Sind Lehrer unangreifbar?

  • Hallo!


    Ich bin seit mittlerweile 1 1/2 Jahren Vertretungslehrer an einem Gymnasium in NRW, auch im kommenden Schulhalbjahr wird mein Vertrag verlängert. Ich habe kein Lehramt studiert, sondern war zuvor in der Industrie und in der Uni tätig. Irgendwann in grauen Vorzeiten habe ich auch mal eine Berufsausbildung absolviert. Ich kenne das Lehrerdasein, aber eben auch das "ganz normale Berufsleben".
    Ich würde heute von mir selbst sagen: "Ich arbeite als Lehrer, ich bin aber keiner."


    Immer wieder einmal frage ich mich, warum Lehrer/Kollegen teilweise extrem negativ reagieren, wenn man ihr Tun in der Schule und im Unterricht hinterfragt oder gar kritisiert? Wähnen sich Lehrer noch immer als unangreifbar?


    So ziemlich jeder Mensch muss sich ggf. in seinem Beruf Kritik gefallen lassen, und er wird eigentlich ständig hinterfragt: von Vorgesetzten, von Kunden (von diesen ganz besonders!), von Kollegen, von Angehörigen und Betroffenen (je nach Berufsgruppe).


    Warum haben Lehrer so ein Problem damit UND können ganz oft nicht damit umgehen?

  • Viele Kollegen sehen es so:


    man widerspreche dem Arzt nicht: er weiss, was er alles so tut --> hat er gelernt...
    man erzähle dem Rechtsanwalt nicht, wie er etwas besser tun kann: er kennt sich mit aus --> hat er gelernt...


    Lehrer sein ist ein langer Prozess, wo sich die Wirkung nicht direkt zeigen lässt --> daher ist eine Kritik nicht immer angbracht ... je nachdem.


    Klar gibt es die "very special" Kollegen, allerdings gibt's die auch überall ;)

  • Also Lehrer werden ständig hinterfragt. Sei es durch Eltern, die die Note ihrer Kinder nicht akzeptieren wollen, durch Schüler, die sich immer ungerecht behandelt fühlen, durch die Öffentlichkeit, die meint der Job ist viel zu überbezahlt oder von Leuten, die meinen sie wüßten es besser.


    Also ist die gesündeste Reaktion für mich, sie zu ignorieren. Solange ich mich an die rechtlichen Vorgaben halte, entscheide ich wie unterrichtet wird, wie die Klausuren aussehen und wieviel ich für eine ordentliche Bewältigung meines Jobs aufwende.
    Wer damit ein Problem hat, darf seine Meinung gerne behalten.


    Und du bist nicht der einzige hier der ausserschulische Erfahrung hat. Was man sich da zum Teil als Feedback anhören durfte, war zum größten Teil lächerlich. Und wenn es der Vorgesetzte war, war es nichts anderes als Argumente zur Vertriebssteigerung.


    Qualitatives FB geben können die meisten sowieso nicht, suhlen sich aber gerne in ihrer "Kompetenz" darin.


    Und FB an der Uni ist wirklich die absolute Lachnummer. Als ob es einen Prof interessiert was der kleine Student von seiner Lehre hält. Was in D zählt ist die Forschung und nicht die Lehre

  • Eine ganz schlimme Fehlwahrnehmung ist es meiner Meinung nach auch zu behaupten, dass wir Kunden hätten. Von Kunden wäre ich abhängig, ich müsste versuchen sie zufriedenzustellen. Nichts davon ist eine Funktion von Schule. Die Frage ist auch wer das Tun in der Schule und im Unterricht hinterfragt oder kritisiert...Fachleute? Cui bono? Wenn mich Eltern kritisieren, weil ein einziges Kind schlechte Noten hat ist es sehr unwahrscheinlich, dass das die richtige Stoßrichtung ist und wenn eine ganze Klasse schlechte Noten hat, frage ich mich hoffentlich rechtzeitig selbst was da passiert ist...

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • Ich weiß nicht recht. Gibt es nicht überall solche und solche?


    Niemand hört gerne Kritik.


    Was man macht, macht man doch in der Regel nach bestem Wissen und Gewissen. Wenn dann einer kommt und sagt, dass ist schlecht, dann hat man zunächst einmal keine positiven Gefühle.


    Aber Recht hast, dass man das aushalten muss. Wenn ich Schüler frage, wie sie meinen Unterricht und/oder mich finden (anonym), dann sage ich Ihnen, dass ich mir alles durchlese und darüber nachdenke, das hieße nicht, dass ich in allem zustimme und alles so mache, wie die Schüler es wollen, aber ich denke darüber nach. Das verspreche ich ihnen.

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

  • Lehrer sind wie Bundestrainer. 80 Mio. Deutsche wissen es besser, denn es hat ja jeder schon mal Fußball geguckt.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • "Also ist die gesündeste Reaktion für mich, sie zu ignorieren. [...] Wer damit ein Problem hat, darf seine Meinung gerne behalten."



    Das ist genau das, was ich meine. Oh man.

  • Hallo Catania,


    ich habe auch in der Industrie gearbeitet und kann ganz und gar nicht bestätigen, dass Lehrer weniger hinterfragt und kritisiert würden als andere Arbeitnehmer. Wenn man intensiver in die kollegialen Netzwerke integriert ist, erlebt man, dass die Kollegen Kritik sehr ernst nehmen und ihre Entscheidungen und ihren Unterricht selbst oft kritisch hinterfragen und sich Einschätzungen und Rat von Kollegen holen. Lehrer gehen ständig und insgesamt sehr professionell mit Kritik um.
    Allerdings kommt auch vieles als Kritik daher, was zumindest in Teilen auch Mittel zum Zweck für was ganz anderes ist und da ist es schlicht richtig, sich eindeutig abzugrenzen. Und ja, solche Geschichten sind auch öfter mal ganz schön ärgerlich. Wer im Lehrerzimmer mal schimpft, muss deswegen noch lange keine Mimose sein.


    Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder du hast mit den Geschichten, die dir aufgefallen sind, nichts zu tun. Dann kannst du nicht beurteilen, ob die Reaktion der Kollegen angemessen ist. Oder du hast damit zu tun. Dann würde ich allerdings auch mal intensiv nachdenken. Aber weniger über die Lehrer. In meinem Industriejob hätte sich jedenfalls ein Newcomer, der gestandene Kollegen "immer wieder einmal" "hinterfragt oder gar kritisiert" hätte, mit Sicherheit einen veritablen Einlauf geholt. :P


    Die meisten Lehrer, die ich kenne, sind nachdenkliche, offene, geduldige Menschen und werden den vielen Menschen, mit denen sie jeden Tag umgehen, nach bestem Wissen und Gewissen gerecht. Ich fühle mich wohl unter Lehrern!


    Rata

  • Aus meiner nun schon längeren Berufserfahrung habe ich es eher so wahrgenommen, dass die Quereinsteiger weniger kritikfähig waren als die grundständigen Lehrer, so nach dem Motto. "Ich habe da draußen gearbeitet, ich weiß daher auf was es ankommt und was die Kids brauchen."


    Gruß !

  • Als Mitglied der Schulleitung rede ich oft mit Kollegen über ihre Kompetenzen, gebe ihnen Rückmeldungen und evaluiere. Und das sollte an den meisten Schulen so üblich sein. Klar, keiner findet Kritik toll, aber meine Erfahrungen mit diesen Evaluationsgesprächen sind sehr positiv. Nix mit Ablehnung und Unverständnis.

  • Interessante Frage...... ich denke tatsächlich dass es damit zu tun hat, dass man ständig von allen Seiten kritisiert wird. Schüler, Eltern, Kollegen, Schulleitung , alles was "über einem so ist..." - ständig muss man sich rechtfertigen..... dabei aber alles transparent gestalten.
    Als Lehrer ist man immer in einem Spannungsfeld. Irgendwann gehen manche einfach nur noch in Abwehrhaltung. Und je nach dem, wie "labil" man in seiner eigenen Persönlichkeit so ist.....ich kann das durchaus nachvollziehen.
    Besonders heute, wo ich einige nette Elternbegegnungen hatte.
    Ich könnte bei der Stundenplangestaltung doch darauf achten, dass das Kind keine erste Stunde mehr hat im kommenden Schuljahr.
    Also wenn man solche Vorschläge bekommt... plus der ganzen Kritik.....
    Gott sei Dank habe ich ein super dickes Fell. Was mich auch durchaus kritikfähig macht.
    Aber ich kann Kollegen teilweise echt verstehen.
    Und am Gymnasium kommt ja dann gleich der Anwalt, Hand in Hand mit den Eltern, die Tür rein....

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

    • Offizieller Beitrag

    "Ich arbeite als Lehrer, ich bin aber keiner."

    Das sagen hoffentlich die meisten Lehrer von sich, weil es die Aussage von vernunftbegabten Profis ist.
    Ich bin nicht mein Job. Ich bin noch sehr viel mehr. Und von quasireligiösen Überhöhungen eines Berufs - von außen wie von innen - halte ich nichts.


    Zur Kritik: ich lasse mich von jedem Abiturjahrgang evaluieren, am letzten Tag, wenn es nix mehr zu gewinnen/verlieren gibt. Die meisten meiner Kollegen tun das. Ist normal. Kann hilfreich fürs weitere Arbeiten sein, punktuell. Man weiß, was man wie zu lesen hat. Grund zur Freude ist auch immer wieder dabei. Sollte man weder zu tief nich zu hoch hängen, gehört zum Geschäft.


    Während des laufenden Betriebs frag ich öfter nach. Mehr/weniger/schneller/höher/weiter? Und arbeite äußerst transparent. Da kommt Kritik eher gar nicht erst auf, weil ich präventiv arbeite.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Ich kenne niemanden, der positiv darauf reagiert, wenn sein Tun (und v.a. seine Person!) "hinterfragt" wird. Herrje, sag mal einem Arzt, dass du so dreist warst deine Beschwerden erst selber zu googeln :autsch:


    Kritikfähigkeit schließt für mich auch das sachliche Äußern von Kritik ein. Ungefragte Ratschläge oder Gemecker nach persönlichem Geschmack sind keine konstruktive Kritik. Wer sagt denn, das du Recht hast mit dem, was du zu kritisieren dich anschickst?


    Wenn ich eine Frage habe, hole ich mir Unterstützung von Kollegen oder Vorgesetzten. Und zwar frage ich denjenigen, von dem ich zur Frage das meiste Fachwissen/ Berufserfahrung erwarte.

  • Das sagen hoffentlich die meisten Lehrer von sich, weil es die Aussage von vernunftbegabten Profis ist.Ich bin nicht mein Job. Ich bin noch sehr viel mehr. Und von quasireligiösen Überhöhungen eines Berufs - von außen wie von innen - halte ich nichts.


    Ich sehe das ähnlich aber ein bisschen anders. Ich sage von mir "Ich bin ein Lehrer."


    Das sage ich genauso, wie ein Handwerker sagt "ich bin ein Tischler" oder "ich bin ein Koch". Oder ein studierter Professional sagt "ich bin ein Arzt", "ich bin ein Steuerberater", "ich bin ein Architekt." Lehrer ist das, was ich gelernt habe, ein Beruf, mit dem ich mich identifizieren kann und von dem ich glaube, dass ich ihn ziemlich gut beherrsche. Da spielt durchaus Handwerkerstolz mit. Das gleiche gilt übrigens auch für das, was ich vorher in einem rein akademischen Leben getan habe. Ich sage nämlich auch "ich bin ein Historiker" und "ich bin ein Literaturwissenschaftler".


    Nota bene. "Ich bin ein Lehrer" heißt, ich bin ein Profi in diesem Beruf. Das heißt, ich mache keine Versprechen, die ich nicht einhalten kann, ich garantiere nur die Qualität, die mir die Voraussetzungen und der Preis erlauben, und vor allem, ich arbeite nicht umsonst.


    Idealist bin ich nicht. Hitler war ein Idealist, Mao war ein Idealist. Damit will ich nichts zu tun haben.


    Nele

  • Immer wieder einmal frage ich mich, warum Lehrer/Kollegen teilweise extrem negativ reagieren, wenn man ihr Tun in der Schule und im Unterricht hinterfragt oder gar kritisiert? Wähnen sich Lehrer noch immer als unangreifbar?

    Och, das ist wie bei jedem größeren Fußballspiel. Da gibt es in Deutschland auch immer gefühlte 80-millionen Trainer.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Herrje, sag mal einem Arzt, dass du so dreist warst deine Beschwerden erst selber zu googeln :autsch:

    Interessanterweise nehmen sich viele Menschen aber nicht den Ton gegenüber Ärzten und Rechtsanwälten heraus, den sie sich gegenüber Lehrern erlauben. Lehrer haben einfach noch einmal eine andere (geringere) Stellung als andere Akademiker. Klar lästern auch viele über Ärzte und deren Fehldiagnosen, aber eher hintenherum. Sich vor einen Arzt zu setzen und den anzubluffen ist eine viel größere Hemmschwelle als das bei einem Lehrer zu tun. Letzterer ist ja eben "nur" Lehrer.

  • Viele Menschen gehen auch nicht jahrelang bei Ärzten oder Anwälten in die Lehre. Sonst würde deren Berufsausübung ähnlich wenig Respekt entgegen gebracht.

    "A lack of planing on your side does not constitute an emergency on my side."

  • Ich glaube, nebst der genannten Tatsache, dass jeder glaubt, er könne Lehrer beurteilen, weil er mal Schüler war, spielt Folgendes eine Rolle:


    Der Richter hat ein hohes Ansehen, weil er ein recht hartes Studium (Jura) hinter sich hat und ein Prädikatsexamen (recht schwer, nur 15-20%) geschafft hat. Das ist schwer.


    Der Arzt hatte ein Abi von 1,0/1,1/1,2, ein recht hartes und langes Studium und "rettet Leben" - Das ist angesehen.


    Der Lehrer hingegen hat ja "nur auf Lehramt studiert, also nix Richtiges" und dann oft "nur ne Geisteswissenschaft".
    Da ist das Ansehen geringer.


    Zudem bewegt sich der Lehrer in einer Kinderwelt, die von Erwachsenen oft nicht ernst genommen wird.

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