Ziel der Grundschule nicht erreicht - und dann?

  • Guten Morgen zusammen!
    Mich beschäftigt zur Zeit folgende Frage: ein Viertklässler wiederholt das 4. Schuljahr. So, wie es momentan aussieht, wird er das Ziel der Grundschule nicht erreichen. es sei denn, es geschieht noch ein Wunder.
    Was "passiert" dann eigentlich, wenn das Ziel der Grundschule nicht erreicht ist??? Kann er dann nicht an eine weiterführende Schule? Aber das kann ja auch nicht sein...

  • Wenn absehbar ist, dass er trotz Wiederholung die Ziele der vierten Klasse nicht erreichen wird, sollte so schnell wie möglich ein Antrag auf Überprüfung eines sonderpädagogischen Förderbedarfes gestellt werden. Wenn ein Förderbedarf "Lernen" festgestellt werden sollte, würde das Kind von da an lernzieldifferent unterrichtet werden. Nach der Grundschule könnte das Kind eine Schwerpunktschule besuchen, wo es inklusiv gefördert wird.

  • Er erreicht das Ziel nicht aufgrund seiner Arbeitshaltung hauptsächlich.
    Schriftl. Arbeiten im Unterricht macht er nicht. Den LN Sprache untersuchen hat er mir leer zurückgegeben. Hausaufgaben stapeln sich.


    Problem: er lebt bei seiner Oma und seinem Papa. Seine Mutter "will" ihn nicht. Sein Vater ist die meiste Zeit auf Montage - also die Woche über nicht zu Hause. Da ist einiges im Argen.
    Deswegen glaube ich auch nicht, dass er ein Förderkind ist. Ihm fehlt durch seine Arbeitsverweigerung natürlich EINIGES an Stoff. Ärgerlich.


    Ich komme auch gar nicht an ihn ran. Bin deprimiert.

  • ein Viertklässler wiederholt das 4. Schuljahr. So, wie es momentan aussieht, wird er das Ziel der Grundschule nicht erreichen. es sei denn, es geschieht noch ein Wunder.

    Mein erster Gedanke beim Überfliegen:
    Wie kann man das denn schon sagen? Das Schuljahr ist doch noch keine 4 Wochen alt.


    In wie weit sind denn Oma und Vater gesprächsbreit und kooperativ bzgl. Arbeitshaltung?
    Hattest du den Jungen letztes Schuljahr auch schon? Wenn nicht, wie sind die KollegInnen damit umgegangen?

    Freundlichkeit ist kostenlos, aber niemals umsonst.

  • Er erreicht das Ziel nicht aufgrund seiner Arbeitshaltung hauptsächlich.
    Schriftl. Arbeiten im Unterricht macht er nicht. Den LN Sprache untersuchen hat er mir leer zurückgegeben. Hausaufgaben stapeln sich.


    ...
    Deswegen glaube ich auch nicht, dass er ein Förderkind ist. Ihm fehlt durch seine Arbeitsverweigerung natürlich EINIGES an Stoff. Ärgerlich.


    Ich komme auch gar nicht an ihn ran. Bin deprimiert.

    Natürlich ist es dann ein Kind, das der Förderung bedarf!


    Was ist mit Jugendamt und ggf. Förderschule Erziehungshilfe? Ich würde mich schleunigst an die Schulleitung wenden.

  • Förderschulen Erziehungshilfe? Ich weiß ja nicht wie das in anderen Bundesländern ist, in HH wurden die Sonderschulen systematisch runter gewirtschaftet, so dass sie kaum noch existent sind. Dank Inklusion in aller Munde, würden Eltern dieses Kind sehr wahrscheinlich auf einer normalen weiterführenden Schule anmelden (in HH nicht selten sogar am Gymnasium).


    Schüler, die die Lernziele in Klasse 4 nicht erreicht haben (Wiederholen gibt es so gut wie gar nicht mehr bei uns- abgeschafft) wechseln einfach auf die nächste Schule und müssen dort nach ihren individuellen Fähigkeiten weiter beschult werden. (Sonderpädagogischer Förderbedarf wäre bei uns spätestens in Klasse 3 abgeklärt).


    LG Anja

  • Du hast als Lehrer gar keine andere Wahl, als schleunigst ein Verfahren zur Überprüfung des Förderbedarfs einzuleiten. Da seine Leistungen nicht ausreichen, egal aus welchen Gründen, bringt dir ein Verfahren Richtung "emotional-soziale Entwicklung" (weil hier das Stichwort "Förderschule Erziehungshilfe" gefallen ist) rein gar nichts, da der Junge mit diesem Schwerpunkt weiterhin zielgleich unterrichtet würde.


    Es bleibt nur, das Verfahren einzuleiten und den Förderbedarf im Bereich "Lernen" zu überprüfen, so dass er dann zieldifferent unterrichtet werden kann.
    Auch wenn du dabei Bauchschmerzen hast, da du denkst, dass es "nur" an der Arbeitshaltung liegt. Ich würde da als allererstes mal Klartext mit dem Kind reden, es kann doch nicht sein, dass er dir ein leeres Blatt bei einer Leistungsüberprüfung abgibt? Sorry, aber wenn er das macht, KANN er die Leistung entweder wirklich nicht erbringen, oder er hat den Ernst der Lage nicht begriffen. Er ist ja nun kein Kleinkind mehr.


    Bevor du das Verfahren einleitest, solltest du natürlich die Erziehungsberechtigten einbestellen und denen ebenfalls den Ernst der Lage deutlich machen.
    Im Grunde bleibt dir aber nicht mehr viel Zeit. Ich weiß nicht, wie es in Rheinland-Pfalz ist, aber wir müssen die Anträge für Kl. 4 bis Ende Oktober eingereicht haben.



    edit:
    Wie sehen die Noten denn in den anderen Fächern aus? Natürlich kannst du den Jungen auch durchziehen und dafür sorgen, dass er versetzt wird. Gibt sicher genug Schulen, wo das auch mal so gemacht wird. In der Hoffnung, dass der Junge sich wieder einkriegt oder dass die familiäre Situation sich verbessert. Somit schiebst du aber dann der weiterführenden Schule den schwarzen Peter zu.
    Mir persönlich wäre das zu heikel.

  • Ein Kind verweigert die Leistung komplett. Der/die KlassenlehrerIn weiß, dass das Kind kognitiv dem Lehrplan folgen könnte, wenn es denn mitarbeiten würde. Das Kind ist zum wiederholten Male versetzungsgefährdet. Der/ die Klassenlehrerin ist verärgert und deprimiert, "kommt" außerdem "nicht an das Kind ran". Die Mutter lehnt das Kind ab, ist ausgezogen. Der Vater ist keine konstante Bezugsperson.


    Mehr Infos braucht man nicht, um sich an den Schulleiter zu wenden, mit der Bitte um Hilfe. Und selbstverständlich ist Erziehungshilfe der passende Ansprechpartner auch in Zeiten von Inklusion. Wenn die Erziehungshilfelehrer, die zur Überprüfung kommen feststellen, dass der Lernförderbedarf vorrangig ist, werden sie die Lernförderschule mit einbeziehen.


    Und wenn Leistung und Verhalten sich plötzlich stark verändert haben sollten, außerdem noch Hausaufgaben, Material, Essen fehlen etc. ist das Jugendamt Ansprechpartner. Auch da muss der SL mit ins Boot geholt werden.


    Hier der Ablauf:
    http://sonderpaedagogik.bildun…derung/foerderbedarf.html

  • Ich würde mich auch schnell über das Verfahren auf Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs informieren und mit dem/ der Schulleiter(in) und (falls vorhanden) dem/ der Sonderpädagog(in) besprechen. Bei uns sind bspw. letzte Woche die Fristen für Kl. 4 abgelaufen (Kl. 1-3 ist kurz nach den Herbstferien an der Reihe).

  • Schantalle hier gibt es keine Erziehungshilfe bzw. Erziehungshilfelehrer. Was genau meinst du damit, Sonderpädagogen?


    Die haben wir natürlich, also eine für 400 Kinder, und wie ich schon sagte, würde so ein Kind bei uns in Klasse 3 getestet werden. Allerdings kommt dann bei einem Kind wie oben beschrieben nicht zwangsläufig ein Förderbedarf Lernen raus. Eher selten.

  • Schantalle hier gibt es keine Erziehungshilfe bzw. Erziehungshilfelehrer. Was genau meinst du damit, Sonderpädagogen?

    Schantalle hat sich hier auf die TE bezogen, die in Rheinland-Pfalz arbeitet. Aber in Hamburg werden natürlich auch sonderpädagogische Fördergutachten erstellt. Schau mal hier: http://www.hamburg.de/inklusio…ormationen-paed-personal/
    Sonderpädagogen sind Lehrer für Sonderpädagogik, die sowohl an Förderzentren (früher "Sonderschule") als auch inklusiv arbeiten. "Erziehungshilfelehrer" gibt es nicht.



    (Sonderpädagogischer Förderbedarf wäre bei uns spätestens in Klasse 3 abgeklärt).

    Da ein sonderpädagogischer Förderbedarf in allen Klassenstufen deutlich werden kann bzw. sich auch verändern kann, ist es in allen Jahrgängen möglich, einen Antrag auf Überprüfung zu stellen. Wenn es in der vierten Klasse nicht gemacht wird, erfolgt dies dann eben in der weiterführenden Schule. Damit wäre aber ein ganzes Schuljahr vertan, in dem man das Kind angemessen hätte fördern können.



    Allerdings kommt dann bei einem Kind wie oben beschrieben nicht zwangsläufig ein Förderbedarf Lernen raus. Eher selten.

    "Ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen liegt vor, wennKinder und Jugendliche in ihrer Lern- und Leistungsentwicklung so erheblich beeinträchtigtsind, dass sie auch mit zusätzlichen Lernhilfen in der allgemeinen Schulenicht ihren Möglichkeiten entsprechend gefördert werden können.
    Folgt man einem multifaktoriellen Erklärungsmodell, entsteht Förderbedarf im FörderschwerpunktLernen durch unterschiedliche biologische, entwicklungspsychologischeund soziale Faktoren, wie im multiaxialen Klassifikationsschema (MAS)2abgebildet:Achse I Klinisch psychiatrische Erkrankungenz.B. tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Schulangst, Schulphobie,Schizophrenie, hyperkinetische Störung
    Achse II Umschriebene Entwicklungsstörungenz.B. Lese- und Rechtschreibstörung, Rechenstörung, Aufmerksamkeitsstörung
    Achse III Intelligenzminderung
    Achse IV Körperlich neurologische Erkrankungen und Behinderungenz.B. Blindheit, Hörstörung, Cerebralparese, Epilepsie
    Achse V Soziokulturell bedingte Lernbeeinträchtigungenextreme psychosoziale Umständez.B. Deprivationserfahrungen, Traumatisierung, mangelnde Förderung,ungünstige ökonomische Verhältnisse"
    Zitat von oben genannter Seite.
    Bei dem Kind, welches die TE beschrieben hat, wäre auch nach Hamburger Vorgehensweise sicherlich ein sonderpädagogischer Förderbedarf Lernen vorhanden (entsprechend der Ursache "Achse 5").

    Einmal editiert, zuletzt von Nordseekrabbe76 ()

  • Bei uns in NRW ist es so, dass es wohl quasi unmöglich ist, dass ein Kind den Förderschwerpunkt Lernen festgestellt bekommt, nachdem es in Klasse 3 versetzt wurde. Man geht davon aus, dass ein Kind, das versetzt wurde, also die Kompetenzerwartungen der Schuleingagsphase erreicht hat, keinen Förderbedarf Lernen haben kann.


    Deshalb sollen wir immer vorher ein Verfahren einleiten.
    Kinder, die die Kompetenzerwartungen nicht erfüllen MÜSSEN drei Jahre in der Schuleingagsphase verbleiben und dann muss spätestens im dritten Jahr was in die Wege geleitet werden.

  • Kinder, die die Kompetenzerwartungen nicht erfüllen MÜSSEN drei Jahre in der Schuleingagsphase verbleiben und dann muss spätestens im dritten Jahr was in die Wege geleitet werden.

    Das gilt laut Schulgesetz allerdings nur für die Einleitung des Verfahrens durch die Schule und ist auch noch möglich bis Klasse 6:

    12 (Fn 9)
    Eröffnung des Verfahrens auf Antrag der Schule
    (1) In Ausnahmefällen kann eine allgemeine Schule einen Antrag auf Eröffnung des Verfahrens nach vorheriger Information der Eltern unter Angabe der wesentlichen Gründe stellen, insbesondere
    1. wenn eine Schülerin oder ein Schüler nicht zielgleich unterrichtet werden kann oder
    2. bei einem vermuteten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung, der mit einer Selbst- oder Fremdgefährdung einhergeht.
    (2) Ein Verfahren wird nur dann eröffnet, wenn die Schule dargelegt hat, dass sie alle ihre Fördermöglichkeiten ausgeschöpft hat.
    (3) Bei einem vermuteten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen kann die Schule den Antrag in der Regel erst stellen, wenn eine Schülerin oder ein Schüler die Schuleingangsphase der Grundschule im dritten Jahr besucht; nach dem Ende der Klasse 6 ist ein Antrag nicht mehr möglich.
    (4) In den übrigen Förderschwerpunkten ist nach Abschluss der Klasse 6 ein Verfahren nur noch in Ausnahmefällen durchzuführen.


    Für einen Antrag durch die Eltern wird außerdem keine zeitliche Begrenzung genannt:

    § 10 (Fn 11)
    Allgemeines
    (1) Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine Schülerin oder ein Schüler auf Grund einer Behinderung oder wegen einer Lern- und Entwicklungsstörung besondere Unterstützung benötigt, entscheidet die Schulaufsichtsbehörde über den Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung und die Förderschwerpunkte.
    (2) Zuständig für das Verfahren ist die Schulaufsichtsbehörde, in deren Gebiet die Schülerin oder der Schüler die allgemeine Schule besucht oder besuchen müsste.


    § 11 (Fn 4)
    Eröffnung des Verfahrens auf Antrag der Eltern
    (1) Die Eltern stellen über die allgemeine Schule bei der gemäß § 10 Absatz 2 zuständigen Schulaufsichtsbehörde einen Antrag auf Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung.
    (2) Bereits bei der Anmeldung ihres schulpflichtigen Kindes zur Schule können die Eltern den Antrag stellen
    1. bei der zuständigen Grundschule,


    2. in den Fällen von § 3 Nummer 2 bis 5 auch bei einer Förderschule.

  • Nordseekrabbe ich weiß was Sonderpädagogen sind. ;)


    In HH ist das neuerdings etwas anders geregelt So kann man zwar auch in der weiterführenden Schule noch Sonderpädagogischen Förderbedarf diagnostizieren, kriegt aber keinerlei Ressourcen mehr. Damit man Ressourcen bekommt, MUSS der Antrag in der Grundschule gestellt werden. Habe gerade eine 4. Klasse und bin gerade durch 3 Verfahren durch.


    Das beschriebene Kind wiederholt derzeit und scheint die Probleme schon länger zu haben und daher wäre das bei uns schon abgeklärt.


    Nach meiner Information muss beim Förderbereich Lernen ein bestimmter IQ-Wert unterschritten sein. Aber das verwechsel ich vielleicht.

  • Mit "Erziehungshilfelehrer" meine ich mit Diagnostik beauftragte/r FörderschullehrerIn der Schule für Kinder mit sozial-emotionalem Entwicklungsbedarf, wers gerne bürokratisch mag. Bei uns heißt sie halt noch "Erziehungshilfeschule". Ist aber wurscht, welche Begriffe man nimmt, es gibt in jedem Bundesland unterschiedliche Wörter und Verfahren, Kern ist aber derselbe: ein Lehrer der jeweiligen Förderschule (Sonderschule etc.) schreibt ein Gutachten fürs Kind, das Schulamt oder die Eltern entscheiden, wo das Kind beschult wird.


    Wie es in Rheinland-Pfalz läuft, hab ich ja oben verlinkt.

  • Im Kern gleich, aber doch anders. In Hamburg ist der Sonderpädagoge in der Grundschule und schreibt das Gutachten. Sonderschulen gibt es hier eigentlich nur noch für Körperbehinderte und Sprache.


    Ich habe übrigens festgestellt, dass ich den Förderbereich Lernen mit geistiger Behinderung verwechselt habe.

  • ?


    Ja und Sonderpädagogen heißen mancherorts Sonderschullehrer und woanders Förderschullehrer. Das Gutachten heißt auch manchmal Förderpädagogisches Gutachten oder sonderpädagogisches Gutachten. Die Sonderschule heißt gelegentlich Förderschule und die Schule für Verhaltensauffällige kenne ich sogar unter dem Namen "Schule mit Ausgleichsklassen", in Sachsen-Anhalt hat man diesen Begriff konstruiert. Körperbehinderte heißen hierzulande Kinder mit "Förderbedarf motorische Entwicklung" und Geistigbehinderte heißen (oder hießen?) in Hessen Praktisch Bildbare. Sprachheilschule ja, aber die Grundschule kann beispielweise trotzdem eine Beratungsstelle für Sprach- und Stimmgestörte haben. Aber wahrscheinlich auch nur hier... to be continued.


    Das ist wie mit Radler, Gespritztem und Alsterwasser. Kurz: Man mischt Bier mit Limo und wichtig ist nur, dass man weiß, wie das Wort im Sprengel heißt, damit man das Getränk hingestellt bekommt, das man haben wollte :prost:

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