Aggressive, frustrierte Schüler

  • Hallo,
    Ich würde gerne wissen, wie ihr mit aggressiven, frustrierten Schülern umgeht.
    Ich habe zurzeit einen typischen Underachiever, der trotz offensichtlich guter Intelligenz, keine vernünftigen Leistungen bringt. (Mittlerweile Hauptschule)
    Es kommen hinzu: exzessive Computernutzung
    Schulabsenz, chaotische Familiensituation, Eltern arbeiten nicht ehrlich mit der Schule zusammen, Mangelnde Impulskontrolle, keine Hausaufgaben, kein Material, auffällige Sprache (Sprachfehler)..


    Ich versteh die Frustration des Schülers, es gelingt mir aber nicht ihn aus dieser Abwärtsspirale zu holen. Im Gegenteil er streitet Verantwortung ab und sieht alles als Probleme , die ich verursache. auch die Eltern verstehen nicht, dass ich die Entscheidungen über seine Schullaufbahn nicht zu verantworten habe und auch nicht ändern kann (Hessen, zweimaliges Sitzenbleiben in der gleichen Jahrgangsstufe führt zum Hautschulbesuch).


    Wie begegnet ihr in einem solchen Fall z.B. Provokativen Äußerungen und Beschimpfungen? Passieren in Diskussionen, bei der Rückgabe von schlechten Arbeiten, teilweise auch schriftlich?
    Wie geht ihr um mit Aggression gegenüber Mitschülern - verbal und körperlich?
    Danke !

    • Offizieller Beitrag

    Da gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, die Schulpsychologin vom Staatlichen Schulamt einzubeziehen. Kommt auch auf die Schulleitung an, wenn die mitziehen und die Eltern persönlich einbestellen, kommen die oft auch. Da muss man dann auch klare Worte finden. Welche Jahrgangsstufe ist es denn? Käme in der Hauptschule auch ein Dauerpraktikum in Frage? In Fällen absoluter Schulmüdigkeit funktioniert das auch mal, das Praktikum muss aber betreut werden, wenn es nicht ein pures Abschieben das Problems werden soll.

  • Habt ihr eine/n Schulsozialpädagogin/Schulsozialarbeiter/in? Dann würde ich gucken, ob der nicht die Jugendhilfe in die Familie schicken kann: chaotische Familiensituation, Schulschwänzen oder dauerndes Fehlen mit Billigung der Eltern, keine Ausstattung des Schülers mit Schulmaterial - da wird das Jugendamt wohl tätig werden.


    Sprachtherapie wäre sinnvoll, ich habe z.B. einen Logopäden gefunden, der in der Nähe der Schule ist. Dann ist es für die Schüler/innen wenigstens kein Problem, dorthin zu kommen.


    Wir haben an unserer Schule eine AG zur Gewaltprävention, dorthin würde ich den Schüler schicken.


    Aggressionen gegenüber Mitschüler/innen haben hier, wenn sie in der Pause passieren, einen Tadel zur Folge, spätestens bei 3 Tadeln laden wir die Eltern ein oder es gibt -je nachdem was vorgefallen ist- eine Teilkonferenz und Ordnungsmaßnahmen. Passiert so etwas im Unterricht, müssen die Schüler in den Regelraum. Nach 3 Regelraumbesuchen müssen die Eltern kommen, sonst darf der Schüler die Schule solange nicht mehr besuchen. Nach 6 Besuchen gibt es eine Teilkonferenz und Ordnungsmaßnahmen.


    Alle schriftlichen Beleidigungen sammeln, so dass man im Elterngespräch ggf. dies als Beweis vorlegen kann. Außerdem auf jeden Fall alle Vorfälle kurz schriftlich festhalten mit Datum etc.


    Beschimpft mich selbst jemand im Unterricht, setze ich ihn auf jeden Fall vor die Tür. Ein Gespräch mit dem Schüler führe ich später natürlich, aber nicht vor der Klasse. Dass jemand nicht raus wollte, hatte ich auch schon, aber in dem Fall habe ich die Schultasche genommen und in den Flur gestellt. Wenn ich dann evtl. noch gefragt habe: Soll ich dich auch raustragen? - wobei allen Schüler/innen klar ist, dass es bei mir 160cm groß, nicht passieren würde, hatte ich meist die Lacher der Klasse auf meiner Seite und derjenige ist gegangen.


    Im Elterngespräch versuche ich gerne, die Eltern dazu zu bewegen, dass die Schüler/innen einem Hobby nachgehen: wenn sie irgendeinen Sport mögen, schlage ich immer einen Sportverein vor! Wir haben hier eine Liste mit Vereinen der Umgebung, dann können sie sich gleich die Kontaktdaten aufschreiben. Wenn die Schüler, bei denen es zuhause chaotisch ist, regelmäßig im Verein sind, haben sie wenigstens zweimal pro Woche etwas vor und lernen einen Rhythmus kennen.


    Kann der Schüler vielleicht etwas gut oder mag er irgendetwas? So dass man z.B. Kunstbilder von ihm in der Klasse aufhängt, ihn bittet Musik für den Sportunterricht (zum Warmlaufen mitzubringen) oder Musik für den Musikunterricht…Vielleicht könnte man das Thema Computerspiele aufgreifen: Jeder stellt ein Spiel vor. Dann pro und contra Computerspiele beprechen. Irgendwo anknüpfen, dass du eine Beziehung zu ihm aufbauen kannst und er mal einen Erfolg sieht bzw. begreift, dass du dich für ihn interessierst.

  • Provokativen Äußerungen und Beschimpfungen?

    Ordnungsmaßnahmen, bis zum Ausschluss von der Schule.


    Gehorcht der Schüler Anweisungen nicht, jedes Mal die Schulleitung holen, die dann auch eine Ordnungsmaßnahme durchführt (Ausschluss vom laufenden Tag).


    Dazu natürlich begleitende Unterstützungsangebote.

  • Dieser Junge erlebt seit er denken kann Chaos, Unehrlichkeit, Unzuverlässigkeit, Lieblosigkeit, Unfähigkeit, Emotionen angemessen auszudrücken inklusive Gewalt. Deine Aufgabe- nicht mehr und nicht weniger (!)- als Lehrer ist es, diesem Kind jeden Tag den gleichen Rahmen zu bieten.


    Dazu gehören ein paar Grundregeln in deinem Zimmer, an die sich jeder zu halten hat. Wer das nicht schafft, erhält eine Ordnungsmaßnahme (bei Gewalt i.d.R. Schulausschluss).


    Dazu kann auch gehören, Gefühle kurz und knapp zu verbalisieren, so dass es der Jugendliche annehmen kann. "Ich sehe du ärgerst dich..."/ "ich verstehe, dass du enttäuscht bist..." und auch seinen Humor nicht zu verlieren/ nichts zu überdramatisieren ;)


    Sag dem Jungen, was du willst, ziehe deine Ansagen durch und bleibe weiterhin der/diejenige, den er ansprechen kann, wenn er das möchte. Du bist aber nicht der Retter dieses Kindes. Dasselbe gilt im Umgang mit den Eltern: hör ihnen zu, spiegele ggf. ihre Gefühle "Sie machen sich also Sorgen, weil..." und sage ansonsten freundlich und glasklar, was du erwartest und ab wann du das Jugendamt um Mithilfe bittest.

  • Danke für eure Rückmeldungen.
    Ich habe schon vieles gemacht (Elterngespräch, Schulleitergespräch, Schulsozialarbeit und Schulpsychologe, Förderlehrer etc.). Jugendamt oder andere Unterstützungsmöglichkeiten lehnen die Eltern ab und von sich aus wird zumindest hier das Jugendamt nur tätig, wenn das Kindeswohl massiv gefährdet ist. Bei einem Jugendlichen, der keiner körperlichen Gewalt ausgesetzt ist oder von sich aus das Jugendamt aufsucht, passiert nicht viel (ein bis zwei Gespräche, die aber sehr freiwilligen Charakter haben).
    Ordnungsmaßnahmen werden jetzt stattfinden, klar, aber die prallen an ihm relativ locker ab (Schüler mit Schulabsenz kann man mit Ausschluss vom Unterricht nicht wirklich beeindrucken). Ihm scheint es sogar zu gefallen, mit so vielen Erwachsenen zu diskutieren.
    Ich kann mich durchsetzen, hatte auch in H Klassen bisher nie ein Autoritätsproblem. Bei diesem Schüler sehe ich aber, dass jede negative Rückmeldung (trotz Lob in anderen Bereichen), ihn immer weiter zum Rückzug in seine (Computer?) - Welt bringt. Ich finde es ganz schwer das auszuhalten, da ich sehe, wie er immer tiefer rutscht.
    Wie ist das bei euch geregelt? Meine Schulleitung schließt nur in Sonderfällen jemandem von Unterricht aus (akute Bedrohung). Ordnungsmaßnahmen schlimmer als eine Woche Suspendierung habe ich noch nicht erlebt. Wir sind dazu angehalten, mit den Eltern zu kooperieren, wenn die nicht bereit sind (oder sich nicht an die Vereinbarungen halten), haben wir keinen Mittel mehr.
    Ich bin weiterhin für jede Rückmeldung dankbar.

  • Exzessive Computernutzung ist doch auch Kindswohlgefährdung. Kannst du das noch in mehr Worte fassen? Woran kannst du diese Aussage festmachen? Dokumentiere das. Vielleicht ergibt sich da ein Anknüpfungspunkt.
    Leider kann ich dir da nicht mehr weiterhelfen Bei uns landen genau solche Schüler, aber leider habe ich fast keinen Einblick, was im Vorfeld gelaufen ist, dass sie in Jugendhilfemaßnahmen aufgenommen wurden.


    Wichtig könnte noch sein, dass du deine Elternarbeit überdenkst. Versuche mal die Eltern mit ins Boot zu holen, so dass beide Parteien sich gegen das Verhalten des Jungen (nicht gegen ihn, sondern sein Verhalten) verbünden.
    Formulierungshilfen könnten sein: "Ihr Sohn ist wirklich gut begabt und bei uns eigentlich falsch, denn er hat viel Potential. Leider steht im sein Verhalten im Weg." ... "Wenn wir gemeinsam ein Ziel erreichen sollen, welches würden Sie sich wünschen?" . Hier sind die Antworten vermutlich sehr undifferenziert und du musst nachfragen. Beispiel: Ich wünsche mir, dass er nicht in der Hauptschulstufe ist. Dann fragst du, was er dafür erreichen muss. Da werdet ihr mit Sicherheit jede Menge Punkte finden. Dann beschränkt ihr euch auf etwa zwei Punkte. Frage dann die Eltern, wie ihr das erreichen könnt, wo sie deinen Anteil sehen, wo ihrer sein könnte. Diese Punkte könnt ihr dann dem Schüler gemeinsam (!!) mitteilen und täglich auswerten und euch wöchentlich/zweiwöchentlich austauschen, dann anpassen. Irgendwann erkennen die Eltern entweder einen Fortschritt oder sie sind möglicherweise bereit sich externe Hilfe zu holen.


    Ich wünsche dir viel Kraft..


  • Ich finde es ganz schwer das auszuhalten,

    Das ist das Stichwort. Es geht hier um dich. Und ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn ein Jugendlicher entgleitet! Trotzdem bist du Lehrer und nicht seine Mama. Stell dir vor, du hättest als 14-Jähriger ein Scheißleben. Wolltest du, dass sich deine Lehrerin permanent einmischt? oder würdet du dich noch mehr zurückziehen? Du kannst Impulse setzen aber nicht eine Familie nach deinen Privatvorstellungen umkrempeln. Ich erzähle unseren Schülern z.B. wo sie den Kinder- und Jugendnotdienst finden und wenn sie dorthin möchten, dann gehen sie.


    Und ja, es gibt Familien, mit denen man leichter zusammenarbeiten kann. Es gibt aber auch Familien, die auf Krawall gebürstet sind, mit Aggression und Wut auf die Schule ihre Privatprobleme vertuschen und eigenen Schulfrust abarbeiten und da sind deutliche Worte oft die hilfreichsten- "ja, ihr Sohn ist schlau und ein prima Kerl, ich mag an ihm... . Und ja, er hat massive Probleme, das wissen wir alle. Bitte suchen Sie sich Hilfe, z.B. in einer Klinik- hier wären zwei Telefonnummern... Wissen Sie, ich beschule ihr Kind vielleicht noch 1 oder 2 Jahre, auf mich brauchen Sie nicht wütend sein, ich kann nicht viel machen. Aber so wird er nicht in der Lage sein, eine Ausbildungsstelle zu finden und er entgleitet auch Ihnen zunehmend." Je mehr Eltern auf der Schule oder dir persönlich rumhacken, umso klarer sollte man das Gespräch auf das Kind zurückführen. Es geht nicht um Befindlichkeiten und Diskussionen um Kinkerlitzchen- schon gar nicht mit dem Kind selbst- sondern ums Eingemachte.


    Schulausschluss kann übrigens auch bei Absentismus sinnvoll sein, wenn mand den Jugendlichen nicht im Eigentlichen "loswerden" will. Wenn er sich angenommen fühlt, kommt er vermutlich gerne in die Schule. Der Ausschluss kann aber ein Motor sein, für die Eskalation zu Hause.

  • Ich liebe deine kurzen, plakativen Statements, die das Thema nicht voranbringen. Gut, du hast vermutlich recht, Karl-Dieter. Für mich ist es Kindeswohlgefährdung, vom Jugendamt wird´s sicherlich nicht der Vernachlässigung (die zur Kindeswohlgefährdung zählt) zugerechnet. ... Man kann nur etwas erreichen, wenn die Eltern mit unterstützen. Deshalb auch mein Vorschlag die Eltern mit ins Boot zu holen. Wenn diese mitziehen, gibt es vielfältige Hilfen.

  • So, ich kann nun leider wenig Gutes berichten.
    Schulpsychologe und Schulleitung haben beide deutlich gemacht, dass das Jugendamt von den Eltern angefragt werden muss. Solange die dies verweigern , wird in die Richtung nichts passieren. Pc Spiele sind keine Kindeswohlgefährung im eigentlichen Sinne.
    Schantalle, du hast die Sache gut analysiert, es ist nicht mehr drinnen, als den Eltern klar zu machen, dass es um die Zukunft ihres Kindes geht. Und mir klar zu machen, dass die Grenze meiner Möglichkeiten erreicht ist.
    Danke!

    • Offizieller Beitrag

    dass das Jugendamt von den Eltern angefragt werden muss

    Habt Ihr einen Sozialpädagogen? Diese sind nämlich nicht an die schulischen Kommunikationswege gebunden und können sich daher auch direkt an das Jugendamt wenden.

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