Zeugnis: muss immer jeder Satz positiv formuliert sein?

  • Hallo zusammen,


    Ich schreibe gerade Berichtszeugnisse für meine Zweities. Eine Kollegin sagte gerade, dass jeder Satz positiv formuliert sein muss. Wenn ein Kind z.B. noch nicht bzw mit Fehlern bis 100 rechnen kann, würde ich z.B. schreiben: "es fällt Dir noch schwer, Plus- und Minusaufgaben bis 100 zu rechnen." Meine Kollegin meint, dass ich diesen Satz weglassen sollte bzw. schreiben, dass es bis 20 schon recht sicher rechnet. Im besten Fall: übe das rechnen bis 100.


    Dasselbe in Deutsch.


    Wie macht ihr das denn??
    Liebe Grüße

  • Ich schreibe so, wie du vorgeschlagen hast - weil es nur so eben die eltern auch verstehen können. Allerdings ist auch die Ansicht deiner KOllegin bei uns im KOllegium verbreitet.

  • Ich bin auch kein Freund von durchgehend positiven Formulierungen.
    Lediglich bei GU-Kindern, die zieldifferent unterrichtet werden, nutze ich sie häufig.
    Ansonsten schreibe ich recht deutlich hin, wo es Schwierigkeiten gibt bzw. wo noch Übungsbedarf ist.
    Meine Erfahrung zeigt, dass die ganzen positiven Formulierungen mehr verwirren und ein falsches Bild vom Kind geben, v.a. bei den Eltern.

  • Was nützt ein geschöntes Zeugnis?

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Was ist der Sinn eines Zeugnisses?


    Ist es ein Erziehungsmittel?
    Dann musst du neben der "Kritik", was der Schüler alles noch nicht kann, gleich noch schreiben, wie er das lösen (und auch schaffen!!!)kann.--> positiv


    Ist es eine Information, was der betreffende Schüler bis dahin gelernt hat?
    Dann gehört nur das, was er kann hinein.-->positiv


    Ist es eine Information, was er seit dem letzten Zeugnis dazu gelernt hat, wo er sich entwickelt hat?
    Dann solltest du diese Informationen aufschreiben.-->positiv


    Ist es eine Information, ob er das Klassenziel schafft?
    Ist es eine persönliche Anrede, was du dem Schüler für alle Zeit nachlesbar mitgeben willst?


    Ein Zeugnis spiegelt auch immer die Arbeit zwischen dem Lehrer und dem Schüler wieder. Und genau so werden es die Eltern und das Kind lesen und verstehen. Wenn es keine zwingende Vorgabe an eurer Schule gibt, musst du dir einen persönlichen Stil erarbeiten.



    Meine Meinung dazu!


    Beschönigen musst du dabei gar nichts.

  • Ich schreibe auch klar hin was das Kind noch nicht so gut kann (Sitze gerade an den Zeugnissen 3.1 uff). Meistens schreibe ich dahiner "Er sollte versuchen....", "Er sollte üben....", "Tägliches Üben...."

  • Genau solche Formulierungsunsicherheiten sind der Grund, weshalb man sich bei uns auf ein Zeugnis zum Ankreuzen geeinigt hat. Die Kompetenzen und Inhalte ergeben sich aus den Rahmenplänen und sind dann in einer Tabelle entsprechend anzukreuzen (von "nie" bis "immer", genau habe ich den Wortlaut aber nicht im Kopf).

  • Ich finde deinen Satz auch vollkommen in Ordnung. Die Eltern wollen ja auch wissen, wo ihr Kind wirklich steht und was man noch üben könnte.


    Wichtig finde ich dabei nur, dass man nicht pauschal "Du musst mehr üben." schreibt, wenn das Kind Probleme bei einer Aufgabe / einem Bereicht hat. Eventuell übt das Kind schon sehr viel und braucht einfach weitere Erklärungen, mehr Zeit, ... . Dann ist es eher demotivierend zu schreiben "Du musst mehr üben.".

  • Was nützt ein geschöntes Zeugnis?


    Wieso ist ein Zeugnis geschönt, wenn man schreibt, was jemand schon kann? :mad:
    ich werde nie kapieren, warum manche Kollegen den Unterschied zwischen "Lernstand bestimmen" und "Vergleich zu Gleichaltrigen" nicht verstehen.

  • "es fällt Dir noch schwer, Plus- und Minusaufgaben bis 100 zu rechnen."

    Wie wärs mit: "Toll, wie sicher dir das Rechnen bis 20 schon fällt! Du hast fleißig mit unseren Soundsowürfeln geübt. Ab jetzt brauchst du zum Rechnen immer die Wasweißichstangen aus dem gelben Regal."


    oder "Ich freue mich, dass du beim Rechnen nicht mehr deine Finger benutzt. Unsere ...-Übung hat dich zum 20er-Profi gemacht! Wenn du in der Freiarbeit immer die Rätsel auf der Hundertertafel löst, schaffst du bald den 100-er Führerschein"


    Also ich phantasiere jetzt natürlich etwas ;)


    Abgesehen von der Formulierung: wenn jemand auch beim Plusrechnen Probleme im ZR bis 100 hat, frage ich mich, ob er den ZR bis 20 wirklich durchdrungen hat? klappt da z.B. die Zahlzerlegung sicher? die Zehnerunterschreitung? oder wird mit Fingern gezählt...


    Sorry, ich mische mich gerade in Probleme ein, die garnicht zur Diskussion standen. Drücke mich nur vor meinen eigenen Problemen :hammer:

  • Ich schreibe erreichte Kompetenzen in der Gegenwart.
    Dinge, die ein Kind noch üben muss, werden als Vorhaben für die Zukunft formuliert: In nächster Zeit solltest du dich intensiv mit ... beschäftigen, um...

    am ende wird alles gut und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das ende (oscar wilde)

  • Wieso ist ein Zeugnis geschönt, wenn man schreibt, was jemand schon kann?
    ich werde nie kapieren, warum manche Kollegen den Unterschied zwischen "Lernstand bestimmen" und "Vergleich zu Gleichaltrigen" nicht verstehen.


    Wenn etwas kritikwürdig ist, sollte man das auch ohne Verklausulierungen so schreiben können/dürfen.
    Diese Diskussion erinnert mich sehr an die Phrasen in Arbeitszeugnissen und deren Interpretation.
    Ich denke, sowas brauchen wir an Schulen nicht auch noch.


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Diese Diskussion erinnert mich an eine Geschichte, die mir ein Bekannter (Lehrer an einer Förderschule) mal erzählt hat:


    Sein Nachbarjunge (Grundschüler) hatte sein Zeugnis bekommen. Darin stand, schön formuliert, dass er schon toll im Zahlenraum x rechnen könne. In anderen Fächern ging es ähnlich. Die Eltern waren total stolz und gaben meinem Bekannten gegenüber mächtig an. Dieser hat die Eltern auf die Boden der Tatsachen geholt. In seiner Klasse, hätte der Junge aber schon Zahlenraum z, ... beherrschen müssen. Das Zeugnis war plötzlich gar nicht mehr toll. Der Junge und auch die Eltern waren verwirrt. Klar, es wurde beschrieben was er alles kann, aber ...
    Was ist meine ist, dass ein Zeugnis auch verständlich sein muss. Dies erwecken diese positiven Sätze aber nicht immer.

    Freundlichkeit ist kostenlos, aber niemals umsonst.

    • Offizieller Beitrag

    Rein interessehalber: Gibt es bei sowas schon geheime Formulierungen wie beim Arbeitszeugnis? Man könnte sich da ja viel einfallen lassen, z.B. "Zeigt großes Interesse an sozialer Interaktion mit den Mitschülern." ---> schwätzt nur ;)

  • Was ist meine ist, dass ein Zeugnis auch verständlich sein muss. Dies erwecken diese positiven Sätze aber nicht immer.

    Das Problem besteht in der Tat. Aus diesem Grund veranstalten wir direkt vor den Halbjahreszeugnissen auch noch mal einen Elternsprechtag, an dem wir den Eltern den Lernstand ihres Kindes besser erklären können. Die Halbjahreszeugnisse (die in Klasse 1 und 2 allerdings noch keine echten Zeugnisse sind) schreibe ich auch in erster Linie für die Kinder und betone dann auch, was sie schon können und wo sie Fortschritte gemacht haben. Ich formuliere meist auch positiv, aber nicht immer. Das hängt sehr vom Kind ab. Wie sehr strengt es sich ohnehin schon an und wie gut kann es mit Kritik umgehen? Statt zu schreiben: "du musst....üben", schreibe ich in der Regel "übe weiter ...., dann kannst du bestimmt bald...".
    Mit dem Klassenstand zu vergleichen, finde ich in der Schulanfangsphase widersinnig, weil es schließlich Teil des Konzepts ist, dass die Kinder für den Stoff der ersten beiden Schuljahre auch drei Jahre brauchen dürfen. Wozu soll ich ein Kind, das im zweiten Schuljahr noch mit dem Stoff der ersten Klasse befasst ist (weil es zum Beispiel schon mit 5 eingeschult wurde und schlicht zu jung ist) und bei dem klar ist, dass es drei Jahre machen wir, das sich aber mächtig anstrengt und gute Fortschritte macht, damit frustrieren, ihm aufzuschreiben, was es noch nicht so gut kann, wie die anderen? Das bekommen die Kinder meist sowieso mit. Mein Hauptanliegen ist es in der Tat, gerade bei diesen Kindern die Motivation zu erhalten. Wenn sie erstmal Schulfrust aufgebaut haben und gespeichert habe, dass sie trotz aller Anstrengungen zu blöd sind, haben wir nämlich wirklich verloren....

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • "Rein interessehalber: Gibt es bei sowas schon geheime Formulierungen wie beim Arbeitszeugnis? Man könnte sich da ja viel einfallen lassen, z.B. "Zeigt großes Interesse an sozialer Interaktion mit den Mitschülern." ---> schwätzt nur ;)"



    ja das gibts :)
    oder zeigte eine große Kommunikationsbereitschaft 8)

  • Wenn etwas kritikwürdig ist, sollte man das auch ohne Verklausulierungen so schreiben können/dürfen.
    Diese Diskussion erinnert mich sehr an die Phrasen in Arbeitszeugnissen und deren Interpretation.
    Ich denke, sowas brauchen wir an Schulen nicht auch noch.

    Wieso ist es Verklausuliert, wenn ich schreibe, dass jemand den Zahlenraum bis 20 beherrscht? klarer gehts doch garnicht. Wenn die Eltern nicht wissen, dass man in der 2. Klasse bis 100 rechnet, haben sie im letzten Halbjahr etwas Entscheidendes verpasst, was man im Gespräch klären kann. Wenn sie sich außerdem über das positive Zeugnis freuen: schön für sie und das Kind. Druck macht es auch nicht erfolgreicher im Lernprozess.


    Die Idee, dass Noten objektiver und klarer als Berichte seien, halte ich für falsch. Wenn das betreffende Kind bei Plus immer mit den Fingern zählt und zu richtigen Ergebnissen kommt, beim Minusrechnen aber falsch zählt kann es auf eine 3 kommen. Was sagt uns aber die 3 in Mathe? dass die Leistung befriedigend sei, was sie im dargestellten Beispiel aber garnicht ist. Und hilfreich eben auch nicht.

  • "Rein interessehalber: Gibt es bei sowas schon geheime Formulierungen wie beim Arbeitszeugnis? Man könnte sich da ja viel einfallen lassen, z.B. "Zeigt großes Interesse an sozialer Interaktion mit den Mitschülern." ---> schwätzt nur ;)"
    ja das gibts :)
    oder zeigte eine große Kommunikationsbereitschaft 8)


    Warum gibt es Formulierungen, die die eigentliche Mitteilung verdecken sollen? Steht dahinter irgend eine konkrete Überlegung?


    Nele

  • Obwohl ich weder als Lehrer noch als Vater etwas mit der Grundschule zu tun habe, bin ich doch mittelmäßig entsetzt über diesen Thread. Zeugnisse aus denen nicht hevorgeht, was der Schüler wirklich kann, sind das Papier nicht wert, auf denen es geschrieben ist. Schwächen und fehlende Potentiale zu verschweigen nutzt niemanden.


    Ich wundere mich schon seit einigen Jahren, warum viele Schüler in der MIttel- oder Oberstufe überhaupt nicht mehr kritikfähig sind. Schüler, die gleich anfangen zu heulen oder unverschämt austicken, wenn man ihnen sagt, dass Ihre Leistung so nicht zufriedenstellend ist. Nach diesem Thread wird mir das ein wenig klarer...

    »...Aus Mettwurst machste kein Marzipan! «
    Bernd Stromberg

  • Wieso ist es Verklausuliert, wenn ich schreibe, dass jemand den Zahlenraum bis 20 beherrscht?


    Weil hier bewußt der Kontext weggelassen wurde (z.B. "...aber das Rechnen imZahlenraum bis 100 wäre angemessen/ist Stand in der Klasse/wurde behandelt etc").


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

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