Erfahrungen mit Auffangklassen

  • Hallo zusammen,


    ich werde vermutlich ab dem neuen Halbjahr eine Auffangklasse leiten.


    Mich würde interessieren, ob jemand von euch in diesem Bereich Erfahrungen hat und evtl Tipps geben kann? (Materialien, Inhalte, Wie beginnt man mit den Kindern?, wie macht ihr euch verständlich?, Umgang mit traumatisierten Kindern...)


    Es wär toll, wenn wir uns austauschen könnten.


    LG TanjaLotte

    • Offizieller Beitrag

    Was ist denn mit Auffangklasse gemeint? Hat das was mit Flüchtlingen zu tun?

  • Ich habe die gleiche Frage wie Trantor. Zunächst dachte ich an eine Auffangklasse, wie ich sie kenne, wo die Kinder hingehen, die nicht in der Klasse tragbar sind, also für die nächsten Stunden.
    Ich vermute aber, dass du etwas anderes meinst und denke auch an Flüchtlinge, die du über einen gewissen Zeitraum haben wirst.
    Um dir zu helfen muss man wissen wie viele Kinder welchen Alters wie lange die Klasse besuchen. Sind sie auch noch an andere Klassen gekoppelt? Oder bist du vorerst die Klassenlehrerin?

  • Hallo,
    Also es wird sich bei der Auffangklasse um eine Klasse mit syrischen Flüchtlingskindern handeln. Da ich an einer Grundschule unterrichte werden sie vermutlich im Alter von 6-11 Jahren sein. Ich werde dort erstmal als eine Art Klassenlehrerin agieren, bis wir beurteilen können, in welche Klasse die Kinder gehen können.
    Ich habe noch keine Ahnung wie viele Kinder kommen und wie der Sprachstand ist. Gehe aber davon aus, dass kaum Deutschkenntnisse vorhanden sind.
    Lg Tanjalotte

  • wie macht ihr euch verständlich?


    Das würde mich auch mal interessieren, insbesondere, wenn man keine gemeinsame Sprachbasis hat.


    Umgang mit traumatisierten Kindern...


    Welcher normale Lehrer hat sowas gelernt?


    M.E. gehören diese Kinder als erstes in eine ordentliche psychologische Betreuung und in einen Sprachkurs.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Ich habe so eine Klasse direkt nach der Ausbildung aufs Auge gedrückt bekommen (Grundschule), weil ich neu an der Schule war und weil es keiner machen wollte.


    Am Anfang war es schwer und ich bin fast verzweifelt.
    Die große Altersspanne, die unterschiedlichen Fähigkeiten (manche Kinder kannten kaum einen Buchstaben, geschweige denn Schreiben oder Rechnen, andere waren so fit wie ein Drittklasskind), die Traumatisierung, die mangelnde Kommunikation mit den Eltern, auch ne relativ große Aggressivität und kaum frustrationstoleranz untereinander gabs. Kinder die kaum sprechen konnten, die nur 30% auf einem Auge sahen, die geistig und lernbehindert waren. Alle saßen bei mir in der Klasse. Sie werden ja vorher nicht wie bei der Einschulung abgetestet, auch keinen körperliche Untersuchung gibts. Ein Kind hatte ein Geschwür...
    Die Eltern hatten kein Geld und kein Sprachverständnis um die Materiallisten einzukaufen. Man konnte nicht erfahren, wielange sie schon in D sind, was zu Hause passiert, dass mal eher Schulschluss ist, dass die Kinder nen Elternbrief unterschreiben müssen. Das organisatorische war furchtbar. Und alle drei Wochen kam ein neues Kind in die Klasse, das wieder kein Wort verstand, nicht wusste was ein Bleistift ist usw.


    Zum Unterricht: Man steht halt wie ein Dirikent da vorne und mcht ganz viel mit Gesten und der Mimik. Mach viel vor und arbeitet mit vielen vielen Bildern. Ich hatte auch keine Ausbildung zum Englisch unterrichten. Man sagte mir, das sei so ähnlich. Man lernt am Anfang die Zahlen, die Farben und die Schulsachen. Also Wortschatzarbeit in vielfältigen Übungsformen. Gleichzeitig lernt die "schwache" Gruppe mündlich mit und lernt halt nach und nach die Buchstaben. Es war eine Art Schichtunterricht. Mal mussten die einen leise arbeiten (haha, klappt natürlich kaum) und mit den anderen wurde etwas erarbeitet, dann wurde gewechselt. Ich war den ganzen Tag alleine zu weihnachten waren es schon 20 kinder, kurz darauf 24. Ich hatte eine einzige Differenzierungsstunde die woche, die regelmäßig ausfiel. Nach der Pause gings meistens um streitereien. Auch gibts Kinder die fast den ganzen tag durch weinen. Da kommmen einfach alle beteiligten zu kurz. Es war ein sehr anstregendes jahr, aber es ist auch schön zu sehen, wie sich das deutsch der kinder verbessert und inhaltlich fand ich das jahr auch spannend, wobei ich selbst erst gerne ein bisschen mehr unterrichtserfahrung gesammelt hätte. Ich hab viel arbeit in diese klasse und in die disziplin und das arbeitverhalten der klasse gesteckt und diese klasse ein weiteres jahr geführt und es war ein grandioses jahr. man ist lehrplan und proben mäßig recht frei, das deutsche wurde immer besser. aber am anfang ist es hart.

  • Was Vasara beschreibt ist wirklich irre. Wieviel kann man von Menschen eigentlich verlangen?


    Ich kann leider nicht mit Erfahrung dienen. Wenn ich sowas machen müsste, würde ich mir als erstes ein Buch zur DaF-Didaktik besorgen. Außerdem einen Tagesverlauf überlegen, der immer und immer gleich abläuft + Symbolen zum Abhaken.
    Z.B. so:
    1. Stillarbeit (Stationen mit DaF-Kopiervorlagen oder -Heften/ Mathe-Arbeitshefte, in denen man sich selbst zurechtfindet (Zahlenfuchs etc.)/ Papier und Stifte/ Bilderbücher, Musik mit Kopfhörern, sprachfreie Spiele, Kuschelecke) -> einzige Regel: ich bin leise und mache irgendwas
    2. Frühstück am Platz
    3. Hofpause
    4. Frontalunterricht (wir sagen unseren Namen, wir lernen grundlegende Vokabeln von Alltagsgegenständen, hängen Wortkarten im Zimmer auf, sprechen immer wieder dieselben Sätze)


    Und nur das Nötigste mitbringen lassen oder selber besorgen. Mehr als einen Bleistift brauchts erst mal nicht. Außerdem dem Schulamt auf die Nerven fallen, dass du passende Arbeitshefte brauchst und einen Dolmetscher für die Elternarbeit. Wenns nicht so viele Kinder sind, würde ich die Eltern vielleicht sogar einladen, am Anfang dabei zu bleiben.

  • Oje, liebe Tanjalotte, da wirst du viele Ressourcen brauchen.


    Zunächst wirst du nach dir selbst schauen müssen, denn traumasierte Kinder merken sofort, wenn etwas mit dir nicht stimmt und reagieren nach Verhaltensmustern, die ihnen bislang geholfen haben. Manche verschließen sich, andere drehen auf. Wichtig ist also, dass du nie mehr als 100% gibst, so dass du ausreichend Kraft hast.Und das möglichst immer und an jedem Tag.


    Bedenke den Klassenraum als 3. Pädagogen. Baue dort Rückzugsmöglichkeiten ein, wo sich ein Kind zurückziehen kann, wenn es nicht mehr kann. Oft bürden sie sich zuviel auf.


    Arbeite zunächst vorrangig an eurer Beziehung zueinander. Wenn diese stimmt, trägt sie euch durch schwierigere Situationen. In diesem Sinne würde ich versuchen ein gemeinsames Frühstück einzuführen. Damit du das nicht finanziell stemmen musst (was du auch echt nicht sollst), strecke deine Fühler aus, in Richtung einer Kindertafel. Die gibt es in größeren Orten und mit einem gesunden Frühstück zur Tageshälfte kannst du ganz viel erreichen.


    Versuche Computer für deinen Klassenraum zu organisieren. Internet wäre natürlich ideal, weil du so von den zahlreichen Online-Lernspielen profitieren kannst. Aber auch sonst sind PCs sehr hilfreich. Die guten Kinder können dort versuchen etwas zu versprachlichen und Word gibt ja auch Hilfestellung bei der Grammatik. Wenn du dann noch günstig ein paar Lernprogramme aufspielst, kannst du viele Situationen deeskalieren.


    Wie Pausenbrot schon schreibt, brauchst du eine immer gleichbleibende Struktur. Das bietet Sicherheit für die Kinder.


    Auch würde ich versuchen über die Öffentlichkeit (Kleinanzeigen, Facebookgruppen, Zeitungsartikel ...) Materialien zu bekommen. Hier fällt mir einen Menge ein, was Menschen spenden würden. Beispielsweise eine Puppenküche (Wortschatzarbeit, aber auch zum Spielen und zum Erklären), Puppenhaus, Kissen für eine Sitz- und Rückzugsecke, Lernspiele (Uhr, Zahlen, Reimspiele), Wörterbücher (Grundschulwörterbuch, aber auch zweisprachige Wörterbücher), PC-Lernspiele, Pflanzen, Bücher, Bilderbücher, Vorleseoma oder -opa ;) . Oder vielleicht findest du auf diesem Wege auch Freiwillige, die mit dir Material basteln wollen!
    Das musst du natürlich mit der Schulleitung abklären, aber momentan wollen (noch) so viele Menschen helfen, so dass ich auf diese Ressource zurückgreifen würde.


    Am wichtigsten ist, dass du jede Lernsituation als Angebot an die Kinder siehst und dich nicht ärgerst oder verärgert reagierst, wenn es nicht angenommen wird, auch wenn du sehr viel Herzblut hineingesteckt hast. Das hat nichts mit dir, sondern ALLES mit dem Kind und seiner Geschichte zu tun. Jeder Tag ist ein neuer Start.

  • Und immer dem Schulträger auf den Wecker gehen, in du immer wieder schreibst, welche Materialien usw. du für die Arbeit mit den Kindern brauchst.
    Und auch immer dem Kultus oder wem auch immer auf den Wecker gehen, in dem du auf Fortbildungen und/ oder Coachings o.ä. bestehst.
    Und denk auch daran, dass die Kinder nicht aus unserem Kulturkreis kommen und deswegen vielleicht nicht diese modernen Lernmethoden verstehen. Wenn sie aus "autoritären" Kreisen kommen, wo der Vater oder das weibliche Familienoberhaupt das letzte Wort haben, sind die vielleicht daran gewöhnt, dass du tun, was du als Lehrer sagst. Und vielleicht ist dann Frontalunterricht mit konkreten Aufgaben und festen Arbeitsaufträgen besser geeignet.

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