Fächer vs. Schüler unterrichten

  • Liebe Kollegen und Kolleginnen,


    mir ist nun schon öfters der wohlfeile Spruch untergekommen, dass man als Lehrer doch gefälligst Schüler und nicht Fächer zu unterrichten hätte. Wie man es wohl erwarten mag, stehe ich dieser Anforderung skeptisch gegenüber, weswegen ich mich eure Einstellung dazu interessieren würde. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich berichten, dass ich bis dato sehr gut damit gefahren bin, wenn ich mich insbesondere um die Vermittlung der fachlichen Inhalte meiner Fächer bemühte. Ich selbst bin absolut überzeugt und ziemlich begeistert von den Inhalten meiner Unterrichtsfächer und versuche deswegen insbesondere in der Volkswirtschaftslehre und in der Informatik durch regelmäßige Lektüre von Fachzeitschriften, Paper und Fachbüchern auf dem neusten Stand zu bleiben. Wenn es möglich ist, versuche ich dies dann wiederum in meinen Oberstufenunterricht, sofern möglich und sofern reduzierbar, auch einzubinden oder ich biete unterrichtsbegleitende Seminarkurse an, wie ich dies beispielsweise zuletzt mit einer niederschwelligen Einführung in die Verhaltensökonomik (aufgrund des Wirtschafts"nobel"preises) gemacht hatte. Dabei habe ich nicht den Eindruck, dass meine Schüler damit ein Problem hätten und auch die Rückmeldung der Eltern und der Schulleitung spricht dafür, dass diese fachliche und meinetwegen weniger pädagogische Ausrichtung meines Unterrichts nicht sonderlich schlecht wäre. Wo liegt also das Problem? An dieser Stelle muss ich anmerken, dass ich seit ca. 5 Jahren egtl. nur noch in der Oberstufe unterrichte.

  • Wenn Du positive Rückmeldung erhältst und selbst zufrieden bist: Warum stört Dich so ein Spruch? Gegenfrage: was genau soll der aussagen? Dass man die SchülerInnen als Individuen sieht? Das ist für mich selbstverständlich und unabhängig vom Fach bzw. von Fachlichem.


    Ich sehe es so: Ich unterrichte Schüler in meinem Fach. Dabei sehe ich sie als Mensch und respektiere ihre Eigenarten. Trotzdem muss ich das Fachliche unterrichten, denn sie haben irgendwann mal eine Prüfung zu bestehen und bekommen einen Berufs- und Berufsschulabschluss.

  • Ich sehe da auch einen Unterschied in den einzelnen Schulformen. Es gibt ja Klassen- und Fachlehrerprinzip. Gerade beim Klassenlehrerprinzip, in der Grund-, Förder- und Hauptschule, steht natürlich der Schüler und seine individuellen Bedürfnisse im Vordergrund, beim Fachlehrerprinzip, in Real-, Berufsschule und Gymnasium, ist es hingegen der Fachinhalt und seine unterschiedlichen Teilbereiche.

  • mir ist nun schon öfters der wohlfeile Spruch untergekommen, dass man als Lehrer doch gefälligst Schüler und nicht Fächer zu unterrichten hätte.

    Jo, da wid dann wohl eine Dichotomie aufgemacht, die es nicht geben sollte. In was genau soll man denn die Schüler unterrichten, wenn nicht in fachlichen Inhalten? Gut gemachter Unterricht beachtet die Lerngruppe genau so wie zu vermittelnden Inhalte.


    Bei genauerer Betrachtung ist der so schlaue Spruch dann doch nur ein Spruch und gar nicht so schau.

  • Es dürfte klar sein, dass man junge Menschen unterrichtet und nicht Kanninchen oder Roboter, aber alleine die Herangehensweise in der Förderschule im Vergleich zur Oberstufe (um mal beide Extreme zu bedienen) zeigt doch, dass es hier pädagogische Unterschiede gibt, die über die reine Komplexität des Stoffes hinausgehen. Beispiel: Vorbereitung einer Präsentation. Verläuft in der Förderschule anders als in der gymnasialen Oberstufe...

  • aber alleine die Herangehensweise in der Förderschule im Vergleich zur Oberstufe (um mal beide Extreme zu bedienen) zeigt doch, dass es hier pädagogische Unterschiede gibt, die über die reine Komplexität des Stoffes hinausgehen. Beispiel: Vorbereitung einer Präsentation. Verläuft in der Förderschule anders als in der gymnasialen Oberstufe...

    Ach, sollte der schlaue Spruch vielleicht heißen, dass man Schulformen unterrichte?

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

  • Es geht in die Richtung. Weil Schüler in der Oberstufe kognitiv und entwicklungspsychologisch bereits relativ selbstständig sind, spielt die reine Erziehungsarbeit nur eine geringe Rolle, da man sich schwerpunktmäßig mit dem Erarbeiten von (komplexen) Fachinhalten und wissenschaftspropädeutischen Arbeitstechniken beschäftigen kann. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet der Sonderpädagogik, gehe aber davon aus, dass viel pädagogische Vorarbeit leisten muss, ehe man sich daran machen kann, Fachinhalte zu erarbeiten und selbst dann geht man kleinschrittig vor, löst Aufgaben zusammen, mit vielen Beispielen und geringem Abstraktionsgrad.

  • Liebe Kollegen und Kolleginnen,


    mir ist nun schon öfters der wohlfeile Spruch untergekommen, dass man als Lehrer doch gefälligst Schüler und nicht Fächer zu unterrichten hätte.

    Bei uns lautet der Spruch ein bisschen abgewandelt: An unserer Schule musst du sowohl Sozialpädagoge als auch Lehrer sein.
    Dass dies zum Scheitern verurteilt ist, schnallen einige nicht.

  • Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Sollten wir Hans dann nicht mehr unterrichten?


    Morgenstund hat Gold im Mund. Ich bin trotzdem morgens schlecht gelaunt. Was tun?


    Lehrer haben vormittags Recht und nachmittags :schlaf:

  • Der Spruch könnte besser lauten: "Ein Lehrer sollte sein Fach nicht an den Schülern vorbei unterrichten." Und ja, ich habe Leute schon genau das tun sehen und ich nehme an, jeder von euch kennt auch jemanden, der genau das tut. Es ist noch nicht allzu lange her, dass ich jemanden eine halbe Stunde lang darüber dozieren sah und hörte, dass man doch bei der Benennung von Enantiomeren nach Fischer bitte nicht "D" mit "+" gleichsetzen darf. Die Schüler wussten nur leider überhaupt nicht, was die Bezeichnungen "D" und "+" überhaupt sein sollen, also bestand die Gefahr gar nicht, dass sie etwas fälschlicherweise gleichsetzen. Ist jetzt nur ein Beispiel, aber ungefähr das meint der Spruch wohl: Es mag Leute geben, die dozieren stundenlang, fachlich vielleicht sogar wirklich gut, bei den Schülern kommt nur leider absolut nichts davon an.


    Edit: Ich denke, der Spruch beschreibt auch einen Zustand, in dem vermutlich viele Berufsanfänger, vor allem an weiterführenden Schulen, sich mehr oder weniger befinden - man plant eine Stunde um das Thema drum herum, überlegt sich einen tollen roten Faden, wie einzelne Teilaspekte usw. ineinander greifen ... und vergisst, mit welchen Fehlvorstellungen, Wissenslücken, etc. die Schüler am Ende ums Eck kommen.

    Einmal editiert, zuletzt von Wollsocken80 ()

  • Was für ein Schlaumeier hat denn diesen Spruch losgelassen? Für arg kompentent halte ich ihn nicht, wenn er nur schwarz/weiß und keine Schattierungen sieht...

    Der Spruch geht meines Wissens auf unsere damalige Kultusministerin in Baden-Württemberg Annette Schavan zurück. Alle meine Kollegen und ich waren uns damals sicher, dass mit diesem Spruch das Zeitalter des Schavanismus oder des Schavansinns beginnen würde. Wir waren uns auch darüber im klaren (besusst in ALTER Rechtschreibung), dass dieses Zeitalter mindestens 15 bis 20 Jahre dauern würde.


    Bei ihrem anderen Spruch "weniger ist mehr", mit dem sie die flächendeckende Einführung des achtjährigen Gymnasiums in den westlichen Bundesländern forcierte, hat sich die Einschätzung meiner Kollegen als zutreffend erwiesen: Das achtjährige Gymnasium wird immer wieder infrage gestellt.

  • Wenn man so darüber nachdenkt, stellte sich keine pädagogisch Idee von Frau Schawan als wirklich nachhaltig und vorteilhaft für das deutsche Bildungssystem heraus, oder? Ob Ganztag, ihre Ausführungen zum Islam, der Einsatz von "Managern" als Lehrer an Problemschulen, das von ihr verantwortete Wissenschaftszeitvertragsgesetz, G8 - um nur einige Beispiele zu nennen...

    • Offizieller Beitrag

    Solche Sprüche sind in meinen Augen oft Ausdruck eines scheinbaren Überlegenheitsdenkens desjenigen, der sie äußert.
    Dass die Pädagogik und dass unser Beruf nicht auf entweder Fächer oder Schüler ausgerichtet sind und beides zusammengehört, dürfte wohl für die meisten KollegInnen evident sein.

  • In welcher Hinsicht soll das zum Scheitern verurteilt sein?

    Weil du als Sozialpädagoge für vieles Verständnis haben musst, was dir als Lehrer eigentlich egal sein sollte. Unterricht wird so aufgeweicht. Kollegen reiben sich auf zwischen Fürsorge für und Leistungsanforderungen an die Schüler. Im Extremfall kennt der sozialpädagogisierte Lehrer die Noten mangelhaft und ungenügend nicht mehr.

    • Offizieller Beitrag

    Kollegen reiben sich auf zwischen Fürsorge für und Leistungsanforderungen an die Schüler. Im Extremfall kennt der sozialpädagogisierte Lehrer die Noten mangelhaft und ungenügend nicht mehr.

    es kommt doch wohl immer drauf an, WIE man den o.g. Anspruch erfüllt. Aufreiben muss man sich nicht. Man muss sich als Lehrer sehr wohl bewusst sein, dass man eine andere Ausbildung hat als ein Sozialpädagoge. Deshalb, wenn wir schon beim Sprücheklopfen sind, immer mal wieder "Schuster, bleib bei deinen Leisten" als Lehrer beherzigen ;)


    Dass Lehrer (auch!) sehr viel Erziehungsarbeit leisten, ist unbestritten. Aber irgendwo sind eben auch Grenzen.


    Im Übrigen empfinde ich den Ausgangsspruch als das typische Geschwafel von jemandem, der nur wenig Ahnung hat. Ein Seminarfachlehrer vll? Didaktikprofessor? :flieh:

  • Ich kenne es als ideologischen Spruch, um jeden Einwand, den man bei gewissen pädagogischen Konzepten, die zu Lasten des Unterrichtes gehen könnten, im Keim zu ersticken. Vorzugsweise von denen geäußert, die aufs Fachliche nicht so viel Wert oder sogar gar keinen legen, weil sie nicht mehr unterrichten.
    Wenn Erziehung mein allererstes Anliegen gewesen wäre, wäre ich Erzieherin geworden.

  • Ich verstehe sowieso nicht den Anspruch, zwischen den Fächern und der Arbeit mit den jungen Leuten zu unterscheiden. Als Lehrer arbeitet man immer pädagogisch, ob man will oder nicht. Wenn man das ausblendet, gerät das allerdings gerne zum Zufallsprodukt. Ob man das will?

Werbung