Schule als Mittel der Politik

  • Geehrtes Forum!


    Meine Schule (Stadtteilschule Hamburg) verkommt immer mehr zu einer Institution um politische Ziele durchzusetzen. Die ursprünglichen Ziele sind ja eigentlich die einer Bildungsinstitution für Kinder. Aber in unserer Alltagsrealität geht es immer weniger um schulische Inhalte. Das Lernen ist zur (lästigen?) Nebensache verkommen.
    Das größte politische Ziel das an unserer Schule verfolgt wird ist die Ganztagsbetreuung. Das führt dazu, dass teilweise die 7. und 8. Stunde am Nachmittag vertreten wird, damit die Kinder nicht nach Hause geschickt werden. Egal ob noch gescheiter Unterricht stattfindet oder nicht. In der Regel kann in diesen Vertretungsstunden keine echte Vertretung stattfinden, da der Lehrer diesen Unterrichtsstoff gar nicht weiter führen kann. Übernächste Woche haben wir eine ganztägige schulinterne Lehrerfortbildung. In einem Brief an die Eltern heißt es dazu vom Direktor: "Die Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit dem Unterrichtsausfall bitten wir zu entschuldigen. ..."
    Das wird mir persönlich langsam zu viel. Ist das an Euren Schulen ähnlich oder ist das eine Hamburger Spezialität?

  • Schule war schon immer das Mittel der Politik und wird auch immer das Mittel der Politik bleiben. Daran ist nichts verwerflich, schließlich ist das politische Ziel in unserer Gesellschaft idealerweise die Erziehung des heranwachsenden Bürgers zu demokratischen und pluralistischen Überzeugungen. Es ist prinzipiell auch nichts dagegen einzuwenden, dass die Art und Weise, wie das Schulsystem politische Vorgaben umsetzt, Ergebnis eines demokratischen Willensbildungsprozesses ist. Ob das im gegenwärtigen Zustand der Republik gegeben ist und ob und wie daran etwas zu ändern ist, ist natürlich eine offene Frage, die ihrerseits im poiltischen Prozess geklärt werden muss.


    Im Einzelfall mag einem das Ergebnis als Lehrer, der ein politischer Mensch ist, nicht gefallen - am Grundsatz, dass ich als Beamter die Entscheidungen der demokratisch legitimierten Regierung umsetze und nicht sabotiere, ändert das aber nichts.


    Nele

  • am Grundsatz, dass ich als Beamter die Entscheidungen der demokratisch legitimierten Regierung umsetze und nicht sabotiere, ändert das aber nichts.


    Genau! Und wenn die aktuelle politische Agenda die Ganztagsbespaßung an Schulen durch Lehrkräfte zum Inhalt hat, statt gut vor- und nachbereiteten (was ja auch Zeit kostet!) Unterricht, in dem die Schüler wirklich etwas lernen, dann hat man das als Lehrer und Beamter zu akzeptieren und darf nicht in den Wahn verfallen, die Gesellschaft und die Schüler durch idealistische Selbstausbeutung vor dem neuestem politischen Irrsinn retten zu wollen.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Dann wäre es für dich also auch kein Problem, wenn ein Polizist die Vorschriften für die Durchsuchung deiner elektronischen Korrespondenz etwas weiter fasst, weil es geht schließlich um staatliche Sicherheitsfragen? Oder wenn der Finanzbeamte die Urteile zur Absetzbarkeit deiner Arbeitsmittel ignoriert, weil er findet, dass Besserverdienende steuerlich bitteschön etwas strenger bewertet müssen, die Regierung sei doch ohnehin nur die Regierung der Besserverdienenden?


    Solche Dinge passieren, wenn sich Staatsdiener, und nichts anderes sind wir Lehrer, anmaßen, ihre eigene Meinung über die Entscheidungen der Demokratie zu stellen. Was dabei rauskommt, hatten wir schon einmal in Deutschland. So schwierig es zu akzeptieren ist, unser Staatssystem kann nur dann funktionieren, wenn wir als Staatsbedienstete sehr sorgfältig zwischen dem differenzieren, was wir pflichtgemäß in unserem Ermessensspielraum dem Staat an Gehorsam leisten, und dem, was wir als private und mündige Bürger tun und leisten. Diese Bereiche greifen ineinander über, aber so lange der Gehorsam nicht prinzipiellen ethischen Überzeugungen widerspricht, müssen wir die Ansprüche an uns erfüllen.


    Dass wir unseren Dienstherren als Vollhonkversammlung betrachten und unser Ministerium als Sammelbecken der unbrauchbarsten kleinsten Teiler, ist sicherlich nachvollziehbar und durch Realität wohl auch gestützt, das reicht aber nicht als Rechtfertigung für inneren Widerstand gegenüber der demokratisch legitimierten Regierung.


    Nele

  • Verstehe deine Einwendungen absolut nicht. Wenn der demokratisch gewählte Souverän will, dass Lehrkräfte ihre Zeit mit Ganztagsbetreuung verbringen statt mit der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung guten Unterrichts, dann muss eine Lehrkraft das akzeptieren. Mit einem begrenzten Zeitkontigent (vulgo "Jahresarbeitszeit") lässt sich nun einmal nicht alles, was wünschenswert wäre, gleichzeitig erfüllen. Auch als Beamter ist man nicht zur Selbstausbeutung verpflichtet, schon gar nicht als Lehrer, insbesondere da unabhängige Untersuchungen zeigen, dass Lehrkräfte sowieso schon mehr arbeitern als der Durchschnitt der Bevölkerung oder der restliche öffentliche Dienst. Also setzt man die Prioritäten so, wie es der Dienstherr will. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Was hast du damit für ein Problem?


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Dann wäre es für dich also auch kein Problem, wenn ein Polizist die Vorschriften für die Durchsuchung deiner elektronischen Korrespondenz etwas weiter fasst, weil es geht schließlich um staatliche Sicherheitsfragen? Oder wenn der Finanzbeamte die Urteile zur Absetzbarkeit deiner Arbeitsmittel ignoriert, weil er findet, dass Besserverdienende steuerlich bitteschön etwas strenger bewertet müssen, die Regierung sei doch ohnehin nur die Regierung der Besserverdienenden?


    Oder ein Offizier im Krieg, der verbrecherische Befehle ignoriert und sabotiert wo er nur kann, weil sein Gewissen ihm trotz Eid verbietet derartige Befehle zu befolgen. Das ist wohl der Unterschied zwischen Gehorsam und Kadavergehorsam. ;)


    Ich würde definitiv nicht alles tun, was mein Dienstherr mir vorschreibt. Ich würde ggf. erstmal versuchen im Rahmen des vorhandenen Spielraumes im Berufsalltag diese Vorschriften zu umgehen, wenn ich sie mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Und wenn es da überhaupt keine Spielräume geben würde, dann würde ich die Konsequenzen ziehen und meinen Beruf aufgeben.


    Zum Thema: In Hamburg fällt mir gerade wieder die Schulreform ein, die vom gesamten Senat einstimmig geplant und gewollt war und die schliesslich von den Bürgern in einem Volksentscheid gekippt wurde.

  • Der Vergleich "Schule" und "Krieg" ist doch etwas weit hergeholt, soweit sind wir im schulischen Alltag noch nicht...


    Aber Stichwort Gewissenskonflikte: Was gewichtest du denn höher? Das Recht auf Bildung ( "guter Unterricht")? Das Recht auf gesellschaftlichen Teilhabe ("Inklusion")? Das Recht auf Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung unabhängig von der sozialen Herkunft ("Ganztagsbetreuung")? Willst du alles drei gleichzeitig möglichst optimal erreichen? Dann viel Spaß mit dem Burnout aufgrund der unter den gegebenen schulischen Bedingungen (Personal, Ausstattung, Gebäude) nicht auflösbaren Zielkonflikte. Oder soll nicht doch lieber der "demokratische Souverän" entscheiden, welches der drei Ziele ihm bei den gegebenen Ressourceǹ wichtiger ist als die anderen?


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Was dabei rauskommt, hatten wir schon einmal in Deutschland.

    Was wir damals hatten, war allerdings zu einem nicht geringen Teil auch das Ergebnis gerade der von Dir geforderten Haltung. Dass die damalige Regierung gerade nicht demokratisch legitimiert war, steht selbstredend auf einem anderen Blatt.



    Viele Grüße
    Fossi

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

  • Wir sind doch nicht einfach nur Staatsdiener. Wir sind auch Bürger und berechtigt, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Wenn man das, was in Hamburg so vor sich geht, so hört, scheint da doch die Schulpolitik recht - hm - dynamisch zu sein, je nachdem, wer gerade regiert und welche Eltern gerade wieder aufschreien. Das ist doch auch Demokratie. Wenn einem das nicht passt: Mitreden, diskutieren! Sich einfach darauf zurückzuziehen, dass man halt nur seine Pflicht tut, ist doch ein bisschen wenig.


    Auch in NRW treibt der Anspruch, dass keine Stunden ausfallen dürfen, manchmal seltsame Blüten.


    Wobei ich die Bemerkung von dem Schulleiter wegen der internen Fortbildung nicht verwerflich finde. Wenn die Schule ausfällt, heißt das für Eltern immer Mehraufwand: Wo geht das Kind hin, bleibt einer der Eltern zu Hause usw. Ja, das sind Unannehmlichkeiten. Wenn ein Schulleiter das wahrnimmt, finde ich das ganz in Ordnung.

    • Offizieller Beitrag

    Was wir damals hatten, war allerdings zu einem nicht geringen Teil auch das Ergebnis gerade der von Dir geforderten Haltung. Dass die damalige Regierung gerade nicht demokratisch legitimiert war, steht selbstredend auf einem anderen Blatt.



    Viele Grüße
    Fossi


    OT: Da muss ich widersprechen. Die Nazis waren mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler anfangs sehr wohl demokratisch legitimiert. Das war unter anderem auch Teil ihrer Strategie.


    Gruß
    Bolzbold

  • OT: Da muss ich widersprechen. Die Nazis waren mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler anfangs sehr wohl demokratisch legitimiert. Das war unter anderem auch Teil ihrer Strategie.


    Gruß
    Bolzbold


    OT: Ich bin ja kein Historiker und muss mich deshalb möglicherweise mangelnden Fachwissens zeihen lassen, aber wie kann ein Antidemokrat, der bei seiner Ernennung zum Reichskanzler keine Mehrheit im Parlament hinter sich hatte, als demokratisch legitimiert gelten?

  • philosophus
    Das war deshalb möglich, weil die Verfassung der Weimarer Republik anders als das Grundgesetz keine Verteidigungsmöglichkeiten gegenüber Verfassungsfeinden kannte, die über die gegebenen politischen Wege den "Marsch durch die Institutionen" nahmen. Das war die dezidierte Strategie der NSDAP nach dem gescheiterten Hitler-Putsch und der Wiederzulassung als Partei. Hitlers erste Regierung war eine Koalitionsregierung mit Nationaldemokraten, deshalb war er bei der Machtergreifung am 30. Januar 1933 demokratisch legitimiert.

  • OT (die zweite): Ja, aber die Koalitionsregierung mit der DVP (?) war doch eine Minderheitsregierung – inwieweit kann man doch noch von demokratischer Legitimierung sprechen? Wenn jetzt die AfD im Bundestag säße und Gauck den Franktionsvorsitzenden zum Kanzler ernennen würde, wäre der doch wohl kaum legitimiert?

  • In der Weimarer Verfassung wurde der Reichskanzler nicht vom Parlament gewählt sondern vom Reichspräsidenten bestimmt. Für autoritär regierende Minderheitsregierungen, die ohne weiteres der Weimarer Reichsverfassung entsprachen, gab es durch die wechselnden Präsidialkabinette mehrere Vorbilder; insofern war das Kabinett Hitler sogar noch demokratischer als seine Vorgänger, da es auf einer breiteren Wahlbasis agierte.


    Wie gesagt, die große Schwäche der Weimarer Verfassung war, dass sie kaum Möglichkeiten zur Selbstverteidigung hatte. Zu dieser Zeit war die Frage der "demokratischen Legitimierung" eine andere als heutzutage.

  • Zunächst einmal möchte ich "Machtergreifung" als NS-Terminus gern in Anführungszeichen sehen.


    Zudem kann angesichts des Saal-Terrors der SA, der dazu führte, dass bestimmte Gruppierungen nicht zur Wahl gehen konnten, spätestens in der Wahl vom 5. März 1933 freilich nicht von einer freien Wahl gesprochen werden -- nicht zuletzt, weil bereits viele emigriert oder sonstwie gewaltsam gehindert waren zu wählen.


    @Neleabels: Für gewöhnlich schätze ich deine Beiträge sehr, aber hier muss ich dezidiert widersprechen. Deine Argumentation mit Art. 48 und Art. 25 sticht in diesem Fall nicht, denn diese Möglichkeit der Präsidialregierungen allein ist selbstverständlich nicht der Punkt. In den Krisenjahren der Weimarer Zeit hat die Anwendung von Notverordnungen sogar recht gut funktioniert. Deine Ausführungen über den mangelnden Selbstschutz der WRV im Gegensatz zum GG mit seiner "Ewigkeitsklausel" sind natürlich richtig, aber den Begründungszusammenhang zur Beantwortung der Frage, ob "Hitlers Aufstieg" legal gewesen sei, sehe ich hier nicht.


    Im Prinzip argumentierst du wie der NS-Jurist Carl Schmitt, der dann später im Ermächtigungsgesetz letztendlich den "Vollzug des durch die Reichstagswahl vom 5. März 1933 erkennbar gewordenen Volkswillens" (Kommentar von 1933, abgedruckt in abgedruckt in: Hofer, Walther: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933 - 1945 Frankfurt/M. 1957, S. 57 f., Dok.-Nr. 27 b) sieht.


    Ich weiß, dass man durchaus zwischen der Wahl vom November 32 und März 33 unterscheiden muss, im Grunde sehe ich die Problematik aber bei beiden gegeben. Umgekehrt meine ich allerdings auch nicht, dass völlig freie Wahlen die demokratischen Parteien übermäßig gestärkt hätten, denn DNVP und NSDAP waren ja nur die rechte Seite der antidemokratischen Parteien; die KPD auf der linken, erhielt bekanntlich ebenso zunehmenden Zulauf erhielt. Aber was predige ich dem Chor, das weißt du ja alles.


    Mikael hat natürlich recht, ich habe auch lange überlegt, ob ich hier antworten soll, denn eigtl. sollte ich mein Abi weiterkorrigieren ...

  • Wie gesagt, die große Schwäche der Weimarer Verfassung war, dass sie kaum Möglichkeiten zur Selbstverteidigung hatte. Zu dieser Zeit war die Frage der "demokratischen Legitimierung" eine andere als heutzutage.


    In der Weimarer Reichsverfassung hatte der Reichspräsident doch eine starke Stellung im politischen System. Nur deshalb war es überhaupt möglich, dass jahrelang Regierungen von Hindenburgs Gnaden am Reichstag vorbeiregieren konnten. In der Bundesrepublik wäre sowas gar nicht möglich, dass der Bundespräsident einfach irgendwelche Regierungen ernennt, die dann ohne parlamentarische Zustimmung per Notverordnungen regieren können.

  • Wurde doch bereits ausgeführt, Claudius. Stichwort "Präsidialregierungen" und HInweis auf Art. 48 und 25!


    Womit @Neleabels Hinweis auf die fehlenden Selbstverteidigungsmechanismen nicht etwa unwesentlich sind, sondern in diesem Kontext essenziell sind.


    Hast du meinen POst gelesen, in dem ich bereits auf die sog. "Ewigkeitsklausel" (Art 79 Abs 3 GG) hinwies?
    Ich zitiere:
    „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“


    Genau ein Artikel in diesem Sinne fehlte der WRV, sodass die Nationalsozialisten scheinbar legal an die Macht kamen.

    • Offizieller Beitrag

    In der Weimarer Reichsverfassung hatte der Reichspräsident doch eine starke Stellung im politischen System. Nur deshalb war es überhaupt möglich, dass jahrelang Regierungen von Hindenburgs Gnaden am Reichstag vorbeiregieren konnten. In der Bundesrepublik wäre sowas gar nicht möglich, dass der Bundespräsident einfach irgendwelche Regierungen ernennt, die dann ohne parlamentarische Zustimmung per Notverordnungen regieren können.


    Das waren die Lehren, die das Bonner GG aus den Fehlern der WRV gezogen hatte. Man muss ergänzend erwähnen, dass die Väter der WRV einen konsequenten Missbrauch der Artikel 25 und 48 nicht antizipiert haben.


    Was die Notverordnungen angeht, so hat Ebert bis 1924 alleine 135 davon erlassen. Hindenburg selbst hat in den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit keine einzige erlassen und erst ab 1930, also sogar nach Beginn der Präsidialkabinette, damit begonnen (insgesamt 116.)
    (Quelle: Buchners Kolleg Geschichte 'Weimarer Republik und NS-Staat' S. 32ff.)


    Vielleicht könnte ein unbeteiligter Mod den Thread themenspezifisch teilen, damit das ursprüngliche Anliegen nicht untergeht.


    Gruß
    Bolzbold

  • So ist es. Eben das schrieb ich oben mit dem Hinweis auf die erfolgreiche Anwendung der Notverordnungen in den Krisenjahren der Weimarer Republik.


    Aber du hast Recht, der Thread wird gesprengt.

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