Herleiten im Matheunterricht

  • Hallo,


    studiere gerade Mathe (Gym/Ges). Mich interessiert, welche Rolle später im Unterricht mathematische Herleitungen spielen. Muss ich damit rechnen, später als Lehrer nur Formeln an die Tafel zu schreiben und die Schüler dann rechnen lassen oder liegt es an mir selbst, ob ich Formeln/Sätze mit Schülern (didaktisch natürlich den Schülern entsprechend) herleite. Und würdet ihr von euch behaupten, dass ihr Formeln/Sätze (Flächeninhalt des Trapez', Kugelvolumen, Produkt/Kettenregel, Orthogonalität zweier Vektoren etc.) aus dem Stand heraus, wenn ein Schüler fragt, herleiten könntet?


    Danke für Meinungen und Erfahrungen im Voraus:)

  • Muss ich damit rechnen, später als Lehrer nur Formeln an die Tafel zu schreiben und die Schüler dann rechnen lassen oder liegt es an mir selbst, ob ich Formeln/Sätze mit Schülern (didaktisch natürlich den Schülern entsprechend) herleite.

    Du kannst die Formeln natürlich herleiten.

    Und würdet ihr von euch behaupten, dass ihr Formeln/Sätze (Flächeninhalt des Trapez', Kugelvolumen, Produkt/Kettenregel, Orthogonalität zweier Vektoren etc.) aus dem Stand heraus, wenn ein Schüler fragt, herleiten könntet?

    Ja.

  • Herleitungen von Formeln sind nur für sehr gute Schüler relevant. Sie bekommen das ggf. als Heimarbeit auf. Für sie ist das hilfreich, da sie sich die Formel dann nicht merken müssen, sondern sie sie sich über das Verständnis immer wieder in Erinnerung rufen können.


    Mittlere bis schwache Schüler können mit Herleitungen meistens nichts anfangen und akzeptieren die Formeln meist einfach so, auch wenn sie vom Himmel fallen.


    In allen unseren Abschlussprüfungen dürfen zudem Formelsammlungen verwendet werden, so dass das auswendig lernen von Formeln sowieso flach fällt.


    Ansonsten entscheide ich, bei welchen Formeln ich die dazugehörige Herleitung unterrichte. Das sind aber nicht viele...

  • Irgendwie schüttelt's mich bei der Vorstellung, Formeln anzuschreiben und Schüler rechnen zu lassen. Viele Schüler machen irgendwelche syntaktischen Umformungen und wissen wirklich überhaupt nicht, was sie da tun, und dann frage ich mich schon, wie ihr bisherige Matheunterricht abgelaufen ist.


    Ich mache meinen Schülern die Formeln grundsätzlich plausibel - in welcher Gründlichkeit, hängt von der Situation ab. Die binomischen Formeln zum Beispiel kann man sehr schön an Quadraten zeigen, und außerdem kann man sie ja auch einfach nachrechnen.


    Natürlich muss man auch üben. Aber die eigentlichen Schwierigkeiten entstehen, wenn Probleme in mathematische Formulierungen gegossen werden sollen.


    Sollte der Hintergrund deiner Frage sein, dass du dich mit dem Beweisen schwer tust, dann frage ich mich, warum du Mathe studierst...


  • Sollte der Hintergrund deiner Frage sein, dass du dich mit dem Beweisen schwer tust, dann frage ich mich, warum du Mathe studierst...

    Ich finde hier muss man ganz stark differenzieren. Ich finde es sehr wichtig, grundsätzlich das Prinzip des Beweisen verstanden zu haben. Auch sind die Beweise einiger Sätze die Schulrelevanz haben, sicher praktisch.
    Aber diese Uni-Beweise, die der Dozent in 90 Min. gerade so angeschrieben bekommt, sind einfach unwichtig. Sieht man ja schon daran, dass die (oh wunder) nie in der Klausur drankommen. Und der Dozent währenddessen immer abliest :P


    Ich bin sehr gut mit der Regel "Beweise nur, wenn deutlich kürzer als eine Seite und wenn eine interessante Idee drin steckt" gefahren. Manche Dinge darf man auch einfach mal hinnehmen.


    Auch finde ich für die meisten "Formeln" in der Schule das "plausibel machen" viel wichtiger, als eine strenge Herleitung.

  • Piksieben. Eben nicht. Immer schön langsam... Gerade weil ich Beweise/Herleitungen mag habe ich mich für das Studium entschieden und diese Frage gestellt. Ich habe es als Schüler übrigens sehr gehasst, wenn ich den Lehrer nach den Hintergründen in Bezug auf Formeln/Sätzen gefragt habe und er dann geantwortet hat: "Es ist nunmal so." Demnach liegt bei mir der Anspruch den Schüler eines Tages nicht nur rechnen zu lassen.

  • Ich meine, man sollte alles herleiten, was von guten Schülern nachvollzogen werden kann.
    Alles, was hergeleitet wurde, kann nachvollzogen und verstanden werden und somit später wieder hergeleitet werden.


    Das ist bei Formeln, die vom Himmel fallen, nicht der Fall. Die kann man nicht verstehen. Man kann sie zwar stumpfsinnig anwenden, aber was wird das für ein Mathematikunterricht, in dem der Stumpfsinn dominiert?
    Mathematik verkommt zur Zauberei, wenn Formeln einfach mitgeteilt werden und niemand weiß, warum sie gelten.


    Dem Argument, dass oft nur wenige Schüler solche Beweise verstehen, möchte ich entgegnen, dass es natürlich auch immer darauf ankommt, wie diese Beweise durchgeführt werden. Im Dozenten-Stil wird man sicher nicht viel erreichen.
    Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass heutzutage viele Kinder auf den Gymnasien sind, denen das geistige Potenzial fehlt.
    Wenn man sich an denen orientiert, ist sowieso alles verloren.

  • Ich versuche auch alles herzuleiten, was man gut herleiten kann.


    Gerade wenn man das - vor allem in Geometrie - auch irgendwie plastisch darstellt (Dreiecke teilen, schieben .... ) bleibt es bei einigen Schülern besser hängen.

  • Eine mathematische Herleitung (nach der ja im Eingangspost gefragt wurde) ist für mich etwas völlig Anderes als die Schüler einen mathematischen Sachverhalt selbständig entdecken zulassen bzw. als eine Formel „verständlich zu machen“!


    Mathematische Herleitungen/Beweise gibt es ohnehin nur in der Oberstufe und da steigen 80% der Schüler bereits nach spätestens fünf Minuten aus. Weil sie nicht folgen können oder es sie schlicht nicht interessiert.


    Daher erkläre ich grob, woher die Formel kommt und mache dann weiter. Ist ja nicht so, dass man massig Zeit hätte ich der Oberstufe.

  • Eine mathematische Herleitung (nach der ja im Eingangspost gefragt wurde) ist für mich etwas völlig Anderes als die Schüler einen mathematischen Sachverhalt selbständig entdecken zulassen bzw. als eine Formel „verständlich zu machen“!

    Für mich auch - das anschauliche Darstellen von Formeln und Rechnungen ist eben keine Herleitung. Eine vielleicht noch häufig in der Oberstufe benutzte Herleitung ist der Übergang vom Differenzenquotient zum Differentialquotienten.


    Wenn ich mir hier so durchlese, wie viele Kollegen sagen, dass sie im Unterricht Herleitungen machen, bin ich arg erstaunt. Bei mir in den FHR-Bildungsgängen kann man das vollkommen vergessen. Es interessiert die Schüler nicht und deswegen steigen sie aus. Auch in den AHR-Bildungsgängen würde dort ein großer Teil der Schüler nicht mitkommen. Sind alles aber auch GK.


    Fraglich ist auch die Sinnhaftigkeit der Herleitungen. Ich war früher mal Ingenieur - ich habe gerechnet wie ein Weltmeister, e-Funktionen, die teilweise über 3 Zeilen gingen. Auch da bin ich gut ausgekommen, ohne die Herleitungen zu kennen. Mathe für Ingenieure war ebenfalls herleitungsfrei. Wie kann ich also SuS erklären, dass Herleitungen wichtig sind, wenn nicht mal matheaffine Studiengänge diese benötigen. Und ja, man kann jetzt mit "logischem, abstraktem Denken" kommen. Bei den meisten SuS bin ich aber froh, wenn sie überhaupt eine Struktur in ihren Rechenvorgängen haben.

  • ernte: Entscheidend sind die Vorgaben des jeweiligen Kerncurriculums. Ich habe einfach mal in die Curricula meines Bundeslandes geschaut. Zunächst einmal: Aus der Didaktikeinführung weißt du sicher, dass im didaktischen Kontext das Beweisen "Argumentieren" heißt und eine allgemein-mathematische Kompetenz ist. Im Grundschulcurriculum kommt das Wort "Beweisen" nicht vor. Da geht es eher um Vorläuferfertigkeiten, Stichwort "substanzielles Argumentieren". Im Sek I-Curriculum kam das Wort "Beweis" genau einmal vor. Dabei geht es um vereinzelte einfache und plastische Beweise für zentrale Themen wie der Satz des Pythagoras oder die binomischen Formeln. Das ist natürlich noch keine hohe mathematische Kunst, aber zumindest am Gymnasium sollten die Schüler diese elementare Form des Beweisens kennengelernt haben. Im Sek II-Curriculum spielt das Beweisen schon eine größere Rolle. Im Grundkurs spielen anschauliche Beweise nur eine kleine Rolle; quasi als 15-Punkte-Hürde. Im Leistungskurs sollen hingegen erste formale Beweise thematisiert werden. In der Q4 darf ein Themenfeld mitsamt vertieftem Fokus auf einer allgemein-mathematischen Kompetenz frei gewählt werden. Das kann auch "Argumentieren und Beweisen" sein und dazu gehört dann auch explizit das analytische Argumentieren, das du aus dem Studium kennst.
    Beweise sind also nicht vollkommen irrelevant, aber wie schon die anderen User andeuteten, nur häppchenweise und eher gegen Ende der Schulzeit. Wenn du also gerne formal beweist (und sich dein Curriculum nicht signifikant von dem meines Bundeslandes unterscheidet), solltest du später möglichst jedes Jahr einen Leistungskurs unterrichten und dazu noch eine Mathematik-AG oder so führen ;) .

  • Piksieben. Eben nicht. Immer schön langsam... Gerade weil ich Beweise/Herleitungen mag habe ich mich für das Studium entschieden und diese Frage gestellt. Ich habe es als Schüler übrigens sehr gehasst, wenn ich den Lehrer nach den Hintergründen in Bezug auf Formeln/Sätzen gefragt habe und er dann geantwortet hat: "Es ist nunmal so." Demnach liegt bei mir der Anspruch den Schüler eines Tages nicht nur rechnen zu lassen.

    Dann lass dir diesen Anspruch bloß nicht nehmen. Die einzigen guten Erinnerungen aus eigenem Schulunterricht sind die Momente, in denen ich merkte, es knirscht im Gehirn. Wie soll man Denken lernen, wenn man einfach nach Schema F rechnet. Die Schüler hätten das wohl manchmal gern, dann sage ich, dass das nicht Vorturnen-Nachturnen ist, sondern dass sie selbst nachdenken müssen. Und das ist natürlich auch in den Richtlinien vorgesehen. Mit Formel anschreiben - rechnen bestehst du keine Lehrprobe.


    Ich weiß noch, dass ich meinen Biolehrer mal fragte, warum Motten immer ins Licht fliegen. Der hat getan, als sei das eine saublöde Frage, dabei hatte er einfach keine Ahnung.

  • Ich find's als Chemielehrerin toll, wenn meine SuS das in der Mathe lernen weil ich es immer wieder gut gebrauchen kann. Ich lege mehr Wert darauf, dass die SuS nachvollziehen können, wie z. B. die Puffergleichung hergeleitet wird, als dass sie damit rechnen können, da eine konkrete Rechnung in einer experimentellen Naturwissenschaft häufig eh an der Realität vorbeigeht. Also wenn es das Curriculum hergibt, kann ich jeden Mathelehrer nur ermutigen, das zu pflegen. :)

  • Als Geschichtslehrer finde ich die Frage nach der Herleitung, die ja nichts anderes ist als die Frage nach dem "warum", extrem wichtig. Ich stelle in meinem Unterricht immer wieder fest, dass die Frage nach dem Warum den Schülern mehr oder weniger abtrainiert ist. Das sei "Stoff". Das sei zu lernen, heißt es immer wieder. Aber in historischen Zusammenhängen muss dabei doch immer gleichzeitig die Frage gedacht sein, warum dies Elemente der Wissensformation sind.


    Diese Gedankengänge sind für mich gleichbedeutend wie die rationale Herleitung von mathmatischen Inhalten. Gut und schön, die Formel ist so. Aber WARUM ist sie so?


    Denken 101

  • Für mich auch - das anschauliche Darstellen von Formeln und Rechnungen ist eben keine Herleitung. Eine vielleicht noch häufig in der Oberstufe benutzte Herleitung ist der Übergang vom Differenzenquotient zum Differentialquotienten.

    Natürlich sind die Beweise und Herleitungen die wir in der Uni gemacht haben viel komplexer als die, die ich im Unterricht mache.
    Aber für mich ist es, wie für Meerschwein Nele, wichtig, dass meine Schüler wissen wie man auf eine Formel kommt. Das erleichter oftmals das Merken.

  • Natürlich sind die Beweise und Herleitungen die wir in der Uni gemacht haben viel komplexer als die, die ich im Unterricht mache.Aber für mich ist es, wie für Meerschwein Nele, wichtig, dass meine Schüler wissen wie man auf eine Formel kommt. Das erleichter oftmals das Merken.

    Aber das ist doch wie gesagt ein Unterschied: Wie ich auf die Formel komme, sollen die Schüler gerne wissen, bzw. ich gebe ihnen die Möglichkeit, sie selbst zu entdecken. Der formale mathematische Beweis bzw. die formale mathematische Herleitung muss ich deswegen noch lange nicht unterrichten.

  • Aber das ist doch wie gesagt ein Unterschied: Wie ich auf die Formel komme, sollen die Schüler gerne wissen, bzw. ich gebe ihnen die Möglichkeit, sie selbst zu entdecken. Der formale mathematische Beweis bzw. die formale mathematische Herleitung muss ich deswegen noch lange nicht unterrichten.

    Ich hab auch irgendwie das Gefühl, dass hier nicht zwischen "formal beweisen" und "zeigen, wie die Formel zustande kommt" unterschieden wird.

  • Ich bin der Meinung, dass man, wenn man ein Fach namens "Mathematik" unterrichtet, den Schülern zumindest eine Chance geben sollte, zu verstehen, was Mathematik eigentlich ist.


    Dazu gehörten sicherlich auch Beweise, denn es ist in der Mathematik nun mal so üblich, dass man sich versichert, dass die Annahmen, die man macht, auch korrekt sind.


    Schon in der Mittelstufe lassen sich eine Vielzahl von Aussagen schülerverständlich (für manche wenigstens) und weitgehend korrekt beweisen:


    - Winkelsumme im Dreieck
    - Winkelsumme im n-Eck
    - die Mittelsenkrechten schneiden sich in einem Punkt
    - andere Kopunktualitätsbeweise
    - Satz des Thales
    - Satz des Pythagoras
    - andere Sätze am rechtwinkligen Dreieck
    - Irrationalitätsbeweise
    - es gibt unendlich viele Primzahlen


    Ich sage weitgehend korrekt, weil sich ein axiomatischer Aufbau der Geometrie in der Schule natürlich nicht anbietet. Bestimmte Annahmen werden einfach getroffen. Da man einen solchen formal völlig korrekten Aufbau ohnehin nicht erreichen kann, muss man natürlich auch nicht alles beweisen. Ferner sollte man i.d.R. nicht um des Beweisens willen beweisen, sondern um die Aussage plausibel zu machen.


    Man kann durch diese Themen sehr gut eine Binnendifferenzierung erreichen.


    Ich mache mal ein Beispiel am Satz des Thales: Setzt man in der bekannten Beweisfigur (Thaleskreis, Dreieck, zusätzliche Linie von C zu M) einen konkreten Winkel für alpha ein (etwa 33°), so sollten alle Schüler in der Lage sein, durch anwenden bekannter Sätze (Winkelsumme, Basiswinkel in Gleichschenkligen Dreiecken) die übrigen Winkel zu berechnen.
    Die starken Schüler nehmen nicht 33°, sondern rechnen allgemein mit Alpha.


    In der Oberstufe, auch im Leistungskurs, versuche ich bei allen Aussagen, deren Beweis sich aus unterschiedlichen Gründen hier nicht machen lässt, deutlich zu machen, dass es sich um eine beweisbedürftige Aussage handelt. Es gibt nämlich durchaus Schüler, die meinen, etwas nicht verstanden zu haben, nur weil der Lehrer es nicht für nötig hielt, dass man das mit den gegebenen Mitteln gar nicht verstehen kann.


    Ein Beispiel wäre der unsägliche Beweis der Kettenregel durch Erweitern des Differentialquotienten. Das ist - von mir aus - eine Merkregel oder Plausiblemachung, aber kein Beweis!

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