Zugang zu schwierigen Schülern ?

  • Folgendes:


    ich unterrichte unter anderem in der Berufsfachschule, d.h. vollschulische Berufsausbildungen - z.T. für jene, welche keinen dualen Ausbildungsplatz erhalten haben. Das Alter in den Klassen ist eher gehoben und reicht von 16-26, Durchschnitt ca. 19 Jahre. Die Schüler stammen in der Regel von Sekundarschulen (den fusionierten Haupt- und Realschulen in Berlin) und haben ca. zur Hälfte einen libanesischen oder türkischen Migrationshintergrund.


    Ich komme mit den Klassen insofern klar, als dass ich eine einigermaßen lernförderliche Atmosphäre gewährleisten kann und mit verschiedenen Kniffen Unterrichtsstörungen minimiere. Nichtsdestotrotz ist ein erheblicher Teil der SuS sozial auffällig - das betrifft banale Höflichkeits- und Disziplinaspekte und korreliert bei den betreffenden Schülern nicht überraschend mit den Noten (wer ein Drittel der Zeit fehlt, versäumt Stoff, den die SuS auch nicht nacharbeiten).



    Ich überlege, wie ich die betreffenden Schüler noch besser erreichen kann. Natürlich wird man nie alle erreichen können; dafür ist die Motivationslage - also der Grund weshalb sie in den Bildungsgang gekommen sind - zu heterogen.


    Hat aber jemand Tipps, wie man den Lerneinsatz verbessern kann? Wie komme ich (nachhaltig) an die Schüler ran?


    Problematisch ist, dass vielen Schüler die Weitsicht darüber fehlt, welche Folgen mangelnder Einsatz in der Schule hat. Bloße Appelle an die entfernte Zukunft sind da nicht sehr produktiv. Ich habe jedoch immer das Bild von Y. Muk vor Augen, der es vom fast Schulabbrecher zum 1er Abi brachte
    http://www.zeit.de/gesellschaf…aet-abitur-yigit-muk-buch


    Das ist vorr. im Einzelfall schwer zu replizieren. Aber es muss doch einen Weg geben noch mehr zu erreichen. Helfen Einzelgespräche mit den problematischsten Fällen außerhalb des Unterrichts? Einbeziehung der Eltern (wobei das doch sicher bereits in den Sekundarschulen versucht wurde)?




    Vielen werden erst später aufwachen, wenn sie den geschützen Raum der Schule verlassen und hart in der Realität gerade des Berliner Arbeitsmarkts landen. Da ist es natürlich zu spät. Was tun?

  • Hallo Nettmensch,


    ob du mit reden jemanden erreichst, weiß ich nicht. Für die meisten SuS argumentieren wir aus einer priviligierten Höhe.
    Möglichst wertfrei Zuhören, vor allem in den Klassen, funktioniert manchmal. Bei mir geht häufiger mal eine Stunde mit 'quatschen' drauf, was den Vorteil hat, dass die SuS mir viel erzählen, aber manchmal für mich auch ein Drahtseilakt, weil es besser ist, einiges nicht zu wissen.
    Besteht eine Kooperation mit dem Arbeitsamt, so dass für die SuS ein niederschwelliges Beratungsangebot besteht? 'Unsere' Sachbearbeiterin kommt regelmäßig in die Schule.
    Hier in NRW gibt es das Projekt Azubos, d.h. dass verschiedene Auszubildende an einem Tag in die Schule kommen und von ihrer Ausbildung erzählen, das Reden mit Gleichaltrigen über Möglichkeiten und Realitäten in der Ausbildung ist für viele Jugendliche eine neue Erfahrung.
    Exkursionen zu Ausbildungsbetrieben könnten auch hilfreich sein. Bei uns sind da die städtischen Betriebe sehr aufgeschlossen.
    Viel Erfolg
    Danae

  • Hallo,


    wir haben ähnliches Klientel in der Klasse und ich agiere immer "offen aber bestimmt".


    - Wie mein Vorredner nehme ich mir Zeit für die Schüler in Einzelgesprächen, wäge aber sehr wohl mein Einflussfeld ab.
    - Ich vermeide Vorwürfe und zeige Perspektiven auf.
    - Ich mache alternative Angebote zur Leistungserbringung (natürlich nicht unbegrenzt).
    - Ich mache klare Ansagen (begebe mich dafür auch mal auf die Stufe der Schüler - nicht ausfallend versteht sich!!!)
    - Ich bleibe fair und neutral, auch wenn der Schüler ein "Stinkstiefel" ist.


    - Ich trage den Schülern aber nicht die Leistung hinter her. Das ist ganz wichtig, sie müssen stets merken, dass sie ihres Glückes Schmied sind.


    Nur aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Schüler nach einer geraumen Zeit realisieren, dass der Lehrer "korrekt" ist. Somit nehmen sie auch Sanktionen, schlechte Leistungsbewertung aber auch Ratschläge besser an.


    Das wird bestimmt nicht für jeden funktionieren aber ich fahre damit ganz gut. Ich habe auch den Eindruck, dass einzelne Schüler (bei anderen Problembären) gerne zu mir kommen, weil sie mich in manchen Situationen nicht enttäuschen wollen. auch das klappt nicht immer, aber bis jetzt erstaunlich oft.


    Viel Erfolg Dir!

  • Du schreibst selbst, dass die Schülerschaft aus den unterschiedlichsten Gründen in deiner "Maßnahme" gelandet ist. Daher ist es sicher schwierig, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das allen gerecht wird. Letztlich hat vermutlich jeder von ihnen mehr oder weniger Vernachlässigung, Beziehungsabbrüche, keine Konfliktkultur, Arbeitslosigkeit der Eltern, Zukunftsängste hinter bzw. vor sich. Vielleicht schafft ihr es, gemeinsam weniger Fachunterricht zu machen und mehr herauszufinden, was jeder von ihnen eigentlich gerne macht. Wenn sich der eine oder andere für Sport/ Musik/ sonstiges Hobby begeistern kann und regelmäßig ausübt, ist schon eine Menge erreicht. Zumindest erlebe ich es so bei unseren Teenies.


    Auch Elterngespräche bewirken bei meinen Schülern (12-16) fast immer etwas. Aber in diesem Alter haben die Eltern halt trotz größter Schwierigkeiten in der Erziehung (=Beziehungsgestaltung) noch einen gewissen Einfluss.


    Vielleicht könnt ihr einen Praxistag pro Woche organisieren, so dass sie regelmäßig in Kooperationsbetrieben sind und wieder wissen, wofür sie überhaupt seit 10-20 Jahren in die Schule latschen? Aber auch in Praktika werden einige unpünktlich oder gar nicht kommen, Konzentrationsprobleme haben, keine 8 Stunden durchhalten und nicht wissen, wie sie mit den kleinsten Problemen umgehen können (früh aufstehen/ Ärger mit Vorgesetzten/ Fehler machen/ Höflichkeitsformen...).


    Vielleicht hat Y. einfach Glück gehabt, in eine stabile Familie hineingeboren worden zu sein, so dass er genug Liebe, Kontinuität und Selbstbewusstsein mitbekommen hat, sein Leben jetzt in die Hand zu nehmen. Bei Schülern, die zeitlebens nur gehört haben, dass sie nichts sind und nichts können stelle ich es mir schwierig vor, viel Einfluss (im normalen Schulalltag) auszuüben. Vielleicht ist das das beste, was du ihnen mitgeben kannst: dass du dich für sie ehrlich interessierst, an sie glaubst und durch das Fassadengehabe durchblickst.

  • Danke für die Anregungen; es gibt vorr. nicht das Wundermittel, um zumindest die Mehrheit der Schüler zu erreichen, wobei ich denke, zum Glück bereits auf einer einigermaßen guten persönlichen Ebene mit den SuS zu sein.


    Ein Pflichtpraktikum von 8 Wochen gegen Ende der Ausbildung existiert - das könnte man evtl. etwas vorziehen, um bereits früher einen Realitätscheck herzustellen.


    Ich überlege gerade auch, ob man nicht an einem Tag einen Ausbilder oder Abteilungsmenschen von einem Kooperationsbetrieb einlädt, der (unter Vorabsprache der Schwerpunktsetzung) den SuS die Arbeitsrealtität schildert, die Bedeutung von Disziplin (d.h. Pünktlichkeit) und die Folgen von untentschuldigtem Fehlen darstellt - und das man bereits in der Schule damit anfangen muss (d.h. dass Betriebe durchaus auf die Fehlzeiten auf den Zeugnissen schauen).

  • Es geht weniger um einen Realitätscheck oder darum, dass jemand ihnen noch mehr Vorträge halten muss. Deine Schüler sind nicht doof.
    Sie sind frustriert, weil sie auf dem Abstellgleis gelandet sind und nicht sehen, wie sie da wieder rauskommen können. Die Energie reicht aber nicht, sich jetzt zusammenzureißen für etwas, dass irgendwann vielleicht mal ist. By the way, das konnten wir noch nicht mal an der Uni! Wenn eine Vorlesung langweilig war, haben wir rumgealbert wie die Kinder, OBWOHL wir dort freiwillig waren.


    Meine Güte, wo soll denn die intrinsische Motivation bei deinen Schülern herkommen? Wenn überhaupt, musst du von außen steuern und knallhart sein. Aber ein "bitte versteht doch, wie wichtig das für euer Leben ist" kann nur ein "f*** disch, isch mach was isch will" zur Folge haben.


    Es sei denn, du schaffst es, ihnen etwas zu zeigen, auf was sie bock haben. Und sie dorthin zu bringen, wo sie Erfolge erleben. Wenn man regelmäßig an einem Auto rumschrauben darf oder Pferde striegeln und merkt: hey, ich kann was! dann ist man vielleicht wieder bereit, dafür in der Schule zu sitzen und schriftlich zu dividieren.

  • also wir konnten das in der uni durchaus bzw. haben veranstaltungen mit leuten, die ständig am labern waren, während andere zuhören wollten, weitläufig gemieden. ich bin zum lernen da und weil ich den gegenstand spannend finde, und falls nicht, halte ich schon aus höflichkeit die klappe, der anderen zuhörer und des dozenten wegen.


    wenn das 16-jährige noch nicht gelernt haben, dann kannst du versuchen sie zu erziehen. das geht nur über die beziehungsebene und dann dem schrittweisen einfordern von immer mehr leistungs- und arbeitshaltung. man darf sich aber nichts vormachen: letztlich wird die frusttoleranz ("belohnungsaufschub") früh geschult, weit vor schuleintritt (es gibt da sehr spannende empirische studien zu). ohne frustrationstoleranz (aka willen, leidensfähigkeit, durchhaltevermögen, biss...) wird das eher nichts, weder in der schule, noch im realen leben später. everything worthwhile is hard, wenigstens ab und an und an den entscheidenden stellen. wenn dann noch eher wenig begabung und ein nicht zur leistung (autoritativ, fordernd und führend, aber warm und annehmend) erziehendes elternhaus dazukommt, kombinert mit einem bildungssystem, das bildungsferne konsequent vererbt, dann hast du als lehrer von teenagern so gut wie keine chance mehr, noch wirklich was zu erreichen, von ein paar wenigen glücksfällen abgesehen. versuchen muss man es trotzdem, keine frage. aber mach dir bloß keine vorwürfe, wenn du da wenig oder auch nichts erreichst. die fehler wurden wannanders und nicht von dir gemacht.


    ich persönlich hab' bei der klientel (jugendliche ohne ausbildungsstelle mit berufsschulpflicht) mit einer vom kollegium gemeinsam getragenen sehr strikten linie und viel sozpäd-unterstützung mit so dingen wie immer frühstück in den ersten 15' der ersten stunde, inklusive selber vorbereiten, abräumen und abspülen und erlebnispädagogik ganz gute erfahrungen gemacht. sobald sie dich mal kennen, tun sie auch was für dich. nicht für sich, das begreifen sie nicht bzw. nur wenige und auch nur sehr langsam, aber sie arbeiten zumindest mal was regelmäßig und mit etwas sorgfalt, und das ist ein anfang, ein fuß in der tür. wenn dann noch das richtige praktikum zum richtigen termin dazukommt, dann geht manchmal was. ganz manchmal.

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  • Als ich früher auch noch an der Berufsschule war, war ich teilweise auch im BVJ (Berufsvorbereitungsjahr) und BFS (Berufsfachschule) eingesetzt. Gute Tipps waren tatsächlich aus dem Bereich der Erlebnispädagogik und der Beziehungsebene. Ein Schuljahr hatte ich ausschliesslich Hauswirtschaftstheorieunterricht und das war der Horror. Den Praxisunterricht hatte die Kollegin, die nur wenig Probleme mit den SChülern hatte. Im nächsten Schuljahr hatte ich ebenso mit den Schülern Hauswirtschaftspraxis und habe den Schülern gekocht und gebacken. Und plötzlich war alles viel einfacher.

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