Warum keine Schreibschrift mehr?

  • Na mit dem Argument hätte er so einiges nicht lernen brauchen in der Schule. Sport braucht er nicht, Kunst und Musik nicht. Bildung in der Schule ist nun aber mal Allgeimeinbildung im Sinne einer Förderung aller möglichen Fähigkeiten.

    Ich finde Schreibschrift ist aber eben für viele nicht notwendig.

  • Es scheint ja für beide Positionen Pro und Contra zu geben und jeder findet Argumente für seine Position. Aber dennoch fand ich diesen Artikel interessant und die Aussagen, dass mit einer verbundenen Schrift Schriftbilder eingeprägt werden, einleuchtend: http://www.welt.de/wissenschaf…f-die-Schreibschrift.html


    Was mich wundert, ist, dass anscheinend in den Grundschulen erst - ich sage es mal übertrieben - erst ein Riesengedöhns um die Erfahrung von Buchstaben mit allen Sinnen gemacht zu werden scheint - sie werden, übertrieben gesagt, ertanzt, erfühlt, errochen, aufgebaut, abgebaut, gesungen, geflüstert - und dann wird die Schrift auf etwas so 'Nüchternes' begrenzt wie die Druckschrift.

  • Nochmal, die Grundschrift ist nicht gleich die Druckschrift. Die Grundschrift wurde entwickelt damit die Kinder eine eigene individuelle verbundene Schrift entwickeln und das ganze Gedöns wird auch bei der Grundschrift nicht abgeschafft.


    Die Kinder in Klasse 4 bei uns, die nur die Grundschrift gelernt haben, haben inzwischen alle eine verbundene Schrift entwickelt, nur eben natürllich und individuell.

    • Offizieller Beitrag

    warum muss eigentlich eine Schrift "natürlich" sein? Schrift ist per se nichts Natürliches, sondern eine erlernte Kulturtechnik.
    Und die Individualität, sozusagen die B-Note für den künstlerischen Ausdruck, kommt eh von selbst, vorausgesetzt, man hat erst mal die "Norm" gelernt.
    Ja, auch meine Schüler haben oft eine natürlich (im Sinne von ungestaltet) aussehende und sehr individuelle Schrift entwickelt. Teilweise so individuell, dass es einfach unleserlich und damit falsch ist. Toll. :skeptisch:

  • Warum erlaubt man dann, dass die Kinder in der Sek 1 eine Individualschrift schreiben? Warum ist das kein wichtiger Schwerpunkt im Deutschunterricht der Sek1? Warum erlauben wir Erwachsenen uns eine individuelle Handschrift (oh Moment gerade das Individuelle wird doch immer als großer Pluspunkt für die Schreibschrift gesehen, Liebesbriefe etc.) und warum bietet ein Computer verschiedene Schriften an... Fragen über Fragen....


    Und last but not least, bei unseren Grundschriftkindern entwickelten sich besser lesbare Individualhandschriften als bei Kindern die erstmal die normgerechte Ausgangschrift gelernt haben...

  • Vielleicht fehlt mir da nun ein Teil der Diskussion, aber wo genau liegt dann die Festlegung, dass es eine Schreibschrift sei muss? Viele Schüler können leserlicher und zügiger Druckschrift als Schreibschrift schreiben.

    Ich spreche jetzt nur für Baden-Württemberg (wow, wie das klingt...).
    Bei uns legt das ganz klar der noch gültige Bildungsplan fest. Die Kinder müssen nach der Druckschrift eine verbundene (Schreib-)Schrift erlernen.
    Im neuen Bildungsplan, der schon als Erprobungsfassung vorliegt, wird dies Gott sei Dank relativiert (..von der Druckschrift wird zur Handschrift übergeleitet...) und ebnet damit den Weg der Grundschrift.

    Ist es nicht so, dass die Lehrerinnen und Lehrer an der Grundschule schauen, wem man das Erlernen einer verbundenen Schrift nach der Druckschrift noch "zutraut"? Ist doch evtl. auch schlauer - auch wenn ich viele Druckschriften ziemlich hässlich finde, habe ich aber lieber eine eher hässliche Schrift und dafür möglichst richtig, als zwar ein schönes Schriftbild, aber dafür eine kreative Rechtschreibung.
    Ich könnte mir nur vorstellen, dass diejenigen, die keine Art der verbundenen Schrift lernen, auch auf Dauer langsamer bleiben oder eher 'verkrampfen' beim Schreiben - ich merke bei mir, dass ich in "Druckschrift" länger brauche zum Schreiben.

    Der Grundgedanke hinter der Grundschrift ist unter anderem, dass die Kinder alle als Basis zunächst die Druckschrift erlernen (allerdings schon mit Häkchen an manchen Buchstaben wie z.B. u oder n, um spätere Verbindungen anzubahnen). Danach werden den Kindern mögliche (und bei den meisten Erwachsenen-Schriften geläufige) Verbindungen angeboten, sprich den Kindern vorgestellt und gemeinsam ausprobiert. Das machen alle Kinder.


    Dann entscheidet das jeweilige Kind gemeinsam mit seiner Lehrkraft (später auch in Schriftgesprächen mit Mitschülern), ob es eine bestimmte Verbindung (z.B. en, ie...) beibehalten wird oder ob es das besser sein lässt. Dies kann und soll individuell unterschiedlich sein.
    Die Kriterien sind dabei z.B.: Kannst du mit der Verbindung schneller schreiben als ohne, ist deine Hand locker oder verkrampft, wird das Wort dabei besser oder schlechter lesbar für dich und andere...


    Das ist ein andauernder und individueller Prozess, der sowohl von Kind als auch Lehrkraft eine deutlich intensivere Auseinandersetzung mit dem Schrifterwerb fordert, als das reine Erlernen der Schreibschrift.


    Das Problem des Tempos oder des Verkrampfens, das du ansprichst, hat man dann gar nicht mehr. Denn die Kinder, die weiterhin eher Druckschrift statt verbundener Schrift schreiben, tun dies ja dann gerade deshalb, WEIL sie damit entspannter und schneller schreiben als mit verbundener Schrift.


    Wie bereits gesagt: Der Grundgedanke ist, die Kinder zu der für sie individuell besten und effizientesten Handschrift zu führen. Wie diese dann aussieht, ob sie eher mehr oder weniger verbunden ist, hängt vom jeweiligen Kind und seinen Möglichkeiten ab.

  • Ich spreche jetzt nur für Baden-Württemberg (wow, wie das klingt...).Bei uns legt das ganz klar der noch gültige Bildungsplan fest. Die Kinder müssen nach der Druckschrift eine verbundene (Schreib-)Schrift erlernen.
    Im neuen Bildungsplan, der schon als Erprobungsfassung vorliegt, wird dies Gott sei Dank relativiert (..von der Druckschrift wird zur Handschrift übergeleitet...) und ebnet damit den Weg der Grundschrift.

    Na das ist in Brandenburg und auch Berlin inzwischen glücklicher Weise anders, die Kinder müssen keine verbundene Schrift mehr lernen, trotzdem wird es z.T. gemacht, aber das macht man eben von der Klasse und den Fähigkeiten abhängig.

  • Ich finde das ja alles sehr interessant, aber irgendwie frage ich mich schon, wie wir es in den westlichen Gesellschaften in den letzten zweieinhalb Jahrhhunderten ohne all dieses komplexe didaktische Wissen es geschafft haben, einen dramatischen Grad von Schriftlichkeit zu erreichen...

  • Pures Glück! ;)


    Nein, im Ernst, ich denke, da unterschätzt du die linguistischen und didaktischen Fähigkeiten unserer Vorfahren doch etwas. Ich habe gerade das faszinierende Buch "Lesen - Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert" von Stanislas Dehaene gelesen. Dort schildert er sehr genau und auf beeindruckende Weise, welche Leistungen Völker wie die Sumerer, Ägypter und Griechen bei der Erfindung und Entwicklung der Schriftsprache erbracht haben. Da müssen wir erstmal hinkommen.


    off-Topic: Das Buch kann ich übrigens nur empfehlen, ebenso das Buch "Das lesende Gehirn" von Maryanne Wolf. Es geht zwar primär ums Lesen und nicht um die Grundschrift, aber Lesen und Schrift bedingen sich ja gegenseitig.

  • Was du nicht sagst... Vielleicht sollte ich aufhören, die Relevanz der universitären Didaktik so maßlos zu überschätzen, was das Lernen und die Leistungsfähigkeit von Lernern in der wirklichen Welt angeht? ;) Vielleicht würde, wenn man mal ganz wagemutig denkt, das Lernen und die Bildung der Gesellschaft ja ohne diese Didaktik genau so reibungslos vor sich gehen, wie mit ihr?


    Ach, nein. Lieber doch nicht. Man muss doch an die ganzen universitären Lehrstühle denken, die daran hängen... ;)

  • Ehrlich gesagt, kann ich dieses leidige Thema nicht mehr hören - mindestens alles 20 Jahre wird ein neuer Ansatz hervorgebracht (ich habe zuerst gelernt, dass die Lateinische Ausgangsschrift d i e Schrift wäre, dann kam man dazu, dass man anfing mit Drucken, dann dazu, dass man nach dem Drucken die Vereinfachte Ausgangsschrift favorisierte und nun zur Grundschrift.


    Für alles gibt es nachvollziehbare Gründe und wissenschaftliche Belegungen, die dann mit der Meinung und den wissenschaftlichen Untersuchungen anderer Wissenschaftler in Diskurs treten.



    Meiner Erfahrung nach ist es fast egal, mit welcher Schrift gelehrt wird, ich glaube auch, wir müssen uns im Ziel einig sein:


    Ziel ist die Entwicklung einer lesbaren, formklaren (eindeutige Buchstaben) und flüssigen (damit meine ich schnellen) Handschrift, die nicht nur der Schreiber selbst (zur Korrektur seiner Rechtschreibung und des Satzbaus), sondern auch der Adressat einen Inhalt zügig und eindeutig lesen kann.



    Dazu muss Folgendes gegeben sein:
    1) Der vermittelnde Lehrer muss von der von ihm vermittelten Schrift überzeugt sein.
    2) Er muss der Vermittlung von Schrift ausreichend Raum geben und genügend begleitend eingreifen, immer wieder korrektiv einschreiten, wenn es zu falschen Bewegungsabläufen kommt. Ggf. müssen Eltern mit ins Boot geholt werden oder es muss ein Pate gesucht werden.
    3) Der Lehrer muss von seinen Schülern Anstrengungsbereitschaft fordern und ggf. helfend und aufbauend eingreifen und genug loben.
    4) Wenn ich die Grundschrift vermitteln muss, muss ich absolut genau auf die korrekte Ausführung der Druckschrift achten- Does erfordert eine erhöhte Aufmerksamkeit, vor allem dann, wenn die Kinder schon früh schreibend, aber mit falschen Bewegungsabläufen in die Schule kommen.
    5) M.E. gibt es best. Buchstaben, die schwer vermittelbar sind und wenn ein Kind zu große Schwierigkeiten hat, muss man einzelne Buchstaben vereinfachen (z.B. das Köpfchen e fällt einigen Kindern schwer, das e aus der lateinischen Ausgangsschrift mit der Nähe zum l geht leichter. D.h. der Vermittler muss sich aller "Haken und Oesen" der einzelnen Schriften bewusst sein).
    6) Schrift/Schreiben erfordert Technik und Technik kann man nur durch Üben erlernen. Von daher halte ich es persönlich für ein Gerücht, dass man durch die Vermittlung von einer Grundschrift Zeit einsparen kann.



    Ich selber habe meine Favoritenschrift entwickelt, die m.E. leicht vermittelbar ist und von der ich überzeugt bin. Leider bin ich durch das Schulkonzept an die Vermittlung der VA gebunden - darf aber in begründetem Einzelfall davon abweichen. Bei ganz Kindern, die sich ganz schwer tun, greife ich zu einer Schrift Mischung VA/LA. Damit habe ich es bislang geschafft, jedem Kind eine eindeutig lesbare und flüssige Schreibschrift beizubringen. Dies ist z.T. mühsam, da bislang nur eines dieser Kinder eine eindeutige Druckschrift schreiben konnte, habe ich mich bislang bis auf den einen Fall dazu entschieden, die verbundene Schrift zu vermitteln. Ich fange viel früher mit der Vermittlung der Schreibschrift an und unterrichte sie im Block (in dieser Zeit vermeide ich das Schreiben der Druckschrift, sondern mache parallel zur Schreibschrift Leseprojekte und einen Block im mündlichen Sprachgebrauch - es macht für ungeübtere Schüler m.E. keinen Sinn, nur einmal in der Woche eine verbundene Schrift zu üben und sonst weiter zu drucken.


    flip

  • Um das mal etwas provokant zu sagen:
    Irgendwo müssen die Doktorarbeiten und Habilitationsschriften herkommen...so kommt es zu neuen Schriften, pädagogischen Theorien etc. :P
    Das führt dann zu den kuriosesten Rechtfertigen für neue Schriften nach Art "die Handbewegung ist flüssiger, weil es weniger Wendepunkte gibt". Manchmal klingt das so, als ob die Vergleichsschrift das ägyptischen Hieroglyphensystem ist.


    Wichtig wäre eigentlich, dass alle Schüler die selben Schriften lernen.
    Ansonsten kann man sie wechselseitig nicht lesen oder empfindet sie per se als katastrophales Gekrakel, weil man den Schrifttyp nicht gewohnt ist. (So geht es mir persönlich z.B. bei genau nach Fibel geschriebener VA)

  • Interessant im Zusammenhang mit Handschrift ist ja schon, in welchem Rahmen in den kommenden Jahrzehnten eigentlich noch mit der Hand geschrieben werden wird. Im Alltagsleben schreibe ich, bis auf Unterschriften, de facto nicht mehr mit der Hand; bestenfalls noch einige wenige Notizen, wenn ich wirklich mal kein anderes Schreiberät mit Tastatur oder Tastaturfunktion zur Hand habe. Das war in meiner Kindheit in den 70ern und Anfang der 80er natürlich noch ganz anders. Aber wie wird es in dreißig Jahren sein, wenn die Entwicklung weiter so voran geht. Immerhin ist mittlerweile die Schule schon der einzige Ort, an dem überhaupt noch längere handschriftliche Texte verfasst werden!


    Natürlich kann ich mit der Hand schreiben, auch in anderen Schriften wie Griechisch oder die deutsche Currentschrift (aka. Sütterlin) Meine "Gebrauchsschrift" ist aber ohne jeden ästhetischen Wert und schlecht lesbar. Wie auch, wenn ich doch nie mit der Hand schreibe, weil das eine unbeholfene, langsame und ineffiziente Weise der textlichen Dokumentation ist.


    Ist das ein Kulturverlust? Interessante Frage. Zweifellos sind kalligraphische Fähigkeiten von hohem kulturellen Wert, man muss sich ja nur einmal sorgfältig illuminierte mittelalterliche Handschriften ansehen. Und es ist beeindruckend, wenn jemand Kalligraphien anfertigen kann - genau so beeindruckend wie alle anderen künstlerische oder musische Fähigkeiten auch. Die Kunst stirbt ja auch nicht aus, es gibt viele Menschen, die sich diesem schönen Hobby widmen.


    Aber das bedeutet das denn, dass in der Bildungspolitik und an Schulen wirklich so ein Bohei um die "unverzichtbare Bedeutung" der Handschrift für unsere Kultur gemacht werden muss? Ich meine, nein.


  • Aber das bedeutet das denn, dass in der Bildungspolitik und an Schulen wirklich so ein Bohei um die "unverzichtbare Bedeutung" der Handschrift für unsere Kultur gemacht werden muss? Ich meine, nein.

    Ich habe mal gelernt, dass Bildung 'Allgemeinbildung' ist, den Menschen in allen seinen Kräften und Fähigkeiten fördern soll und den Menschen als Person stärken soll. Eine alleinige gesellschaftliche Verwertung der zu unterrichtenden Inhalte verbietet sich demnach. Bei der Schreibschrift geht es ja auch um HAndkontrolle, Feinmotorik, etc. Ich habe mal gelesen, wer schreiben kann (mit der HAnd) der kann auch zeichnen lernen. Aus der Schreibschrift folgen also auch weitere kulturelle Fähigkeiten. Ich finde es schon wichtig. Die Schule ist ja auch dazu um, um Interessen zu wecken, Talente zu entdecken.
    Und mit der Argumentation ließe sich ja auch sagen: Kopfrechnen etc: auch unnütz, habe ich ja den Taschenrechner in meinen Smartphone.
    Oder LAtein: Gesellschaftlich völlig unnütz mittlerweile (und das sogar schon seit eigentlich Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten).
    Fremdsprache überhaupt: in meinem Telefon sind Übersetzungwerkzeuge, von denen zu erwarten ist, dass sie in den nächsten Jahrzehnten immer besser werden.

  • Ich habe mich, um der Frage zu begegnen u.a. mit Ergotherapeuten und Krankengymnasten und einem Neuropädiater unterhalten. Es ist nicht repräsentativ..... Nicht zu unterschätzen ist bei der Entwicklung einer persönlichen Handschrift - die Vernetzung der Gehirnhälften, die Entwicklung der Auge-Hand- Koordination, die Entwicklung der Feinmotorik, Neurologische Verknüpfungen, Konzentration..... Ich bin der festen Überzeugung, dass durch die Förderung einer Handschrift nicht nur die Schrift trainiert wird.....
    flip

  • Ich denke das ist ein guter Hinweis, elefantenflip.
    Es wäre mal interessant zu untersuchen, ob ein Wegfall der Schreibschrift Auswirkungen auf andere Fächer hat.
    So stelle ich zum Beispiel immer wieder fest, dass die Geometrieleistungen in Mathe deutlich damit korrelieren, ob in Kunst gezeichnet wurde oder nicht.

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