Wenn man als Depp dasteht bzw "Machtkampf" verliert...:-(

  • ich habe sehr gute erfahrungen damit, sowas nicht als machtkampf zu betrachten, sondern als interessenskonflikt.


    es gehört nicht auf die große bühne vor die ganze klasse, sondern ins einzelgespräch, notfalls auch am nächsten tag/nachmittag/pause... die bühne führt nur zu einem zwangsläufigen gefühlten gesichtsverlust für dich (so liest sich dein post) oder für das kind und setzt euch damit beide unter einen mehr als unguten handlungszwang.


    er will vielleicht nicht, dass die info ins heft kommt?! du willst aber freilich mit der mutter kommunizieren. dann sagt man ihm eben, dass du das seiner mutter mitteilen willst/musst - er aber das heft nicht rausrückt. was fallen ihm für alternativen ein? will er es ihr selber sagen und du rufst danach an? will er, dass du gleich anrufst? sollst du das auf einen zettel schreiben und er bringt den morgen unterschrieben zurück? falls nicht, rufst du an? meist findet man einen für beide seiten tragbaren kompromiss und gibt dem kind etwas kontrolle zurück.


    anmerkung: das verhalten ("dieses heft ist nur für kommunikation zwischen mama und i-helfer") klingt weniger nach adhs als nach autismus-spektrum. meine beiden autisten hätten genauso argumentiert (regel-/routine-abweichung = chaos, overload, shutdown, irgendwas in der art).

  • Ich kenne dieses Problem auch. In der 7. Klasse, in der ich unterrichte ist ebenfalls ein Junge mit ADHS. Dieser Junge stört momentan massiv den Unterricht, da er sich in der späten Stundenlage nicht mehr konzentrieren kann. Er bekommt zwar Medikamente, diese wirken aber scheinbar nicht mehr. Eigentlich wurde mit dem Jungen abgesprochen, dass er in solchen Situationen mit dem Förderschullehrer bzw. Pädagogen in einen extra Raum geht. Das macht er aber nicht mehr, sondern fängt auch lauthals zu diskutieren an.
    Ich habe zwar schon versucht, mit dem Jungen später in einer ruhigen Minute ein Gespräch zu führen, habe dabei aber feststellen müssen, dass er seine Handlungen nicht reflektieren kann, weil er Situationen einfach anders wahrnimmt. Er nimmt z.B. seinem Mitschüler 7 Mal den Stift weg, der Mitschüler sagt ihm 6. Mal freundlich, dass er das nicht möchte, beim 7. Mal windet der Mitschüler dem ADHS-Jungen den Stift aus der Hand. Worauf der ADHS-Junge sich lauthals beschwert, dass der andere ihm wehgetan hat - teilweise wird der ADHS-Junge dann auch handgreiflich. Im Gespräch habe ich aber gemerkt, dass sich der ADHS-Junge überhaupt nicht daran erinnert, den Stift schon 7. Mal geklaut zu haben. Er kann daher gar nciht verstehen, dass die anderen so genervt auf ihn reagieren.
    Und ich weiß momentan überhaupt nicht mehr, was ich noch machen soll. In diese KLasse geht nämlich noch ein Kind mit ADHS und es gibt außerdem noch mehrere Inklusionskinder. Die Stunden sind total chaotisch und ich habe das Gefühl keinem mehr gerecht werden zu können.
    Eigentlich würde ich die Eltern anrufen und das Kind als unbeschulbar abholen lassen, aber die Eltern drehen selbst total am Rad. Sie haben schon fachliche Hilfe eingeholt, aber so eine Situation lässt sich ja nicht von heute auf morgen verbessern.
    Wie würdet ihr mit dieser Situation umgehen? Im nächsten Halbjahr habe ich in dieser Klasse Chemie und cih weiß definitiv, dass ich so nciht experimentieren kann.


    Viele Grüße
    Seepferdchen

  • Eigentlich wurde mit dem Jungen abgesprochen, dass er in solchen Situationen mit dem Förderschullehrer bzw. Pädagogen in einen extra Raum geht. Das macht er aber nicht mehr, sondern fängt auch lauthals zu diskutieren an.
    Ich habe zwar schon versucht, mit dem Jungen später in einer ruhigen Minute ein Gespräch zu führen, habe dabei aber feststellen müssen, dass er seine Handlungen nicht reflektieren kann, weil er Situationen einfach anders wahrnimmt. Er nimmt z.B. seinem Mitschüler 7 Mal den Stift weg, der Mitschüler sagt ihm 6. Mal freundlich, dass er das nicht möchte, beim 7. Mal ...


    Die Eltern drehen am Rad, wie du sagst, das Kind hat seit es auf der Welt ist Chaos, Inkonsequenz und mitunter Gewalt erlebt. Genauso verhält es sich jetzt auch, eine für das Kind logische Verhaltensreaktion, weil hat ja bis jetzt im familiären System irgendwie funktioniert.


    Es geht also nicht darum, ob er (tatsächlich oder theatralisch) nicht mehr weiß, wer welchen Stift wie oft genommen hat, sondern dass vorher geklärt wird, dass jeder Stift auf dem Platz bleibt, wo er hingelegt wurde.


    Meine Schüler haben alle "ADHS", sprich, sie kommen aus desolaten Familien, haben häufig psychisch kranke Eltern und sind kaum beschulbar. Direkt aus der Psychiatrie kommend, die sie als "austherapiert" zurückschickt, sind sie dann aber natürlich schulpflichtig und damit der Situation ausgesetzt, den ganzen Tag Regeln zu befolgen, mit Konflikten und Gefühlen der eigenen Verletzlichkeiten und Fehlbarkeiten klar zu kommen und Grenzen auszuhalten. Dazu kommt, dass ich keinen Trainingsraum habe oder sonstige Hilfen, ich kann nur sofort entscheiden.


    Wenn ich also trotzdem Unterricht machen will, bleibt mir nichts anderes übrig, als eine gewisse Klarheit an den Tag zu legen. Dazu gehört
    - zum einen das Gespräch (wie geht's dir? was ist gerade los? wie gehst du damit um? kann ich z.B. das und das für dich tun) in einer ruhigen Minute.
    - Dazu gehört aber AUCH, dass man eine strikte Vorgabe gibt, einen ganz engen Rahmen steckt und sich selbst daran hält. Sprich: wenn der Junge seinem Nachbar den Stift ein einziges Mal wegnimmt, sagst du als Lehrerin sofort, dass er ihn jetzt zurücklegen soll. "Dreh dich nach vorne, schau auf dein Blatt." "Wenn dir ein Stift fehlt, melde dich."
    Und wenn er die beiden Möglichkeiten hat: entweder Nebenraum, oder ordentlich mitmachen muss er sich für eine davon entscheiden oder du entscheidest. Es gibt nichts zu diskutieren. a) oder b) und zwar jetzt. "Ja aber..." "keine Diskussion, du gehst jetzt rüber zu Frau xy -Blickkontakt aushalten-).


    Und wenn die Klasse (noch) nicht experimentieren kann, dann kannst du keine Experimente machen. Es ist schade, weil dafür hast du nicht Chemie studiert, dafür bist du nicht Lehrer geworden. Aber erst müssen die Mindestanforderungen funktionieren, dann kann man auch "was Schönes" machen.

  • Und wenn er die beiden Möglichkeiten hat: entweder Nebenraum, oder ordentlich mitmachen muss er sich für eine davon entscheiden oder du entscheidest. Es gibt nichts zu diskutieren. a) oder b) und zwar jetzt. "Ja aber..." "keine Diskussion, du gehst jetzt rüber zu Frau xy -Blickkontakt aushalten-)

    Und wenn er das nicht macht? Wie geht man dann damit um?


    Bei den meisten Schülern klappt das, wenn man sich nicht verunsichern lässt und den ensprechenden Ton anschlägt. Aber bei einigen wenige eben nicht und dann?


    Viele Grüße
    Seepferdchen

  • Warten? Hast du die Klasse im Rücken, die auf diesen Zirkus keine Lust hat, dann warte, bis er geht.
    Oder du fragst den Kollegen xy im Nebenzimmer vorher, ob er bereit ist, den Jungen abzuholen.
    Vielleicht zieht auch euer SL mal ne Maßnahme durch?



    Eigentlich wurde mit dem Jungen abgesprochen, dass er in solchen Situationen mit dem Förderschullehrer bzw. Pädagogen in einen extra Raum geht. Das macht er aber nicht mehr, sondern fängt auch lauthals zu diskutieren an.

    Und sprecht das neu ab. "Schüler, es war abgesprochen, dass... Wenn du dich weigerst, macht das keinen Sinn. Ich will jetzt von dir hören, wie wir die nächsten Chemiestunden gestalten, so geht's nicht." Wenn kein sinnvoller Vorschlag kommt oder er zu nichts bereit ist (z.B. Auszeiten nehmen) dann sag ihm, wenn er diese oder jene Grenze überschreite säße er bei Kollege xy in Klasse 10). Oder lass ihn nacharbeiten. Such dir irgendeine Konsequenz, die zieht, bleib trotzdem freundlich. Die dortgelassenen Nerven lohnen sich meist nach ein paar Wochen ;)

  • alternativ: dann geht eben ihr - die restklasse und du - in den nebenraum und der schüler kann alleine weiter seinen unterricht verhindernden protest fahren. geht freilich nicht immer (freier raum, aufsicht), ist aber recht wirksam.

  • Die These des gestörten Hinstoffwechsels und dass nur bei "echten ADHS-Kindern" Ritalin anschlägt ist genauso haltlos, wie jede andere auch.

    Ritalin zählt zu den Amphetaminen und schlägt bei jedem an. Daher wird es auf dem Schwarzmarkt auch als Speed-Ersatz gehandelt. Die Frage ist nur, ob Kinder, die keinen gestörten Hirnstoffwechsel haben, nicht ohne Droge und eher durch eine intensive Verhaltenstherapie behandelt werden müssen. Weil Ritalin jedoch anschlägt, ruhigstellt und billiger ist, steigen die Verordnungszahlen.


    Hilfe ist das jedoch nicht.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Also "gefällt mir" passt eigentlich nicht... Ich finde es immer wieder krass WIE stark das Präparat das Verhalten ändert! Kinder mit den unterschiedlichsten Problemen und Verhaltensauffälligkeiten sind wie ausgewechselt, je nachdem ob sie morgens ihre Pille genommen haben oder nicht :(

  • es gibt eine schöne doku über "wilde kerle" und ihren sommer ohne ritalin auf der alp in der horde, mit nur wenigen erziehern, viel körperlicher arbeit, viel spiel im freien und sehr vielen logischen konsequenzen. (edit: film heißt "wo die starken kerle wohnen" und gehört zu "37 grad", folge 666, hihi).


    sehr plakativ, aber ein bisserl was ist eventuell schon dran.


    nichts desto trotz habe ich einen kleinen sportler im verein (elf jahre), der beschreibt die wirkung so: "ohne das ritalin kann ich dir nicht zuhören, wenn du mir was erklärst. also, ich sage mir die ganze zeit "hör zu! pass auf jetzt!" während du erklärst, aber dann hüpft der jakob da nebenan und dann hast du schon fertiggeredet. und ich weiß wieder nicht, was wir machen sollen. und dann muss ich fragen, und dann sind wieder alle genervt..."


    für ihn ist das medikament ein segen. er ist dann ein motivierter, fokussierter und hart arbeitender kleiner athlet. ohne landet er bei allem verständnis in der großen gruppe nach ein paar minuten meist auf der bank, weil es einfach nicht geht (sicherheitsbedenken v.a., man muss sich in der halle an regeln halten, sonst kann man sich richtig weh tun). dort ist er dann oft kurz vorm weinen. richtig sch**** für alle beteiligten.

  • Wir haben 3 Kinder an der Schule, die ohne ihr Ritalin nicht beschulbar wären. Keine Chance zu lernen, sie sind nicht mal in der Lage einen anzuschauen und zuzuhören. Mit Ritalin können sie lernen, sind ruhiger und haben eine Chance. Die Eltern sind auch schon am Stock gegangen. Ich halte weder von vorschneller Ritalinverordnung noch von totaler Verteufelung nichts.

  • Ich verteufle Ritalin nicht. Für viele Kinder, Heranwachsende und Erwachsene ist es ein Segen. Jedoch nur, falls wirklich eine hirnorganische Störung vorliegt.
    Es gibt jedoch auch zahlreiche Fälle, bei denen Kinder hippelig bis unsteuerbar reagieren, weil Vernachlässigung, soziale und familiäre Probleme, Missbrauch oder andere Ursachen vorliegen. Hier ist eine Ritalin-Gabe ein Verbrechen, weil es die Ursachen nicht beseitigt und das Kind als "Schuldiger" in eine chemische Abhängigkeit gedrängt wird.


    BTW: Ob das nun Ritalin, Medikinet, Concerta, Equasym oder anders heißt, ist egal. In der Packung befindet sich dasselbe Mittel:

    Zitat von Wikipedia

    In Deutschland wird Methylphenidat unter den Handelsnamen Ritalin, Medikinet, Concerta, Equasym und vielen weiteren vertrieben, da der Produktschutz abgelaufen ist


    Der Artikel der Wikipedia ist zwischenzeitlich zu einem guten Kompendium herangewachsen und beschreibt ADHS sehr gut - sowie mögliche Interventionsmaßnahmen. Ich zitiere den (imho) interessantesten Teilbereich

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Zitatfortsetzung:



    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Ja klar, Psychopharmaka greifen immer in Stoffwechselvorgänge des Gehirns ein.
    Ein Kind, das Wahnvorstellungen und Gewaltausbrüche hat, wird auch eingestellt, um es selbst und andere zu schützen.
    Dass die medikamentöse Dauertherapie aber ein massiver Eingriff in die Entwicklung ist, Nebenwirkungen hat und auch vielfach für die Angehörigen eine Beruhigung darstellt, ist trotzdem nicht zu leugnen.


    Ich verurteile Medikamente nicht, sie fallen zudem in einen anderen Zuständigkeitsbereich. Trotz allem sind sie auch für Lehrer einfach mal praktisch und für die meisten Eltern hinreichende Erklärung für das sichtbare Problem. Die Schüler, die ich bisher hatte, erhielten jedenfalls neben Ritalin und co. keine Behandlung, die Familien unterzogen (unterziehen) sich schon gleich gar nicht irgendeiner Therapie oder auch nur Beratung. Mit Medis gibts schließlich auch keinen Leidensdruck mehr: das Problem kann einfach am Kind und seiner Diagnose festgemacht werden. Wohl den Kindern, die wikipediamäßig "multimodal" gesehen werden.

    • Offizieller Beitrag

    Wir Lehrer scheinen wirklich alles besser zu wissen. Selbst besser als Ärzte, Psychologen und sowieso besser als Eltern von ADHS-Kindern.
    Und wenn das nicht greift, dann gibt es obendrauf noch die böse Pharmaindustrie, die Modeerkrankung, Verschwörungstheorien etc.


    Ich glaube, ich kann jetzt einen Teil des Leidensdrucks der Eltern von ADHS-Kindern verstehen. Wenn dieses Forum auch nur ansatzweise ein repräsentativer Spiegel der Lehrerschaft sein sollte, darf man als Eltern wohl bei uns Lehrern nicht auf sonderlich viel Verständnis hoffen.

  • @Bolzbold, den Beitrag verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht.


    1. habe ich gesagt, dass Medikation in einen anderen Zuständigkeitsbereich fällt
    2. hat hier niemand etwas von böser Pharmaindustrie o.ä. verlauten lassen und
    3. hat niemand mangelndes Verständnis gezeigt


    Das ist wieder die "Reizwortproblematik" dieses Forums.


    alias hat mit seinem Zitat darauf verwiesen, dass Kinder multimodal behandelt werden sollten und ich habe zu bedenken gegeben, dass dies in vielen Fällen nicht passiert. Auch wenn du denken solltest, dass Kinder mit ADHS auf die Welt kommen und mit Ritalin ist das Problem geklärt, so einfach ist das eben nicht. Genausowenig, wie Depressionen, Delinquenz, Substanzmissbrauch, Essstörungen, Angststörungen, Schizophrenie, selbstverletzende Verhaltensweisen oder andere psychische Erkrankungen einfach so vom Himmel fallen, sondern immer genetische, entwicklungsbedingte und bindungstheoretische Einflussfaktoren haben. Das hat mich nicht nur mein Studium gelehrt, sondern auch viele Jahre berufliche Erfahrung mit psychisch kranken Kindern/ Jugendlichen und auch persönliche Erfahrungen.


    Das kannst du jetzt als "rumhacken auf den Eltern" auslegen oder als das lesen, wie es gemeint war: Menschen sind keine Maschinen, die man mit einem Zusatzstoff wieder funktionsfähig macht. Natürlich helfen Psychopharmaka, erkrankte Menschen wieder aufnahmefähig zu machen, sie sind aber ein Hilfsmittel und sollten auch so verstanden und mit Vorsicht behandelt werden.

  • Leitlinie hyperkinetische Störungen incl. ADHS
    Pharmakotherapie war und ist bei ADHS nicht das Mittel der Wahl, sondern wird nur angewandt bei massiven Krisen oder Versagen anderer Therapieoptionen und wer sich mal die Nebenwirkungen von Methylphenidat und Derivaten ansieht, der hat auch eine grobe Ahnung, warum selbst Psychiatern (die qua Beruf mit den nebenwirkungsreichsten Medikamenten nach Onkologen arbeiten) teilweise schlecht wird, wenn sie Ritalin ohne Begleittherapie verschreiben müssen (aufgrund mangelnder Mitarbeit im Elternhaus).


    Aber ja, es sind die Lehrer die alles besser wissen. Und die dummen Professoren in ihrem universitären Elfenbeinturm, die so eine Leitlinie verfassen. Und die dummen Psychologen, die die massive Ausweitung der ADHS-Symptomatik im DSM-V lautstark kritisieren. Es sind die Lehrer...bestimmt... :)

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

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