Darf eigentlich jeder unterrichten?

  • Was ist mit Medizinern? Arzt im Quereinstieg? Juristen? Richter mit Germanistenmaster und Crashkurs "angewandtes Jura"?


    Und schon wieder der vollkommen absurde und schlichtweg unzulässige Vergleich Lehrer vs Mediziner. Leute... So kompliziert ist unser Job wirklich nicht.


    Was mein Hausarzt kann, könnte ich im Quereinstieg auch. Im Zweifel: Überweisung zum Facharzt.
    Im Ernst: unser Beruf ist genau so kompliziert, dass man 4,5 Jahre studiert und 1,5 Jahre Praxisschulung durchläuft. Wenn ein Bundesland mehr Quereinsteiger, als Neueinsteiger einstellt muss man schon sehr genau beobachten was passiert.

    Ein Gedanke fehlt meistens völlig, wenn es thematisch in diese Richtung geht: Der Beruf des Lehrers ist zum einen von Vielseitigkeit geprägt, was das nötige Wissen, die Art der Aufgaben usw. angeht. Außerdem spielt die Persönlichkeit eine große Rolle. Sowohl in Bezug auf die Vielseitigkeit als auch auf den Stellenwert der Persönlichkeit sieht es bei Ärzten und Juristen anders aus. Allenfalls ein Allgemeinmediziner, der ganzheitlich denkt und arbeitet und auch als Psychotherapeut arbeitet, kommt da ran.


    Ganz oft werden in beiden Berufen wieder und wieder der gleiche Test oder die gleiche Behandlung durchgeführt oder wieder und wieder ganz ähnliche Verfahren durchlaufen. Bei manchen Fachärzten und Fachanwälten hat das fast schon bizarre Formen. Dafür sind der Facharzt und der Fachanwalt aber auch Spezialisten. Niemand wird die nötigen Kompetenzen erlangen außer durch das entsprechende Fachstudium, also Medizin oder Jura plus die entsprechenden Weiterbildungen. Deswegen ist es in diesen Berufen völlig unmöglich, dass Seiteneinsteiger gleichwertige Arbeit abliefern. Viele Kompetenzen des Lehrerberufs kann man sich dagegen auch woanders angeeignet haben.


    Die eigene Persönlichkeit spielt bei Medizinern und Juristen oft auch keine Rolle. Beim Arzt gerade dann, wenn er viel operiert. Beim Anwalt ist es ja in mancher Hinsicht sogar systemimmanent, das seine Person genau wie die seiner Klienten außen vor bleibt. Bei Lehrern dürfte die Bedeutung der eigenen Persönlichkeit dagegen außer Frage stehen. Vorausgesetzt, dass es da qualitativ keinen Unterschied zwischen Regelbewerbern und Seiteneinsteigern gibt, wäre das ein wichtiger Faktor für die Berufspraxis, auf den ein Lehrerausbildung keinen positiven Einfluss hat.

  • Ich sehe ehrlich gesagt keinen Grund, warum der OBASler dafür bestraft werden sollte, dass er ein hohes Risiko gegangen ist, indem er einen sicheren Job aufgegeben und dem Staat aus der Patsche geholfen hat.

    Wie kommst Du darauf, daß er vorher einen Job deswegen aufgegeben hat? Er hat einfach ein Dipl.-Zeugnis vorgelegt. Ich war leider so blöd ein 1. StaEx auf den Tisch zu legen. Ich hätte auf das 1. StaEx ein faules Ei setzen sollen und mich ebenfalls mit dem Dipl.-Zeugnis bewerben, ich habe ja beides.

  • Und dann hättest Du ein Bewerbungsgespräch führen und „gewinnen“ müssen und ebenso das Gespräch mit der Fachleitung. Den Referendariatsplatz hast Du ohne Bewerbungsgespräch bekommen; und auch ohne eine zweijährige Berufserfahrung.

  • (6) Es ist eine einschlägige fachpraktische Tätigkeit von zwölf Monaten Dauer nachzuweisen. Der überwiegende Teil der fachpraktischen Tätigkeit soll vor Abschluss des Studiums geleistet werden. Die fachpraktische Tätigkeit kann auch im Rahmen besonderer Praktika der Hochschulen erbracht werden. Das für Schulen zuständige Ministerium erlässt die näheren Bestimmungen.

    Das klingt für mich nach einem Jahrespraktikum und nicht nach zwei Jahren Vollzeitbeschäftigung. Oder übersehe ich noch etwas?

  • Fairerweise muss man Folgendes sagen (ist zumindest mein Wissensstand): Die zwei Jahre Berufserfahrung müssen erst bei Abschluss der OBAS nachgewiesen werden, so dass ein Seiteneinstieg möglich ist, ohne dass man zu Beginn er Ausbildung überhaupt schon gearbeitet hat. Die für die OBAS nötige Berufserfahrung wird dann erst mit ihr erworben ...


    EDIT: Allerdings finde ich dazu gerade nichts Näheres ... Es kann sein, dass ich was durcheinanderbringe und Fälle im Kopf habe, bei denen jemand die Pädagogische Einführung gemacht hat, auf diesem Weg Berufserfahrung gesammelt hat und dann die OBAS gemacht hat. Die PE ist in NRW ein Weg für Seiteneinsteiger, die einzelne Voraussetzungen nicht erfüllen, um mit Lehrern mit Staatsexamen plus Referendariat gleichgestellt zu werden. Bzw. an Grundschulen ist es der einzige Weg für Seiteneinsteiger.

    Einmal editiert, zuletzt von Th0r5ten ()

  • Trotz allem weißt du nicht, ob du überhaupt eingestellt worden wärest. Genauso wie jemand, der darauf setzt, dass er auf jeden Fall eine Stelle im quereinstieg findet und daher kein Lehramt studiert. Ds ist nämlich eine Menge richtiges Timing im Spiel.


    Würde man Refs einen Arbeitsplatz garantieren, müsste das Auswahlverfahren vorher durchlaufen werden. Somit würde nicht jeder einen Ref-Platz bekommen, sondern nur so viele, wie Planstellen da sind. Ob das besser ist, sei mal dahingestellt.


    Unterm Strich denke ich aber auch, dass die Lehrerausbildung dringend reformiert gehört. Aber das ist nicht das Problem der OBASler und ich hab auch keine Lust mir immer anzuhören, wie privilegiert ich war. Ich und meine Familie haben viel auf uns genommen, damit ich die fehlende Qualifikation aufholen kann und grundständigen Lehrern gleichgestellt bin.

  • Das klingt für mich nach einem Jahrespraktikum und nicht nach zwei Jahren Vollzeitbeschäftigung. Oder übersehe ich noch etwas?

    die Fachpraxis ist nicht mit der erforderlichen Berufserfahrung (NACH dem Studium!) gleichzusetzen. Ich müsste diese Fachpraxis auch für mein Studium vorweisen (Maschinenbau). Sie ist Voraussetzung für ein Studium.

  • Aber dann steigt natürlich automatisch die Fluktuation in dem Beruf, da viele unter diesen Bedingungen die Schulen nach kurzer Zeit wieder verlassen, denn sie haben ja eine Ausweichmöglichkeit.

    Das trifft hier bei uns definitiv nicht zu. Ich kenne aus meinem Umfeld genau eine Person, die sich nach wenigen Jahren aus dem Lehrerdasein wieder verabschiedet uns sich als Programmierer selbständig gemacht hat. Viel Fluktuation gibt es nur an Schulen, deren Schulleitung schlecht ist. Vielmehr läuft es hier so, dass diejenigen, die ins Lehramt gehen, diese Entscheidung sehr bewusst treffen. Für die allerwenigsten ist es eine Notlösung denn arbeitslose Akademiker gibt es in diesem Land praktisch nicht. Gerade letzteres mag natürlich in weniger wohlhabenden Ländern mit ähnlichen Systemen in der Lehrerausbildung anders sein. Faktisch ist es bei uns hier so, dass natürlich die Roche oder Novartis niemanden mehr einstellt, der mal 5 Jahre Lehrer war. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist die Berufswahl auch mit unserem System sehr wohl eine Einbahnstrasse. Der springende Punkt ist aber eben, dass sich ein 19jähriger Maturand nicht mit Aufnahme des Studiums schon aufs Lehramt festlegen muss, wie das bei euch ja der Fall ist.


    P. S.: Ich kann das mit dem "grundständigen Lehrer" bald nicht mehr lesen. Ehrlich ... verzichtet doch bitte auf diese Begrifflichkeit, sie ist diskriminierend. Jeder, der eine pädagogisch-didaktische Ausbildung gemacht hat (und zwar egal zu welchem Zeitpunkt!) und eine Lehrbefähigung für seine Fächer vorweisen kann ist Lehrer und damit basta.

  • ...verzichtet doch bitte auf diese Begrifflichkeit, sie ist diskriminierend. Jeder, der eine pädagogisch-didaktische Ausbildung gemacht hat (und zwar egal zu welchem Zeitpunkt!) und eine Lehrbefähigung für seine Fächer vorweisen kann ist Lehrer und damit basta.

    Die Situation von Chemikern in der Schweiz ist doch hier mal wieder gar nicht gefragt.


    Es geht darum, dass Deutschland einen eklatanten Lehrermangel hat und sich vielfach nicht richtig um die Ausbildung der Quereinsteiger kümmert. Was zur Folge hat, dass die Quereinsteiger eben NICHT ausgebildet sind, sondern erstmal ein Jahr ins kalte Wasser geworfen werden, worunter Unterricht, Quereinsteiger selbst und Kollegen leiden. Und zwar im großen Stil, lies dir doch mal die Zahlen durch, welcher Anteil quer einsteigt und was das real im Alltag bedeutet.


    Zudem begann der Thread nicht mit Seiteneinstieg, sondern dass meine Kinder von "irgendwem" vertreten werden. Und auch bei meiner Arbeitsstelle permanent Leute als Vertretung eingesetzt wurden, die nicht nur nicht wissen, wie man unterrichtet, sondetn gefährliche Situationen nicht im Griff hatten. (verhaltensauffällige Zweitklässler im dritten Stock auf der Fensterbank z.B.).


    Es geht nicht um einzelne Leute und wer wie gut unterrichtet und warum, sondern um die generelle Planung vom Kultus. Und ob Eltern ein Anrecht haben, zu erfahren, welcher Praktikant als nächstes den Wandertag zu den Klippen organisiert...


    Fühlt euch doch mal bitte ausnahmsweise nicht persönlich angegriffen und kommt von eurer Einzelsituation mit und ohne Scheitern in anderen Berufen weg, sondern guckt auf die bedenkliche Gesamtsituation.

  • Wie kommst Du darauf, daß er vorher einen Job deswegen aufgegeben hat? Er hat einfach ein Dipl.-Zeugnis vorgelegt. Ich war leider so blöd ein 1. StaEx auf den Tisch zu legen. Ich hätte auf das 1. StaEx ein faules Ei setzen sollen und mich ebenfalls mit dem Dipl.-Zeugnis bewerben, ich habe ja beides.

    Ich folgere das aus den folgenden Infos über die Voraussetzungen zur OBAS-Ausbildung:


    "An der berufsbegleitenden Ausbildung kann teilnehmen, wer
    [... ]
    2. eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit oder eine mindestens zweijährige Betreuung eines minderjährigen Kindes nach Abschluss des Hochschulstudiums nachweisen kann,
    [... ] "


    Quelle: https://www.schulministerium.n…neinstiegBeruf/index.html

  • "Zweijährige Berufstätigkeit" ist ja nicht gleichbedeutend mit "sicherer Job" (die zweite Formulierung hattest du oben benutzt). Biologen bekommen oft Projektverträge. Musiker, Programmierer oder Sportler bekommen meistens Gagen und Honorare und bei Sozial- und Geisteswissenschaftler folgt ein Jahresvertrag auf den anderen. Das sind ja keine sicheren Arbeitsverhältnisse, wie man sie als Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in der Regel hat.

  • eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit oder eine mindestens zweijährige Betreuung eines minderjährigen Kindes

    Also ich lese daraus, daß, wie es bei uns auch läuft, zwei Jahre als studentische Hilfskraft an der Uni reichen. Oder halt zwei Jahre Betreuung der eigenen Kinder. Also die zweite Alternative kante ich auch noch nicht, finde sie aber irgendwie beschämend. Also zwei Kinder, jeweils 12 Monate Elternzeit und fertig ist die Laube. Und das nennt man dann einschlägige Berufserfahrung für Metalltechnik. Genial. :pirat:


    wer denkt sich sowas aus?

  • Diejenigen, denen komplett egal ist, wie die intellektuelle (bzw. allgemeine) Zukunft Deutschlands aussieht und die sich nur um ihr persönliches Prestige kümmern: kurzsichtige Sesselpupser und Politiker.


    Das Lehramt gehört reformiert, scheint sich aber keiner do richtig rantrauen zu wollen :(

    • Nicht, wer zuerst die Waffen ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt. -Machiavelli-
    • Zwei Mächte gehen durch die Welt, Geist und Degen, aber der Geist ist der mächtigere. -Napoleon-
    • In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst! -Augustinus-
  • Die politische Message all dieser Quer- und Seiteneinsteigerprogramme ist doch klar:


    Man braucht offensichtlich kein Lehramtsstudium der heutigen Form um Lehrer zu werden.


    Das ist nun einmal Fakt, über den Sinn oder Unsinn kann man lange diskutieren, das entscheiden nicht wir sondern andere.


    Die zukünftigen Studenten sollten sich danach ausrichten und sich alle Möglichkeiten offenhalten, bevor sie die "Einbahnstraße Lehramt" einschlagen. Schließlich gibt es auch keine Unterstützung vom Staat, wenn mal wieder "Lehrerschwemme" herrscht. Selbst die Alternative als Taxifahrer ist dank Uber und autonomen Fahrzeugen bedroht...


    Gruß !

  • Die zukünftigen Studenten sollten sich danach ausrichten und sich alle Möglichkeiten offenhalten, bevor sie die "Einbahnstraße Lehramt" einschlagen. Schließlich gibt es auch keine Unterstützung vom Staat, wenn mal wieder "Lehrerschwemme" herrscht.

    Allerdings könnte dann auch jemanden, der gern Lehrer werden wollte und KEIN Lehramtsstudium vorweisen kann, weil IM MOMENT ein Seiteneinstieg in vielen Fächern und an vielen Schularten möglich ist, eventuell nicht ins Lehramt einsteigen. Also den Rat zu geben, ruhig die Fachwissenschaft zu studieren, weil ein Seiteneinstieg sinnvoller ist, kann auch nach hinten losgehen. Es hängt soviel vom richtigen Zeitpunkt und dem richtigen Ort ab.


    Am BK ist der Seiteneinstieg auch keine Sondermaßnahme, sondern seit Jahrzehnten Usus. 80% meiner KollegInnen sind Diplomer.

  • Es hängt soviel vom richtigen Zeitpunkt und dem richtigen Ort ab.

    Richtig. Gilt aber auch für das Lehramtsstudium. Wenn mal wieder die "schwarze Null" regiert oder "Lehrerschwemme" herrscht, dann brauchst du auch "Mangelfächer" um rein zu kommen. Mit solchen Fächern kommst du aber auch mit einem Nicht-Lehramtstudium häufig rein, notfalls wie du sagst ans BK.


    Gruß !

  • Allerdings könnte dann auch jemanden, der gern Lehrer werden wollte und KEIN Lehramtsstudium vorweisen kann, weil IM MOMENT ein Seiteneinstieg in vielen Fächern und an vielen Schularten möglich ist, eventuell nicht ins Lehramt einsteigen.

    Der Lehramtsstudent steigt dann aber wegen Lehrerschwemme auch nicht ins Lehramt ein. Zudem hat er sich durch sein Studium den Weg in die "freie Wirtschaft" praktisch verbaut. Das hat Mikael ja schon beleuchtet.


    In den 1980ern und 90ern war es sogar mal so extrem, daß man wegen der Lehrerschwemme den Lehramtsstudenten nach dem 1. StaEx das Ref. und das 2. StaEx verweigert hat. Als Lehramtler bist halt wirklich komplett dem Staat ausgeliefert.

  • Ich wollte damit nicht sagen: Zur Not gehts einfach ans BK. Ich wollte damit sagen, dass ich es für sehr viel besser halte, Maschinenbau fachwissenschaftlich zu studieren und nachher pädagogisch nachzuholen, als Lehramt Maschinentechnik / Deutsch oder sowas zu studieren. Mit den paar Maschinenbau-Vorlesungen hat man m.E. nicht genug Kenne (hab mir den Studienverlaufsplan angeschaut!), um die ganze Bandbreite an anfallendem Unterricht leisten zu können.

Werbung