Arbeitsalltag als Sonderpädagoge in der Inklusion?

  • Einen schönen Tag, liebes Forum!


    Durch mein Orientierungspraktikum konnte ich bereits eine Förderschule kennenlernen, doch sollen Sonderpädagogen schließlich zukünftig auch an Regelschulen eingesetzt werden.


    Wie kann ich mir da den Tagesablauf - besonders im Vergleich zur Förderschule - vorstellen? Und welche Vor- und Nachteile seht ihr für euch selbst in diesem Arbeitsfeld?


    Ich würde mich sehr um ein paar Antworten freuen.


    Liebste Grüße


    Der Weltaal

  • Schwierigkeiten:


    -Man hat zwei Fachrichtungen studiert und wird in der Inklusion mit allen Förderschulschwerpunkten zu tun haben: Sich z.B. auf die Bedürfnisse sehbehinderter Schüler/innen einzustellen, wenn man damit noch nie zu tun hatte etc. - ist nicht so einfach.
    -Fachkenntnisse: Wie soll ich z.B. den zielgleich unterrichteten Schüler mit Förderbedarf Emotionale und Soziale Entwicklung in Französisch unterstützen, wenn ich selbst die Sprache nicht beherrsche?
    -Durchs Teamteaching ergeben sich neue Herausforderungen beim Unterrichten (Manche Regelschullehrer/innen möchten nicht gerne, dass noch jemand mit im Unterricht ist. Unterschiedliche Typen und Unterrichtsstile prallen aufeinander…)
    -Zeit für Kommunikation z.B. gemeinsame Unterrichtsplanung, Austausch über Schüler/innen fehlt oft
    -Wenn der Regelschullehrer Frontalunterricht macht, wie soll ich dabei in diesem Unterricht z.B. die Förderschüler/innen Lernen unterstützen? Soll ich ihnen die Antworten vorsagen???? Soll ich mit ihnen flüsternd im gleichen Raum anderen Unterrichtsstoff besprechen?
    -Oft hat man viel zu wenig Stunden, um den Schüler/innen gerecht zu werden, das ist unbefriedigend! Ich habe Schüler/innen aus verschiedenen Klassen und pro Klasse nur eine Stunde- in einigen Klassen sind sogar mehrere Kinder mit Förderbedarf.
    -Wie soll ich z.B. mit einer einzigen Stunde, die mir für den Schüler mit Förderbedarf Emotionale und Soziale Entwicklung bleibt überhaupt eine tragfähige Beziehung aufbauen und irgendwie auf ihn einwirken???
    -Für Englischunterricht für Förderschüler/innen Lernen gibt es gar kein Konzept oder Lernziele in NRW. Trotzdem werden die Schüler/innen in dem Fach unterrichtet.


    Vorteile:


    -Die Idee an sich! Ich bin generell dafür, so weit wie möglich Schüler/innen inklusiv zu beschulen, da sie so häufig trotzdem mehr lernen als an der Förderschule, ihr Selbstbewusstsein oft besser ist und sie ortsnah in ihrem gewohnten Umfeld zur Schule gehen können. Allerdings wünsche ich mir entsprechende Bedingungen: kleine Klasse mit Doppelbesetzung in möglichst allen Fächern, einen Differenzierungsraum, passende Schulbücher, eine gute mediale Ausstattung - habe ich alles nicht!!! Ich denke auch, dass Inklusion Grenzen hat und dass für mache Kinder eine Förderschule besser ist.
    -Ich habe schon viele sehr nette und engagierte Regelschullehrer/innen getroffen, von denen man wiederum etwas lernen kann.
    -Die Kinder kommen gerne zu den Stunden, wenn ich mit ihnen in einen anderen Klassenraum gehe und sie dort Förderunterricht bekommen. Auch die anderen Schüler/innen möchten immer gerne mit. Ich nehme je nach Thema auch Schüler/innen mit in die Förderung, die dabei gerade besondere Unterstützung brauchen. Schön, wenn sie dann bei den Klassenarbeiten besser abschneiden als erwartet.
    -Es freut mich, dass die Förderschüler/innen trotz der schlechten Umstände, die wir bei der Umsetzung der Inklusion haben, gerne in die Schule gehen und in den Klassen integriert sind - letzteres gilt leider nicht für den Schüler mit Förderbedarf Emotionale und Soziale Entwicklung. Vor dem haben die Mitschüler/innen wegen seiner Gewaltausbrüche Angst.




    Man muss sich von dem -wie man es an der Förderschule gewohnt war, verabschieden und sich darauf einlassen, mit anderen im Team zu unterrichten. Die Themen sind vorgegeben. Ich muss auch viel Material bereitstellen, dass die Schüler/innen möglichst selbständig bearbeiten können, wenn sie z.B. in Mathematik in eine anderen Zahlenraum rechnen etc.

  • AusSicht der Regelschulkolleginnen ist es so:
    - abgeordnete Förderschulkolleginnen kommen für wenige Stunden in die Klasse - die restlichen 20/25 Std. sind wir alleine mit den unterschiedlichsten Förderkindern.
    - Diese Stunden fallen häufig aus, wenn die Förderschullehrerin z. B. an der Stammschule Konferenz / FoBi / Wandertag etc. hat
    - Besprechungen zwischen Förderschulkollegen und RegelschullehrerInnen finden für letztere außerhalb ihres Deputats statt, für erstere innerhalb
    - das gleiche gilt fürGespräche mit den betroffenen Eltern oder dem Jugendamt, für Förderausschüsse und für schriftliche Berichte über die SchülerInnen
    - manche FöL sind sehr gut organisiert und versorgen ihre Kandidaten mit Wochenplänen o.ä., mit dem sich die Kids bis zur nächsten FöL-Std. ausreichend und gewinnbringend beschäftigen können.
    - manche FöL sitzen neben den Kids und geben mir dann Tipps wie "mit dem müsstest du mal das 1x1 üben!" :skeptisch:


    Für Lernhilfekinder immer wieder extra Lernstoff bereitstellen, der oft meilenweit vom Klassenstand entfernt ist, ist sehr mühsam. Dann im Auge zu behalten, auf welchem Lernstand sich das Kind befindet und es auf diesem Niveau weiterzubringen - ist fast unmöglich. Genau das wünschen wir uns von den FörderschulkollgInnen.

  • Das Wichtigste wurde schon gesagt.


    Es ist für alle Parteien - Förderschullehrer und Regelschullehrer, natürlich auch für die Schüler - absolut unbefriedigend.
    Der Förderschullehrer kann, selbst wenn er will (und die meisten, die ich kenne, wollen wirklich!) der Situation nicht gerecht werden, da er in der Regel an mindestens 2 Schulen tätig ist und in zig verschiedenen Klassen.
    Das kann ja auch schlichtweg nicht funktionieren! Es ist einfach nur frustrierend für alle und für mich überwiegen im Alltag ganz klar die Nachteile.
    Das Arbeiten an einer Förderschule, so höre ich von den befreundeten Sonderpädagogen, stimmt sie zufriedener, auch wenn es dort natürlich manchmal noch heftiger zugeht, als an den Regelschulen.

  • Für Lernhilfekinder immer wieder extra Lernstoff bereitstellen, der oft meilenweit vom Klassenstand entfernt ist, ist sehr mühsam. Dann im Auge zu behalten, auf welchem Lernstand sich das Kind befindet und es auf diesem Niveau weiterzubringen - ist fast unmöglich. Genau das wünschen wir uns von den FörderschulkollgInnen.

    Genau das habe ich während meiner Arbeit im gemeinsamen Unterricht gemacht: Wochenplanmappen ( mit Selbstkontrolle) vorbereitet, Notebook mit entsprechender Software organisiert und installiert. Dadurch hätten die Kids immer die Möglichkeit der Selbstkontrolle gehabt und die Regelschulkollegen wären entlastet gewesen. Aber:

    • An meinen Plänen wurde nicht gearbeitet
    • Meine Vorbereitungen waren für die Katz, weil beim nächsten Besuch ( auch für die Förderkinder) wieder das nächste Thema dran war ohne, dass ich darüber informiert wurde.
    • Habe dann kurzerhand meiner Förderkinder aus dem Unterricht genommen, wenn ich da war, damit sie auch nur irgendwie davon profitieren konnten
    • Regelschulkollegen wollten mich eigentich gar nicht dabei haben.
    • Absprachen gleich null ( E-Mails wurden nicht beantwortet usw)
    • Mit meinen Förderkindern wurden unabgesprochen Klassenarbeiten geschrieben
    • Manche Kollegen wussten gar nicht, dass es Förderkinder waren
    • Ein Förderkind in einer anderen Klasse hat nach meinen Plänen gearbeitet. Es sagte: "Ich muss immer alleine arbeiten", das hat ihm gar nicht gefallen..
    • Es mir gelungen dieses sehr, sehr leistungsschwaches Mädchen in unsere Förderschule zu retten. Sie hat in den 2 jahren sehr viel gelernt. Ich bezweifle, dass es in der Regelschule auch möglich gewesen wäre, weil einfach nicht durchführbar. Es ist kaum wieder zu erkennen.

    Fazit:

    • Ob es gelingt oder nicht, ist sehr personenabhängig. (Das sind doch keine Standards! ). Eine Kollegin, die allerdings mit 8 Std. für 4 Kids am Gymnasium arbeitet, berichtet nur Positives. Hier steht die Schulleitung dahinter, sie hat Geld für Material und findet bei allen ein offenes Ohr. Die Kollegen sind dankbar, dass sie da ist. Vertretungsunterricht ist ausgeschlossen.
    • Wenn die Bedingungen stimmen ist es für fittere Kids mit Lernstörungen manchmal sinnvoll.
    • Kids mit größeren Einschränkungen im kognitiven Bereich sind im Regelschulsystem chancenlos.
    • Die Menge an Integrationshelfern, die im Regelschulsystem inzwischen involviert sind bringt kaum was; Die Kids haben ständig einen Erwachsenen im Schlepptau ( horror), werden in ihrer Persönlichkeitsentwicklung dadurch behindert, bleiben im Regelschulsystem die Exoten. Die Qualifikation der IE Helfer ist zuweilen äußerst fragwürdig.
    • Meine Kollegen, auch der oben beschriebenen Schulen, die sich ( leider ) ins Regelschulpaket haben versetzen lassen müssen inzwischen sehr, sehr oft Vertretungsunterricht machen, sind ausgesprochen unzufrieden und berichten, dass eine sinvolle Förderung kaum möglich ist. :(

    Habe hier mein Inklusionstagebuch eingestellt;


    Inklusionstagebuch

    • Offizieller Beitrag

    Wie schon geschrieben: Abhängig von Personen und Umständen.
    Wir hatten schon abgeordnete SoPä in den Klassen, die z.B. für 2 Stunden pro Woche kamen, selber in Kl. 10 unterrichteten und nun in der 1. Kinder unterstützen sollten. Und eben immer wieder nicht kamen. Oder zu spät kamen, weil der Fahrtweg nicht zu bewältigen war.


    Jetzt haben wir den Luxus von 2 SoPä an unserer Schule, die allerdings über 40 Kinder mit Förderbedarf zu betreuen haben. Ferner gibt es 4 Stunden sonderpäd. Förderung, die jeder Klasse in Klassenstufe 1/2 zustehen. Das heißt, die 2 Stunden, die den meisten Kindern zustehen, stehen gar nicht zur Verfügung und auch diese 4 Stunden sind nicht flächendeckend zu gewährleisten. Meist werden die Kinder in Paaren/ Kleingruppen aus dem Unterricht genommen und mit ihnen an ihren Lernzielen weitergearbeitet. Das finde ich für meine Klassensituation am besten. Nicht, weil ich die Kollegin nicht im Unterricht möchte - sondern weil meine am Rahmenplan der GS unterrichteten Schüler so leistungsschwach sind, dass sie erst nach vielen Stunden Einführung / Neueinführung / Nochmaleinführung / Festigung-Festigung-Festigung in der Lage sind, überhaupt Aufgaben alleine zu üben. (Die vergessen quasi von 9:10 bis 9:20 den Begriff "Verb", der seit ca. 2 Monaten geübt wird einfach mal wieder.) Wenn ich da noch ein anderes Niveau einfügen würde (z.B. Subtraktion bis 10 für die zieldifferent unterrichteten Schüler bei gleichzeitiger 1x1-Erarbeitung), wären irgendwie fast alle durcheinander.
    Hinzu kommt, dass viele dieser zieldifferent unterrichteten Kinder Aufmerksamkeitsstörungen haben oder Hörwahrnehmungsschwächen. Für die ist eine Klasse mit nur 23 Schülern purer Stress aufgrund der Lautstärke (z.B. wenn sich Kinder normal unterhalten oder wenn jemandem etwas herunterfällt oder aus Federtaschen etwas herausgeholt wird).
    Wenn ich alle in der Klasse haben möchte, kommt unsere SoPä aber mit in den Unterricht und unterstützt uns oder übernimmt auch einen Teil des Unterrichts und ich unterstütze die Kinder.
    Die Förderpläne und Feststellungsverfahren schreiben wir zusammen, auch Elterngespräche diesbezüglich führen wir zusammen und das ist sehr sehr hilfreich und wirklich luxuriös.


    Wir hatten auch die Situation das Sopä gleichzeitig Klassenleitung übernehmen mussten, da war durch diese Doppelbelastung natürlich nur eine eingeschränkte Unterstützung möglich, aber auch da wurde beraten so weit möglich. Auch für Vertretungsunterricht wurden die SoPä schon in hohem Maße eingesetzt.


    Schwierig ist für unsere SoPä, dass sie 2 Fachrichtungen haben und für die anderen Fachrichtungen nur eingeschränkt beraten können. Insbesondere bei den sich bei uns häufenden Kindern mit "normaler Intelligenz", die trotzdem nicht annähernd die Ziele des Rahmenlehrplans erfüllen (ich habe 3-4 davon in der Klasse, die beide deutlich schlechter sind als mein eines LE-Kind), sind die SoPä ebenfalls an ihren Grenzen.


    Viele unserer Regelkollegen sind unzufrieden, weil sich bei uns die Kinder mit Förderbedarf häufen und wir nicht mehr weiter wissen. Diesen Frust bekommen dann teilweise unsere SoPä ab.

  • So wie bei Conny ist es bei uns auch, zwei Sopäd fest an der Schule, die in fast allen Klassen unterwegs sind. Auch sonst passt die Schilderung von Conni.
    Zu sagen ist noch, dass beide Sopäd mir immer mal wieder sagen, ihnen fehlt das "Zuhause" in einer festen Klasse.

  • Noch haben wir in unseren 3 Integrationsklassen jeweils ein fixes Zweierteam, aber leider soll sich das ab 2020 ändern, dann gehts uns wahrscheinlich so wie euch......

  • - Besprechungen zwischen Förderschulkollegen und RegelschullehrerInnen finden für letztere außerhalb ihres Deputats statt, für erstere innerhalb

    Ich unterrichte auch in Hessen und das ist mir neu. Sicherlich gibt es zwischen Schulamt und Schulamt Unterschiede, aber die zugewiesene Schulressource (Stunden) darf eigentlich nur für Unterrichtsstunden verwendet werden. Gespräche etc. finden in der Regel außerhalb der Unterrichtszeit statt. Ausnahmen, beispielsweise für Jungendamtsmitarbeiter mit schrägen Terminvorstellungen, sind möglich.

    Wer immer das tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.


    Henry Ford

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