Hier der Artikel: "Lernen 2.0 Hamburg stoppt WLAN an Schulen "
Hier sind meine didaktischen Grundüberlegungen, die ich im Rahmen einer Facebook-Diskussion zu dem Thema gepostet habe. Vielleicht ist es ja von Interesse!
*Seufz* Die Linien, in denen so eine Diskussion verläuft, sind immer so entsetzlich vorhersehbar. Ich sag mal was zu meinen eigenen didaktischen Prinzipien. Diskutieren werde ich das hier aber nicht großartig.
1. Beim Umgang mit allem neuen ist das pädagogische Grundprinzip, seit es die Schule gibt, Misstrauen. Das ist problematisch.
Der erste Gedanke ist immer, ob und inwieweit Schüler ihre neuen Möglichkeiten missbrauchen werden. Einfache Frage, einfache Antwort - ja, werden sie. Schon immer wurden Briefchen oder böse Lehrergraffiti geschrieben oder gezeichnet, verbotene Heftchen gelesen, im Unterricht Walkman gehört, sogar Pornographie getauscht (Hui!) oder bei volljährigen Schülern Entschuldigungen für's Schwänzen fingiert. Natürlich werden die Schüler im Unterricht auch Facebook lesen oder simsen. Pädagogische Arbeit ist das geduldige Bohren dicker Bretter - wenn ich Schüler zu einem verantwortungsvollen und sinnvollen Umgang mit elektronischen Medien führen will, darf ich nicht vom Verbotsprinzip ausgehen, sondern muss ihnen in einer pädagogisch und didaktisch gesteuerten Umgebung die Gelegenheit geben, das auch zu lernen. Dass bei der Frage, wie diese Lernumgebung gestaltet werden soll, die persönliche Reife der Schüler ein wichtiger Faktor ist, steht außer Frage. Aber das ist bei anderen Möglichkeiten und Freiheiten auch nicht anders. Wir reden hier immerhin über einen Prozess, der ggf. Jahre dauert. Persönlich bin ich der Überzeugung, das Vertrauensvorschuss und ein Bild vom Schüler als von einer prinzipiell anständigen und verständigen Person auf lange Sicht der beste Zugang ist; ich bin in meiner mittlerweile 11-jährigen Berufszeit da auch noch nie ernsthaft enttäuscht worden.
2. Vorsicht vor Rationalisierungen ideologischer Positionen!
Jede Diskussion im Bildungswesen ist ideologiegesättigt. Das sieht man schließlich auch in diesem Thread. Das gilt für die Pro-Seite, die in elektronischen Medien schlimmstenfalls so eine Art Erlösungstechnologie sieht, die von Bums auf jetzt das Lernen für immer revolutioniert und alles Antiquierte vergessen machen wird; aber auch für die Contra-Seite, die jede technische Veränderung als Teufelswerk, Zerstörung des humboldtschen Bildungsideals und Untergang des westlichen Abendlandes sieht. Für den Lehrer ist deshalb wichtig, einen Überblick über solche Diskussionen in der Vergangenheit zu haben - da wird man dann sehen, dass die gesundheitlichen Gefahren die heutzutage mit der "Bildschirmfixiertheit" gesehen werden, in ähnlicher Form im 18. und 19. Jh. mit der Romanlektüre verbunden wurden: Das zu viel Lesen schlechte Augen macht, hat mir noch meine Oma gesagt und dass Romanlektüre den Geist - vor allem von Frauen - unnötig aufreizt und den Leser sozial veröden lässt, wurde schon damals von besorgten Pädagogen mit erhobenem Zeigefinger verkündet. Schund- und Schmutzliteratur sorgten zu Beginn des 20. Jh. zur gleichen Verrohung und Entsittlichung wie heutzutage die perversen Killerspiele(tm), Comics führten genauso zum Analphabetismus wie heutzutage SMS. Aber auch für die umgekehrte Richtung finden sich zahllose Beispiele: ich habe in der Schule noch das Sprachlabor kennen gelernt, das aus heutiger sprachdidaktischer Sicht einem derart abstrusen Gedanken folgt, dass man sich heutzutage fragt, wie man darauf kommen konnte. Naja, Skinner war's und das behavioristische Lernen war mal das Lernen der Zukunft und die letzten aller Lerntechnologien; genauso wie die Multimediadidaktik in den 90ern beschrieben wurde. Meine persönliche Quintessenz als Didaktiker und Pädagoge: sich verändernde Technologien und Medien in einer Kulturlandschaft sind in unterrichtlichen Kontexten primär nicht gut oder schlecht sondern einfach nur Veränderung. Gekocht wird dabei immer mit Wasser und meine Aufgabe ist, in der Schule die Realität aufzugreifen und als Lehrer daraus für Schüler Potenziale zu schaffen.
3. pädagogisches und didaktisches Ziel
Für mich als Didaktiker misst sich der Unterricht egal in welchen Kontexten immer an der Realität - Unterricht, der nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, führt zu nutzlosem antiquarischen Wissen, das für Günter Jauch geeignet ist aber zu sonst nichts. Ich halte mir zugute, als einer der älteren Digital Natives (ständiger Kontakt mit Computern seit 1978) ziemlich gut mit dieser Technologie umgehen kann und sie im Alltag jederzeit sinnvoll für Wissensfragen und kulturellen Dingen einsetze. Ich empfinde den ständigen Internetzugang als EXTREME kulturelle Bereicherung und, nein, ich poste nicht nur Katzenfotos. Allein die Arbeit im Job ist für mich dank der heutigen Recherchemöglichkeiten dramatisch einfacher und leichter geworden. In meinen pädagogischen und didaktischen Zielen setze ich mich selbst als Vorbild für meine Schüler ein - ich möchte ihnen die Leichtigkeit und Effizienz vermitteln, mit der ich mir das technische Potenzial um mich herum zu Nutze mache, aber auch ein kritisches Bewusstsein und Misstrauen dem gegenüber, dem man da begegnet, wobei das Ziel nicht Schutz sondern souveräne Eigenverantwortung ist! Ich bin ja nicht umsonst in so vielen skeptischen Kontexten im Internet tätig. Deswegen ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt der Medienpädagogik und -didaktik, dass diese nicht etwas werden, was gegenüber dem eigentlich Unterricht steht ("Heute gehen wir mal in den Computerraum!") sondern integraler, normaler und unspektakulärer Bestandteil des Lernens; elektronische Dokumentation, Präsentation, Recherche als Alltagstätigkeit in der Schule genau so, wie sie es im "real Life" der Schüler sein soll. Dazu braucht man als Lehrer natürlich auch die didaktische Phantasie und vor allem das technische Wissen über Möglichkeiten und Grenzen der Technik, um so etwas umzusetzen!
4. Grenzen
Ein ganz zentrales Konzept bei der Frage des Einsatzes jeglicher didaktischer Methoden, Techniken, Materialien etc., also auch der Elektronik, ist die nach dem Mehrwert. Wenn eine Entscheidung im Unterricht mehr Resourcen verbraucht als der Nutzen rechtfertigt, dann ist die Entscheidung falsch - wobei die Frage nach Nutzen und Resourcen sehr weit gefasst ist und beleibe nicht nur materiell gesehen darf. So manche pädagogische Entscheidung, die in der unmittelbaren Situation wie eine Zeitverschwendung aussieht, hat langfristig gesehen einen sehr großen Nutzen! Solche Erwägungen muss man aber pragmatisch und unvoreingenommen machen; wann ist etwas technisches Chichi mit Geblinke und Getute (sattsam bekannt in der Form von Powerpoint-Präsentationen) wann wird, z.B. der Einsatz eines Smartboards und einer Tonanlage als unterstützendes Werkzeug (z.B. der Recherche von englischer Aussprache über Forvo.com) sinnvoll; oder eine Lernplattform zur asynchronen Kommunikation und Verlagerung des Unterrichtsgeschehens aus dem Klassenraum heraus? Das ist aber nicht anders als bei "traditionellen" Medien und Materialien. Die Materialschlachten mit Papiergeschnipsel, die Referendare bei ihren Unterrichtsbesuchen vorführen müssen, sind in der Alltagsarbeit vollkommen unrealistisch und ineffizient. Die Frage des Mehrwerts zeigt sich aber auch in den logistischen Gegebenheiten - wenn ich als Lehrer die Technik erst herbeischleppen und mühsam aufbauen muss, dann sind die Resourcen größer als der Nutzen, allein schon, weil ich zu viele wertvolle Unterrichtszeit verloren geht.
5. Summa summarum
Die erste und wichtigste Gelingensbedingung für eine sinnvolle Mediendidaktik ist die technische und didaktische Kompetenz des Lehrers. Eine Technologie kann noch so viel Potenzial haben - wenn der Lehrer nicht damit umgehen kann oder - schlimmer noch! - will, dann ist ihr Einsatz vergeblich und nicht zielführend. Glücklicherweise erlebe ich bei dem zweiten Punkt mehr und mehr einen Generationswechsel, den ersten Punkt berühre ich grundsätzlich, wenn ich Referendare im Ausbildungsunterricht habe. Zweitens ist das natürlich auch eine Frage der schulischen Ausstattung. Internetzugang, digitale Projektionsmöglichkeiten, Netzdrucker, Online-Plattformen müssen ganz alltägliche Werkzeuge sein, genauso wie Kopierer, Overheadprojektor und CD-Spieler. Wenn es gelingt, die elektronischen Medien an der Schule so unspektakulär, undramatisch und praktisch zu machen, wie sie es im Real Life schon sind, dann kann Mediendidaktik auch nachhaltig und wirksam geschehen. Wenn Wege aus irrationalen und ideologischen Gründen verbaut werden, wie es in Hamburg geschieht, dann wird ein schwerer Fehler begangen!