Fremdsprachenlehrer ohne Auslandserfahrung

  • Ich habe Englisch studiert ohne einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren. Nach der Prüfung waren die (mir unbekannten) Prüfer aufrichtig überrascht, dass ich NUR Grundschullehrerin würde. Man habe das ja eher überwiegend erlebt, dass es mit den sprachlichen Fähigkeiten bei den meisten Prüflingen für Grundschullehramt nicht weit her sei.


    Im Studium selbst hab ich mich tatsächlich oft blöde gefühlt, weil mir durch diesen fehlenden Aufenthalt Lebenserfahrung und Selbstbewusstsein fehlte. Für meinen heutigen Arbeitsplatz stellt es keinen Mangel dar. Ich weiß, was ich da tue und ich weiß, dass ich es gut mache. Auch, weil ich einen Anspruch an mich selbst habe, mich hinterfrage und die Sprache selbstverständlich für mich ist.


    Aber wahrscheinlich falle ich hier ohnehin aus der Wertung, da eben "nur" Grundschullehrerin Klasse 1-6.


    Studiert habe ich aber Englisch übrigens nicht nur auf Grundschullehramt, sondern vollwertig ...

  • An deinen Beitrag anknüpfend, würde mich ja interessieren, ob die sprachlichen Fertigkeiten von Grundschullehrkräften mit Fach Englisch im Schnitt schlechter sind als bei den Kollegen anderer Schulformen. Alle Englischstudenten, unabhängig von ihrer Schulform, müssen ja zu Beginn ein gewisses Sprachniveau (idR B2) nachweisen, wobei Grundschullehramtsstudenten oftmals ihr Fach in geringerer Intensität studieren als die Studenten anderer Schulformen (in Hessen beträgt der Unterschied zwischen Grundschule und Gymnasium fast 60CP) und es im späteren Berufsleben zu einer deutlich höheren Diskrepanz zwischen Sprachniveau des erteilten Unterrichts und eigenem Sprachniveau kommt als bei den Kollegen höherer Jahrgänge (in der Grundschule ist das höchste der Gefühle wohl A2, am Gymnasium kommt man bis B2). Meine Hoffnung würde "nein" sagen, meine Vermutung tendiert jedoch eher zu "ja"...

    • Offizieller Beitrag

    Das kommt darauf an, ob sie originär Englisch studiert haben oder ob sie den C1-Schein gemacht haben, den Sprachinstitute gerne und großzügig in der Vergangenheit ausgestellt haben.
    Gerade bei der Apostrophitis und anderen bei Schülern gängigen Fehlern, die auf von GS-Lehrern erstellten Lernkarten stehen, mag man Vermutungen anstellen, ohne all die GS-KollegInnen dabei aus dem Blick zu verlieren, die tagtäglich fachlich fundierten Englischunterricht erteilen.


    Wer am Gymnasium Englisch bis zum Ende durchnimmt, bekommt das GeR-Niveau B2/C1 attestiert.
    Da ich mittlerweile genug Englischprüfungen im Abitur abgenommen habe, nehme ich einmal in Anspruch zu behaupten, dass das Niveau B2 auch an der Grundschule nicht zum Erteilen von qualifiziertem Englischunterricht befähigt - die Einser-Abiturienten einmal ausgenommen.

    • Offizieller Beitrag

    Ich finde, das ist die Krux am Fremdsprachenunterricht.
    Natürlich muss man in allen Fächern ein gewisses (hohes) Niveau erreicht haben, damit man didaktisch reduzieren kann.
    Im Geschichts- (jetzt wird Nele schimpfen) oder Politikunterricht kann ich (ich setze natürlich ne gute Vorbereitung voraus!!!) über unsere Vorfahren oder unseren Klassensprecher sprechen. Ich kann in Mathe Bruchrechnungen durchnehmen, ohne von irgendwelchen Funktionen, die man erst in der Oberstufe hat, zu sprechen.


    Im Fremdsprachenunterricht ist das Fach STÄNDIGER Gegenstand. Ich SPRECHE die ganze Zeit (naja, schön wär's) die Sprache, natürlich passe ich meine Sprache möglichst dem, was SchülerInnen schon können, aber ich kann nicht einfach eine falsche Zeitanpassung machen oder einen falschen Modus mündlich benutzen, nur weil die Kids es noch nicht im Unterricht hatten. Auch das Erstellen von Materialien ist eine ständige Falle für Fehler (sehe an meiner aktuellen Referendarin). nicht zu sprechen von der Aussprache :(

  • An deinen Beitrag anknüpfend, würde mich ja interessieren, ob die sprachlichen Fertigkeiten von Grundschullehrkräften mit Fach Englisch im Schnitt schlechter sind als bei den Kollegen anderer Schulformen. Alle Englischstudenten, unabhängig von ihrer Schulform, müssen ja zu Beginn ein gewisses Sprachniveau (idR B2) nachweisen, wobei Grundschullehramtsstudenten oftmals ihr Fach in geringerer Intensität studieren als die Studenten anderer Schulformen (in Hessen beträgt der Unterschied zwischen Grundschule und Gymnasium fast 60CP) und es im späteren Berufsleben zu einer deutlich höheren Diskrepanz zwischen Sprachniveau des erteilten Unterrichts und eigenem Sprachniveau kommt als bei den Kollegen höherer Jahrgänge (in der Grundschule ist das höchste der Gefühle wohl A2, am Gymnasium kommt man bis B2). Meine Hoffnung würde "nein" sagen, meine Vermutung tendiert jedoch eher zu "ja"...

    Kann man Grunschulenglisch überhaupt studieren? Zu meiner Zeit, knapp 25 Jahre her, ging das nicht. Da hat man an der PH auf Realschule oder eben Werkrealschule studiert.


    Das 'Sprachbad' in der Grundschule konnte somit jeder veranstalten. In kleinen Schulen dann gerne mal die 60-jährige Kollegin, die vor 40 Jahren Schulenglisch gelernt hat.
    In Baden-Württemberg wird das Englisch jetzt in der Grundschule abgeschafft. Zumindest in Klasse 1 und 2...

  • An den meisten Universitätsstandorten, die das Grundschullehramtsstudium im Rahmen ihres Studienangebotes listen, wird inzwischen Englisch angeboten. Dazu muss man aber auch sagen, dass Englisch in der Grundschule erst seit circa 15 Jahren überhaupt ein Thema ist- wir waren damals einer der ersten Jahrgänge, die in der Grundschule Englischunterricht hatten. Damit kann man das Lehramtsstudium jeder Schulform (Grundschule, H/R, Förderschule, Gymnasium, Berufsschule) mit Englisch kombinieren. An vereinzelten Universitätsstandorten kann man auch Französisch für die Grundschule studieren, was jedoch nur an wenigen Schulen angeboten wird.

  • Im Geschichts- (jetzt wird Nele schimpfen) oder Politikunterricht kann ich (ich setze natürlich ne gute Vorbereitung voraus!!!) über unsere Vorfahren oder unseren Klassensprecher sprechen.

    Klar kannst du im Geschichtsunterricht über unsere Vorfahren sprechen - hat dann halt nur nichts mit Geschichte im engeren Sinne zu tun. ;)

  • Entscheidend ist wohl auch die Jahrgangsstufe. Im Rahmen des Sachunterrichts geht der Geschichtsanteil wohl auch nicht allzu sehr in die fachliche Tiefe.


    Auszug aus unseren Bildungsstandards:
    - gemeinsames Nachdenken über vergangenes Handeln der Menschen und die Folgen daraus
    - Lebensbedingungen, die geschaffen wurden, verändert werden können und verantwortet werden müssen
    - menschliches Handeln vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensumstände zu verstehen
    - historischen Bedingungen berücksichtigt und aktueller Bezug
    - Fähigkeit, andere Perspektiven einzunehmen
    - Temporalverständnis --- Auseinandersetzung mit Medien zur Messung und Darstellung von Zeit und Zeitdimensionen


    Ich weiß nicht, wie es dir als Historiker geht, aber für mich klingt das nach Allem und Nichts :tot: ...

  • Deswegen ist es eben wichtig, richtig Geschichte studiert und die Wissenschaft verstanden zu haben, um diese Vorgaben mit verschiedensten Unterrichtsansätzen, Problemstellungen und Vorhaben sinnvoll auszufüllen. Und gleichzeitig noch mit einem altersgerechten wissenschaftspropädeutischen Anteil zu versehen.


    Geschichte ist ein komplexes Handwerk. Das kann man nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln - ich habe mich schon öfters geärgert, wenn ich Unfälle fachfremd unterrichtender Kollegen aus der Regelschule reparieren musste. Und das hatte oft nicht einmal etwas mit "dem Stoff" im eingeschränkten Sinn zu tun.


    Aber das geht vom Thema weg, auch wenn es das gleiche Prinzip bei Auslandserfahrungen im Fremdsprachenunterricht ist. Bedauerlicherweise merkt man erst, was ohne Auslandserfahrung fehlen würde, wenn man die Auslandserfahrung erworben hat.

  • Also, als Fremdsprachenlehrer (Sek.II) mit längerer Auslandserfahrung im und nach dem Studium bin ich natürlich der Meinung, dass hervorragende Sprachkompetenz, gestützt durch längere(n) Auslandsaufenthalt(e), durchaus eine wichtige Basis für den guten Fremdsprachenunterricht sind. Ich kann auch jedem nur raten, dies nicht zu unterschätzen. Die Gründe wurden ja schon genannt.


    So, in der Alltagspraxis, die ja bekanntlich gerade im Schulwesen häufig weit vom Idealbild oder auch nur von einem wünschenswerten Minimalansatz entfernt ist, kann man das aber auch ein wenig nüchterner betrachten. Ich glaube, wir dürfen uns da selbst nicht überschätzen. Wo liegen denn die konkreten Vorteile im Auslandsaufenthalt:


    * sprachliche Kompetenz
    Wenn man einen Auslandsaufenthalt ernst nimmt, wird man mit sehr hoher Souveränität im Gebrauch der Fremdsprache nach Hause kommen. Das betrifft dann Grammatik, Ausdruck und Aussprache ebenso wie die Pragmatik. Es gibt wohl keine Methode, die so effektiv den Sprachgebrauch voranbringt. Das heißt aber nicht, dass es ausgeschlossen ist, ein entsprechendes Niveau auch ohne Auslandsaufenthalt zu erreichen, wenn man die nötige Begabung hat. Bei mir hätte sie evtl. nicht gereicht, aber ich möchte nicht ausschließen, dass es solche Fälle gibt. Gleichzeitig gibt es auch diejenigen, die ihr gesamtes Auslandsjahr nur mit anderen deutschen Austauschstudenten verbringen und deren Kommunikation in der Fremdsprache sich auf die allernötigsten Alltagsgeschäfte (quasi A2-Niveau) beschränkt. Die werden dann auch nichts davon haben.


    * Landeskunde
    Der Vorteil des Auslandsaufenthalts besteht ja nun nicht unbedingt darin, dass man plötzlich viel mehr über die Geschichte oder das polit. System des Ziellandes weiß (sog. "Realienkunde"), sondern dass man ein grundlegendes Verständnis für die Alltagskultur und die kulturelle Identität eines Landes entwickelt (=interkulturelle Kompetenz). Dieses Verständnis kann man dann häufig nur schwer verbalisieren, wenn man sich nicht parallel dazu auch theoretisch oder wissenschaftlich mit diesem Gebiet beschäftigt. Ein solches Verständnis bereichert natürlich den Fremdsprachenunterricht, weil man ihn unter diesen Umständen vermutlich ganz anders aufzieht und ausrichtet als nur die reine Sachinformation in den Mittelpunkt zu stellen. Aber auch das setzt natürlich persönliches Interesse und Engagement voraus, das man wohl nicht hat, wenn man nur ins Ausland geht, weil "man das halt so macht als Fremdsprachenlehrer"


    * persönliche Kompetenz
    Die Auslandserfahrung macht in aller Regel souveräner, selbstbewusster und flexibler. Keine Frage. Aber das sind natürlich alles Eigenschaften, die jedem Lehrer gut zu Gesicht stehen würden, also nicht auf den Fremdsprachenlehrer beschränkt sind. Die interkulturelle Kompetenz hingegen, die ich oben schon angesprochen habe, sind eng mit einem bestimmten Verständnis von Fremdsprachenunterricht verbunden, das meiner Ansicht nach die Voraussetzung für "guten" Fremdsprachenunterricht ist. Aber auch diese Kompetenz kann man sich sicherlich mit einiger Mühe aneignen, ohne ins Ausland zu gehen.


    Fazit: (Fast) jeder Fremdsprachenlehrer wird von einem Auslandsaufenthalt profitieren, wenn er ihn denn mit der richtigen Eisntellung antritt. Ich würde sogar so weit mitgehen, dass man eine gewisse Qualitätsstufe nur mit dieser Erfahrung erreichen kann (- von ganz vereinzelten Ausnahmen vielleicht abgesehen). Allerdings kann man natürlich auch ohne Auslandsaufenthalt Fremdsprachenlehrer werden und vermutlich muss das auch gar nicht heißen, dass man dann ohne Ausnahme ein Leben lang ein schlechter Fremdsprachenlehrer bleibt.



    Ähnlich würde ich auch die Debatte um fachfremden Fremdsprachenunterricht sehen wollen: Fachfremder Unterricht ist immer mit qualitätiven Einbußen verbunden, egal in welchem Fach, da die Kollegen in der Regel die richtigen Denk- und Herangehensweisen nicht kennen und dann eben "was von den Vorfahren erzählen", "Flüsse und Berge benennen", "das polit. System abfragen" oder eben "Vokabellisten auswendig lernen lassen", statt die grundlegenden Fragestellungen und Zusammenhänge des Faches berücksichtigen. Ich persönlich sehe das die Fremdsprachen nicht so sehr in der Sonderrolle. Fachfremder Unterricht ist einfach Mist. Punkt.

  • Schön auf den Punkt gebracht, WillG.


    Allerdings sollte man nicht überschätzen, was einem das übliche halbe oder ganze Jahr im Land der unterrichteten Sprache sprachlich wirklich bringt.
    Wirklich sprachlich und kulturell authentisch wie ein Muttersprachler wird niemand, es sei denn vielleicht, er hat ein oder zwei Jahrzehnte im entsprechenden Land verbracht. Im und nach dem Studium bewegen wir uns im Bereich von C2, da wird die Luft langsam dünn und echte Verbesserungen kosten unverhältnismäßig mehr Zeit, Ausdauer und Hartnäckigkeit.


    Auf der anderen Seite - niemand der gegenwärigen Englisch-, Spanisch-, Französischkollegen wird wohl jemals in die Situation kommen, in der sich so manche(r) RussischlehrerIn noch vor 10-15 Jahren befand, nämlich in der Oberstufe vor einem Grund- oder sogar Leistungskurs muttersprachlich russisch sprechender Spätaussiedlerkinder stehen zu müssen. Man kann es auch übertreiben mit den Ansprüchen an sich selbst.


    Ein Auslandsaufenthalt ist also hochwichtig für die Beziehung zur unterrichteten Sprache und Kultur, aber rein sprachlich sollte man keine Wunder erwarten.

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