Im Forum von referendar.de ist eine Diskussion entbrannt über mögliche Reformen der Lehrer-Ausbildung. Heike und Melosine haben interessante und bedenkenswerte Beiträge geschrieben, die ich hier mal konserviere (da bei referendar.de ein Relaunch - auch und v.a. des Forums - ansteht, ist nicht gesichert, daß die Beiträge da auch erhalten bleiben).
ZitatAlles anzeigenHeike: Ich habe während meines Refs oft darüber nachgedacht, ob Zeit- und Schlafmangel dadurch behoben hätten werden können, dass ich im Studium mehr Fachdidaktik als Fachwissen mitbekommen hätte - und lese in den unten stehenden Beiträgen, dass dies offensichtlich anderen genauso geht.
Von dem Gedanken bin ich (inzwischen 5 Jahre dabei / Deu-Engl. Gymnasium, hauptsächlich Oberstufe) inzwischen wieder abgekommen: Mehrere Leistungskurse durchs Abi zu bringen hat mich eines Besseren belehrt. Ich brauche jedes Fitzelchen Fachwissen, das ich habe!
Viel Zeit spare ich z.B. damit, dass ich Texte einfach schnell verstehen kann, zur Not auch noch während des Unterrichtens (sollte ich mich schlampig vorbereitet haben, was notgedrungen öfter vorkommt) und dass die Schüler diese Kompetenz auch merken, ist fürs Klima unendlich wichtig.
Ich habe auch schon mehrere Praktikanten betreut, deren 3 Semester Studium ihnen über literarische Werke noch nicht so viel beigebracht haben, dass sie damit wirklich zurecht kamen - die Ärmsten haben ewig und drei Tage gebraucht, bis sie einen Text so weit verstanden haben, dass sie ihn auf Schülerneiveau runterkochen konnten.
Nein fachliche Sicherheit muss sein (zumindest am Gymn.), und zwar auch in der Tiefe und ganz bestimmt auch spontan abrufbar - man kann sich bei 27 Stunden nicht so vorbereiten, dass man sich den ganzen Kram vorher anliest: man muss ihn einfach drauf haben.
Praxis kann man aber im Ref schon mehr brauchen. Unendlich viel genützt hat mir meine Nachhilfetätigkeit und mein Jahr als Assistant Teacher in England: vor einer Klasse zu stehen
und keine Angst zu haben oder nicht zu wissen, wie man stehen/gehen/reden soll, ist tödlich bei all dem anderen Stress.
Hieße für mich auf Uni bezogen: Semesterbegleitende, intensive Praktika, die nicht unbedingt benotet werden, aber getan werden müssen - am besten mit einer richtig vernünftig hohen Anzahl von zu unterrichtenden Stunden (die 2, die ich da gehalten habe...naja...an die kann ich mich nicht mal mehr erinnern. Wird schon nicht so dolle gewesen sein!).
WENIGER Fachdidaktik - was soll mir denn zum Teufel in der Praxis die Rolle der Reformpädagogik in der Entwicklung zur kommunikativen Fremdsprachendidaktik? Oder der lernpsychologische Wert der Kategorisierung von Sprechakten? NIX!!
Ich habe diese ganzen Veranstaltungen (oft im Halbschlaf) abgehakt und nie wieder etwas davon gebrauchen können. Den ganzen Theoriedidaktik-Senf kann man streichen. Dafür lieber: Konkrete Umsetzungsformen von Themen / Texten in Unterricht. Vielleicht begleitend zu den fachwissenschaftlichen Seminaren.
Ich stelle mir das so vor: Ich mache ein Seminar zu Schiller (Geometrie / Quantenphysik / Meeresbiologie) und zu einem jeden davon gibt es ein Zusatzseminar oder eine Übung, wie man aus dem nun gut verstandenen (!!) Drama eine Unterrichtsreihe macht. Ganz konkret mit Stundenplanungen, wieder runterkochen auf Schülerniveau, Methoden und Ergebnissen.
Das hätte mir was gebracht! Das ist nämlich das Schwierige: Man kann nichts unterrichten, was man nicht in der Tiefe verstanden hat - aber wenn man mal was richtig gut verstanden hat, neigt man dazu, das auch 1:1 in den Schülerköpfen abbilden zu wollen - kann man natürlich vergessen.
Außerdem könnte nützen:
- Schulrecht statt historischer Aufarbeitung Reformpädagogik
- konkretes Konfliktlösungstraining statt Kommunikationstheorie
- aktives Sprech- und Rhetoriktraining statt lernpsychologischer Sprachanalyse
- keine Methoden ohne Inhalte vermitteln (Klippert kann man nicht lesen und abnicken, wenn man keine Reihe/klasse im Kopf hat, auf die man irgendwas beziehen will - das ist wie Kochen ohne Zutaten, nur mit Geschirr!)- sprich: diese Art Seminare sollte an die Fachbereiche verlegt werden und dort mit konkreten Inhalten gefüllt werden
- naja, du verstehst, was ich meine.
ZitatAlles anzeigenMelosine: Während meines Studiums war ich oft unzufrieden, weil ich der Meinung war, als Grundschullehramtsstudentin mit einem Zuviel an Fachwissenschaft geplagt zu werden.
Teilweise sehe ich das immer noch so, kann aber heute auch die positiven Effekte dabei erkennen: ich habe gelernt, mich mit wissenschaftlichen Inhalten auseinanderzusetzen, schwierige Texte zu verstehen und im Rahmen der wissenschaftlichen Hausarbeit meine eigenen Argumente zu finden bzw. diese mit entsprechender Fachliteratur zu begründen und zu stützen.
Zudem sind die Aufgaben in der Grundschule so vielfältig, dass man die in einem wissenschaftlichen Studium erworbenen Qualifikationen dringend benötigt.
Im Fach Deutsch hatten wir einen Didaktiker, der relativ unbeliebt war, weil er uns auch noch in Didaktik mit Theorien und Hintergründen quälte, aber heute muss ich sagen, dass ich davon mit am meisten profitiere.
Da ich meinen Deutschunterricht anders gestalte, als das an meiner Schule üblich ist, komme ich als Referendarin schon in Rechtfertigungsdruck - dem ich aber aufgrund des Hintergrundwissens, z.B. über die Bedeutung der Entwicklung narrativer Fähigkeiten bei Kindern für Schreiblernprozesse bisher standhalten kann.
Für die Struktur des Hochschullstudiums überdenkenswert halte ich jedoch vor allem zwei Punkte:
1. Die Frage nach dem Praxisbezug vs. wissenschaftliches Denken und
2. Die Möglichkeit zur Entwicklung persönlicher Kompetenzen für den Lehrerberuf im Studium (sprich: Persönlichkeitsentwicklung)
Zu Punkt 1 ist zu sagen, dass immer mal wieder darüber diskutiert wird, die Ausbildung der Grundschullehrer an die Fachhochschule zu verlegen, um einen größeren Praxisbezug zu ermöglichen. Es scheint somit immer nur eine Möglichkeit zu geben, die die andere ausschließt: mehr Praxis = weniger Fachwissenschaft und umgekehrt.
Es wäre aber doch auch denkbar, einen größeren Praxisbezug herzustellen, bspw. durch durchgängige, studienbegleitende Praktika, die dann fachwissenschaftlich eingebettet, begleitet und aufbereitet werden.
In der Richtung gibt es niederländische Modellversuche, die u.a. zeigen, dass damit der Praxisschock von Berufsanfängern vermieden wird.
An unserer Uni gab es Ansätze in der Richtung, allerdings immer in Form von Projekten, die natürlich freiwillig waren, mit keinem Schein belohnt wurden und zudem eine Verpflichtung über mindestens zwei Semester bedeuteten. Trotzdem waren diese Veranstaltungen beliebt.
Aber es waren wie gesagt Projekte, die einem kleinen Teil der Studenten vorbehalten waren. Außerdem fehlte eine größere Vernetzung an der Uni. Der Bezug bestand zum erziehungswissenschaftlichen Kernbereich, die Fchwissenschaften spielten dabei keine Rolle.
Zu Punkt 2 nur noch ganz kurz (die Unterrichtsvorbereitungen warten mal wieder): ich bin der Meinung, dass die Persönlichkeit für den Lehrerberuf eine wesentliche Rolle spielt. Ebenso die persönliche Eignung. Trotz aller Widersprüche, die ich darauf vermutlich erhalten werde, glaube ich nicht, dass jeder für diesen Beruf geeignet ist.
Viele studieren auf Lehramt aus der Not heraus, stellen im ersten Praktikum fest, dass es nicht so gut läuft, aber was solls, vielleicht wirds besser, merken im zweiten und letzten Praktikum, dass es ihnen persönlich gar nicht gut beim Unterrichten geht, aber dann ist es auch schon zu spät zum Aufhören und vielleicht bringts das Referendariat ja dann...
Während des ganzen Prozess' im Studium gibt es keine Möglichkeit, die Schwierigkeiten gezielt anzugehen und aufzuarbeiten bzw. rechtzeitig erkennen zu können, ob der Beruf wirklich in Frage kommt.
Auch persönlichkeitsbildende Seminare mit Elementen bsw. aus Psychodrama und Gestalttherapie halte ich keineswegs für ein Relikt aus den 70ern, sondern finde es unbedingt notwendig, dass ein Lehrer in der Lage ist, sich selbst zu reflektieren, seine Stärken und Schwächen kennt und weiß,wann er was auf andere projiziert, etc.
Diese Bereiche kommen an der Uni vor, führen aber ein jämmerliches Schattendasein in einer Nische der pädagogischen Ausbildung (hier auch wieder: meist kein Scheinerwerb möglich).
Solche Bereiche gehören daher m.E. nach viel stärker in die Ausbildung integriert.
Dabei sollte es zu eienr Vernetzung der Fachbereiche unetreinander kommen, ohne das Wertigkeiten verteilt und gegeneinander ausgespielt werden.
An der Uni Kassel gibt es eine Forschergruppe, dioe sich im Rahmen einer Untersuchung zu psychosozialen Belastungen auch mit diesen Aspekten der Lehrerausbildung befasst (hat).
Weiß den genauen Link nicht mehr, aber unter www.uni-kassel.de müsstest du eigentlich fündig werden.
Da kommen diskussionswürdige Ansichten zutage, auf die ich gerne bei Gelegenheit mal eingehen würde. Im Moment hab ich aber leider keine Zeit dazu.
demnächst mehr...
gruß, ph.