Darf eigentlich jeder unterrichten?

  • @Susannea,


    ich muss zugeben, ich habe vieles vergessen. Nach meinem Kommentar kamen einige Erinnerungen aber wieder hoch. Ich war ja während des Studiums an 3 verschiedenen Schulen mit irgendeinem Prakikum. Es gab noch zwei weitere Stunden, die ich halten sollte, aber die waren zufällig und nicht vorgeschrieben.

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

  • @Susannea
    Warst du in Potsdam an der Uni? (ich bild mir ein, das hast du irgendwo erwähnt, aber ich konnts jetzt nicht finden)


    Wir hatten im Fachseminar Kunst auch zwei LAs aus Potsdam und die waren uns Berlinern in der Tat deutlich voraus! Viel viel sicherer in ihrer Planung und auch vor den Schülern. Die haben aus ihrem Studium auch berichtet, dass es ein ständiger Wechsel von Theorie und Praxis war. Ich war echt neidisch und habe da auch gedacht: so sollte Studium sein...

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Warst du in Potsdam an der Uni? (ich bild mir ein, das hast du irgendwo erwähnt, aber ich konnts jetzt nicht finden)

    Ja, ich habe bis zum Staatsexamen in Potsdam studiert und dann nachher in Berlin auf Bachelor und Master gewechselt. Habe damals dann aber z.B. in Berlin die Fachpraktika alle noch mal machen müssen, weil die aus Potsdam nicht anerkannt wurden (warum auch immer). In einem Seminar musste ich dann nur Vor- und Nachbereitungsseminar besuchen und den Bericht neu schreiben (frag nicht, was der Unsinn sollte), aber da hatten wir eben schon allein durch die Schulpraktischen Übungen und das alle Planungsergebnisse jedes Seminars auch praktisch getestet wurden (da wurde im Zweifelsfall einfach eine Klasse eingeladen und dann durfte die probieren) doch deutlich mehr Praxis, als Berlin hatte. (Da hatte ich auch mein einziges Seminar, wo wir echt nur für den Schrank geplant haben und es nie genutzt wurde).
    Wobei in der Grundschulpädagogik wir dann solche Sachen eben auch getestet haben in Seminaren mit Begabtenförderung o.ä.


    Und was man z.T. auch nicht vergessen darf, in Mathe in Potsdam waren wir z.B. damals ca. 10 Leute, da gab es keine wirklichen Vorlesungen o.ä., sondern viel wurde zusammen erarbeitet oder auch mit "zeigen sie mal, wie mans macht oder erklären sie mal", wie eben in der Schule gemacht.

  • Machen wir uns nichts vor:


    Im Gegensatz zu stark regulierten Berufen (Ärzte, Juristen, Fluglosten usw.) sind die Auswirkungen von "schlechtem" Unterricht, weil die Person vor der Klasse weder über eine ausreichende fachlichen noch didaktische Qualifikation verfügt, erst Jahre später sichtbar, d.h. es interessiert nicht, wenn es erst einmal nur darum geht, die "Betreuung" der "lieben Kleinen" sichterzustellen: Lieber schlechter Unterricht, als dass sie den ganzen Tag auf der Straße herumlungern...


    Dass Argument, dass es auch schlechte Lehrer gibt, die trotz Lehramtsstudium und Referendariat weder fachlich noch didaktisch etwas draufhaben, ist eine Scheinargument: Es gibt wahrscheinlich anteilig genausoviele schlechte Mediziner und Juristen. Trotzdem darf nicht jeder Hinz und Kunz eine Arztpraxis aufmachen oder Leute vor Gericht vertreten.


    Kurz: Man stell Personen ohne ausreichende fachliche und didaktische Qualifikaton vor die Klassen, weil es (erst einmal) keiner merkt. Den Schülern würde es vielleicht auffallen, aber die haben in unserem System ja nichts zu melden. Sind ja keine Wähler.


    Gruß !

  • Ich habe kein Lehramststudium betrieben und ich habe keine schulpraktischen Studieninhalte verfolgt. Ich glaube allerdings auch nicht, dass ich da viel verpasst habe: pädagogikhistorische Proseminare, Crashkurse, bei denen so getan wird, als ob man eine Unterrichtsmethode in einem Referat vorstellt etc. pp. Praxisorientiert war die universitäre Ausbildung zu meiner Zeit, d.h. in der ersten Hälfte der 90er Jahre ganz bestimmt nicht.


    Ich habe ein grundständiges Referendariat durchlaufen. Das halte ich für sehr wichtig und ich habe da sehr viel gelernt. Seitens des Studienseminars hätte ich mir mehr konkrete "Kochrezepte" gewünscht, die klarer gegliedert dargeboten werden und vor allem in klar strukturierten Readern verfügbar gemacht werden. Ich habe da mehr ein "Dahingewurstel" erlebt, wie es eben bei den Lehrern der alten Generation üblich war. Allerdings hatte ich sehr kompetente Ausbilder, die viel gewusst haben und viel praktisches gezeigt haben.


    Negativ habe ich als "Halbseiteneinsteiger" die Ausbildung an meiner Referendarsschule erlebt. Das war leider so ein typisches "der Referendar läuft halt irgendwie mit und alles andere ist sein Problem." Ich hätte mir von der Schule ebenfalls klare Praxisorientierung und Hilfe bei der Unterrichtsstrukturierung, vor allem über die individuelle Stunde hinaus gewünscht. Heute versuche ich als Ausbildungslehrer genau das meinen Referendaren und Praktikanten zu geben, was ich als Azubi selber erhofft hätte.


    Als Junglehrer wurde ich völlig ins kalte Wasser geworfen - bis hin zu der Verwaltungsübernahme einer Schulaußenstelle im zweiten praktischen Jahr mit allen damit verbunden Verantwortungen. Das war unverantwortlich. Eine seriöse Schulleitung muss auch den frischeingestellten Junglehrern eine Gelegenheit bieten, erste Sicherheit und Routinen in der Alltagsarbeit zu entwickeln. Dazu gehört auch eine systematische Begleitung von Junglehrern, damit sie die Arbeitsbereiche zu beherrschen lernen, die nicht Teil der Referendarsausbildung waren: d.h. vor allem Rechtssicherheit und die Einbindung der eigenen Tätigkeit in das Schulsystem!


    Summa summarum: ich sehe es weniger als Problem an, dass Seiten- oder Quereinsteiger kein grundständiges Hochschulstudium im Lehramt vorweisen können. Trotz der Modernisierungsversuche ist das immer noch kein praktisch verwertbares Studium. Ich sehe es aber als großes Problem an, wenn es zu Ausbildungsversäumnissen in der Erstausbildung und in der Begleitung des Arbeitseinstiegs kommt. Das ist aber weniger ein Problem der Seiteneinster als der aufnehmenden Schulen.

    • Offizieller Beitrag

    a) Das Berufskolleg ist nicht so hyperpädagogisch, wie du vielleicht meinst und Seiteneinsteiger passen meiner Meinung nach durch ihre Berufserfahrung besonders gut an diese Schulform, daher gibt es auch die Option.

    Bin zwar kein Freund des Seiteneinstieges, da der schnell zum Sparen von Personalkosten missbraucht werden kann, kann aber bestätigen, dass Berufserfahrung bei uns durchaus sehr hilfreich ist.

    • Offizieller Beitrag

    Ich brauche das Fachwissen aus meinem Studium jeden Tag.

    Also, aus meinem WiPäd-Studium brauche ich so gut wie gar nichts, maximal 1%. Was mir etwas gebracht hat, ist das Schulmanagement-Studium, hat aber nichts mit Unterricht zu tun.

  • Also, aus meinem WiPäd-Studium brauche ich so gut wie gar nichts, maximal 1%. Was mir etwas gebracht hat, ist das Schulmanagement-Studium, hat aber nichts mit Unterricht zu tun.

    Kommt vielleicht wirklich auf das Fach an. Mein historisches und auch mein literaturwissenschaftliches Studium brauche ich jeden (oder fast jeden) Tag. Inklusive der Wissenschaftstheorie.

  • "Dennoch birgt das Gutachten [des Landesrechnungshofs] Zündstoff. [...]
    Auch das heiße Eisen Lehrerarbeitszeit mochte niemand anfassen. Wenn die Unterrichtsversorgung aber entscheidend besser werden soll, darf sich die Politik vor diesen Herausforderungen nicht länger wegducken."


    https://www.stuttgarter-zeitun…17-9d92-06ea34099918.html

    Man sollte sich klar machen, dass es beim "heißen Eisen Lehrerarbeitszeit" kaum um eine Verringerung der Unterrichtsverpflichtung handeln kann, und schon gar nicht, wenn das Gutachten vom Landesrechnungshof kommt.


    Eigentlich eine Frechheit, wenn man bedenkt, dass praktisch alle Arbeitszeitstudien zeigen, dass Lehrer im Durchschnitt deutlich mehr arbeiten als andere Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst. Die Mär von den "faulen Säcken" wird halt immer wieder aus dem (politischen) Hut gezaubert, wenn es opportun ist.


    Und als ob es eine "Herausforderung" für die Politik wäre, die Lehrer noch länger arbeiten zu lassen. Es wäre vielmehr eine "Herausforderung" für die Lehrer, oder genauer: Ein Verheizen derselben um bildungspolitisches Versagen zu kaschieren...


    Gruß !

    • Offizieller Beitrag

    Finde ich klasse dass dies auch Mitglieder der SL machen. Ich kenne Schulen, da nehmen sich diese Herren immer die Kirsche und die jungen Lehrer sollen sich abstressen

    Da das ja genau meine Abteilung ist, wäre es ja doof, woanders zu unterrichten ;)

  • Im gestrigen FAZ Artikel fand ich ein nennenswertes Schlagwort:


    "Die Entprofessionalisierung des Lehramts ist inzwischen so weit vorangeschritten, dass mancher kaum noch einsehen will, wieso er eigentlich viele Semester lang studieren soll, wenn andere als Quereinsteiger mit Kusshand genommen werden [...]".


    http://www.faz.net/aktuell/pol…ehrermangel-15700896.html

    Den wachsenden Unmut der Lehramtsstudierenden über diese Entwicklung kann ich gut verstehen.

  • Aber das Ende des obigen Satzes ist auch interessant:


    "… obwohl die nicht einmal das mindeste pädagogische Basiswissen besitzen, geschweige denn mit Inklusion, Digitalisierung, schwierigen und lernunwilligen Schülern und deren Eltern umzugehen verstehen."


    Hier suggeriert die Autorin, ein Lehramtsstudium würde auf all diese Dinge vorbereiten – so ein Studium möchte ich mal sehen …

  • Ich bin mir nicht mal sicher, ob die FAZ den im Kommentar erwähnten Unterschied zwischen Quereinstieg und Seiteneinstieg kennt. Den Missmut der Kollegen kann ich nur bedingt nachvollziehen - allerdings nur mit meinem Wissen aus NRW.


    Ein grundständig ausgebildeter Lehrer ist eigentlich immer jedem nicht grundständig ausgebildetem Lehrer vorzuziehen. Seiteneinsteiger(nach OBAS) nehmen also im Regelfall keinem Lehramtstudenten den Job weg. In den Fächern, in denen Seiteneinsteiger eingestellt werden, herrscht akuter Mangel. Offenbar wird dieses Fach nur von wenigen auf Lehramt studiert. Ich habe - genauso wie ein Lehramtstudent - zehn Semester etwas studiert, habe also keine Zeiten gespart oder irgendetwas geschenkt bekommen. Ich konkurriere nicht mit Lehramt Deutsch/Geschichte, sondern nur mit den Lehrämtlern, die E-Tech studiert haben. Die sollte man an zwei Händen abzählen können.


    Bei Quereinsteigern mag die Situation anders sein. Werden Quereinsteiger unbefristet eingestellt? Erhalten sie das gleiche Gehalt wie ausgebildete Lehrkräfte? Am ehesten ist Quereinstieg noch mit der PE in NRW zu vergleichen. Die erhalten deutlich weniger Geld und keine Chance auf eine Verbeamtung.


    Was mir in dieser Diskussion immer fehlt ist die Alternative zum Seiteneinstieg. Einfach nix machen? Jede Maßnahme, die jetzt eingeführt wird, greift doch frühestens in fünf Jahren. Bis sich eine gesellschaftliche Stimmung ändert (sprich Lehramt angesehen wird) dauert es sicher ein Jahrzehnt. Im Übrigen würde in der freien Wirtschaft jede Firma im Notfall auch auf Mitarbeiter zurückgreifen, die zunächst nicht extakt das vorgegebene Qualifikationsmodel erfüllen, wenn die Firma sich sicher ist, dass sie die Qualität durch Ausbildung des Mitarbeiters halten kann. Womit wir wieder bei der Frage sind: Machen Seiteneinsteiger pauschal schlechteren Unterricht als grundständig ausgebildete Lehrer?

  • Aber das Ende des obigen Satzes ist auch interessant:


    "… obwohl die nicht einmal das mindeste pädagogische Basiswissen besitzen, geschweige denn mit Inklusion, Digitalisierung, schwierigen und lernunwilligen Schülern und deren Eltern umzugehen verstehen."


    Hier suggeriert die Autorin, ein Lehramtsstudium würde auf all diese Dinge vorbereiten – so ein Studium möchte ich mal sehen …


    Hallo Philio,


    ich glaube nicht, dass das der springende Punkt ist. Es ist sicher mehr ein Gefühl mangelnder Fairness. Du studierst zielgerichtet aufs Lehramt (bekanntes Einbahnstraßenstudium), gehst das Risiko ein, am Ende mit leeren Händen dazustehen, wenn es mit dem 2. Staatsexamen nicht klappt und dann kommen Leute aus irgendwelchen anderen Studiengängen und nehmen dir die Stellen weg, während du noch mitten im Referendariat steckst.


    Bei mir ist es so. Ein Freund ist mit geisteswissenschaftlichen Studiengängen (keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt) inzwischen als Vollzeit-Lehrer tätig und zwar ganz ohne Referendariat. Ich hingegen quäle mich hier durch eine absolut unattraktive Ausbildungssituation (bei leidlicher Bezahlung) und kann mich vor lauter abgefahrenen Anforderungen kaum auf den eigentlichen Job einlassen. Ständig bin ich am Grübeln, was Person X,Y oder Z wohl gerne didaktisch sehen möchte oder auf gar keinen Fall sehen will, wie ich die geleckten Show-Stunden bis ins kleinste Detail vorbereite, damit ich nicht wieder dankbar zerrissen werde ich den unsäglichen Nachbesprechungen.


    Währenddessen macht besagter Freund schon längst - ganz ohne je auch nur eine müde Seminarstunde besucht zu haben - sein eigenes Ding als "Lehrer" und erzählt mir von seinen Lehr-Experimenten. Fairerweise muss man sagen, dass er sich von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag hangelt und irgendwann könnte damit einfach Schluss sein. Aber es fühlt sich trotzdem komisch an. Sehr komisch sogar.


    der Buntflieger

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Fairerweise muss man sagen, dass er sich von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag hangelt und irgendwann könnte damit einfach Schluss sein.

    Ich überlege gerade, ob ich dir diesen Unterschied noch einmal aufdröseln soll.


    Du HAST nach dem Referendariat die Chance auf unbefristete Stellen und verbeamtung. Er nicht. Er wird sich eine Zeit lang von Vertretungsstelle zu Vertretungsstelle hangeln und irgendwann steht er dann wieder auf der Straße, da es keinen Folgevertrag mehr geben wird.


    Es gibt also gar keinen Grund für dich, eifersüchtig zu sein.


    Kl.gr.Frosch

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