einer BS und ist sehr glücklich dort. Welche Erfahrungen könnt ihr teilen?

  • Ich kann Dir mal aufzählen, was für mich am Anfang unerwartet/überraschend/gewöhnungsbedürftig war. Ob das dan positiv oder negativ ist, musst Du selbst entscheiden, man kann vieles wohl auf beide Weisen sehen.


    Wie üblich gilt: Das sind nur meine Erfahrungen, grad alles was mit Seminar/Ministerialvorgaben zu tun hat, scheint in anderen Ländern doch ganz schön anders zu sein.


    Also:


    Organisatorisches:
    - Es gibt nicht "die Berufsschule". Stattdessen gibt es Berufsbildende Schulen (in anderen Ländern Berufskollegs oder ähnlich), in denen je nach konkreter Schule die Berufsschule, Teilzeitgymnasium, Vollzeitgymnasium mit beruflichem Schwerpunkt, Fachschule (Techniker), Vorbereitungsjahre uvm. vereint sind.
    - Das führt zum Teil zu Abend- oder Wochenendunterricht.
    - Durch entweder Blockunterricht oder ein-zwei-Tage pro Woche hat man u.U. unregelmäßige Stundenpläne. So nach dem Motto "ungerade Woche: 34 Stunden; gerade Woche: 14 Stunden und zwei komplette Tage frei". Bei Block kann's noch krasser sein.


    Kollegium:
    - Es gibt sehr wenige "klassische" Lehrer im Fachunterricht. Die meisten sind Quereinsteiger, und auch die normalen Lehramtsstudenten haben meist vorher zumindest eine Ausbildung in der Richtung absolviert.
    - Zumindest im Vergleich mit den Allgemeinbildnern am Gymnasium (das ist das einzige, was ich direkt vor augen hab), scheint mir deshalb das Kollegium ein bisschen "geerdeter" zu sein. Zumindest den gröbsten Quatsch, der unseren Referendaren erzählt wird, oder der von oben aufgedrückt wird, können wir deshalb auch ganz gut abfedern, weil wir größtenteils "die Realität" kennen.


    Schülerschaft/Eltern/Betriebe:
    - Die Schülerschaft ist völlig gemischt, je nach Schulform. Die in der klassischen Berufsschule benehmen sich m.E. ganz brauchbar (und erstaunlicherweise jedes Jahr besser), bringen aber quasi null Voraussetzungen mit. In den Vorbereitungsjahren kenn ich mich nicht so aus, aber das scheint mehr Sozialarbeit zu sein. Die höheren Klassen (Abendabi, Techniker) sind super-motiviert, da gehört auch ne Menge Durchhaltevermögen dazu.
    - Es gibt quasi keinen Kontakt mit den Eltern außer vereinzelt im ersten Lehrjahr. Auch hier gilt: In den Vorbereitungsklassen wird das anders sein.
    - Dafür hast Du viel mit Betrieben zu tun. Vor allem, wenn's mal nicht so läuft. Die Betriebe stehen aber mehrheitlich hinter uns.
    - Durch den fehlenden Elternkontakt und das duale System haben wir absolut KEINE öffentliche Lobby. Wir tauchen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht auf. Führt einerseits dazu, dass wir nicht so stark dauerreformiert werden wie andere, andererseits verfallen die Gebäude, und es interessiert kein Schwein.



    Ich glaub, das langt erstmal :)


    Ah doch, eins noch: Von "Ich würde vornehmlich Sozialpädagogik bei Heilerziehern im vierten Lehrjahr unterrichten." würde ich mich verabschieden. Das mag anfangs so sein, sobald anderswo mehr Bedfarf ist, weil eine Klasse wegbricht oder - wie bei uns zweimal hintereinander geschehen - die Betriebe mal unerwartet 60 Leute ,mehr einstellen, landet man normal da, womit man nie gerechnet hätte. Mir wurde am Anfang gesagt "Sie übernehmen die komplette Regelungstechnik in den Industrieklassen". Jetzt unterrichte ich vor allem Gebäudeelektrik im Handwerk... und liebe es :)



    Gruß,
    DpB

  • Es hängt halt immer von der Ausrichtung, dem Ort und den vorhandenen Bildungsgängen ab.


    Ich habe mich bewusst im Studium für BK entschieden und bin verdammt glücklich darüber. Ich habe einige Kollegen die ihr Ref am Gym oder GS gemacht haben und danach am BK gelandet sind und alle sind froh darüber und bereuen den Wechsel nicht, im Gegenteil sogar.
    Zumindest am technischen BK finde ich das Klima deutlich entspannter. Also auch unter Kollegen!


    Aber ich persönlich käme auch mit 13-jährigen pubertierenden Mädchen nicht so gut klar, da sind mir junge Erwachsene um einiges lieber.


    Drunter und Drüber kann es in jeder Klassenstufe gehen.

  • Ich habe zwar noch nicht unterrichtet, habe aber eine Ausbildung an einer Fachakademie für Sozialpädagogik vor 2 Jahren abgeschlossen, also dein zukünftiges Klientel.


    Die Schülerschaft ist sehr unterschiedlich, wie bereits DaPaelzerBu beschrieben hat wir hatten:


    - Leute mit vorheriger fachfremder Berufsausbildung, nach der mittleren Reife an einer Realschule oder Quali an einer HS
    - Leute mit Hochschulreife
    - Leute mit Fachhochschulreife
    - Mütter die durch Erziehungszeiten reingekommen sind


    Was mir besonders bei Sozialpädagogik und Englisch aufgefallen ist, war folgendes:


    Bei Sozialpädagogischen Fächern, hier am Meisten das Hauptfach PP (Pädagogik/Psychologie) haben viele Leute die Aufgabenformen nicht verstanden und eher alltagspsychologisch argumentiert (meistens die Leute ohne Hochschulreife)


    In Englisch waren generell einige sehr schwach und hatten selbst Probleme damit für einen Vokabeltest (von ca. 30 Vokabeln) angemessen zu lernen und nicht eine 4 oder 5 zu bekommen (meistens die Leute ohne Hochschulreife)


    Zudem (auch meistens die Leute ohne Hochschulreife) gab es kurz nach der Ausgabe von Klausuren in beiden Fächern Diskussionen à la "HÄÄ?? Herr Y/Frau X ich hab das doch genau so geschrieben wie Sie es jetzt gerade erklären??" => natürlich offensichtlich nicht


    Dann um auch die Probleme unter meiner Gruppe (derjenigen mit Hochschulreife) zu erwähnen:


    - Unterforderung besonders in Englisch
    - Wir haben uns "einigermaßen" unauffällig untereinander beschäftigt, manche wollten sich befreien lassen von Englisch, Deutsch, Sozialkunde und Religion aber das ging bei uns nicht
    - Ein kleiner Teil der Abiturienten waren bei dem Lehrer in Sozialpädagogik so faul, dass sie Referate nicht ordentlich vorbereitet haben (Nach dem Motto "Ich habe Abitur, es ist eh alles zu einfach, ich referiere einfach irgendwie") und haben dann zurecht Kritik erhalten aber damit nicht gut umgehen können


    Alles in einem war es trotzdem eine angenehme Klasse mit teilweise guter Mitarbeit. Wünsch dir dort einen guten Start :)


    PS.: In parallel Klassen gab es manchmal Ausschreitungen unter den teilweise jungen Mädchen (mit schwierigen sozialem Hintergrund bzw. Verhaltensweisen) mit denen man als Lehrer umgehen muss bzw. unterbinden muss. Sowas wie Mobbing und teilweise offenes Angreifen und Beleidigen.

  • Wow! Ich bin begeistert, dass ich schon so viele Erfahrungsbeiträge bekommen habe. DANKE!!!


    Der Standort ist folgendermaßen betitelt:
    Fachschule Sozialwesen und Höhere Berufsfachschule Sozialwesen





    Ja, es geht auch um die generelle Struktur, da diese ja total anders ist, als ich es kenne. Wie ist das mit der Zusammenarbeit mit den Betrieben? Ich habe bisher Betriebspraktika in Klassen 8 und 9 betreut. Kann ich mir das so in etwa vorstellen?


    Und so wie ich euch verstanden habe, heißt das, dass ich jedes Schuljahr woanders eingesetzt werden könnte, aber nach Fachrichtung wenigstens?


    Achso, und ist der Einsatz an dieser Schulart zukunftsträchtig?

  • Ich bin zu doof zum abschnittweisen zitieren, drum mach ich's ohne Zitat...


    - Fachschule ist das, was im Handwerk die "Techniker" sind. Das sind Erwachsene mit abgeschlossener Ausbildung, quasi die Weiterbildung nach der Berufsschule. Kann sowohl Teilzeit (dann abends oder Samstags) als auch Vollzeit sein.


    - HBF ist bei uns in Rheinland-Pfalz eine rein schulische Ausbildung, die mit der Fachhochschulreife abschließt. Das kann aber in anderen Bundesländern anders sein, ich glaube außer Berufsschule und Fachschule (das ist ein staatlicher Abschluss) sind die Bezeichnungen nicht einheitlich.


    - Zusammenarbeit mit den Betrieben heißt bei uns in der normalen Berufsschule vor allem, ständig Fehlzeiten zu melden, bei schlechten Leistungsständen anzurufen und mit dem Betrieb auszumachen, was man ändert (Klasse wiederholen, Nachhilfe, Abmahnung wg. Fehlzeiten, etc.). In Vollzeitschulformen wie der HBF dürfte das tatsächlich vor allem auf Praktikumsbetreuung rauslaufen.


    - Einsatz ist generell überall möglich innerhalb Deines Fachs (nicht dort innerhalb der Fachrichtung). Natürlich wird ein einigermaßen kluger planer versuchen, die Leute ein bisschen entsprechend ihrer Vorlieben einzusetzen, ich hab bspw. auch mal gefleht "alles, bloß keine Motoren". WENN nun aber im Motorenbereich dringender Bedarf wäre, würd ich da natürlich auch landen können.
    In ganz extremen Fällen geht übrigens auch fachfremd/fachverwandt. Wir haben Metaller, die ET unterrichten, und andersrum. Gibt ja auch "Mischberufe".
    Und bei seeeeeeehr extremem Mangel gehen dann auch noch so Scherze wie "die Deutschlehrer machen Sozialkunde, weil die Sozialkundelehrer alle ein berufliches Erst-Mangelfach haben".
    Berufsbildende Schule ist also wirklich ein nettes Überraschungsei, was den Einsatz angeht :)

  • Der Standort ist folgendermaßen betitelt:
    Fachschule Sozialwesen und Höhere Berufsfachschule Sozialwesen


    Ja, es geht auch um die generelle Struktur, da diese ja total anders ist, als ich es kenne. Wie ist das mit der Zusammenarbeit mit den Betrieben? Ich habe bisher Betriebspraktika in Klassen 8 und 9 betreut. Kann ich mir das so in etwa vorstellen?

    Ich weiß nicht wie es in deinem Bundesland ist, aber bei uns in Bayern kooperierst du schon stark mit den Anleitern der jeweiligen Einrichtungen deiner Schüler. Diese sind dafür zuständig deine Schüler anzuleiten. In anderen Berufsbereichen werden sie Ausbilder genannt, im sozialen Bereich (in Bayern aufjedenfall) Anleiter/innen. Zudem musst du sehr wahrscheinlich Praxisbesuche abnehmen und das gezeigte Angebot benoten. In Bayern gibt es zudem noch Fachlehrerinnen für Sozialpädagogik, wenn du so welche an deiner Schule hast, übernehmen die meistens die Praxisbesuche. Nur hat das nicht jede Schule und ich glaube auch nicht jedes Bundesland.



    Der Standort ist folgendermaßen betitelt:
    Fachschule Sozialwesen und Höhere Berufsfachschule Sozialwesen


    Und so wie ich euch verstanden habe, heißt das, dass ich jedes Schuljahr woanders eingesetzt werden könnte, aber nach Fachrichtung wenigstens?


    Achso, und ist der Einsatz an dieser Schulart zukunftsträchtig?


    Bei uns in Bayern wäre das die Berufsfachschule für Kinderpflege und die Fachakademie für Sozialpädagogik und an diesen Schularten könntest du mit der Fachrichtung Sozialpädagogik/Englisch in folgenden Fächern eingesetzt werden:


    - Pädagogik/Psychologie
    - Pädagogik/Psychologie/Heilpädagogik
    - Englisch
    - Sozialkunde (nur Berufsfachschule)
    - Mathematisch-naturwissenschaftliche Erziehung
    - Ökologisch-gesundheitliche Erziehung
    - Säuglingsbetreuung
    - Praxis- und Methodenlehre (falls keine Fachlehrerinnen Sozialpädagogik vorhanden sind)
    - Sozialpädagogische Praxis (falls keine Fachlehrerinnen Sozialpädagogik vorhanden sind)
    - Zusätzlicher Unterricht im jeweiligen Ausbildungsschwerpunkt, nach Alter gestaffelt, 0-6 Jährige oder 6-21 Jährige (falls keine Fachlehrerinnen Sozialpädagogik vorhanden sind)


    bei einer Fachakdemie für Heilpädagogik könnte das etwas anderes aussehen, da werden aber bei uns auch Lehrer mit der Fachrichtung Gesundheit eingesetzt.


    Und das in allen Jahrgangsstufen, in denen eben diese Fächer unterrichtet werden. So ist das aber eben in Bayern, da kocht jedes BL sein eigenes Süppchen.

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  • In ganz extremen Fällen geht übrigens auch fachfremd/fachverwandt. Wir haben Metaller, die ET unterrichten, und andersrum. Gibt ja auch "Mischberufe".
    Und bei seeeeeeehr extremem Mangel gehen dann auch noch so Scherze wie "die Deutschlehrer machen Sozialkunde, weil die Sozialkundelehrer alle ein berufliches Erst-Mangelfach haben".
    Berufsbildende Schule ist also wirklich ein nettes Überraschungsei, was den Einsatz angeht :)

    Das Extremste, was ich mal gesehen habe, war einer mit der Fachrichtung Metall und Zweitfach Physik der fachfremd Kunst an der Fachoberschule für die 12ten Klassen im sozialen Bereich unterrichtet hat :D

  • Ich komme erst jetzt dazu zu antworten, sorry. Danke nochmals! Ich bin unglaublich aufgeregt, weil diese Schulform doch anders ist als die für die minderjährigen Schüler. Habt ihr noch Tipps zum Start?? Montag ist das offizielle Vorstellungsgespräch.


    EDIT: Was mir eben noch einfiel, ich habe wegen der Unterrichtszeiten online nachgeschaut, da steht auf den Stundenplänen nur Montag bis Freitag. Da fiel mir ein Stein vom Herzen. Werden Berufsschullehrer eigentlich anders eingruppiert, oder sind die auch A13?

  • Also in NRW ist GymGes und Berufsschule, also Sek II A13Z (+Zulage / andere Laufbahn)


    Bei uns findet Samstags nur Unterricht für die Techniker statt. Die gibt es aber auch in der Abendform.


    minderjährige Schüler haben wir aber auch, aber eben erst ab 15 aufwärts.

  • Ich komme erst jetzt dazu zu antworten, sorry. Danke nochmals! Ich bin unglaublich aufgeregt, weil diese Schulform doch anders ist als die für die minderjährigen Schüler. Habt ihr noch Tipps zum Start?? Montag ist das offizielle Vorstellungsgespräch.


    ...

    Hör auf dein Bauchgefühl :) Wie sympathisch und ehrlich ist der Schulleiter? Darf man über Disziplinprobleme sprechen? Wie ist die Stimmung im Lehrerzimmer? Wirst du empfangen oder abgefertigt?


    Schau erstmal, ob dir der Laden zusagt ;)

  • Also ich kann über BBS fast nur gutes berichten, daher war diese Schulform für mich schon immer meine erste Wahl.
    Die schülerschaft unterscheidet sich je nach Bildungsgang immens. Egal was die SL sagt - einmal eingestellt, kannst bzw wirst du früher oder später überall landen. Diese Abwechslung finde ich für meinen Lehreralltag sehr auflockernd und reizvoll. Einerseits kann man sein pädagogisches Handwerk in aller Breite ausleben (von größtenteils unmotiviertem BVJ, die ein hohes Maß an erzieherischen Kompetenzen braucht, bis zu fachlich anspruchsvoller Fachschule, wo auch nochmal tieferes Fachwissen gefragt ist), andererseits helfen die vielen Wechsel auch dabei, Abstand zu gewinnen. Läuft es mal in einer Klasse nicht so rund, hat man noch etliche andere Klassen, in denen es besser läuft. Man kann auch mal etwas riskieren bzw. ausprobieren (zB ausgefallene Methoden) und wenns ein Griff ins Klo war, dann geht man in die nächste Klasse und keiner hats gesehen ;) überhaupt finde ich die Altersklasse sehr angenehm, da man dort wesentlich offener kommunizieren kann und Dinge direkt besprechen kann, da ein gewisses Maß an reflexionsvermögen vorhanden ist. Die Kollegien finde ich tendenziell angenehmer als an allgemeinbildenden Schulen, da der Großteil/alle auch Erfahrung außerhalb des Systems Schule hat und sich selbst weniger wichtig nehmen und auch mal über sich selbst lachen können. An allgemeinbildenden schulen habe ich schon häufig erlebt, dass da ein Kollege den anderen pädagogisch überbieten wollte und das eigene Lehrerhandeln als der Nabel der Welt betrachtet wurde. (Nicht bei allen, aber verglichen mit BBS schon häufig)

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