Gesellschaftliche Veränderungen

  • Hallo zusammen,
    ich habe heute im Radio gehört, das Niedersachsen 300 Millionen Euro für Sozialarbeiter an Schulen ausgeben möchte. Erstmal eine gewaltige Zahl, die für die gesellschaftlichen Veränderungen - Die natürlich auch in der Schule ankommen - ausgegeben werden. Ich bin noch im Studium, studiere Lehramt in Niedersachsen und man hört immer öfter, das Lehrer mehr und mehr zum Sozialarbeiter werdenund auch sind. Natürlich ist es auch im Studium ein Thema und wir werden darauf eingestellt, das wir so eine Schulzeit wie der unseren nicht mehr erleben werden. Wir sind vielmehr Vermittler und Streitschlichter zwischen Kulturen, neben unseren studierten Fächern auch Deutschlehrer und Sozialarbeiter. Das ist etwas überspitzt formuliert, aber viele sind sich einig, das dorthin die Zukunft steuert. Ich kann es nicht beurteilen, da ich noch kein Praktikum hatte, aber ist man wirklich mehr Sozialarbeiter als Lehrer - besonders in der Grundschule, IGS, Realschule ?


    Könnt ihr als arivierte Lehrkräfte diese Entwicklung sehen und vielleicht spüren ?
    Ist der Lehrerberuf für euch trotzdem noch erstrebenswert ?


    Vielen Dank euch !

    • Offizieller Beitrag

    Das kommt darauf an, an welcher Schulform Du arbeiten wirst und welches Einzugsgebiet die Schule hat.
    Es gibt Schulen und Regionen bzw. Stadtteile, in denen ist das in der Tat so krass, wie von Dir beschrieben, so dass Du als Lehrer sicherlich zu einem höheren Grad Sozialarbeiter bist.


    Es gibt aber auch Schulen, an denen "die Welt noch in Ordnung ist", wobei der gesellschaftliche Wandel auch an den Gymnasien spürbar ist. Dennoch kann ich sagen, dass wir für ein innerstädtisches Gymnasium noch recht gute Bedingungen haben, was die Klientel angeht. Natürlich gibt es auch zunehmend "Problemschüler", die werden bei uns aber durch ein weitergebildetes Team von Kollegen betreut. Dadurch halten sich extreme Disziplinverstöße oder chaotische Klassen, die nicht zu unterrichten sind, in erträglichen Grenzen.

  • Ach das Gejammer über die "Jugend von heute" gibts doch schon seit Menschen Gedenken. Klar hat man als Lehrer anstrengende Phasen, vielleicht auch welche, in denen man an seiner Berufswahl zweifelt.


    Aber mir sind meine verhaltenskreativen SchülerInnen und ihre pöbelnden Eltern samt ehrlicher Emotionsbekundungen lieber, als Kunden mit überzogenen Wünschen, Patienten mit Geschlechtskrankheiten oder jeden Tag die Tiefkühlbackrohlinge in den Ofen zu schieben.


    Alles in allem lernst du ein gut bezahltes, abwechslungsreiches Handwerk :)

    • Offizieller Beitrag

    @Schantalle


    Über das altbekannte Zitat des griechischen Philosophen habe ich auch schon vor einiger Zeit lange nachgedacht. Letztlich ist aus der Jugend dann doch immer noch etwas geworden und wir haben uns weiterentwickelt. Ich gestehe, dass ich im digitalen Zeitalter bei den Jugendlichen diese Entwicklung bezüglich ihrer hoffentlich langfristigen positiven Folgen noch nicht so ganz erkennen vermag, aber die Geschichte der Menschheit sollte uns eigentlich halbwegs optimistisch stimmen.

  • Hallo zusammen,
    ich habe heute im Radio gehört, das Niedersachsen 300 Millionen Euro für Sozialarbeiter an Schulen ausgeben möchte. Erstmal eine gewaltige Zahl, ...

    Warten wir erst einmal ab, wieviel Geld tatsächlich netto ins System Schule kommt (und nicht an anderer Stelle wieder eingespart wird, wie oft der Fall).


    Hier ein Artikel vom März dieses Jahres dazu:

    http://www.haz.de/Nachrichten/…r-1000-Schulen-einstellen


    Also 900 Stellen sind eher 45 Millionen Euro im Jahr und keine 300 Millionen. Und davon ist der Großteil wohl eine Umschichtung von Haushaltsmitteln (wahrscheinlich aus dem Bildungsbereich, woher sonst?).


    Und Gymnasien dürfen sich solche Stellen selbst finanzieren (aus dem Ganztagsbudget, d.h. statt Lehrerstellen gibt's Geld, für das man dann Sozialpädagogen einstellen kann, und die (dummen) Lehrer arbeiten dann unbezahlte Überstunden, um das Ganztagsangebot sicherzustellen, oder wie?). Die Ministerin geht also davon aus, dass es prinzipiell keinen besonderen Bedarf für solche Stellen an den Gymnasien gibt. Muss ich mir merken, wenn wieder einmal besondere "pädagogische Probleme" auftauchen sollten: Die dürfte es ja dann eigentlich nicht geben, die müssen dann also reine Einbildung sein...


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    Einmal editiert, zuletzt von Mikael ()

  • Ich bin noch im Studium, studiere Lehramt in Niedersachsen und man hört immer öfter, das Lehrer mehr und mehr zum Sozialarbeiter werdenund auch sind. Natürlich ist es auch im Studium ein Thema und wir werden darauf eingestellt, das wir so eine Schulzeit wie der unseren nicht mehr erleben werden.

    Früher waren die Kinder von 8 bis maximal 13 Uhr in der Schule. Heute ist Ganztag angesagt.


    Hausaufgaben machte man früher zuhause am Küchentisch, heute soll das in der Schule erfolgen.


    Früher aßen die Kinder zuhause Frühstück und Mittag, heute soll das in der Schule stattfinden.


    Früher sollten die Kinder in der Schule Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Heute ist Schule eine aufgeblähte Institution mit Zuständigkeit für nahezu alles, was irgendwie zum Leben gehört.


    Mit anderen Worten:


    Schule wurde von einer früheren Bildungsanstalt zu einer Art staatlichen Eltern-Ersatz-Anstalt umfunktioniert. Was früher selbstverständliche Elternaufgabe war, ist heute Aufgabe der Schule. Was früher in den Familien stattfand, soll heute in der Schule stattfinden. Die Eltern werden "entpflichtet" und aus ihrer Verantwortung genommen, die Schule soll übernehmen. Das Berufsbild des Lehrers gleicht zunehmend dem einer "Nanny", die das Elternhaus ersetzen soll.


    Das ist offensichtlich politisch so gewollt.


    Hinzu kommt, daß die Scherben politischer und gesellschaftlicher Fehlentwicklungen gerne bei der Schule abgeladen werden, um sich dann widerum darüber zu empören, dass die Qualität der Bildung zu wünschen übrig lässt.


    Logischerweise kommt man bei dieser Auffassung von "Schule" als Lehrer in immer geringerem Maße zur fachspezifischen Wissensvermittlung, weil man zunehmend mit diversen "sozialen Baustellen" beschäftigt ist.

  • Wenn mehr Geld für Sozialarbeiter ausgegeben wird, dann doch deshalb, weil Lehrer eben keine Sozialarbeiter sind und von Aufgaben, für die sie nicht qualifiziert sind, entlastet werden sollen. Ich teile die Skepsis, ob die Versprechungen eingehalten werden, aber die Richtung stimmt trotzdem.


    Bei uns gibt es einen Sozialarbeiter und ein speziell ausgebildetes Beratungsteam. Klar kümmere ich mich auch um meine Schüler, aber vor allem unterrichte ich.


    Und ja, natürlich darf man nicht die Schule seiner Kindheit erwarten, wenn man Lehrer wird. Alles verändert sich ständig, das gilt aber für alle Bereiche. Handsoome, du musst das schon allein für dich entscheiden. Ob "man" Lehrer werden sollte - wer will das wissen.

  • Früher waren die Kinder von 8 bis maximal 13 Uhr in der Schule. Heute ist Ganztag angesagt.


    Hausaufgaben machte man früher zuhause am Küchentisch, heute soll das in der Schule erfolgen.


    Früher aßen die Kinder zuhause Frühstück und Mittag, heute soll das in der Schule stattfinden.

    Was ist daran schlecht? Unsere SchülerInnen haben zum Teil sehr weite Anfahrtswege an die Schule. Wir sind so organisiert, dass ca. bis um 16 Uhr alles erledigt ist (inkl. Mittagessen und Hausaufgaben bzw. Lernen für Prüfungen), dann fahren alle nach Hause und haben tatsächlich noch Zeit für Hobbies. Den Eltern bleibt immer noch das gemeinsame Abendessen und eine Einmischung in Hausaufgaben oder Vorbereitung von Referaten ect. ist von Seiten der Schule sowieso nicht gewünscht.


    Aber um die Frage des TE zu beantworten: Ja, die Zeiten ändern sich und ja, das taten sie schon immer. Ich habe das große Glück, junge Menschen aus halbwegs bildungsnahem und "zivilisiertem" Elternhaus unterrichten zu dürfen, registriere aber dennoch, dass sich auch mein Bildungsauftrag verändert. Ich kämpfe weniger gegen Disziplinlosigkeit, als gegen postfaktische Filterblasen. Ich empfinde es als zunehmend schwierig zu vermitteln, dass Faktenwissen und sauberes Recherchieren auch und vielleicht gerade in der heutigen Zeit immer noch extrem wichtig sind.

  • Wir sind so organisiert, dass ca. bis um 16 Uhr alles erledigt ist

    Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass bei uns früher das Jugendtraining im Verein um 15:00h (F/E Jugend) begonnen hat und zwischen 18 und 19:00h (B/A Jugend) beendet war, damit die Erwachsenen trainieren konnten. Aber wer braucht schon Sportvereine, wenn er "qualifizierte Nachmittagsbetreuung" in der Schule haben kann?


    P.S.: Das ist nicht als Kritik an deiner Schule gemeint, sondern als generelle Kritik am System der Ganztagsschule. Wir hatten in Deutschland mal eine echt gute Nachmittagsbetreuung außerhalb der Schule und die wird durch den Ganztagsmist systematisch abgeschossen.

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass bei uns früher das Jugendtraining im Verein um 15:00h (F/E Jugend) begonnen hat und zwischen 18 und 19:00h (B/A Jugend) beendet war, damit die Erwachsenen trainieren konnten.

    In meinem Sportverein trainieren die Kinder und Jugendlichen von 18:00 Uhr bis 19:30 Uhr, danach kommen die Erwachsenen. Das mit Schule bis 16 Uhr gut vereinbar.



    Aber wer braucht schon Sportvereine, wenn er "qualifizierte Nachmittagsbetreuung" in der Schule haben kann?


    P.S.: Das ist nicht als Kritik an deiner Schule gemeint, sondern als generelle Kritik am System der Ganztagsschule.

    Du darfst Deine persönliche Meinung dazu selbstverständlich haben, wie ich meine habe. Ich denke, es macht einen Unterschied, ob wir über Kinder oder Jugendliche sprechen. In der Oberstufe finde ich Schule bis 16 Uhr absolut vernünftig sofern bis dahin wirklich alles erledigt ist und man die Jugendlichen mit nicht noch mehr Arbeit zuschmeißt, die sie dann zu Hause erledigen sollen.

    • Offizieller Beitrag

    In der Oberstufe finde ich Schule bis 16 Uhr absolut vernünftig sofern bis dahin wirklich alles erledigt ist und man die Jugendlichen mit nicht noch mehr Arbeit zuschmeißt, die sie dann zu Hause erledigen sollen.

    Deine Oberstufenschüler sind um 16uhr mit Allem fertig??!
    Bist du an einer Gesamtschule bzw. im G9?

  • Deine Oberstufenschüler sind um 16uhr mit Allem fertig??!

    Nein, leider läuft es nicht immer so weil 1. sich nicht alle Kollegen in ihrer Wichtigkeit zurücknehmen können und 2. natürlich auch nicht jedem Schüler das gleiche Organisations- und Zeitmanagements-Talent gegeben ist. Im Großen und Ganzen hält sich die außerschulische Belastung unserer SchülerInnen aber in Grenzen. Ansonsten ... Abi nach 13 Jahren rules ;)

  • Früher...

    ...war mehr Lametta, ich weiß. Wenns dich beruhigt: wir frühstücken als Familie morgens zusammen und ich kenne keine Familie, die es anders handhabt.


    Da normale Menschen aber arbeiten gehen, müssen die Kinder irgendwo Mittagessen. Viel trauriger, als dass Kinder in der Schule essen finde ich, dass viele Schulen es eben nicht gebacken (haha) kriegen, alle zu verköstigen, weil die Mensen zu klein und die Zeit zu kurz ist. Aber das ist ein eigenes Thema.


    Vorschlag: ruft doch mal eure ExlehrerInnen an und fragt die, wie sie euch in Erinnerung haben. Zum Glück waren wir nie faule, nervige Pappnasen, sondern immer fleißig und adrett. Und heute sind wir natürlich alle auf fantastischen Lebenswegen mit Nobelpreisen, Idealgewicht und stabilen Ehen unterwegs. Denn wir haben ja noch im Matsch gespielt!

    • Offizieller Beitrag

    Nein, leider läuft es nicht immer so weil 1. sich nicht alle Kollegen in ihrer Wichtigkeit zurücknehmen können und 2. natürlich auch nicht jedem Schüler das gleiche Organisations- und Zeitmanagements-Talent gegeben ist. Im Großen und Ganzen hält sich die außerschulische Belastung unserer SchülerInnen aber in Grenzen. Ansonsten ... Abi nach 13 Jahren rules ;)

    Ok, G9 ist wirklich ein Vorteil.
    Ich kenne die Details nicht mehr genau, habe aber an einer G9-Oberstufe gearbeitet und da war um 14uhr (7h40 Start) Schluss. Da wäre bis 16uhr locker Zeit gewesen, auch zu arbeiten.
    Ich bin jetzt im G8 und die Schüler haben regelmäßig bis 16h30 (natürlich nicht jeden Tag aber 34 Stunden müssen ja verteilt werden) und kommen nicht umhin, ab und zu Arbeitsblätter zu rechnen oder Texte analysieren zu müssen :-/

  • Viel trauriger, als dass Kinder in der Schule essen finde ich, dass viele Schulen es eben nicht gebacken (haha) kriegen, alle zu verköstigen, weil die Mensen zu klein und die Zeit zu kurz ist. Aber das ist ein eigenes Thema

    Es ist nicht nur ein eigenes Thema, sondern ein anderes Thema. Für die Schulmensen sind nicht "die Schule" oder gar die Lehrer zuständig, sondern der Schulträger. Wenn der keine angemessene Mensa und die dafür notwendigen Mitarbeiter finanzieren will, dann gibt es entweder keine oder eine zu kleine Mensa.


    Aber in den Wahnvorstellungen einiger Bildungsideologen sollen wahrscheinlich die Lehrer zusammen mit den Schülern in ihrer Freizeit eine Mensa einrichten und dann täglich zusammen kochen und essen. Finanziert am besten durch Spendensammlungen in der Fußgängerzone ("die Schule in das lokale Umfeld einbinden"). Und zusätzlich zur Pausenaufsicht gibt es denn demnächst Essensausteildienst und Abwaschdient für die Lehrkräfte...


    Gruß !

  • Solange weiterhin die Wahl zwischen Ganztagsschule und Halbtagsschule gewahrt bleibt, ist es mir egal. Meine Kinder sollen um 13 Uhr heim, ihre Hausaufgaben machen und dann ab mit ihren Freunden spielen gehen, Fussballverein usw.
    Gab letztens wieder einen interessanten Artikel, der die Qualität von Ganztagabeschulung in D kritisch sieht. Die Netto- Lernzeit sei nicht viel besser als bei der Halbtagsschule, wenn man den gesamten Zeitaufwand in Betracht zieht.


    Es ist wie bei vielen Reformen. Sie klingen toll, aber am Ende will man die dafür wirklich notwendigen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stellen.

  • Was ist daran schlecht? Unsere SchülerInnen haben zum Teil sehr weite Anfahrtswege an die Schule. Wir sind so organisiert, dass ca. bis um 16 Uhr alles erledigt ist (inkl. Mittagessen und Hausaufgaben bzw. Lernen für Prüfungen), dann fahren alle nach Hause und haben tatsächlich noch Zeit für Hobbies.

    Im Winter sind die Kinder dann ja erst im Dunkeln wieder zuhause und haben einen 8-Stunden-Schultag hinter sich. Dass da noch besonders viel Zeit und Muße für Hobbies bleibt, möchte ich mal bezweifeln.


    Das Kindertraining in Sportvereinen findet meiner Erfahrung nach ebenfalls eher am Nachmittag statt und nicht am Abend.


    Im Sommer stelle ich mir das auch besonders "schön" für Kinder vor, bei 30 Grad und Sonnenschein jeden Tag bis zum späten Nachmittag in der Schule abzuhängen.


    Aber die Frage war auch nicht, ob das für Kinder angenehm ist, sondern warum sich das Berufsbild des Lehrers zunehmend zu einer Mischung aus Sozialarbeiter, Nanny und Weltverbesserer verfremdet hat. Und das liegt nunmal an der politisch gewollten Transformation der Institution Schule zu einer Eltern-Ersatz-Anstalt, die alle möglichen Dinge übernehmen soll, die eigentlich innerfamiliäre Aufgaben der Eltern wären .

  • Gab letztens wieder einen interessanten Artikel, der die Qualität von Ganztagabeschulung in D kritisch sieht. Die Netto- Lernzeit sei nicht viel besser als bei der Halbtagsschule, wenn man den gesamten Zeitaufwand in Betracht zieht.

    Um eine Erhöhung der Lernzeit ging's doch nie dabei. Ziel war doch immer, die Kinder ganztags möglichst kostengünstig wegzustellen.

  • Im Sommer stelle ich mir das auch besonders "schön" für Kinder vor, bei 30 Grad und Sonnenschein jeden Tag bis zum späten Nachmittag in der Schule abzuhängen.

    Dann warst du also noch nie in einer Schule mit Ganztagsbetrieb. Aber schon mal ne Meinung haben und den Untergang des Abendlandes wittern. "Armes Deutschland" fehlt hier noch ;)

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