Schreiben/Lesen lernen erst in der Schule - WARUM?

  • Hallo --


    ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen: Ich bin auch mit 5 eingeschult worden (September-Geburtstag), nachdem ich mich selber (lt. Erzählung) beim Direktor der Grundschule vorgestellt habe. (lesen und schreiben konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht -- es war trotzdem revolutionär).
    Fast die ganze Schulzeit über wurden schlechte Leistungen (3-4) damit abgetan, dass ich ja offensichtlich noch unreif und zu jung für die Schule sei. Erst als ich in der 9. die Absicht äusserte, ein Jahr ins Ausland zu gehen nach der 10 war ich auf einmal reif und einfach nur toll.
    Selbst in der Uni wurde ich nach meinem Werdegang (und Alter) befragt, und für unreif befunden, aber als ich dann in den USA studieren wollte, sagte der Prof mir nur, dass ich ja ein Vorbild für die anderen Studis sei.


    Was ich raten kann aus meiner eigenen Erfahrung ist, das Kind zu fördern und beim Schulamt nächstes Jahr auf Schulfähigkeit testen zu lassen. Und selbst wenn es irgendwann unlustig wird und ein Jahr wiederholen muss, hat es dann kein Jahr "verloren."
    Kinder sind individuell und können dementsprechend auch gefördert werden.
    Die Tochter meiner Freundin ist gerade 7 geworden und in der 3. Klasse. Sie kommt gut mit (ist in Mathe Klassenbeste), auch wenn das ARbeitsverhalten zu Hause noch zu wünschen übrig lässt. Aber auch das Kind ist glücklich, weil es gefordert wird.


    Lieben Gruss,
    Tina

    Be a hero, become a teacher!

    Einmal editiert, zuletzt von Tina_NE ()

  • hallo arowana,


    eine freundin von mir (angehende grundschullehrerin) will ihre tochter nicht mit fünf in die schule schicken, weil sie dann nicht in die "forschergruppe" (vorschulgruppe) gehen dürfte. es ist also leider nicht ungewöhnlich, dass kann-kinder nicht in diese gruppe aufgenommen werden...


    die richtige entscheidung wünscht euch eine


    grundschullehrerin

    • Offizieller Beitrag

    Ich schildere mal zwei meiner Schülerinnen, die mit fünf Jahren eingeschult wurden. Die eine ist nun im vierten Schuljahr und erbringt gute bis sehr gute Leistungen. Das ist aber nur möglich, weil sie zu Hause zu äußerster Disziplin angehalten wird und augenscheinlich über eine erstaunliche Auffassungsgabe verfügt. Im Kindergarten-/Vorschulalter haben die Eltern ihre Musikalität gefördert, was meines Erachtens zu einem strukturierten Lernen beiträgt. Ihre einzigen 'Defizite' sehe ich in ihrer sozialen und körperlichen Entwicklung. Sie wirkt in ihrer Motorik (nicht beim Schreiben!) wie eine Erstklässlerin, weil sie zudem auch noch sehr klein ist. Nun haben die Eltern Probleme, sie - trotz hervorragender Noten - am (kirchlich/privaten) Wunschgymnasium anzumelden, weil der Schulleiter Angst hat, die Kleine könnte aufgrund der Anforderungen dem Druck nicht gewachsen sein! Das versuche ich gerade in Gesprächen zu entkräften.


    Die andere Schülerin erlebe ich gerade im ersten Schuljahr. Sie ist sehr wissbegierig, kann auch schon so Einiges, das im KiGa sicher entsprechend aufgefallen ist. Aber es fehlen ihr grundsätzliche Dinge, die meiner Meinung nach einfach zur Schulreife gehören. So schreibt sie z.B. Hausaufgaben ins Mathebuch nicht mit Bleistift, sondern - weil sie Lust dazu hat - mit Filzstift. Sie arbeitet auch vor, kann mir aber nicht erklären, was sie gerechnet hat. Vermutlich glaubte sie, diese Aufgaben machen zu müssen (HA nicht notiert ...) und die Eltern haben sie mit ihr gerechnet. Mitten in der Stunde holt sie ihr Brot raus. Frage ich ruhig nach, bekomme ich die - verständliche - Antwort, dass sie Hunger hat. Aber wir haben nun mal Regeln, die gelernt werden müssen. Sie vergisst auch häufig Hausaufgaben oder Material und hat unter ihrem Tisch eine komplette Spielesammlung inclusive Chaos. Stifthaltung und Ausschneidetechnik lassen mich regelmäßig verzweifeln. Mittlerweile sehen auch die Eltern (von sich aus), dass ein Jahr im KiGa die fehlenden Kompetenzen und Fertigkeiten hätte hervorbringen können.
    Was dieses Kind nun erlebt ist Schulfrust. Das tut mir in der Seele weh und war bei der Anmeldung nicht absehbar. Ich hoffe nur, dass diesem Kind ab August in der Flex besser entgegen gekommen werden kann. Sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach dort noch zwei Jahre verbleiben müssen.


    Ich wünsche mir, dass die Kindergärten wieder Vorschulförderung betreiben müssen. Ich selbst bekam eine Mappe mit Übungen und hatte fast jeden Tag zusammen mit den anderen 5-6jährigen eine Gruppenstunde. Da ich im Sommer geboren bin, 'durfte' ich erst mit sieben Jahren in die Schule. Es hat mir nicht geschadet schon lesen zu können. In meiner Klasse ist auch ein solches Kind und ich empfinde sie in allen Bereichen einfach als 'reifer' und sicher.


    Es wurde weiter oben vom Montessori-KiGa gesprochen. Ich kann das nur unterstützen. Dort wird auf die sensiblen Phasen des Kindes eingegangen. Diese können aber auch sehr kurz sein! Wenn zu Hause ansprechendes Material liegt, mit dem sich das Kind beschäftigen möchte, erkläre es ihm. Es entscheidet dann schon selbst, ob es damit 'arbeiten' möchte oder nicht.


    Hier gibt es eine umfassende Linksammlung zum Thema Montessori: http://www.lrz-muenchen.de/~montessori/
    Für interessierte Eltern bieten Volkshochschulen und Montessorischulen auch immer Infoveranstaltungen und Übungsabende mit dem Material an.


    LG
    Talida

  • Hallo Arowana,
    ich kann dich gut verstehen, zumal wir gerade die Kindergartenzeit hinter uns haben und ich einige Eltern in deiner Misere mitbekommen habe. Die Kindergärten wollen wissen, welches Kind in die Vorschule kommt und welches nicht. Bei uns war das so, dass jedes Kind, dass im kommenden Jahr angemeldet wurde für die Schule, auch die Vorschule besuchte - wurde aber bekannt, dass der Antrag auf vorzeitige Einschulung zurückgezogen wurde, kam das Kind sofort aus der Vorschule.
    Vielleicht kannst du dein Kind in eine Musikschulgruppe o.ä. geben, um noch nähere Hinweise dazu zu bekommen, wie es sich in einer größeren Gruppe einfügt. Ein bisschen höre ich bei deinem Threat heraus, dass du nicht ganz mit den Einschätzungen übereinstimmst und den Kindergarten vielleicht nicht so für kompeten hältst??? Dann hättest du noch eine weitere Meinung.
    Ansonsten würde ich mich mal umhören, wie die Schule, in die dein Kind soll, arbeitet. Wenn es vielleicht schon eine Schule ist, die eine offene Schuleingangsphase hat, dann werden eh schon auf Entwicklungsunterschiede berücksichtigt.
    Sollte es eine "Hammerschule" sein, in der sehr nach Leistung gearbeitet wird, würde ich es mir noch durch den Kopf gehen lassen - es ist ja auch möglich, dass ein Kind nach einigen Wochen die erste Klasse überspringt.


    Unter www.schulpsychologie. de findest du einige gute Downloads zum Thema.
    flip

  • Hallo Arowana,
    wie du schreibst hast du ja noch Zeit bis zur (möglichen) Einschulung. Nimm dir die Zeit. Und wie elefantenflip schon sagte, bedenk gut in welche Art von erste Klasse dein Kind kommt.


    Lesenkönnen und mathematische Vorkenntnisse sind lang nicht alles. Ich kenne viele Kinder, die Lesen können, wenn sie in die Schule kommen, 4-stellige Autokennzeichen aufsagen und Dinosaurier - oder sonst was für Experten sind.
    Aber im Unterschied zur Schule, machen das die KInder freiwillig. Es drängt sie keiner dazu und wenn sie keine Lust mehr haben hören sie halt einfach auf.


    Meine Überlegungen beziehen sich auf eine stinknormale erste Klasse mit 25 (oder auch mehr) Kindern (also keine flexible Eingangsstufe)


    In der Schule muss dein Kind in einer (großen?) Gruppe selbstständig zurechtkommen. Arbeitsanweisungen, die an alle gerichtet werden muss es auf sich beziehen und umsetzen. Ständige Einzelerklärungen bei 25 oder mehr Kindern sind auf die Dauer nicht drin.
    Ein ganz wichtiger Punkt sind die Arbeitstechniken und das Arbeitstempo.
    Je besser ein Kind "Schneiden, Kleben und ausmalen" kann, desto leichter wird ihm die Schule fallen.
    Schnelle Kinder können sich auch im Unterricht immer wieder eine "Verschnaufspäuschen" gönnen. Ein Kind, dass seine Arbeit immer "so gerade noch schafft" hat den ganzen Vormittag permanenten Stress.
    Wie kommt dein Kind in der Gruppe zurecht?
    Kann es seine Interessen auch mal hinten anstellen? Bei 25 oder (wie bei meinem Sohn 33!!) Kindern müssen die Schüler halt auch Sachen machen, die ihnen nicht so gut gefallen.
    Kommt es mit anderen gut aus? Wie spielt dein Kind mit anderen? Kann es sich zurücknehmen, oder muss es immer nach seinem Willen gehen?
    Wie managt dein Kind das "Drumherum": Schulweg-Anziehen-Ausziehen-Ordnung
    Denn gerade das "Drumherum" macht den jungen Schülern oft große Probleme


    Versuch echt herauszubekommen, was das Beste für dein Kind ist, und (für den Notfall :D )
    "Was ist schon ein Jahr bezogen auf ein Menschenleben. " :)

  • Wenn ein Kind zählen kann, heißt es noch lange nicht, dass es bereits ein ZAHLENVERSTÄNDNIS entwickeln KANN, sprich: Mengen und Größen erfassen kann.
    Wenn das Kind Buchstaben erkennen und lesen kann, bedeutet es noch lange nicht, dass es ein Textverständnis entwickeln kann.


    Je nach Altersstufe haben Kinder sehr komplexe Verständnismöglichkeiten, (oder diese fehlen!) die man nicht daran erkennen kann, ob ein Kind "liest" oder "rechnet".


    Vgl. dazu die entwicklungspsychologischen Untersuchungen von Jean Piaget:
    http://chappa.piranho.de/piaget2.html
    http://arbeitsblaetter.stangl-…ENTWICKLUNG/default.shtml

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

  • Ich danke danke euch allen für die offenen Worte.


    Natürlich haben wir noch Zeit und diese werden wir auch nutzen. Man kann heute auch noch nicht beurteilen, wie sich mein Sohn weiterhin entwickeln wird.
    Ich werde dieses Jahr zur Beobachtung nutzen - und ihn gegebenenfalls Anfang nächsten Jahres durch das Schulamt prüfen lassen.
    Worauf es mir allerdings ankam, war die Vorschulgruppe im Kiga.....


    Habt nochmals vielen Dank für eure Mühe.... ich fühle mich nun deutlich besser und nicht mehr so unsicher


    Liebe Grüße
    Arowana

    immer wenn Du denkst es geht nicht mehr....
    kommt von irgendwo ein Lichtlein her

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