Liebe Forengemeinde,
ich will nicht zu weit ausholen: Ich bin Klassenlehrer einer Klasse, die zum Schuljahresende den HS10 anstrebt. Die Klasse, die zu über 90% aus Immigranten besteht (viele davon Flüchtlinge und erst seit 1-2 Jahren in Deutschland), hat Probleme mit einem Lehrer (Englisch). Dieser besteht darauf, nur auf dem Niveau zu unterrichten, das man seiner Meinung nach haben muss, um den Abschluss zu bekommen (Zitat: "Wer das nicht schafft, hat Pech."). Dazu will ich auch gar nichts sagen.
Es ist nur so, dass das für einen großen Teil der Schüler viel zu schwierig ist und einige inzwischen (nach 6 Wochen) aufgegeben haben, da sie einfach gar nichts verstehen. Ich fände es aber richtig, dass auch die, die den Abschluss in diesem Schuljahr noch nicht schaffen können, die Möglichkeit bekommen, sich zu entwickeln und etwas zu lernen, um dann vielleicht bei der Wiederholung im nächsten Jahr zu bestehen. Daher meine Frage: Gibt es nicht einen Zwang zur Differenzierung? Individuelle Förderung und so? Auch Schüler, die 5 oder 6 stehen, müssen doch wenigstens die Chance haben, etwas aus dem Unterricht mitzunehmen.
Die Rückmeldungen der anderen Kollegen sind fast ausnahmslos positiv. Die Schüler sind sehr lieb, lernwillig, benehmen sich (bis auf seltene Versehen) beinahe vorbildlich, was ihre Rolle als Schüler angeht (Entschuldigungen, Fehltage, Pünktlichkeit, Einsatzbereitschaft etc.). Natürlich klappt nicht immer alles. Doch von dem Kollegen bekomme ich zwei Mal die Woche Rückmeldungen wie "niemand macht die Hausaufgaben" und "schon wieder 80% der Tests 6".
Dazu kommt, dass der Kollege mich teilweise an die Lehrerrolle erinnert, wie man sie sich vor Jahrzehnten vorgestellt hat (er ist Anfang 30). Er legt extremen Wert auf seinen Status als Lehrer, behandelt Schüler von oben herab, lässt Schüler als Maßnahme 2 Minuten vor der offenen Tür stehen, er schreit Schüler an, wenn sie etwas nicht wissen (letzteres ist auch aus didaktischer Sicht schlicht sinnlos). Ich meine, jeder hat seine eigenen Methoden, aber es gibt einen Unterschied zwischen streng und respektlos. Auf der anderen Seite added er Schüler auf Facebook und Whatsapp und brüstet sich damit.
Die exakt gleichen Beschwerden (1. zu hohes Niveau ohne Differenzierung und 2. Verhalten gegenüber den Schülern) gab es auch im letzten und im vorletzten Jahr von anderen Klassen. Aufgrund der damals gelaufenen Gespräche (ohne mich), hat der Kollege allerdings beschlossen, dass er sich ab sofort gar nichts mehr sagen lässt und lieber voll sein Ding durchzieht.
In der nächsten Woche findet ein Gespräch statt: Meine Mit-Klassenlehrerin, ich und besagter Kollege.
Eigentlich verstehen wir uns sehr gut. Ich fürchte, dass er sich... verraten fühlen wird.
Was soll ich tun