"Man darf nicht mit fremden Männern reden"

  • Hallo,


    wir haben in letzter Zeit öfter das Thema angeschnitten,
    auch mit entsprechenden Bilderbüchern - vor allem, weil unser Sohn im
    September in die Schule kommt und zumindest den Weg von der Schule zum
    Hort (ca. 15 Minuten Fußweg) alleine zurücklegen müssen wird. Und halt
    sowieso immer selbstständiger wird.
    Er hat es im Prinzip verstanden, ob es im Ernstfall so einfach wäre, kann man natürlich nicht wissen.


    Nun,
    letzte Woche hat er mit seiner Erzieherin seine zukünftige Schule
    besucht, um ihm etwas die Angst davor zu nehmen. (Er hat ja sehr große
    Angst vor jeder Art vor Veränderung.)
    Dort hat ihn auch sein zukünftiger Schulleiter (mein aktueller Chef [Blockierte Grafik: http://static.afcdn.com/world/shim.gif] ) freundlich begrüßt und versucht, sich mit ihm zu unterhalten. Vom Kleinen kam keine Antwort.
    Später
    habe ich ihn gefragt, warum er denn nicht mit ihm gesprochen hat.
    (Einige Minuten später hat er mit einer Kollegin von mir geredet.) Seine
    Antwort: "Man darf nicht mit fremden Männern reden, weil man nicht
    wissen kann, ob sie lieb oder böse sind." - meine Worte.
    Und
    zugegebenerweise sieht mein Chef mit seinem dunklen Vollbart dem "bösen
    Mann" aus seinem Bilderbuch tatsächlich etwas ähnlich.


    Heute
    haben wir die Oma seiner Erzieherin beim Spazierengehen getroffen - die
    zufällig auch noch mit meiner Schwiegermutter (also seiner Oma) bekannt
    ist, sie waren früher Kolleginnen und treffen sich öfter mal.
    Mit ihr hat er auch nicht geredet, sie ist ja fremd.


    Aber
    das ist natürlich auch nicht Sinn der Sache, dass er jetzt mit
    niemandem mehr redet. Und ich bin mit folgenden Fragen etwas
    überfordert:
    - Wie kann ich ihm den Unterschied genau erklären, wann
    man einem Fremden ausweicht, wann nicht? Bisher haben wir es so
    versucht, dass es okay ist, wenn wir dabei sind, aber nicht wenn er mal
    allein unterwegs wäre.
    - Wie definiert man "fremd" - ich meine, neue Lehrer usw. sind auch fremde Personen, trotzdem darf er mit ihnen reden.
    -
    In diesen Büchern sind die "Bösen" immer Männer. Das habe ich eben in
    der Schule auch gemerkt, mit dem Schulleiter hat er nicht geredet, mit
    der LehrerIN schon.
    - Er hat heute auch gefragt, wie es ist, wenn er
    allein unterwegs ist und jemanden trifft, den er kennt. Da ist halt
    wieder die Frage, wie man "kennen" definiert, es ist ja ein Unterschied,
    ob es z. B. seine Erzieherin / Lehrerin ist, oder die
    Bäckereiverkäuferin...


    Eure Erfahrungswerte (gerade die mit schon größeren Kindern) oder generell Meinungen würden mich sehr interessieren!


    LG

  • Richtig ist ja eigentlich, er kann dem Schulleiter oder der Oma genausowenig vertrauen, wie dem ominösen Typ mit Schlapphut, der Bonbonbs anbietet. Die meisten Übergriffe auf Kinder werden von vertrauten Personen vorgenommen. Deswegen soll er natürlich nicht vor jedem Menschen Angst haben...


    Vielleicht könnt ihr die Fremden-Regel so ausweiten, "ich darf nur mit Menschen mitgehen, wenn es mit Mama abgesprochen ist, Mama muss IMMER wissen, wo ich bin".

  • Danke für eure Antworten!


    alias:
    Ja, das mit dem Passwort habe ich schon öfter gehört. Aber ich bin da etwas unsicher: Schaffen das so kleinen Kinder wirklich, absolut dicht zu halten? Also das Passwort niemandem zu erzählen?


    Pausenbrot:
    Ja, so versuchen wir es ihm auch zu erklären - meine Mutter hat es mir damals auch so erklärt, auch mit "Bekannten" darf man nur dann mitgehen, wenn es mit den Eltern abgesprochen ist.
    Was das Problem noch etwas erschwert, ist dass er Autist ist und somit eh Probleme hat, mit ihm unbekannten Menschen zu reden. Inzwischen ist er aber schon deutlich weniger ängstlich als früher - da möchte ich nicht, dass er deswegen wieder einen "Rückschritt" macht.
    Für mich ist es schwer, die richtige Balance zwischen Vorsicht bei Fremden und erwünschter Offenheit anderen Personen gegenüber...

  • Für mich ist es schwer, die richtige Balance zwischen Vorsicht bei Fremden und erwünschter Offenheit anderen Personen gegenüber...


    Das ist nicht nur für dich schwer. Das ist für alle Eltern schwer, und eigentlich begleitet es einen ja durchs Leben. Vertrauen fassen, Menschenkenntnis erwerben ... da lernt man nie aus. Kinder warnen, ohne ihnen Angst zu machen, ist ja auch eine Art Quadratur des Kreises. Das ist mit dem Straßenverkehr ähnlich.


    Dein Sohn hat deinen Hinweis ein bisschen zu wörtlich genommen. Das ist vielleicht auch ein spezielles Problem von ihm. Ich denke, du kannst auch nicht erwarten, dass er stets mit allen Leuten ins Gespräch kommt, die er nicht kennt, auch wenn du es "erlaubst". Das wird alles etwas Zeit in Anspruch nehmen, und ich glaube, im Moment wäre das "Sprechen mit anderen Leuten" ein wichtigeres Lernziel als das "Nicht mit Fremden reden", denn da kommt ja jetzt eine Menge auf ihn zu. Und keine Warnhinweise und kein Passwort der Welt entheben einen von der Pflicht, auf sein Kind aufzupassen.


    Diese Regel, nicht mit fremden Männern zu reden, finde ich auch ein bisschen zweifelhaft. Man muss doch oft mit "fremden Männern" reden, sei es ein Polizist oder ein Bademeister, das kann lebensrettend sein! Hingegen können, wie beschrieben, vertraute Menschen gefährlicher und böser sein als "fremde". Wichtiger wäre es, dem Kind klarzumachen, dass niemand mit ihm etwas machen darf, was es nicht will. Auf einem Vortrag wurde mal zu uns gesagt, dass der Spruch "Stell dich nicht so an" quasi eine Eintrittskarte für Missbrauch ist. Es ist ja tatsächlich eine Aufforderung, die eigenen Empfindungen nicht ernst zu nehmen. Natürlich kann man das mal sagen. Aber eben nicht als Lebensweisheit verkaufen.


    Ich habe meinen Kindern gesagt, dass ich immer wissen muss, wo sie sind. Das schließt ein, dass sie nicht mit jemand mitgehen, ohne dass ich davon weiß.

  • Piksieben:
    Dir auch vielen Dank für deine Antwort.
    Ja, ich habe jetzt auch erkannt, dass man ihm eher klarmachen muss, dass weniger das Sprechen an sich mit "Fremden" ein Problem ist. Wir haben das Thema auch noch nicht sehr intensiv besprochen, er hat aber eben zwei Bücher bekommen, in denen das Thema aufkommt. Und da werden eben die Kinder angesprochen und überredet, mitzugehen. Da hat er das Ganze wohl so verstanden, dass man auf keinen Fall mit jemandem reden darf. Das werden wir in nächster Zeit gezielt besprechen.
    Du hast mir auf jeden Fall schon mal gute Anhaltspunkte geschrieben!
    Klar haben wir die Pflicht, auf unser Kind aufzupassen, aber den Weg von der Schule zum Hort wird er selber laufen müssen, weil ich da eben arbeite. Deswegen möchte ich ihn möglichst gut vorbereiten!


    @MarlboroMan:
    Das kann man so nicht sagen. Wir haben ihm NIE gesagt, dass er nicht mit anderen Menschen sprechen darf. Wir haben ihm natürlich auch nicht vermittelt, dass unbekannte Menschen "böse" sind.
    Aber gerade durch seinen Autismus muss man bei ihm vorsichtig sein, weil er Vieles einfach zu "eng" versteht und übergeneralisiert. Ich vermute auch, dass er ja eh sehr zurückhaltend bei Unbekannten ist und jetzt hat er sich eine "Begründung" gesucht, warum er nicht mit den Menschen redet.

  • Hast du mit dem Hort gesprochen? Ich kenne es so, dass die Kinder erstens den Weg immer zu mehreren machen und zweitens so lange begleitet werden, bis sie es sicher ohne Begleitung schaffen. Bei unserem Sohn war das in der Zeit bis zu den Herbstferien bewältigt. Die Kinder sind Stück für Stück in die "Freiheit" entlassen worden und dann allein gegangen. Und ich finde das auch den einzig vernünftigen Weg. Natürlich kann man vorher kleine Wege üben. Mindestens genauso wichtig ist ja der Straßenverkehr. Aber von der Erwartungshaltung, dass dein Sohn vom ersten Tag an alles allein schafft, solltest du dich verabschieden. Du klingst da ein wenig - hm - unentspannt. Dein Kind hat aber ein Recht darauf, behutsam begleitet und "entlassen" zu werden. Wie gesagt, sprich mal mit dem Hort. Da wird sich schon ein Weg finden.

  • Ja,
    wir haben nach den Osterferien ein Gespräch mit dem Hort, da werde ich genau nachfragen, wie das gehandhabt wird. Aber so weit ich mitbekommen habe, laufen die Kinder da sehr bald alleine.
    Wir üben ja zur Zeit auch das selbstständige Bewegen im Straßenverkehr. Eigentlich kann er schon sehr gut schauen usw., außer wenn er verträumt ist und einfach auf die Straße läuft. Aber ich glaube, in dem halben Jahr bis die Schule losgeht, wird sich auch noch Einiges tun.
    LG

  • Mein erster Gedanke war: Wow, dein Sohn hat etwas ganz wichtiges verstanden. Ich finde, du kannst stolz auf ihn sein, dass er lieber vorsichtig ist als alle gleich anzuquatschen. Es ist doch in Ordnung, dass er mit der ihm nicht vertrauten Person (Schulleitung) erst einmal nicht spricht, wo ist das Problem? Mit der Zeit wird aus dem fremden Menschen vielleicht eine Person, mit der man ins Gespräch kommen kann.
    In Hinblick auf die Bewältigung seines Schulweges kann ich deinen Gedanken nicht so recht verstehen. Mein Eindruck ist, dass er lieber mit niemandem spricht als mit einer Person zuviel. Wo ist das Problem?
    Und auch ein Mensch mit Autismus lernt stetig dazu. Er wird sich schon selber ein Bild davon machen, welchen Menschen er vertraut und welchen nicht. Mit eurer Unterstützung wird das sicher klappen. Er ist gerade mal 6 Jahre alt und scheint seine Sache schon so gut zu machen.
    Und falls du für den Schulweg Sorge hast, dass er trotz alledem in den "dunklen Mercedes" gezogen wird (bei meinen drei eigenen Kindern kam das Gerücht immer kurz nach den Herbstferien auf, wenn die ersten Mütter ihre Kinder alleine gehen ließen ...) solltet ihr Strategien mit ihm besprechen, wie er sich selbst helfen kann: wenn er angesprochen wird, sollte er einen großen Abstand wahren, laut rufen (üben) "Lassen SIE mich in Ruhe" etc. so dass er gegebenenfalls auf sich aufmerksam machen kann.
    Mein Eindruck ist: du /ihr habt alles richtig gemacht

  • Danke auch dir für deine Antwort. Auch mein Chef meinte übrigens, dass der Kleine ja eigenltihc absolut recht hat!


    Klar ist es mir lieber, wenn er nicht jedem sofort in die Arme springt. Ich hab halt nur Angst, dass er sich dann wieder extrem in sich zurückzieht (im Kindergarten hat es ca. zwei Jahre gedauert, bis er gesprochen hat.)
    Und ja, diese Strategien (laut um Hilfe rufen usw.) wollen wir mit ihm auch üben. Aber eben da habe ich Angst, weil er in unbekannten Situationen meist erstarrt und gar nicht reden kann. Er ist dann so perplext dass er sozusagen seine STimme verliert. Ist oft schon so, wenn ihm Kinder weh tun, er schreit da so gut wie nie...


    Aber ich versuche mir nicht allzu viele Sorgen zu machen.
    Es ist nur sehr schwer die Balance zwischen gesunder Zurückhaltung und Offenheit gegenüber neuen Dingen / Personen zu finden. Gerade bei einem Kind, dass sehr geneigt ist, sich Neuem gegenüber komplett zu verschließen.


    'Aber wir schaffen das schon! (Er ist ja ein toller, schlauer kleiner Zwerg.)

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