Zweifel an "Legasthenie-Bestätigung"

  • In meiner (zweiten) Klasse ist ein Kind, das sich mit dem Lesen und schreiben schwer tut - und mit dem Rechnen, dem Erkennen von Wortarten, dem Umsetzen von Anleitungen (auch non-verbalen), der Feinmotorik, etc. Kurz: ein ganz netter Junge, der meines Erachtens nach nicht unbedingt mit "Begabung gesegnet ist", seine Stärken liegen eher in den "soft skills".


    Nachdem die Eltern recht verzweifelt waren riet ich zu einer Überprüfung bei Psychologe/Kinderarzt und ggf. Ergotherapie oder weitere Maßnahmen. Jetzt habe ich von der Mutter eine Nachricht im Hausaufgabenheft bekommen, dass Sie bei einem Legasthenie-Studio waren, ihr Sohn eine schwere Legasthenie hat, die Einrichtung aber meinte, dass sie das gut fördern können. Interessehalber habe ich jetzt mal im Internet mir die Einrichtung angeschaut und nachgelesen, was so eine Therapie kostet *staun*


    Erstaunt bin ich auch, weil ich bisher immer davon ausgegangen war, dass eine Legasthenie auch mit der Intelligenz des Kindes korreliert - und dass weniger intelligente Kinder dann einfach sich "insgesamt schwertun", aber keine Legasthenie haben.


    Interessanterweise findet man auf der Homepage auch keinerlei Informationen über die Ausbildung/den Werdegang der Therapeutin.


    Die Eltern kommen in zwei Wochen zum Gespräch, sie hätten auch etwas von einem Nachteilsausgleich gehört. Sicherheitshalber aber mal vorher die Frage: Weiß jemand, ob (in Bayern) das Gutachten von so eine freien Einrichtung genauso einfach an die Schulpsychologin weiter gereicht wird oder ob das nur mit einem Gutachten von einem Psychologen geht? Und: was würdet ihr machen - die Eltern bestärken darin, dass es gut ist, dass sie ja jetzt eine mögliche Lösung gefunden haben oder von meinen Beobachtungen schildern, dass er sich in allen Bereichen schwer tut?

  • Hallo,


    also so viel ich weiß, muss Legasthenie von einem Kinderpsychologen diagnostiziert werden.
    Ich bin ehrlich gesagt auch skeptisch, was dieses Institut da anbietet. Könnte mir vorstellen, dass bei ihnen "jeder" Legasthenie hat, der anfragt...


    LG

  • Also bei meinem Sohn ist es auch so, dass das Institut LRS "diagnostiziert" hat. Ehrlich gesagt, ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Sohn kein LRS hat und jedes Kind das ich kenne und sich dort vorgestellt hat, hat angeblich LRS. Ich traue solchen Instituten NULL:-). Aber auch an meiner Schule nehme ich natürlich Rücksicht auf die ganzen "Bescheinigugen" von diesem Institut...


    Aber ich finde so wie die Rechtschreibung in den Grundschulen unterrichtet werden muss, ist es kein Wunder, dass so viele Kinder angeblich LRS haben, unter anderem auch mein Sohn. Also für manche Kinder sind die gängigen Grundschulmethoden einfach "nichts" und das haben wir viel zu spät gemerkt. Daher hat er jetzt einfach mal diesen Schein, damit die Rechtschreibung aus der Benotung rausgenommen wird und er Zeit hat, seine Defizite nachzuholen, aber LRS hat er ziemlich sicher nicht. ALLE Kinder die sich bei solchen Instituten vorstellen haben angeblich LRS, habe ganz ehrlich von keinem Kind gehört das es nicht hat...


    Wobei das wohl was anderes ist als Legasthenie. Trotzdem nehmen die Schulen in meiner Gegend zumindest (also NRW) die Rechtschreibung aus der Bewertung wenn man mit so einer "Bescheinigung" kommt...


    Also ich kann verstehen, wenn sich die Lehrer meines Sohnes über diese "Bescheinigung" ärgern, mache ich im Grunde auch:-).

  • LRS/Legasthenie ist eine Teilleistungsschwäche. Wenn das Kind überall Probleme hat, wird hier wohl eher ein Förderbedarf Lernen im Raum stehen. Der Ablauf in NRW wäre: Verbleib von 3 Jahren in der Einführungsphase, dann AOSF.

  • du brauchst in bayern was von der zuständigen schulpsychologin, die das attest validiert oder eben auch nicht. d.h. du als lehrer darfst gar nicht entscheiden, ob das attest passt oder nicht. zmindest ist das am gymnasium so. im zweifelsfall weiß sicher auch eure zuständige beratungslehrerin bescheid, wie zu verfahren ist.

  • Muss kecks zustimmen: Es ist die Aufgabe der Schulpsychologen ein "Gutachten" anzuerkennen oder eben nicht. Unabhängig davon ist natürlich deine Beratung - die hört ja nicht bei einem LRS-Gutachten auf, sodass ich den Eltern durchaus klar meine Meinung zum Kind sagen würde.


    Viele Grüße
    Holger

  • Seid ihr sicher, dass "Legasthenie" über die Schulpsychologen laufen? Die können doch nur LRS (Lese-Rechtschreibschwäche) diagnostizieren?
    Für die Berücksichtigung einer Legasthenie in der Schule ist ein Attest notwendig, das nur ein Facharzt oder eine Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, ein sozialpädiatrisches Zentrum oder approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut(inn)en ausstellen können.
    Ein solches Attest muss unverzüglich nach Erstellung der Schule vorgelegt werden, wenn ein Antrag auf Gewährung eines Nachteilsausgleichs gestellt werden soll. Ein Attest kann also nicht prophylaktisch erstellt und der Antrag auf Gewährung eines Nachteilsausgleichs erst später, beispielsweise bei einer Gefährdung des Vorrückens, gestellt werden (KMS vom 1.7.2005)
    .
    Quelle: https://www.schulberatung.baye…lberatung/index_05163.asp

  • nicht diagnostizieren, sondern das attest anerkennen oder eben nicht. das machen am bayerischen gym - und scheins an der gs ebenso - die schulpsychologen. elternteil schleppt kind zu den von dir zitierten stellen, die schreiben ein attest, das geht an die schulpsycholog/in, und dann wird der nachteilausgleich gewährt, osonst nicht.

  • Du kannst zB die HSP (Hamburger Schreibprobe) durchführen, um selbst einen Einblick zu haben. Kannst du über'n Buchhandel kaufen und im Internet auswerten lassen hsp-plus.de
    Welchen "Test" hat denn das Institut durchgeführt?


    Mich wundert auch, dass direkt Legasthenie festgestellt wurde und nicht erstmal eine LRS ... ?!?!!?

  • Legasthenie korreliert nicht unbedingt mit Intelligenz. Es gibt Menschen mit einem durchschnittlichen oder gar überdurchnittlichem IQ, die sich mit Legasthenie rumplagen müssen, weil ihnen die Fähigkeit fehlt sich Wortbilder zu merken. So wie du das Kind aber beschreibst, beschränken sich seine Defizite nicht nur auf diesen Bereich des Lernens, sondern sich eher genereller Natur. Dem liegt evtl. doch eine unterdurchschnittliche Intelligenz zugrunde. Vielleicht wäre ein AO-SF aussagekräftiger als der Bericht dieses Instituts.

  • Zitat von kecks

    du brauchst in bayern was von der zuständigen schulpsychologin, die das attest validiert oder eben auch nicht.

    Ja, aber die bescheinigung darf ja eben nicht von einem dubiosen Institut kommen, sondern muss von einem Psychiater oder SPZ ausgestellt sein. Aber das ist nicht Sache der Lehrerin, sondern die des Schulpsychologen, da habt ihr natürlich recht.
    Aber ich würde die Eltern schon daraufhin weisen, dass diese Aussagen des Instituts für einen Nachteilsausgleich nicht entscheidend sind. Wer weiß, wie viel Geld die schon bezahlt haben... An deiner Stelle würde ich sie direkt an den Schulpsychologen verweisen. Üblicherweise machen die erst mal selbst einen Test auf LRS plus weitere Testung oder verweisen dann auf die angesprochenen Stellen wegen der Legasthenie-Testung.

  • ich kann nur für NRW sprechen: Testung bei Legasthenie oder Dyskalkulie muss beim Kinderpsychiater erfolgen. Das Gutachten zählt für Nachteilsausgleich ebenso wie für Gewährung einer Eingliederungshilfe seitens des Jugendamtes. Kosten fürs Gutachten belaufen sich um ca. 100€, werden aber ggf. übernommen.
    Testungsergebnisse von Instituten zählen nicht, da diese ja ein Interesse daran haben, viel zu diagnostizieren um damit dann zu verdienen.
    Ein Intelligenztest gehört dazu, da nur dann Legasthenie oder Dyskalkulie vorliegt, wenn die Diskrepanz zwischen sonstigen Bereichen und den jeweiligen Teilbereichen groß genug ist, also (über)durchschnittlicher IQ vorliegt und trotzdem extrem unterdurchnittliche Ergebnisse bei der Testung bzgl Lese/ Rechtschreibung bzw. mathematischen Fähigkeiten.
    Falls IQ deutlich unterdurchschnittlich: AOSF mit Förderschwerpunkt Lernen und dann zielldifferentes Lernen mit eigener Benotung oder nur Verbalbeurteilung.
    Schulpsychologe kann einen Anhaltspunkt geben durch Testungen, aber die Ergebnisse zählen für Gewährung außerschulischer Förderung im Rahmen einer Eingliederungshilfe NICHT.
    Und da die Therapie schnell mehrere tausend Euro kosten kann und mehrfache Testung extrem zeit- und nervenaufreibend sein kann, empfehle ich Eltern direkt beim Kinder- und Jugendpsychiater testen zu lassen.

    • Offizieller Beitrag

    Erstaunt bin ich auch, weil ich bisher immer davon ausgegangen war, dass eine Legasthenie auch mit der Intelligenz des Kindes korreliert - und dass weniger intelligente Kinder dann einfach sich "insgesamt schwertun", aber keine Legasthenie haben.


    ... Und: was würdet ihr machen - die Eltern bestärken darin, dass es gut ist, dass sie ja jetzt eine mögliche Lösung gefunden haben oder von meinen Beobachtungen schildern, dass er sich in allen Bereichen schwer tut?

    Hier ist ein Link der Uniklinik Freiburg. Langes PDF, auf Seite 37 und 38 findest du die diagnostischen Kriterien nach dem internationalen Diagnosekatalog. Diese besagen, dass für die Diagnose einer Lese-und-Rechtschreib-Störung die Leistungen in einem Lesetest / Rechtschreibtest 1,5 Standardabweichungen unter der Erwartung, die aus Alter und allgemeinem Intelligenzniveau des Kindes resultiert, liegen muss.
    Wenn das Kind - so wie du es beschreibst - in allen anderen Bereichen ebenfalls Schwierigkeiten hat, wäre eben an eine Beeinträchtigung im Lernen allgemein (oder an eine kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten) zu denken.


  • Weiß jemand, ob (in Bayern) das Gutachten von so eine freien Einrichtung genauso einfach an die Schulpsychologin weiter gereicht wird oder ob das nur mit einem Gutachten von einem Psychologen geht? Und: was würdet ihr machen - die Eltern bestärken darin, dass es gut ist, dass sie ja jetzt eine mögliche Lösung gefunden haben oder von meinen Beobachtungen schildern, dass er sich in allen Bereichen schwer tut?

    Die Aussagen, dass Atteste aus der freien Einrichtung grundsätzlich nicht anerkannt würden, sind so pauschal nicht korrekt. Es kommt drauf an, welche Qualifikation die dort testende Person hat; es gibt da auch ein KMS dazu:


    http://www.schulberatung.bayer…bescheinigungen_ptk_r.pdf


    Dennoch bleiben angesichts der offensichtlichen Interessensvermischung kommerzieller Lega-Institute natürlich berechtigte Zweifel an der Sachrichtigkeit bestehen, auf die ich die Eltern immer hinweisen würde, bevor die da einen Sack Geld aus dem Fenster werfen. Ansprechpartner für die Eltern bist aber nicht du, sondern euer zuständiger Schulpsychologe. Verweis die Eltern dorthin; dann wird das alles seinen Gang gehen.

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