ZDF-Sendung "Pommern-Schule"

  • Zitat

    Timm schrieb am 11.05.2006 09:53:


    Sonst dürfen wir jetzt nicht mehr Behinderte, Kranke, Blinde usw. sagen...


    "Darfst" du auch nicht: Es heißt "Menschen mit Behinderungen". Es gibt jetzt Werkstätten für behinderte Menschen, keine WfBs mehr und auch die Bundesvereinigung Lebenshilfe ist jetzt für "Menschen mit geistiger Behinderung" zuständig. Mir kam das beim Sonderpädagogikstudium aber auch immer übertrieben vor. Nur wenn man die Bezeichnung ändert, ist die Einstellung zu den Menschen nicht anders. Nur einigermaßen respektvoll sollte sie schon sein, finde ich. So was wie "taubstumm" muss nicht mehr sein finde ich oder "mongoloid".

  • Hallo Timm!


    OT:
    Und damit reißt du das ganze Problem der (übertriebenen) P.C. an: Es wird eine Meinungsherrschaft hergestellt, indem bestimmte alltägliche Begriffe aus dem Sprachgebrauch verbannt werden. Damit nicht genug, derjenigen, der diese Begriffe benutzt, wird selbst diffamiert. Nun impliizierst du, dass ich in kontextuell völlig anderen Bereichen Schüler als Dicke bezeichne und sie auf dieses Attribut


    Was verstehst du unter Meinungsherrschaft? Was ist dies herrschende Meinung, z. B. im Umgang mit Behinderten? Die Ausdrucksweise "Menschen mit ..." z. B. kommt übrigens aus Selbsthilfebewegungen von Körperbehinderten, die es eben wichtig finden, erstmal als Menschen beurteilt zu werden. Klar, dass geht auch ohne komplizierte Bezeichnungen und unechte p.c. Aber habe halt auch behinderte Dozentinnen kennen gelernt, denen das wichtig war. In einem gewissen Rahmen kann ich das akzeptieren. Außerdem ändern sich nun mal die Einstellung zu bestimmten Begriffen: Wenn im 19.Jahrhundert von "Idiotenanstalten" die Rede war, war das auch nicht diskriminierend gemeint.

  • Zitat

    uta_mar schrieb am 11.05.2006 23:14:
    So was wie "taubstumm" muss nicht mehr sein finde ich oder "mongoloid".


    Jetzt habe ich gerade bei wikipedia gesehen, dass der korrekte Begriff statt "taubstumm" "gehörlos" ist. Ich dachte bisher immer, dass es sein kann, dass Menschen nicht hören können, aber z.B. dadurch, dass sie erst später ertaubt sind und "normal" sprechen gelernt haben, sprechen können und dass es Personen gibt, die durch körperliche Gegebenheiten nicht in der Lage sind zu sprechen. Das ist also nicht so. Kann vielleicht jemand kurz skizzieren, wie es denn genau ist?
    Viele Grüße
    AK

  • Zitat

    Aktenklammer schrieb am 11.05.2006 23:41:
    Jetzt habe ich gerade bei wikipedia gesehen, dass der korrekte Begriff statt "taubstumm" "gehörlos" ist. Ich dachte bisher immer, dass es sein kann, dass Menschen nicht hören können, aber z.B. dadurch, dass sie erst später ertaubt sind und "normal" sprechen gelernt haben, sprechen können und dass es Personen gibt, die durch körperliche Gegebenheiten nicht in der Lage sind zu sprechen. Das ist also nicht so...


    Ich kenne es wie Du, AK.
    Früher kannte ich mal einen alten Schmied, der durch das dauernde "Ping - Ping" seines Hämmern auf den Amboss GEHÖRlos WURDE - zuerst die hohen Frequenzen betreffend.
    Dementsrechend verschlechterte sich seine Aussprache. Anfänglich ließ er alle Zischlaute weg und später schwankte seine Stimme. Innert ein paar Jahren war er leider gestorben. Vielleicht hätte sich sein Ausdrucksvermögen noch weiter verschlechtert.
    Dass er aber völlig stumm geworden wäre, hätte er noch länger leben können, glaube ich nicht. Insofern ist "gehörlos" wohl kein Ersatz für "taubstumm".


    EDIT: Jetzt kommen wir wieder von der Pommern-Schule weg. So leicht geht das, selbst ohne Streit ...

  • Es gibt kaum Menschen, die körperlich gesehen nicht in der Lage sind zu sprechen.
    Auch Menschen, die von Geburt an gehörlos sind, können ja ihre Stimmbänder durchaus benutzen, sind also nicht stumm. Zu erlernen, sich sprachlich verständlich zu artikulieren, ist für diese Menschen natürlich sehr schwer, weil sie ihre eigene Stimme nicht hören können.
    Insofern ist es schon ok, die Bezeichnung "Taubstumm" zu vermeiden, da sie semantisch in der Regel schlicht falsch ist. Gleich so weit zu gehen, die Verwendung dieses Begriffes als beleidigend einzuordnen, halte ich aber für Quatsch.

  • Von beleidigend habe ich nichts geschrieben, der Begriff ist einfach falsch: Denn in der Schulen für Gehörlose wird sehr viel an der Lautsprache gearbeitet, so dass viele Gehörlose sprechen können. Wir hatten da z. B. auch eine gehörlosen Kollegen am Seminar. Der konnte lautsprachlich sprechen, hatte aber Gebärdendolmetscherinnen dabei, die meistens für ihn übersetzten.


    Oft sprechen Gehörlose nicht sehr deutlich, aber doch noch verständlich. Spät ertaubte Menschen können weiterhin sprechen, aber auch deren Ausprache (und Lautstärke) wird natürlich schlechter und unpassender, wenn die Sprache nicht mehr über das Gehör kontrolliert wird. Es gibt aber wohl gehörlose Menschen, die sich nur mit der Gebärdensprache einfach wohler fühlen.



    Stumm sind z.B. Kinder mit Mutismus. Sie sprechen gar nicht oder in bestimmten Situationen (oft Schule oder Kindergarten) gar nicht, zu Hause aber doch. Die Gründe dafür sind oft unklar, oft gibt es viele Faktoren, die zusammenkommen, aber nicht eindeutig sind.

    • Offizieller Beitrag

    Ich möchte trotzdem noch mal ganz kurz zum Thema zurückkommen,
    übertriebene P.C. finde ich auch fehl am Platz, aber wenn der tatsächliche Name bekannt ist- in diesem Fall wohl Janina- dann finde ich es absolut respektlos, sie nur "die Dicke" zu nennen und sie damit auf eine äußerliche Eigenschaft zu reduzieren- und ja, das finde ich dann bei "Sportler", "Menschen mit Behinderung" usw. ganz genauso. Ich will von meinen Schülern auch nicht "Die Lehrerin" genannt werden, wenn sie meinen Namen kennen. Da finde ich dann "das dicke Mädchen" ein wenig, aber nicht wesentlich besser. Und der Name wurde wohl durchaus in der Sendung genannt.
    Ich habe übrigens die selben, sehr interessanten Erfahrungen gemacht, wie Uta:
    Im Sommer hatte ich mit einer Gruppe sehr netter, gehörloser Franzosen zu tun.
    Fast alle konnten sprechen, einige sehr gut sogar, andere wollten es nicht, weil sie wußten, dass es für die "Hörenden" teilweise erschreckend klingt. Stumm traf auf keinen von ihnen zu. Und mit Sicherheit hätte es keiner toll gefunden, wenn ich ihn mit "der Gehörlose" bezeichnet hätte, da ich alle ihre Namen kannte.
    Liebe Grüße,
    Hermine

  • Erwartest du ernsthaft, dass sich alle Zuschauer den Namen des Mädchens gemerkt haben?


    Die Bezeichnung dient doch der Kommunikation, und die genutzte Bezeichnung ist inhaltlich richtig und recht klar zuzuordnen. Sie entspricht zudem dem Selbstbild der Person.


    "Political Correctness" steht mit einem Bein im Sumpf der Heuchelei. Und wenn ich die Wahl zwischen "politically incorrect" und Heuchelei habe, fällt mir die Wahl nicht schwer.


    Gruß,
    Remus


    Edit: ein L entfernt

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

    Einmal editiert, zuletzt von Remus Lupin ()

  • OT:


    Zitat

    Moebius schrieb am 12.05.2006 15:04:
    Insofern ist es schon ok, die Bezeichnung "Taubstumm" zu vermeiden, da sie semantisch in der Regel schlicht falsch ist. Gleich so weit zu gehen, die Verwendung dieses Begriffes als beleidigend einzuordnen, halte ich aber für Quatsch.


    "Taub" leidet sich etymologisch von "doof" ab, "stumm" von "dumm". Gehörlose können fast immer sprechen, wenn nicht, haben sie mit der Gebärdensprache eine vollwertige Sprache, vgl. auch die englischen Wörter "deaf" (taub) und "dumb" (stumm). Ein interessanter Link dazu: http://www.wer-weiss-was.de/faq1143/entry1075.html


    Nur ein verschwindend kleiner Teil der Gehörlosen ist auch wirklich taub, alle anderen können mit Hörgeräten oder mit einem Cochlear-Implant hören. Aber manche wollen keine Hörgeräte tragen, weil sie nur ein Geräuschebrei hören. Man kann auch ohne Hören durch Lippenlesen und Abtasten am Hals sprechen lernen. Der Wortschatz und die Grammatik werden später über das Lesen erweitert.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Die Bezeichnung dient doch der Kommunikation, und die genutzte Bezeichnung ist inhaltlich richtig und recht klar zuzuordnen. Sie entspricht zudem dem Selbstbild der Person.


    Wäre das das auschließliche Selbstbild des Mädchens, dann würde es zeigen, wieviel Schaden die Umwelt schon angerichtet hat. Auch ein Selbstbild beschränkt sich nicht auf eine, nun mal am deutlichsten sichtbarste Eigenschaft.
    Wobei ich persönlich "die Dicke" deutlich schlimmer finde als "das dicke Mädchen"
    oder "der Behinderte" als "Der Junge im Rollstuhl".


    Heuchelei? Oder vielleicht doch eher sprachliche Genauigkeit?
    Abgesehen davon, dass zwischen "dem Sportler" und der "Dicken" ja ein großer Unterschied der positiven bzw. negativen Konnotation besteht.


    Liebe Grüße,
    Hermine

  • Zitat

    Abgesehen davon, dass zwischen "dem Sportler" und der "Dicken" ja ein großer Unterschied der positiven bzw. negativen Konnotation besteht.


    Und genau diese Konnotation war doch Thema im Fernsehbeitrag... Also kann man sich auch darauf beziehen. Oder glaubst du, sie wusste nicht, dass sie im Fernsehen gezeigt wird?


    Gruß,
    Remus

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

    • Offizieller Beitrag

    Doch, natürlich.
    Aber ich finde es dann umso schlimmer, wenn ihr Selbstbild schon so zerstört wurde, dass sie sich nur noch als "Dicke"wahrnimmt.
    Und ich sehe es gerade als meine Aufgabe als Lehrerin, Pädagogin und Vorbild an, über sowas nachzudenken, bevor ich jemanden abwertend tituliere. "Die Dicke" ist abwertend und wenn sich das bei den betroffenen Pädagogen so eingeprägt hat, dass es als normal empfunden wird, finde ich das umso tragischer.
    Wenn Kinder in einer Klasse ein anderes Kind als "Der Dicke hat aber...." hänseln und die Eltern sich dann bei dir/euch beschweren, sag(s)t du/ihr dann auch seelenruhig: "Aber die Kinder haben doch Recht, Ihr Kind ist nun mal dick!"??
    Ich finde, ein bisschen mehr Sensibiltät wäre da schon angebracht.
    Liebe Grüße,
    Hermine

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Powerflower schrieb am 13.05.2006 21:47:
    "Taub" leidet sich etymologisch von "doof" ab, "stumm" von "dumm".


    Müsste sich "taub" und "stumm" nicht beides von "dumm" ableiten ethymologisch? Im Mittelhochdeutschen steht zumindest "tump" sowohl für "dumm", als auch für "taub" und würde somit vom gleichen Wort abgeleitet werden.


    Nur so eine Frage am Rande...


    Liebe Grüße,


    Dalyna

  • In meinem näheren Umfeld gibt es ein blindes Kind.


    Es ist scheiß egal, ob man "der Blinde" oder "das blinde Kind" sagt. Letztendlich wird er in seiner Person reduziert, in dem Fall, auf seine Blindheit. Übertragbar auf Dicke, Rollstuhlfahrer, Frauen mit extremen Oberweiten ect..


    Es kommt darauf an, wie man eine Person wahrnehmen WILL. Man hätte von dem Mädchen, dass sich zu dick fand, schreiben können.



    parents

  • Hm. Sprachen wir nicht über kommunikative Probleme? Vielleicht solltest auch du, parents, mal überlegen, ob du row-k so verstanden hast, wie er es gemeint hat - und was es über dich aussagt, dass du jetzt (für mein Verständnis) so drauf los polterst?

  • Zitat

    Es ist scheiß egal, ob man "der Blinde" oder "das blinde Kind" sagt. Letztendlich wird er in seiner Person reduziert,...


    "Hast du bei der Planung des Schulfestes an Johanna aus der 3b gedacht?"
    "Nein - sollte ich? Was ist mit der?"


    "Hast du bei der Planung auch an das blinde Kind gedacht?"
    "Ja, ist berücksichtigt"


    Wo ist das Problem? Johanna sitzt nicht dabei. Wenn in der Politik von "Beamten" gesprochen wird, werde ich auch nicht namentlich erwähnt, obwohl der Begriff für manche schlimmer als eine Behinderung ist. Da werde ich auch reduziert. Und?


    Gruß,
    Remus


    Edit: Da es in diesem Beitrag nicht vordergründig um das Mädchen, sondern um gängige Probleme geht, erscheint es mir geradezu sinnvoll, in einer Diskussion die Person auf das zurückzuführen, wofür sie repräsentativ steht. Und das Mädchen steht in dieser Problemskizze nunmal für "die Dicke". Bei einem Krimi oder einer Doku redet man doch auch von "dem Täter", weil das nunmal die strukturelle "Rolle" ist, welche die Person spielt oder hat.


    Edit2: Das "Selbstbild" kann eigentlich nicht von aussen zerstört werden, das demontiert man eigenhändig anhand von Wahrnehmungsinterpretationen - oder eben auch nicht.

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

    Einmal editiert, zuletzt von Remus Lupin ()

  • Zitat

    "Hast du bei der Planung des Schulfestes an Johanna aus der 3b gedacht?"
    "Nein - sollte ich? Was ist mit der?"


    "Hast du bei der Planung auch an das blinde Kind gedacht?"
    "Ja, ist berücksichtigt"


    In dem Zusammenhang ist es erforderlich, hat aber nichts mit Abwertung oder Reduzierung zu tun.





    parents

  • Leute, ruhig Blut!


    Nochmals der Vorschalg: Geht rüber in den anderen thread, weil es DORT genau hinpasst! http://www.lehrerforen.de/oldforum.php?topic=101375298475


    Wir wollen DORT das Problem an sich zu klären versuchen und HIER lasst uns weiter über die Pommern-Schule sprechen!


    Zieht dafür um!

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