Lehrer werden ohne Lehramtsstudium eingestellt

  • 'Nabend alle zusammen!


    An Bremer Schulen, darunter auch der Schule wo ich als Lehrer tätig bin, werden aktuell Lehrkräfte eingestellt, welche
    nicht einmal ein Lehramtsstudium absolviert haben.
    Gründe für diesen 'Quereinstieg' soll akuter Lehrermangel sein.


    Was haltet ihr davon und ist es in eurem Bundesland auch der Fall?



    Grüße
    Levis :prost:

  • Es wurden und werden in so ziemlich allen Bundesländern Leute ohne Staatsexamen fest und befristet eingestellt.


    Feste Stellen gab es ungefähr von 2006 bis 2012 in den gesuchten Fächern (MINT, Musik, auch mal andere) haufenweise. Heute deutlich seltener. Je nach Bundesland nennt sich das Verfahren Seiten- oder Quereinstieg. Auch das Verfahren selbst und die Bedingungen unterscheiden sich.


    Bei Vertretungsstellen sind die Hürden in NRW nochmal geringer. In der Primarstufe und Sek II ist normalerweise schon das entsprechende 2. Staatsexamen Voraussetzung. In der Sek I unterrichten aber auch Leute, die noch im Lehramtsstudium sind oder aber einen ganz anderen Abschluss haben.


    Na ja, was soll man davon halten? Der Unterricht wird entweder gar nicht erteilt oder von Leuten, die nur zum Teil dafür qualifiziert sind. Die machen das manchmal sehr gut, manchmal weniger gut. Bei den Gesamtschulen hier in NRW ist es auch tatsächlich so, dass ausgebildete Lehrer in bestimmten Fächern fehlen. Natürlich finde ich es richtig, den Unterricht dann nicht einfach ausfallen zu lassen. Ich weiß nicht, ob das in Bremen auch so ist oder ob man evtl. einen Lehrermangel nur vorgibt, um günstigere Vertretungskräfte einstellen zu können? Nur in dem Fall könnte ich nachvollziehen, wie man ein Problem damit haben könnte.

    • Offizieller Beitrag

    Hier in Bayern und ganz speziell an meiner Schule werden immer wieder Leute mit Diplom in Mathe, Bio und Chemie eingestellt. Allerdings immer nur auf ein Jahr befristet.
    Viele davon machen ihre Job richtig gut, andere weniger. Wie bei den Beamten und den Lehrern mit Examen halt auch. Ich weiß, dass unser SL ständig neue Lehrkräfte in diesen Fächern beantragt, aber wenn er die nicht genehmigt bekommt, finde ich diese Lösung immer noch besser als kompletten Unterrichtsausfall.

  • Wenn die echten Lehrer halt alle nur Sprachen, Politik, Deutsch oder ähnliches studieren, braucht sich niemand wundern, wenn man für Mathe, Physik u.ä. dann auf falsche Lehrer zurückgreifen muss.


    Man stellt diese Leute ja nicht aus Lust und Laune ein, sondern aus purer Not, weil echte Lehramtsabsolventen keine Lust auf Mathe haben.

    »...Aus Mettwurst machste kein Marzipan! «
    Bernd Stromberg

  • ... weil echte Lehramtsabsolventen keine Lust auf Mathe haben.


    Eher andersherum. Weil echte Mathematiker, Physiker usw. keine Lust aufs Lehramt haben. Warum sollte man sich als fauler Sack, als Depp der Nation beschimpfen lassen, wenn man in der "freien und gnadenlosen" Wirtschaft bei einer 35-Stunden-Woche (IG-Metall) nach ein paar Jahren das Doppelte verdienen kann? Und das bei geregelten Arbeitszeiten, mit Firmenwagen und Einzelbüro?


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Genau deswegen sind dann wohl in NRW während der letzten Jahre mehrere tausend Leute aus der freien Wirtschaft an die Schule gewechselt: Weil ihnen die Arbeit zu wenig und das Gehalt zu hoch war und die Arbeitsbedingungen überhaupt viel zu angenehm. ;)

  • Nein, es bewerben sich diejenigen an der Schule, die als Mathematiker, Physiker usw. nichts in der "freien Wirtschaft" gefunden haben, weil deren fachlicher Schwerpunkt zu exotisch ist oder weil sie (aus welchen Gründen auch immer) "freigesetzt" wurden.


    Dass das Lehramt für Mathematiker, Physiker usw. zu unattraktiv ist, siehst man an den Studienanfängerzahlen. Es schreiben sich deutlich weniger Leute dafür ein, als Bedarf vorhanden ist. Also werden die Lücken mit (man muss es so hart sagen) in der "freien Wirtschaft Gescheiterten" aufgefüllt. Wäre der Lehramts-Beruf attraktiv genug, was Bezahlung, Arbeitsbedingungen usw. betrifft wäre das nicht nötig. Wobei man sich klar sein muss: Die "Attraktivität" der Arbeit als Lehrer ist hoch fachspezifisch. Dem durchschnittlichen Geisteswissenschaftler kann kaum etwas besseres passieren, als Lehrer zu werden. Bei den Naturwissenschaftlern ist es genau anders herum.


    Gruß !

  • Und von denen, die sich in Mathematik und Physik fürs Lehramt einschreiben wählen das einige leider auch aus strategischen Gründen.
    Zumindest für mich, hat der Lehrerberuf aber einige Vorteile, was Arbeitsbedingungen, Arbeitsmöglichkeiten und vor allem auch der Beamtenstatus mit sich bringt.
    Ich bin echt Mathematikerin, die sich aus diversen Gründen für das Mathe/Physik Lehramt und gegen die freie Wirtschaft und die Wissenschaft entschieden hat (es gibt noch einige wenige die ich kenne, die auch ins Lehramtstudium gegangen sind, weil sie sicher waren, dass sie genau das wollen). Allerdings nicht als Quereinsteigerin. Ich kann mir ein Zweitstudium leisten.

  • und es gibt doch tatsächlich auch viele richtige Mathematiker, die gerne in den Schuldienst gehen wollen oder gegangen sind,
    weil das was Mathematiker in der Wirtschaft an Tätigkeiten machen müssen, teilweise der totale Schwachsinn ist.
    Es geht halt nicht immer allen Menschen um das liebe Geld. Daher ist dieses pauschale Schubladendenken, dass die
    Mathematiker, die an die Schulen gehen, nur die schlechen sein können, ziemlich absurd.

  • Das Problem ist nicht der Quereinstieg. Ein Mathematiker/Physiker/Chemiker, der sich didaktisch und pädagogisch fortbildet und einen Quereinstieg macht, ist völlig ok.


    Das echte Problem sind Quereinsteiger, denen Fächer anerkannt werden, die sie gar nicht unterrichten wollen oder in denen sie sich nicht auskennen.
    Vor allem wenn die Motivation für ein zwangsanerkanntes Fach fehlt, ist natürlich alles verloren....übrigens für alle Beteiligten.


    Ich persönlich finde übrigens auch die Praxis in NRW unmöglich, dass Leute ohne Abschluss als Vertretungskräfte beschäftigt werden.
    Das können zwar im Einzelfall tolle und qualifizierte Leute sein, aber es fehlt halt eine wenigstens fachliche Qualitätssicherung.
    1. Staatsexamen bzw. Ba/Ma sagt immerhin etwas über eine fachliche Mindestqualifikation aus.

  • Nein, es bewerben sich diejenigen an der Schule, die als Mathematiker, Physiker usw. nichts in der "freien Wirtschaft" gefunden haben, weil deren fachlicher Schwerpunkt zu exotisch ist oder weil sie (aus welchen Gründen auch immer) "freigesetzt" wurden.

    Ich fände es sinnvoll, wenn du nicht so pauschalisieren würdest, Mikael. Ich selbst habe Informatik im Master studiert und bin definitiv nicht aussortiert oder als unfähig befunden worden. Stattdessen habe ich einen guten Abschluss gemacht und auch einer Firma, bei der ich u. A. meine Masterarbeit geschrieben habe, abgesagt, um in das Lehramt einzusteigen (über den Vorbereitungsdienst). Schlicht, weil ich dort viel mehr meine persönlichen Stärken und mein Interesse sehe als in etlichen Stellen in der Wirtschaft.


    Ich kann verstehen, dass man Quereinsteiger kritisch beäugt und ich merke in meinem Referendariat auch deutlich, dass mir im Bereich Didaktik und auch in der Pädagogik im Vergleich zu Lehramtsabsolventen einiges fehlt. Allerdings muss ich wie alle anderen in Unterrichtsbesuchen und -entwürfen auch didaktisches und pädagogisches Feingefühl beweisen. Ich muss mich hier also fortbilden, sonst komme ich nicht durch das Ref. Sofern ich das Ref bestehe, wovon ich im Moment noch ausgehe, habe ich denselben Abschluss wie alle anderen (in Niedersachsen). Ich kann entsprechend genauso eingestellt und verbeamtet werden wie diejenigen, die auf Lehramt studiert haben.


    Natürlich wird es auch Quereinsteiger geben, die deinem Bild entsprechen. Genauso gibt es aber auch Lehrer, die nur deswegen Lehrer sind, weil sie nun schon 5 Jahre für das Studium + 2 Jahre Ref aufgewendet haben und keine akzeptablen, anderen Wege erkennen. Möglicherweise sind Quereinsteiger ja sogar motivierter und überzeugter von ihrem neuen Lebensweg, weil sie sich mit 25+ ganz aktiv dafür entschieden haben, obwohl die Jobchancen auch woanders rosig wären? In meinem Seminar (8 Informatiker, 7 davon Quereinsteiger und alle Quereinsteiger mit Nebenfach Mathe) ist jedenfalls niemand, der den Eindruck macht, aus Frust oder Perspektivlosigkeit ins Lehramt eingestiegen zu sein.

  • Ich war so eine Vertretungsstelle, bis ich dann mein Referendariat gemacht habe. Ich kann sagen, dass bei mir im Unterricht didaktisch nicht alles geil abgelaufen ist. Ungefähr so, wie bei einem Anfänger halt. Es fehlten die Routinen und die tausend kleinen Kniffe, mit denen man eine Stunde gestaltet. (Die SuS haben trotzdem was gelernt. Ansonsten würden die auch bei manchen vollausgebildeten Lehrern nichts mitnehmen.)
    Im Referendariat habe ich dann recht viele andere Quereinsteiger erlebt. Es war anstrengend, aber lehrreich. Und sei es nur, dass es Verständnis für SuS in Prüfungssituationen erzeugt. ;)


    Rückblickend als mittlerweile "richtiger" Lehrer muss ich sagen: Was wirklich geholfen hat, waren Solidarität und Hilfsbereitschaft der Kollegen. Ich kam nämlich einmal in den "Genuss", dass mir von Kollegenseite übelst in den Rücken gefallen wurde. Unnötig zu erwähnen, dass ich in der Klasse keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen habe.


    Also möchte ich um Folgendes bitten: Seid nett zu den Vertretungsleuten. Wenn sie kein totales Windei sind, haben sie eine beschissene Behandlung nicht verdient und sind dankbar für Hilfe. Sie entlasten das Kollegium. Sie fangen Ausfälle ab. Was ist es ihre Schuld, dass sich gerade kein "richtiger" Lehrer finden ließ?
    Schon alleine der Ausdruck "richtiger" Lehrer lässt mich würgen. Klar, ich kann den Wunsch nachvollziehen, dass die Lehrerausbildung gewürdigt wird. Aber: Für den Moment sind es Kollegen.

  • Natürlich sind solche Leute Kollegen, ohne Frage. Trotzdem sind sie keine richtigen Lehrer. (Afaik ist Lehrer auch eine Amtsbezeichnung für die A12er, Vertretungsstellen heißen in NRW zumindest "Vertretungslehrkraft" o.ä.)

  • Ob man "solche Leute" jetzt mit Recht als Lehrer bezeichnet oder nicht, ist ja eine eher akademische Frage. Geschützt ist diese Bezeichnung jedenfalls nicht. Auch stand in meinen Arbeitsverträgen immer "Lehrkraft", das gleiche Wort wurde darin auch für die unbefristet Angestellten/verbeamteten Lehrer benutzt.


    Im Alltag ist mir die Frage überhaupt nie begegnet. Ich habe meine Pausen im Lehrerzimmer verbracht und die Lehrertoiletten benutzt. An Berufsgruppen gab es in meiner Schule Sozialpädagoginnen, LehrerInnen und Hausmeister, IntegrationshelferInnen. Stundenweise haben noch zwei Frauen in der Mensa gearbeitet. In keiner Hinsicht wurde aber ein Unterschied gemacht, ob Lehrer befristet oder unbefristest angestellt waren, die traditionelle Lehrerausbildung oder einen Seiten-/Quereinstieg hinter sich haben oder keine Lehrerausbildung hatten. Lehrer war, wer als Lehrer gearbeitet hat.

  • Darf ich mich denn nach dem Staatsexamen - also dem ersten für mich bzw. dem zweiten für die, die Lehramt studiert hätten - Lehrer nennen?
    So als A13er mit drei Diplomen und einem Staatsexamen?


    Schön, dass es Kollegien gibt, wo diese „Richtigkeiten“ keine Rolle spielen...

  • 37° - Lehrer über Nacht


    Die ZDF-Sendung 37° sendet heute abend um 22.15 Uhr einen Bericht über Quereinsteiger.
    http://www.zdf.de/37-grad/lehr…assenzimmer-39447240.html


    Die Sendung wird am 1.9 auf 3Sat wiederholt:
    http://www.zdf.de/ZDF/zdfporta…generateCanonicalUrl=true


    Lifestream ab Sendungsbeginn heute abend:
    http://www.zdf.de/ZDFmediathek…d:-Lehrer-%C3%BCber-Nacht

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

  • Habe ich auch schon hier in NRW gesehen. Da wurden Leute eingestellt, deren höchster Abschluss war das Abitur.
    Einer hatte nicht einmal ein einziges Seminar an der Universität besucht und durfte an der Abendschule unterrichten. Unfassbar! Es gab auch unheimlich viele Probleme mit ihm (Unerfahrenheit/Unsicherheit im Unterricht, viele Beschwerden von Schülern, Mobbing gegen Kollegen, eine Affäre mit einer Schülerin, usw.).


    ALSO Lehrermangel hin oder her - so weit darf es in meinen Augen nicht kommen.
    Ich kann ja auch nicht einfach OPs im Krankenhaus durchführen, weil ich mal als Patient bei einem Arzt in Behandlung war.

  • Ich kann ja auch nicht einfach OPs im Krankenhaus durchführen, weil ich mal als Patient bei einem Arzt in Behandlung war.

    An schlechtem Unterricht ist aber noch keiner gestorben. Die Argumente, die man hier so lesen muss, treiben mir echt den Puls hoch.


    In der Schweiz geht die Lehrerausbildung für Sek II so: "Reguläres" Fachstudium + 1 Jahr pädagogische Ausbildung entweder studienbegleitend oder danach. Viele Kollegen, insbesondere im MINT-Bereich fangen ohne die pädagogische Ausbildung schon mal an zu unterrichten und machen diese dann berufsbegleitend. Es gibt hier kein "Lehramtsstudium" für Sek II. Demzufolge müsste die Schweiz ja das beschissenste Bildungssystem in ganz Europa haben. Kann ich jetzt so nicht ganz bestätigen.

    Einmal editiert, zuletzt von Wollsocken ()

    • Offizieller Beitrag

    Viele Kollegen, insbesondere im MINT-Bereich fangen ohne die pädagogische Ausbildung schon mal an zu unterrichten

    weil ja Lehrer jeder kann :sauer: :sauer:


    Also weg mit jeglicher Ausbildung und her mit den multibegabten Naturtalenten. Jeder war mal Schüler, (fast) jeder hat nen Führerschein, viele haben selbst Kinder, manch einer schraubt erfolgreich am Auto herum----- holla, was für Möglichkeiten tun sich da auf :sauer:

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