Liebe Lehrer und Lehrerinnen, ich brauch einen Rat von Euch!
Mein Sohn besucht die erste Klasse einer Grundschule in einem sehr kleinen Dorf in Bayern.
Er war immer eher ruhig und manchmal etwas ungewöhnlich verständig, aber wir meinten, dass wir da eben Glück hätten, ein so vernünftiges Kind bekommen zu haben, so dass wir bei der Einschulung auch nicht mit größeren Schwierigkeiten rechneten.
Im Kindergarten gab es mal einen Zwischenfall, dass er etwas nicht so malen wollte, wie es ihm vorgeschrieben wurde und daraufhin verweigerte er das Malen komplett, aber nach einigen Terminen bei einem Ergotherapeuten wechselten wir auf dessen Rat hin den wirklich nicht sehr guten Kindergarten, weitere Ergo-Massnahmen wurden uns trotz seiner Ungeschicklichkeit nicht angeraten, im neuen Kiga war bis zur Schule auch alles ok.
Er hat schon ziemlich lang ein gutes Zahlenverständnis, kann gut abstrakte Zusammenhänge erkennen etc.pp., aber da ich selbst ein ziemlich "altkluges" Kind war, das damit in der Schule viele Probleme hatte und ich stets das schlechte Beispiel meiner förderwütigen Schwester vor Augen hatte, die ihre Kinder in meinen Augen masslos "überfordert", sahen wir bis auf gelegentliche Rechenspielchen davon ab, ihn in irgendeine Richtung zu "trimmen" und achteten darauf, dass er schwimmen, radfahren etc. lernt. Dinge also, die ihm schwerer fallen als anderen, bewegungsbegabteren Kindern.
Mit der Schule erkannte ich plötzlich mein Kind nicht wieder. Die Hausaufgaben waren für alle Beteiligten eine regelrechte, oft tränenreiche Qual; er konnte keine Minute auf seinem Platz sitzen, die Hefte waren vermalt, verfleckt, zerknittert...
In den ersten Wochen brauchten wir nicht selten Stunden bis in den Abend hinein, um die Hausaufgaben zu schaffen.
In der Schule teilte mir die Lehrerin mit, dass mein Sohn im Unterricht aufstehe und herumlaufe, viel vom Stuhl falle, sich nicht konzentrieren könne und um sich herum ein endloses Chaos verursache.
Er sei aber, wenn sie ihn darauf anspreche, sehr höflich und einsichtig, entschuldige sich bei ihr und sei ausnehmend sozial im Umgang mit seinen Mitschülern.
In ihren Augen sei er ein "Überflieger" und sie liess auch das Wort ADS fallen. So etwas gäbe es "bei Ihnen" nicht, ob wir ihn von der zweiten in die dritte Klasse überspringen lassen würden?
Weil das für später wichtig ist: zu jeder Zeit habe ich mich sehr bemüht, der Lehrerin zu vermitteln, dass wir als Eltern nicht behaupten zu wissen, wie sich unser Kind bei ihr im Unterricht verhält - und dass mich ihre Einschätzung interessiert und ich sie respektiere, wenn ich sie mir auch nicht unbedingt zueigen machen muss.
Da mein Mann und ich ADS-Betroffene sind, meldeten wir ihn für eine Untersuchung an, derweil holte ich mir Hilfe und Rat zur Hausaufgaben-Bewältigung im Netz und in den drei Monaten Wartezeit *seufz* stellte sich allmählich eine Besserung ein.
Wenn ich gelegentlich in der Schule nachfragte, war kein Redebedarf, nein ich solle nicht zum Elternsprechtag kommen, es sei alles bis auf die Schludrigkeit, an der er arbeite, prima - das Loblieb auf meinen Sohn klang mir fast ein bisschen zu laut.
Bei der noch laufenden ADS-Untersuchung ergab sich dann Verdacht auf Hochbegabung, der aber noch nicht bestätigt ist - aber ob nun hochbegabt oder nicht, der Psychologe teilte uns mit, das Kind beherrsche den kompletten Stoff der zweiten Klasse (??) und wir sollten ihm Rechenaufgaben der 3./4. Klasse zum Üben geben, wenn er das wolle.
Wir machten von Anfang an klar, dass weder mein Sohn noch wir vom Springen begeistert seien und er riet uns, die Lehrerin zu bitten, ihm beim Rechnen andere Aufgaben zu geben. Bei der ADS sahen wir ohne "Leidensdruck" des Kindes bisher auch keinen Grund, bis auf die laufenden Untersuchungen etwas zu unternehmen (also keine Therapie, Medikamente etc.).
Die Lehrerin wollte ihm keine anderen Aufgaben geben, aber er war vorerst damit zufrieden, so schnell fertig zu werden, dass er nahezu keine Hausaufgaben mehr heimbrachte.
Wir dachten, wir könnten sein Rechentalent vielleicht nebenher "etwas Futter geben", Hauptsache, er ist glücklich in seinem Umfeld - wer, bitteschön, schöpft schon sein volles Potential aus?
Aber...
Seit einiger Zeit nun geht er gar nicht mehr gerne zur Schule - er hat zunehmend Strafarbeiten, weil er Hausaufgaben "vergessen" hat, von denen er gar nicht wusste, dass er sie aufhat, die Schrift ist eine einzige Katastrophe jetzt und in Rechenproben treten plötzlich etliche Fehler auf.
Vor einigen Tagen meinte er ganz unvermittelt, er wolle doch springen.
Dann bekam er eine Rechenaufgabe, bei der die Hälfte und das Doppelte der Zahlen von 1 bis 20 ermitteln sollte - mit (ungewöhnlichem) Feuereifer stürzte er sich darauf, liess sich zeigen, wie man "ein Halb" in Zahlen bzw. als Bruch schreibt und wir freuten uns, dass sich die Lehrerin nun scheinbar doch entschieden hatte, ihm mal eine Nuss zu knacken zu geben.
Gestern bekam er kommentarlos das Heft zurück, die Ergebnisse des Teilens der ungeraden Zahlen waren alle herausradiert. Er glaubt nun, dass er was falsch, in jedem Fall wohl "zu viel" gemacht hat
Zum ersten Mal übte ich vor meinem Kind Kritik an der Lehrerin, ich war einfach sauer und vor allem enttäuscht und es war mir wichtig, ihm zu sagen, dass er nichts falsch gemacht habe.
Nachdem ich wieder "unten" war von meiner Palme ging ich heute zur Lehrerin und fragte sie, ob sie ihm nicht versuchsweise vielleicht einmal Aufgaben der dritten oder vierten Klasse geben könne? Wir würden das Material die Arbeitsblätter auch bezahlen / besorgen, wenn das eine Hilfe sei.
Daraufhin sagte sie mir, dass mein Sohn sich weigert, Arbeitsblätter zu bearbeiten, die er schon kann und dies auch recht ruhig und bestimmt begründet. Er könne aber nicht alles, was gefordert sei und sie poche deshalb darauf, dass er die Blätter bearbeite. Einige andere Kinder fingen auch schon an, dass sie Aufgaben nicht mehr machen wollten und seit Ostern würden 40% der Kinder fast keine Hausaufgaben mehr machen, die Eltern würden sich "auf sie einschiessen". Uff.
Sie möchte unbedingt, dass mein Sohn im nächsten Jahr in die dritte Klasse springt (er liest und schreibt aber nicht besonders toll!!!) und auf meine Bedenken zum Sozialen wollte sie gar nicht eingehen. (er hat viele gute Freunde in der Klasse, ein Überspringen gab es hier noch nie, die "aufnehmende" Klasse benötigt zusätzliche Matheförderung, weil der Schnitt so schlecht ist und die "Stimmung" ist auch nicht sehr gut da).
Ich merkte, dass sie sehr in der Defensive war und dachte, es sei besser, das Gespräch ein andermal weiterzuführen - wie, das weiss ich aber gerade ganz und gar nicht.
Die neue Rektorin der Schule ist sehr modern und sicherlich aufgeschlossen, aber wenn ich jetzt zu ihr gehe düpiere ich doch damit die Lehrerin und das wäre gewiss nicht schlau? Aber wo ansetzen? Ich kann ihr doch schlecht vorschreiben, was sie wie zu machen hat?
Ich sage mal ganz überheblich als "nicht-Lehrer", dass sie geradezu krampfhaft (ängstlich?) an ihrem Konzept festhält, da auch drei oder vier Kinder sitzenbleiben werden, scheint das auch den schlechteren nicht so gut zu bekommen, aber das ist eben nur meine Einschätzung von aussen und als Laie.
Ich glaube beinahe, dass sie ihn schlichtweg loswerden will. Dass er die Klasse scheinbar regelrecht "aufwiegelt" hat mich zwar verblüfft, andererseits zeigt es aber doch auch ein ganzes Stück Mut und ist es denn so furchtbar falsch, wenn er sich weigert zu machen, was er schon kann?
Wenn sie ihm den Schneid abkaufen will, wäre da eine richtig schwere Aufgabe nicht geeigneter? Vielleicht eine, zu deren Lösung man genau die Methoden benötigt, von denen sie glaubt, dass er sie beherrschen müsste? Ich will ja nicht, dass sie mein Kind hintenrumhebt, aber wär das so viel Aufwand für eben nur *ein* Kind? Erwarte ich zu viel aus Eurer Sicht? Ich bitte um ehrliche Antworten, das ist keine rhetorische Frage.
Ich fragte sie, warum sie die Ergebnisse herausradiert habe. Sie meinte daraufhin, "für "uns" gibt es von den Zahlen 1,3,5... nicht die Hälfte" -
ähm, richtet sich das Zahlenverständnis von Kindern nach dem Lehrplan? Ist es so schlimm oder für Kinder zu viel, wenn man am Rande erwähnt, dass es (Zahlenstrahl lernen sie ja sowieso, da ist das doch ganz toll zu sehen) noch viel mehr Zahlen gibt, man aber erst einmal mit den Zahlen 1,2,3,4... rechnet? Jedes Kind kennt doch den Unetrschied zwischen einem halben und einem ganzen Kuchen....
Ach Leuts, ich weiss echt nicht weiter - ich bitte um Eure Sicht als Lehrer/innen
liebe Grüsse und entschuldigt bitte den Roman,
Steffi