Lehramt nicht aus Berufung studieren?

  • Liebes Forum, vorerst kurz einige Daten zu mir.


    Ich bin in einigen Monaten mit meinem Bachelor BWL (FH) fertig. Solider Durchschnitt. Bundesland Hessen. Allerdings habe ich nach mehreren Praktika festgestellt, dass das "geregelte" Arbeiten mich in den Wahnsinn treibt. Sprich dieses tägliche Absitzen von 8 Stunden am Arbeitsplatz, meist auch noch am PC versauernd.


    Ich habe nun herausgefunden, dass ich die Möglichkeit hätte einen Master in Wirtschaftspädagogik zu machen. Als Zweitfach würde ich Mathematik wählen. Nach diesem Studium ginge es ganz regulär ins Referendariat und anschließend wäre ich für das Lehramt an Berufsbildenden Schulen berechtigt. Mich reizen am Lehrerberuf vor allem folgende Aspekte:


    -Mehr freie Zeiteinteilung als in anderen Berufen
    -Gestaltungsfreiraum (Mal kann man mit Folien arbeiten, mal mit Arbeitsblättern, oder die Schüler Gruppenarbeiten machen lassen, wie man eben möchte)
    -Finanziell abgesichert (zum einen im Job, zum anderen bis hin zum Job durch BAFöG und Ref-Gehalt) --> Keine lästige Suche mehr nach Werkstudentenjobs
    -Klares Berufsziel, und falls es doch nichts werden sollte kann ich immer noch irgendwie auf den BWL-Bachelor zurückgreifen


    Ich bin mir nur unsicher, ob mir der Beruf Erfüllung bringt und Spaß machen würde. Aber ich bin zu der Ansicht gekommen dass mir mittlerweile alles lieber ist als ein öder Bürojob ohne Gestaltungsfreiraum. Viel schlimmer kann es meiner Meinung nach gar nicht sein.


    In vielen Threads habe ich gelesen, dass man todunglücklich im Lehrerberuf wird und daran zerbrechen würde, wenn man nicht 100% dahintersteht und es mit Berufung macht. Mich interessieren deshalb vor allem die Antworten von denjenigen, die Lehramt nicht studiert haben, weil sie es lieben, sondern wegen vermeintlichen Vorteilen wie Geld und Ferien. Habt Ihr tatsächlich so hart zu kämpfen und große Probleme wegen Euren (falschen) Vorstellungen und Motiven, oder lässt es sich einigermaßen aushalten, oder liebt Ihr den Beruf sogar mittlerweile?


    Grüße, Gabelung.

  • Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, nur wegen den Kindern Lehrer geworden zu sein. Ohne die von dir genannten Vorteile, wäre ich wohl im Leistungssport geblieben. Obwohl der Job mitunter auch ziemlich fordernd sein kann, könnte ich mir nichts anderes mehr vorstellen. Das Unterrichten macht mir Spaß, das Geld stimmt und man hat noch genügend Zeit für Hobbies und ähnliches. Ich denke nicht, dass man sich als Lehrer unbedingt berufen fühlen muss. Allerdings sollte man auch keine Abneigung gegen Kinder bzw Jugendliche haben, oder Probleme, vor der Klasse zu stehen.

  • P-R-A-K-T-I-K-U-M


    Kontaktiere eine lokale Berufsschule, schildere in einem Absatz deine Situation und frage, ob du 1-2 Wochen hospitieren kannst.



    Bei Berufsschulen mit ihrer älteren Schülerschaft und vielen Quereinsteigern gibt es nicht so viele, die aus pädagogischer Berufung und feuchten Augen für strahlende Kinderblicke dort sind. Du solltest aber kein allzu introvertierter Typ sein, ansonsten kann es sein, dass du vor den Berufsschulklassen untergehst (je nach Bildungsgang). Darum der Praxistest.

  • In vielen Threads habe ich gelesen, dass man todunglücklich im Lehrerberuf wird und daran zerbrechen würde, wenn man nicht 100% dahintersteht und es mit Berufung macht.

    Ich denke, andersrum wird ein Schuh d'raus. Wer (nur) Lehrer geworden ist, weil er sich zu viel berufen fühlt, wird letztendlich untergehen. Wenn man meint, man muss zwanghaft Vorbild sein, sich für alle Schülerprobleme verantwortlich fühlt, sein Leben der Suche nach der perfekten Methodik widmet, wirklich jeden Schüler/in zu Höhen führen muss, sich selbst die Schuld für jeden Schulversager gibt, der befährt geradewegs die Autobahn zum Burn-Out.


    Man muss, wie in jedem Beruf auch, auch mal Fünfe gerade sein lassen, nach Feierabend auch mal an etwas anderes denken als an Schule, auch mal realisieren, dass man nicht alle Probleme dieser Welt im Alleingang lösen kann, und vor allem akzeptieren, dass manche Schüler sich einfach nicht helfen lassen wollen.

    »...Aus Mettwurst machste kein Marzipan! «
    Bernd Stromberg

  • :D Immer diese Mystifizierung des Lehrerberufes! Ich sehe mich keineswegs als "berufen", Lehrer zu sein, aber glaube, den Beruf eigentlich ganz gut zu machen, obwohl es nicht mein ursprünglicherTraumberuf war, und in der Regel bin ich mit meiner Wahl auch nicht unzufrieden. Die Formulierung "Berufung" gehört für mich in den religiösen Bereich. Lehrer ist ein Beruf. Warum fragt man das eigentlich nie Bankangestellte oder Landwirte, ob sie sich denn auch genug berufen zu ihrer Tätigkeit gefühlt haben?


    Ich persönlich habe auch noch niemanden kennengelernt, der tatsächlich am Lehrerberuf als solchem "zerbrochen" ist, vll. sollten auch derartige Formulierungen mal kritisch hinterfragt werden. Manche Leute sind sicher den Anforderungen nicht gewachsen, fühlen sich überfordert oder werden deshalb sogar krank und scheiden deshalb aus dem Dienst aus. Mit mangelnder Berufung hat das aber in der Regel nichts zu tun.


    Wenn dich der Beruf interessiert: mach ein Praktikum, wie hier schon empfohlen, überprüfe, wie du dich vor einer Klasse fühlst, sprich mit erfahrenen Kollegen, die dir ungeschönt Pro und Contra dieser Tätigkeit schildern können. Viel Erfolg!

  • Zitat

    Mich reizen am Lehrerberuf vor allem folgende Aspekte:


    -Mehr freie Zeiteinteilung als in anderen Berufen
    -Gestaltungsfreiraum (Mal kann man mit Folien arbeiten, mal mit Arbeitsblättern, oder die Schüler Gruppenarbeiten machen lassen, wie man eben möchte)
    -Finanziell abgesichert (zum einen im Job, zum anderen bis hin zum Job durch BAFöG und Ref-Gehalt) --> Keine lästige Suche mehr nach Werkstudentenjobs
    -Klares Berufsziel, und falls es doch nichts werden sollte kann ich immer noch irgendwie auf den BWL-Bachelor zurückgreifen


    Nun ja: Das sind natürlich alles nur Sekundäraspekte, die mit dem Kern des Jobs nichts zu tun haben. Und schlechte LehrerInnen, die nur aufgrund vermeintlicher pragmatischer Vorteile Lehrer wurden, gibt es mehr als genug.


    Dass man nicht NUR Lehrer wird, weil man Kinder liebt oder so, ist natürlich in Ordnung und wird in der Regel so sein. Trotzdem kann man diesen Job imho nicht nur wg. der Liebe zu Sekundäraspekten wollen.


    Was Dir klar sein muss: Lehrersein heißt, mit Menschen zu arbeiten, und zwar nicht in einer Weise, wie z. B. ein Zahnarzt mit Menschen arbeitet, für den sie - überspitzt gesagt - eher Teil einer Apparatur sind. Sondern mit Menschen im Vollsinne, auf die Du Einfluss nehmen willst. Und das ist auf Dauer schwer und hat seine eigenen sehr unangenehmen Seiten. Was vor allem daran liegt, dass die Menschen am Ende machen, was SIE wollen, und das stimmt nur zum Teil mit dem überein, was Du willst.


    Du solltest jedenfalls Spaß an der Arbeit mit Menschen und mit Deinem Fach haben, gern erklären etc.


    Dass Du den Beruf im Moment über Sekundäraspekte betrachtest, muss aber gar nicht heißen, dass er nichts für Dich ist. Wenn Dir diese Dinge gefallen, schau halt, ob Dir die Arbeit selbst (!) auch gefällt. Praktika zu machen, ist da nicht verkehrt.


    Wenn es gut läuft, wirst Du vielleicht überrascht. Lehrersein kann auch sehr geil sein - auf jeden Fall gibt es Momente der Zufriedenheit oder sogar des Glücks, die Du im Kampf mit Locher und Büropalme sicher nicht hast.

    • Offizieller Beitrag

    Ich schließe mich meinem Vorredner an - die vom TE genannten Aspekte sind Sekundäraspekte, die sicherlich auch irgendwo zum Tragen kommen, jedoch in meinem Fall nicht berufswahlentscheidend waren.


    Für mich wären folgende Fragen relevant:


    - möchte ich mit Jugendlichen oder jungen Erwachsenen sehr eng zusammenarbeiten?
    - möchte ich diesen Menschen tagtäglich Wissen und Kompetenzen sowie sozialadäquates Verhalten vermitteln?
    - möchte ich auch mit den persönlichen Problemen dieser Menschen tagtäglich konfrontiert werden - inklusive der Probleme, die sie in der Schule machen?
    - halte ich den instutionell bedingten Stress langfristig physisch und psychisch aus?
    - kann ich damit umgehen, dass in regelmäßigen Abständen eine neue pädagogische Sau durchs Dorf getrieben wird und ich das Ganze als Landesdiener brav umsetzen darf und konzeptionell entwickeln darf, um es nach fünf Jahren wieder in die Tonne zu kloppen?
    - schaffe ich es, schulische Probleme dort zu lassen, wo sie hingehören, d.h. kann ich zu Hause abschalten?
    - macht es mir etwas aus, aufgrund meiner Profession oder des Beamtenstatus als Sündenbock der Nation zu gelten? Oder anders gefragt: Schaffe ich es, über den typischen Stammtischparolen zu stehen und solche Dinge an mir abprallen zu lassen?
    - habe ich eine hohe Frustrationstoleranz und kann zwischen Dingen differenzieren, die sich an mir persönlich und Dingen, die sich an meiner Rolle als Lehrer festmachen?


    Gruß
    Bolzbold

  • Ich bin Profi, ich arbeite für Geld - und ich liefere gute Leistung für gutes Geld. Nicht mehr und nicht weniger.

    • Offizieller Beitrag


    Und: hab ich ein Faible für meine Fächer?
    Und noch wichtiger: Beherrsche ich sie? Kann ich sie flexibel anwenden, ummodeln, anpassen, in die Tiefe wie in die Breite, je nach Klasse/Kurs?
    Humor muss sein, aber auch der nötige Ernst.


    Berufung ist ein Mythos, Professionalität ist wichtiger.


    Zitat

    Mich interessieren deshalb vor allem die Antworten von denjenigen, die Lehramt nicht studiert haben, weil sie es lieben, sondern wegen vermeintlichen Vorteilen wie Geld und Ferien. Habt Ihr tatsächlich so hart zu kämpfen und große Probleme wegen Euren (falschen) Vorstellungen und Motiven, oder lässt es sich einigermaßen aushalten, oder liebt Ihr den Beruf sogar mittlerweile?


    DAS - Geld&Ferien - ist allerdings wirklich ein bisschen wenig. Solche Leute müssen zwar nicht unbedingt hart kämpfen, oft/öfter/manchmal sind das dann die klassischen Wegducker... aber das Kollegium und die Schüler kämpfen dann hart mit deren ...Hinterlassenschaften. Die Selbstwahrnehmung der besagten Exemplare ist allerdigs gar nicht so negativ: sie haben ja nun die Ferien und das Geld... ;)

  • Das mit dem Faible für die Fächer stimmt. Wenn man lange genug im Job ist, dann kriegt man immer wieder um die Ecke mit, wie schlecht und öde der Unterricht von Kollegen ist, die eher schwankendes Wissen in ihren Fächern haben, und wie schnell das die Schüler mitkriegen und (zu Recht) verstimmt darüber sind...


    Nele

  • Ich bin Profi, ich arbeite für Geld - und ich liefere gute Leistung für gutes Geld. Nicht mehr und nicht weniger.


    Und, hilft das hier?


    Imho geht es hier um die falschen Dichotomien. Die Frage ist, wie man in den Stand kommt, in einem Bereich gute Leistungen (für Geld) zu bringen.


    Und im Lehrerberuf dürfte es kein günstiger Indikator sein, wenn man sich vor Ergreifen des Berufs primär mit Gehaltstabellen, Dienstzeiten und der Frage, was man NICHT will, befasst hat.


  • -Mehr freie Zeiteinteilung als in anderen Berufen


    Überschätze das mal nicht. Ich (und die allermeisten meiner Kollegen, die ebenfalls eine volle Stelle haben) habe eine 50-Stunden-Woche. - Wenn nicht gerade Arbeitsspitzen sind, dann auch gerne mal mehr. Wieviel Zeit man sich davon wirklich "frei einteilen" kann, magst Du Dir selbst ausrechnen.

    Zitat

    -Gestaltungsfreiraum (Mal kann man mit Folien arbeiten, mal mit Arbeitsblättern, oder die Schüler Gruppenarbeiten machen lassen, wie man eben möchte)


    Nee, nicht "wie man eben möchte", sondern wie das Thema, das Lernziel und die Lerngruppe es nötig (und die Ausstattung der Schule möglich) macht.


    Die finanzielle Absicherung hast Du auch als Verwaltungsbeamter.


    Was man mitbringen sollte, um in diesem Beruf zufrieden zu sein, haben meine Vorredner schon treffen beschrieben.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.


  • Und, hilft das hier?


    Ja, insofern, dass das ja die Frage war - kann mit mit dem Lehrerberuf glücklich und zufrieden werden, wenn man es nicht aus "Berufung" gewählt hat. Hätte ich vielleicht klarer ausdrücken sollen: ich finde den Beruf gut, er macht mir Spaß und bilde mir ein, dass ich ihn auch ganz gut hinkriege, ohne ständig auf Freizeit, Hobby und Privatleben zu verzichten. Die intellektuelle Befriedigung, die man an der Schule ohnehin nicht finden kann, muss man sich woanders suchen; persönlich glaube ich auch, dass man als Lehrer auf Dauer verödet, wenn man aufhört, den Kopf zu trainieren.


    Ich habe nicht auf Lehramt studiert sondern bin als Literaturwissenschaftler und Historiker ohne Didaktik- oder Pädagogikstudium da reingekommen. Nichtsdestotrotz bin ich nur deshalb Lehrer, weil ich Geld verdienen muss. Würde ich jetzt eine Fantastilliarde im Lotto gewinnen, wäre ich noch genau so lange im Job, bis ich meine laufenden Kurse abgewickelt habe. Wie gesagt - ich bin Profi und arbeite für Geld und gebe gute Leistung für gutes Geld.


    Die unbedingte Voraussetzung ist, dass man mit Menschen umgehen kann. Didaktik ist ein Handwerk, dass man lernen kann. "Mit Menschen können", ist nur begrenzt erlernbar - wenn man sich da zwingen muss, wird man im Beruf auf Dauer nicht glücklich werden.


    Nele

    2 Mal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Ja, insofern, dass das ja die Frage war - kann mit mit dem Lehrerberuf glücklich und zufrieden werden, wenn man es nicht aus "Berufung" gewählt hat.


    Nun, da bin ich ganz d'accord.

    Würde ich jetzt eine Fantastilliarde im Lotto gewinnen, wäre ich noch genau so lange im Job, bis ich meine laufenden Kurse abgewickelt habe.


    Ein verlockender Gedanke, stimmt schon.

    • Offizieller Beitrag

    Also ich mach den Job noch so gern dass ich weiter arbeiten würde, gewänne ich ein paar Millionen - aber jedes Mal, wenn mir irgendjemand mit irgendwas Nervigem auf den Keks ginge, würde ich es genießen zu sagen: "Wissen Sie, ich muss das hier nicht machen... deshalb mach ich's auch nicht so - sondern so. Feuern Sie mich doch :P ..."

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Zerbrechen kann man an dem Job so oder so.
    Ich würde von mir behaupten, dass ich den Job aus Berufung heraus mache. Ich kenne aber viele super Lehrer, für die das Zweitwahl war. Und happy sind sie trotzdem.
    Mach ein Praktikum. Dann findest du raus, ob dir das einfach liegt. Oder halt nicht :)

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Ich hatte nach dem Abi eine Ausbildung als Bankkauffrau gemacht und bin todunglücklich geworden, da ich jeden Tag von 07.30 bis 16.30 im Büro arbeiten war. Danach habe ich auch Wirtschaftspädagogik studiert. Allerdings hatte ich nie Zweifel, ob dieser Beruf das Richtige für mich ist. Berufung ist ein zu anspruchsvolles Wort.
    Trotz hoher Belastung und Beanspruchung bin heute gerne Lehrerin. In meinem Job in der Bank war ich wesentlich gestresster und unglücklicher.

  • Danke Euch für die zahlreichen Antworten!


    marie74, mit deinem Beitrag kann ich mich sehr gut identifizieren. Ich weiß dass es mir genauso gehen würde, deshalb möchte ich die Reißleine nun rechtzeitig ziehen. Ich bereue mein BWL-Studium trotzdem nicht, da es mir gezeigt hat wo ich NICHT hinwill. Auch diese Erfahrung ist eine Menge wert. Ich denke sie wird mir für die Zukunft die nötige Kraft geben, das Wirtschaftspädagogik-Studium und das Referendariat durchzustehen.

  • Gabelung


    Viel Spaß beim Studium der Wirtschaftspädagogik ;)


    Übrigens unterrichte ich heute vertretungsweise bzw. als Abordnung Geographie in Klasse 5 an einem Gymnasium. Wo einen so ein Studium überall hinführt.

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