Willkommensklasse, Unterricht gestalten

  • Das Thema gehört nicht wirklich hierher, aber es ist einigermaßen verwandt. Ich werde als Quereinsteiger (AVL Master und beeidigter Dolmetscher) eine Willkommensklasse an einer Berliner Grundschule ab Februar leiten. Das sind Klassen für Flüchtlingskinder verschiedenen Alters ohne Deutschkenntnisse. Die Kinder kommen zunächst zu mir und mit etwas Glück sitzen sie in einigen Monaten in einer "normalen" Klasse im Zimmer nebenan.
    Jetzt stehen die Schulleitung und ich etwas ratlos da. Wir freuen uns schon, aber wir haben bisher nur drei angemeldete Kinder und ich habe keine Ahnung, was ich mit denen jeden Tag 5 Stunden lang machen sollte? Ich habe schon Erfahrung und komme schnell klar, aber wir können doch nicht nur Deutsch machen. Dazu weißt keiner auch wie viele Stunden es in der Woche eigentlich sind und auf meiner Frage nach dem Gehalt meinte man, die Geschäftsstelle beim Senat entscheidet darüber nach individuellen Voraussetzungen und Verhältnissen. Das ist auch das erste Mal, dass ich nichts über mein Gehalt erfahren habe. Gibt es hier Kollegen mit Erfahrungen in solchen Klassen (auch was Unterricht und Materialien betrifft)?
    Danke und Gruß.

  • Vorneweg: Ich habe keinerlei Erfahrung mit solchen Klassen, doch würde ich diesen Umstand, den Du hier schilderst, unbedingt als Chance begreifen. Warum denn nicht 5 Stunden am Tag mit nur 3 Kindern Deutsch machen? Damit meine ich nicht, dass die Kids 5 Stunden lang brav auf ihren Stühlen sitzen, sondern dass Du mit ihnen Spiele machst, eventuell mal raus gehst, um mit ihnen Fußball zu spielen, ihnen Begrifflichkeiten in der Natur/der Straße/der Gegend/des Spielplatzes näher zu bringen. Du kannst ihnen zeigen, wie typische deutsche Pausenspiele funktionieren (gibt's die noch? Kettenfangen? Himmel und Hölle?), sodass sie sich dadurch schneller innerhalb der Klasse integrieren können.


    Hast Du schon ein Lehrbuch? Wenn nicht, könnte das hier vielleicht etwas sein:
    http://www.cornelsen.de/lextra/1.c.3092540.de


    Aber wie bereits gesagt, habe ich wirklich keine Erfahrung damit. Vielleicht ist alles, was ich vorschlage, etwas, das gestandene DaF-Kollegen sofort mit guter Begründung ablehnen würden.

    I wonder which mistake I'm going to try to learn from today.

  • Wir hatten zu dem Thema gerde eine Kollegin eingeladen, die eine Internationale Klasse unterrichtet. Die Kinder sind dort immer ein paar Monate. So lange, bis sie halbwegs fit in Deutsch sind. Sie arbeitet mit:


    - Jandorf Rechtschreibheft 1
    - Jandorf Buchstabenlehrgang
    - Jandorf Lesemalhefte (wenn die Kinder schon etwas weiter sind)
    - ca. 10 Lernwörter jede Woche, die auch ins Heft geschrieben werden
    - Jeder hat noch eine individuelle Buchstaben-Arbeitsmappe


    - Und sie nutzen 2 Stunden pro Woche die Lernwerkstatt und machen die Deutschübungen


    Im Grunde muss sie alle Wörter vorsprechen, die bearbeitet werden müssen....Man sieht, auch in diesen Klassen wird nur mit Wasser gekocht. Alle anderen Fächer unterrichten die Kollegen auch "ganz normal". Zur Not mit Händen und Füßen.


    Die Klasse hat 18 Kinder und 3 Lehrkräfte.

  • Hm, das kann man wohl auch so umdrehen ;) Du hast schon Recht, wenn man es so ansieht, ist es für eine volle Stelle eher ein Geschenk ;) Danke für die Antwort Seven!

  • Sternenlicht, ich habe Dir eben geantwortet, aber es muss noch "von den Moderatoren überprüft werden". Ich habe lediglich Gilde Verlag erwähnt, die scheinen auch gute Bücher zu haben. "Bärenspaß", "Mega" und "einfach stark" :) Danke sehr.

  • Hier noch eine Laienmeinung, da ich noch nicht mit Flüchtlingen gearbeitet habe, aber dennoch mit Schülern, denen man die Welt erklären muss. Hier viele bruchstückhafte Ideen:


    Mathematik kann man sehr handlungsorientiert machen kann, nachahmen, benennen und somit mit Deutsch verküpfen. Ansonsten fallen mir, ebenso wie Seven, die lebenspraktischen Dinge ein. Pausenspiele, Einkaufen, normale Situationen außerhalb der Schule. Busticket erwerben, etc.
    Kunst hingegen führt auch dazu, dass sie einfach Ruhe finden und vor sich hin Ausmalbilder anmalen, Kunstwerke nachgestalten oder einfach mit Knete hantieren, tonen. Musik verbindet, Trommeln aus Tonblumentöpfen herstellen und dann trommeln. Vielleicht gemeinsam ein Blumenbeet anlegen, oder nur in Blumentöpfe säen und beobachten.
    Einfache Experimente, Origami, Arbeit mit (Welt-, Stadt-)-Karten können die Kinder auch.


    Wenn ihr könnt, dann löst euch so viel wie möglich aus dem Klassenraum und geht hinaus. Auf den Spielplatz, etc. ... oder auf die nächste Wiese. Da bieten sich viele Möglichkeiten zum Sprechen und zum Begreifen. Später dann könnt ihr Einkaufssituationen üben oder nach dem Weg fragen.
    Dabei hätte ich immer Wortkärtchen (Papierabschnitte gibt es für wenig Geld im Copyshop) und einen Stift, so dass man aus dem Erlebten auch eine vor Ort eine schriftliche Reflexiion machen kann. Die Kinder lernen sehr schnell dazu. Auf die Wortkärtchen kannst du auch Satzmuster schreiben, so dass das Verbalisieren einfacher wird. Und das kannst du dann am nächsten Tag wieder im Klassenraum einbauen.


    Ich wünsche dir ganz viel Erfolg! Mach dir nicht so viele Gedanken. Vielleicht hilft dir die (sehr außergewöhnliche) Sichtweise, dass du deinem Neffen von Mars die Welt auf Deutsch erklären willst. Du wirst mit allen möglichen visuellen Materialen arbeiten müssen, die es gibt. Das ist Anschauungsmaterial vor Ort und im Klassenraum und auch du bist Teil des Anschauungsmaterials und wirst mit Hand und Fuß erklären.

  • Jaja, immer alles schönreden und die politisch Verantwortlichen billig davonkommen lassen !


    Zitat HeiligeKreide :

    Zitat

    Jetzt stehen die Schulleitung und ich etwas ratlos da. Wir freuen uns schon, aber wir haben bisher nur drei angemeldete Kinder und ich habe keine Ahnung, was ich mit denen jeden Tag 5 Stunden lang machen sollte?

    Oder mal Tacheles geredet : Die Stadt Berlin, in der Republik bekannt für ein äußerst chaotisches Schulsystem, wälzt selbstverständlich mal wieder das Problem ohne ein überzeugend entwickeltes Konzept allein auf die Lehrer ab. Die Flüchtlingskinder wären in Bayern, sofern Bayern noch welche nehmen kann, besser aufgehoben. Da funktioniert wenigstens das Schulsystem und Integration können die auch viel besser. In Berlin funktioniert das ja alles gar nicht. Und dazu werden die Lehrer da behandelt wie die letzten Heinis.8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    2 Mal editiert, zuletzt von Elternschreck ()

  • @ Elternschreck: In Bayern sah das vor ein paar Jahren auch nicht wirklich anders aus. Ob es mittlerweile besser ist, kann ich nicht beurteilen. Hoffnung habe ich keine. In Bayern gab es einen Lehrplan. Wie man den umsetzen soll, konnte aber keiner sagen. Materialien wurden nicht zur Verfügung gestellt, Differenzierungsstunden gab es nicht. Ich hatte am Ende des Schuljahres mehr als 20 Kinder zwischen sieben und elf Jahren von nahezu jedem Kontinent. Einige konnten schon Deutsch, andere gar nicht. Also nicht wirklich besser.


    @ Heilige Kreide: Habt ihr einen Lehrplan? Du sollst ja sicher nicht nur Deutsch unterrichten. Ansonsten habe ich hier schon einiges geschrieben: HILFE - neues Kind spricht überhaupt kein Deutsch!!!


    Bibo

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe ja lange Zeit mit jugendlichen Flüchtlingen gearbeitet, und da hat es sich oft bewährt, mit ihnen raus zu gehen und Sprache in Alltagssituationen zu lernen. Man kann z.B. auf den Wochenmarkt gehen, und mit ihnen Obst und Gemüse lernen. Oder in den Supermarkt, in den Park, in den Zoo. In der Schule war im Matheunterricht die Uhrzeit immer ein gutes Thema.


    Weißt Du, ob die Kinder schon Lesen und Schreiben gelernt haben? Ob sie überhaupt schon einmal in einer Schule waren? Je nach dem Hintergrund musst du ihnen auch bestimmt Kulturtechniken beibringen, essen mit Besteck war bei uns oft ein Thema.

  • Nichts gegen dich persönlich, aber es ist doch mal wieder bezeichnend, dass für eine Lerngruppe mit so hohen Anforderungen und evtl auch ziemlich unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen jemand eingesetzt wird, der "noch nicht mal" ein pädagogisches Begleitstudium und/oder Referendariat hinter sich hat ...

    • Offizieller Beitrag

    Kannst du mit ihnen auch Mathe machen? Ich glaube das wäre gut! Meine Erfahrung mit Kindern, die hier erst Deutsch lernen: Die sind auch in Mathe alle weit zurück, sogar wenn sie schon mal auf einer Schule waren. Daher kann zählen, 1:1-Zuordnungen, Mengen erfassen und etwas rechnen auch eine gute Idee sein, wenn sie bald in den Klassen sitzen. Für die Einführung von Mengen hast du als Lehrer in einer großen Klasse keine Zeit, daher ist man dankbar, wenn die Kinder das dann können.

  • Wenn die Kinder schon Mathe in einer Schule gelernt haben ist oft die Notationsform abweichend. Auch das ist ein Lernfeld, so wie in Deutschland zu rechnen. Ich habe mal ehemaligen Drogenabhängigen in den USA versucht Mathe für einen qualifizierenden Abschluss beizubringen und hatte da echt Probleme umzudenken, da alles anders notiert wurde. Sicherlich wirst du da auf Unterschiede treffen, bei den schriftlichen Grundrechenarten. Den Kinder fällt es bestimmt auch schwer.


    Was du brauchst ist einfach ganz viel Anschauungsmaterial. Und wenn möglich bei manchen Aufgabentypen auch ein leicht verständliches Lösungsblatt.


    Und weiterhin brauchst du unendliche Geduld. Wenn ich deine Abschlüsse lese, dann kannst du vermutlich aus jeder geplanten Stunde 10 Stunden machen, indem du die Kinder nachspielen lässt, die Dinge genauer erfahren lässt, noch eine Sicherung einbaust, eben einfach kleinstschrittig vorangehst. Die Kinder lernen eh nebenbei.


    Vorraussichtlich sind die Kinder traumatisiert und brauchen Zeit! Auch ein gemeinsames Frühstück über Wochen wäre eventuell eine Idee und bei 3 Kindern tragbar, wenn der Schulträger das nicht übernimmt. Die Kinder sprechen da unbedarfter, aber sie sprechen ... du lernst viel über deren Kultur und über sie selbst und sie lernen ebenso.

  • Ich kann mit ihnen alles machen, je mehr, desto dankbarer die Schulleitung. Also Mathe geht auch bestimmt, wie eben gemeinsames Frühstücken, Spaziergänge, Pausenspiele. Ich denke wir nehmen sie zum Sportunterricht auch mit, da werde ich sie auch begleiten können. Ich habe mich vor allem vor der langen Zeit im Klassenraum gefürchtet, aber jetzt sehe ich ein, dass wir dort überhaupt nicht so lange sein müssen. Das erleichtert vieles. Lediglich eine Struktur fehlt mir, aber für den Anfang kann ich ja auch die Kinder selber fragen, wozu sie jeweils Lust hätten. Ich denke, sie haben keine Ahnung, wie viel Spass sie in unserer Schule haben werden - alle Fächer erlaubt, nur mit dem Finger zeigen ;)

  • Wie wäre es denn, wenn Du für die jeweils 1. Stunde des Tages ein kleines Lied einbaust, quasi zum Wachwerden und "Aufwärmen"? Vielleicht so etwas wie "Kopf, Schulter, Knie und Zeh"? Da können sie auch mitmachen, wenn sie die Wörter noch gar nicht kennen und einfach die Bewegung nachmachen. Du musst ja nicht selbst singen, sondern kannst eine CD nehmen. Und dann würde ich immer möglichst viel wiederholen: Wie heißt Du, wie heiße ich, wo kommst Du her, wie alt bist Du. So gewöhnen sie sich an Phrasen und Zahlen. Das kannst Du im Grunde jeden Tag zu Beginn machen bis es "sitzt".


    Mach Dir doch einen klitzekleinen Plan, welche Themenfelder Du am Anfang mit ihnen machen willst und schau, was Dein gewähltes Lehrbuch dafür her gibt. Zu Tieren kannst Du eine Menge machen, genauso zum Haus, zum Klassenraum, etc. Jedenfalls beginnen wir so im Anfangsunterricht Englisch, wobei wir dabei ja auch theoretisch immer auf die gemeinsame Muttersprache Deutsch zurückgreifen können.
    Ein gemeinsames Frühstück halte ich für eine super Idee, so lernen sie auch Begrifflichkeiten zum Thema Essen.


    Die Kids werden bestimmt ziemlich schüchtern sein, verstehen sie doch meistens wenig bis gar nichts. Deswegen gib ihnen einen klaren Tagesablauf, der möglichst immer gleich beginnt und gleich endet, sodass sie sich an eine (Schul)Struktur gewöhnen, anstatt ihnen direkt zu Anfang selbst die Wahl zu lassen. Arbeite doch auch mit dem Internet, mit Filmchen, CDs, laminierten Kärtchen, die Du ständig wieder benutzen kannst.


    Und auch wichtig: Lass sie Wörter immer und immer wieder nachsprechen, die Du ihnen vorsprichst!

    I wonder which mistake I'm going to try to learn from today.

  • Gilde Verlag erwähnt, die scheinen auch gute Bücher zu haben. "Bärenspaß", "Mega" und "einfach stark" :) Danke sehr.

    Hallo,


    woher weißt du, dass das gute Bücher sind? Ich kann keine Beispielseiten aufrufen. Was macht denn für dich ein "gutes DaZ-Buch" aus?


  • Die Kids werden bestimmt ziemlich schüchtern sein, verstehen sie doch meistens wenig bis gar nichts. Deswegen gib ihnen einen klaren Tagesablauf, der möglichst immer gleich beginnt und gleich endet, sodass sie sich an eine (Schul)Struktur gewöhnen, anstatt ihnen direkt zu Anfang selbst die Wahl zu lassen.

    Halte dich am besten an die Vorschläge von Seven und etlichen anderen hier.


    Stell dir mal vor, du kommst (nach traumatisierender Odyssee) nach Kambodscha. Du sitzt dort in einer Schule, in der du niemanden verstehst, keinen kennst, null Abläufe beherrschst, nicht weißt, wie und was dort gegessen wird, wie lange ein Schultag geht, was die Lehrer erwarten, wie diszipliniert wird, wie die Kinder miteinander spielen, ob man aufstehen muss, wenn man eine Antwort gibt, Schuluniform nötig ist, von oben nach unten oder links nach rechts geschrieben wird, jeder Laut ein Symbol hat oder jedes Wort eines, Mädchen und Jungen getrennt oder zusammen sitzen...


    Kurz: das Leben ist Chaos. Und dann sagt jemand zu dir: "auf was hättestn du so Lust?"


    Du brauchst ein brauchbares Lehrwerk, einen klaren Tagesablauf, der sich wiederholt, Symbole für den zeitlichen Ablauf (heute machen wir 1.,2.,3. ...). Von "wo befindet sich das Klo" bis hin zu Sich vorstellen, Essen, Uhrzeiten, Zahlen, erste Silben lesen... mach dir ein Programm, in das nicht viel Kompliziertes rein muss aber das was du planst, mache mit Bedacht.

  • Hallo,


    woher weißt du, dass das gute Bücher sind? Ich kann keine Beispielseiten aufrufen. Was macht denn für dich ein "gutes DaZ-Buch" aus?

    Hallo, danke für deinen Eintrag. Ich habe aber doch ganz gezielt das Wort "scheinen" gewählt. Es war keine Behauptung, sondern eine Frage :)

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