Wie realistisch ist das Referendariat?

  • Hallo zusammen,


    ich habe hier schon verschiedene Beiträge zum Referendariat gelesen und weiß auch, dass der Schwerpunkt im Referendariat ein anderer ist als im eigentlichen Unterricht.
    Persönlich habe ich bisher auch noch keinen Kollegen getroffen, der die Dinge anwendet, welche er im Ref gelernt hat. Vielmehr sind mir Aussagen begegnet wie: "Ja das habe ich gelernt, aber ich habe keine Lust das umzusetzen." "Ja kann ich, aber ich hab keine Lust die Zeit dafür zu investieren" etc.


    Das Referendariat und die eigentliche Unterrichtspraxis sind ja in der Tat zwei paar Schuhe, allerdings frage ich mich: Wissen die Fachleiter das nicht, oder ignorieren sie es einfach?


    Wenn ich es jetzt, übertrieben wohlgemerkt daher bitte keine Kommentare in die Richtung, einmal einkoche, würde ich sagen: Im Ref lerne ich Methoden und Planungsvorgänge die ich im eigentlichen Beruf aus Zeit- und anderen Gründen nicht umsetzen kann. Also wozu dann das Ganze?


    Was die Reihenplanung angeht wurde einem Kollegen von mir im Seminar gesagt: "Die labern nur doof, dass man es ausprobieren müsse. Das bringst du dir selbst bei oder lässt es bleiben.


    so long,
    Grapadura

    • Offizieller Beitrag

    Der Tischlermeister wird in seinem Leben womöglich nur noch 2 oder 3 Mal ein Stück machen dürfen von der Qualität seines Meisterweks.
    Die meisten Köche kochen Sachen, die sie schon nach 3 Monaten Ausbildung kochen können.
    usw...


    Um "einfache Stunden" aus dem Ärmel zu schütteln, muss man nicht nur Routine haben, sondern auch komplexere Stunden halten können.


    Abgesehen davon: ich halte es für eine meiner größten Frustquellen, DASS ich eben nicht öfter "schöne Stunden" machen kann (ich spreche nicht von Feuerwerken... aber die wurden an meinem Seminar auch nicht erwartet). Eben aus Zeitgründen.


    chili

    • Offizieller Beitrag

    Vielmehr sind mir Aussagen begegnet wie: "Ja das habe ich gelernt, aber ich habe keine Lust das umzusetzen." "Ja kann ich, aber ich hab keine Lust die Zeit dafür zu investieren" etc.


    Ich habe noch nie einen Kollegen getroffen, der sagte er habe keine LUST, das umzusetzen. Jungkollegen arbeiten oft deutlich über 60 Std. die Woche und haben weder ZEIT noch überhaupt die MÖGLICHKEIT, irgendetwas außer dem reinen Überleben umzusetzen.


    Ansonsten lernt man im Referendariat durchaus einiges, was man später dringend braucht: Umgang mit Druck, Umgang mit hoher Arbeitsanforderung, Organistaionsfähigkeit was das Berufliche und Private angeht, Kommunikation auch mit Menschen, die man nicht so prickelnd findet, durchaus ein paar basics des Unterrichtens, da man ja auch eigenverantwortlichen Unterricht hat (!!) - und natürlich den Umgang mit Überprüfungssituation (leider vergessen das einige einen Tag nach dem Ref wieder und können sich dann auf einmal nicht mehr in die Schüler hineinversetzen, die sich jeden Tag in genau dieser Situation befinden - und verstehen üüüüberhaupt nicht, warum die "sich immer so lächerlich über die Noten aufregen" :gruebel: ).


    Ich persönlich hatte eine besonders angespannte Situation, was Ausbilder anging - echte Unterrichtsflüchtlinge (es gab aber in anderen Fächern auch andere, die von Mitrefs als sehr hilfreich empfunden wurden) - aber dafür hatte ich eine richtig gute, solidarische und hoch motivierte Referendarentruppe an meiner Schule (große Ausbildungsschule). Wir haben unglaublich viel voneinander gelernt, uns gegenseitig unterstützt, beraten, kritisiert, hospitiert, Korrektur gelesen, mit Trost und Lob versorgt, abends inner Kneipe Frust und Freude rausgelassen. War richtig gut. Das und der eigene Unterricht waren schon ne richtig gute, solide Unterlage für den Berufseinstieg.


    Der aber im Arbeitsumfang einfach nochmal ein krasser Praxisschock war. :heul:


    Tipp: versuch dir ein gutes Team zu suchen. Schon ein kleines Team reicht, Leute, mit denen du UBs besprichst, die dir ehrlich feedback geben und dir helfen, aber auch mal mit dir feiern...

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen, ansonsten:

    Das Referendariat und die eigentliche Unterrichtspraxis sind ja in der Tat zwei paar Schuhe, allerdings frage ich mich: Wissen die Fachleiter das nicht, oder ignorieren sie es einfach?


    Die nicht abgedrehten wissen das. Meine Chemieausbilderin sagte auch, dass man sich im Berufseinstieg eine Klasse heraussucht, in der man (Referendariats)guten Unterricht hält, und der Rest halt irgendwie so laufen muss, bis der Unterricht steht. Und dann kann man es peu a peu entwickeln und verbessern.



    Meine Erfahrung: Ich habe Glück gehabt, denn es ist einfach genial, quasi nur Oberstufe zu haben. Aber das habe ich im Ref ja noch nicht geahnt, dass ich mal an einer Beruflichen Schule landen werde, und den größten Teil im BG unterrichte. Gut, ich weiß noch nicht immer alles, aber viele Parallelkurse zu haben ist für den Anfang echt super. Am Ende der Woche kriegt man die Stunde so hin, wie sie sollte. ;)

    Quiet brain, or I'll stab you with a Q-Tip!

  • Ich mache nicht mehr unbedingt Unterricht wie im Referendariat - teilweise weil bei aller Korrigiererei, Organ-Aufgaben, etc pp die Zeit für eine so teilweise extrem material-schlacht-artige Vorbereitung fehlt.
    Andererseits verwende ich definitiv Methoden und Vorgehensweisen, die ich im Referendariat verinnerlicht habe. Wenn ich bedenke, wie lange ich im Referendariat gebraucht habe, um z.B. ein Gruppenpuzzle zu organisieren und durchzuführen - das dauert heute nur ein, zwei Minuten, bis das erklärt und organisiert ist. Ich habe also in vielen Methoden extrem an Routine hinzu gewonnen.


    Ich sehe das nicht so, dass ich im Ref einen Unterricht gelernt habe, den ich im Alltag nicht gebrauchen kann. Im Referendariat lerne ich im Idealfall, eine Stunde von a bis z sinnvoll durchzuplanen, so dass jeder Schritt logisch aufeinander aufbaut (ganz ideal wäre, das nicht nur für die 45 Minuten Stunde, sondern auch für die Reihe zu lernen, aber das ist dann tatsächlich Glückssache,an was für Fachleiter man gerät...). Und das ganze macht man wieder und wieder und wieder - bis es verinnerlicht, so dass ich im Alltag schlicht nicht mehr ewig lange nachdenken muss, was nun als nächstes logisch kommt, sondern dass es verinnerlicht ist.
    Die Grundlage dazu legt das Referendariat - allerdings nur, wenn ich das Referendariat diesbezüglich ernst nehme und nicht von vornherein davon ausgehe, dass ich da völlig sinnlose Feuerwerksstunden halten muss.
    Die richtige Routine darin kommt dann in den nächsten vier-fünf Jahren. (Und dann muss man vermutlich wieder aufpassen und sich weiterbilden, damit man dann nicht zu sehr in Routine verfällt...aber es ist schon schön, wenn sie endlich mal da ist und man wieder Luft für andere Dinge hat ;) )

    "Et steht übrijens alles im Buch, wat ich saje. ... Nur nit so schön." - Feuerzangenbowle

  • Man muss auch viele Dinge aus dem Referendariat wieder ver-lernen. Und dazu gehört vor allem die verkrampften Ansprüche an sich selbst. Im Alltagsberuf, den man über 30 Jahre ausüben wird, muss man gelassen und ruhig werden, sonst geht man psychisch kaputt. Dazu gehört, dass man sich gestattet, Dinge falsch zu machen. Es ist nicht schlimm, wenn eine Unterrichtsstunde absolut scheiße verläuft - so lange man hinterher darüber reflektiert, was falsch gelaufen ist und wie man es das nächste Mal besser macht. Es gehört auch dazu, dass man die Selbstüberhöhung ablegt, die einem im Referendariat antrainiert wird. Wenn es an der einzelnen Unterrichtsphase läge, die falsch gelaufen oder falsch getimed ist, dass der ganze Unterricht schlecht ist - was einem im Examen durchaus bescheinigt werden kann - dann schwebte man als Lehrer ständig im Risiko den Lernfortschritt seiner Schüler zu gefährden. Das ist natürlich nicht so. Der Ausbilder, bei dem ich den Zertifikatskurs für die Lehrbefähigung in Latein abgelegt habe, hat dazu etwas sehr kluges gesagt: Es sei immer wieder faszinierend, wie viel schlechten Unterricht so ein Schüler ab kann und trotzdem etwas lernt. Wenn die Grundhaltung da ist, dass man jedes Halbjahr besser werden will und als Lehrer neues dazulernt, dann kann auf Dauer eigentlich nichts schiefgehen.


    Nach meinem Verständnis erhält man im Referendariat sehr viele gute Grundprinzipien und Techniken. Man erhält aber auch jede Menge weltfremde, scheinwissenschaftliche Spinnereien und didaktische Modeerscheinungen. Die Phase des Junglehrers, die so ungefähr drei bis vier Jahre dauert, dient dazu, zu seinem eigenem Bild vom Lehrersein zu kommen, Ungeeignetes zu erkennen und über Bord zu werfen, Geeignetes zu verbessern und zu verfeinern. Die Phase des fertigen Lehrers ist meiner Meinung nach erreicht, wenn man sich sein eigenes, begründetes Bild vom Beruf machen kann, die Schule als System in ihrer Gesamtheit versteht und die Souveränität entwickelt hat, aus guten Gründen das zu tun, was man für richtig hält, auch wenn andere anderer Meinung sind.


    Nele

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