Zeugnis: muss immer jeder Satz positiv formuliert sein?

  • warum kann man nicht einfach schreiben "beherrscht den zahlenraum bis 20 sicher, ist aber im bereich bis 100 noch unsicher" oder "beherrscht noch nicht"? die meisten eltern verstehen diese rein positiven sätze dann als "mein kind kann alles", weil unklar bleibt, was es denn können sollte/die meisten anderen können... am gymnasium kursiert hier als witz immer wieder das hübsche "xy bemühte sich das lesen zu erlernen" als zeugnisbemerkung. eltern happy, kind analphabet.


  • Warum gibt es Formulierungen, die die eigentliche Mitteilung verdecken sollen? Steht dahinter irgend eine konkrete Überlegung?


    Nele


    Hörensagen von Kollegen aus NRW:
    Weil es nicht mehr opportun ist und die Eltern auf die Barrikaden gehen (trotz fehlender Verbindlichkeit für den Übertritt auf die weiterführende Schule), wenn irgendetwas auch nur ansatzweise den Glanz des "Projektes Kind" trübt. Daher versteckt man eben die Fähigkeiten mit erhöhtem Entwicklungspotenzial hinter wolkigen Formulierungen. Die Eltern, der Direktor und Frau Löhrmann sind zufrieden und die Lehrer haben Zeit sich um wichtigere Sachen zu kümmern. Führt leider dazu, dass wir regelmäßig komplett überforderte Kinder in den fünften Klassen haben mit Spitzenformulierungen in den Grundschulzeugnissen.

    --

    Keine Daten, keine Quellen? Kein Interesse.

  • In Mathe finde ich es sogar noch ersichtlich. Wenn die Kids ein Mathebuch besitzen, dass bis 100 geht und auf dem Zeugnis steht, es kann im Zahlenraum bis 20 rechnen, sollte das schon verständlich sein. Aber wie sieht das in anderen Fächern aus? Z.B. Ende der 1 in Deutsch: "XY kann bereits einige lautgetreue Wörter schreiben." Da weiß ja nun wirklich kein Elternteil, ob das nun gut oder schlecht ist. Ich hab immer geschrieben was das Kind bereits kann und dann, was noch nicht beherrscht wird. Vorher hat allerdings auch ein Elterngespräch stattgefunden, in dem die Probleme mit Lösungsvorschlägen und Übungstipps besprochen wurden.

  • Es scheint doch sehr von der jeweiligen Schulaufsicht abhängig zu sein, wie das sogenannte "positive Formullieren" tatsächlich gemeint ist. Ich habe selbst auch schon die unterschiedlichsten Maßgaben dazu erlebt. In unserem Bezirk ist it vor einiger Zedazu extra etwa herausgegeben worden. Darin wird sehr deutlich eingefordert, dass Grundschulzeugnisse
    - sich an den Kompetenzerwartungen zu orientieren haben
    - deutlich sind und die mögliche Schullaufbahnempfehlung im Blick haben bzw. vorbereiten
    - Note und Text zusammenpassen.


    Also von Beschönigungen und nur schreiben, was das Kind kann ohne Blick auf zusätzliche Hilfen und Fördermöglichkeiten, kann nicht die Rede sein. Es wird jedoch sehr klar darauf hingewiesen, dass bestimmte Formulierungen (kann immer noch nicht..., strengt sich immer noch nicht genug an ...) nicht verwendet werden sollen.


    Es ist also schon eine aussagekräftige Beurteilung gefragt, die auch für Eltern verständlich ist, die den Lehrplan nicht unterm Kopfkissen liegen haben. Alles andere ist äußerst ärgerlich, insbesondere wenn dann hinterher bei der Schullaufbahnempfehlung die bösen Wahrheiten erst ausgesprochen werden oder der Absturz erfolgt. Ansonsten habe ich es schön öfter erlebt, dass gerade das Nicht-Passen der Note zum jeweiligen Zeugnistext die größeren Schwierigkeiten bei Eltern und Schulaufsicht hervorrufen, als das Hinweisen auf noch nicht erreichte Kompetenzen.

  • Zitat Trantor :

    Zitat

    Rein interessehalber: Gibt es bei sowas schon geheime Formulierungen wie beim Arbeitszeugnis? Man könnte sich da ja viel einfallen lassen, z.B. "Zeigt großes Interesse an sozialer Interaktion mit den Mitschülern." ---> schwätzt nur ;)

    Als aufrichtiger Lehrer konservativen Schlages bin ich der Meinung, dass man z.B. bei undisziplinierten und unterrichtsverhindernden Kindern durchaus die Begriffe dummer Rotzlöffel und dummes, freches Gör verwenden sollte, wenn man etwas über Sozialverhalten und allgemeine Arbeitshaltung im (für die normale Bevölkerung) verständlichen Tacheles-Stil schreiben möchte. Das wäre ehrlich und für die Eltern unmissverständlich. -Aber das darf man ja nicht ! Wie so vieles !


    Da unsere geehrte Frau Löhrmann die o.g Floskeln wohl nicht so besonders schätzt, würde ich da z.B. "Kevin hat sich im Unterricht stets lebhaft-kreativ aufgestellt und sich dabei verhaltensinteressante Zugangsweisen zu den Unterrichtsinhalten erschlossen." schreiben.


    Zitat ModalNodes :

    Zitat

    Ich wundere mich schon seit einigen Jahren, warum viele Schüler in der MIttel- oder Oberstufe überhaupt nicht mehr kritikfähig sind. Schüler, die gleich anfangen zu heulen oder unverschämt austicken, wenn man ihnen sagt, dass Ihre Leistung so nicht zufriedenstellend ist.

    Da wundere ich mich schon lange nicht mehr.

    Zitat

    Nach diesem Thread wird mir das ein wenig klarer...

    Auch dieser Thread spiegelt wieder, inwieweit mittlerweile in Deutschlands Schulen Leistungsmängel und andere Defizite bagatellisiert und schöngeredet werden. Hauptsache man vernebelt die Tatsachen in verschwurbelter Schönrederei und lügt den Eltern/Schülern damit was in die Tasche.


    Daher reagieren die o.g. Schüler in solchen Situationen so, wie Du sie wahrnimmst, geehrter ModalNodes ! 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    Einmal editiert, zuletzt von Elternschreck ()

  • Zitat TwoEdgeWord :

    Zitat

    Die Eltern, der Direktor und Frau Löhrmann sind zufrieden und die Lehrer haben Zeit sich um wichtigere Sachen zu kümmern. Führt leider dazu, dass wir regelmäßig komplett überforderte Kinder in den fünften Klassen haben mit Spitzenformulierungen in den Grundschulzeugnissen.

    Das erleben wir als Fünftklasslehrer an unserer Schule auch so. Bloß, wenn ich das erwähne, werde ich von den hier anwesenden Grundschullehrerinnen immer abgewatscht. 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • Hallo Nani,
    ich würde schreiben (was du vorschlägst) "Es fällt dir noch schwer, AUfgaben mit den Zahlen bis 100 zu rechnen." , das ist ja keine Überraschung für das Kind, das merkt es doch sicher in jeder Mathestunde.


    Wichtig finde ich, dass im nächsten Satz geschrieben wird, wie es weiterlernen kann, mit den Zahlen sicherer zu rechnen... "Übe regelmäßig mit dem Dingsbumsmaterial..." oder so


  • Ein Zeugnis spiegelt auch immer die Arbeit zwischen dem Lehrer und dem Schüler wieder.

    Ergänzend zu meinem ersten post möchte ich noch sagen, dass ich Zeugnisse immer nach der Sandwichmethode schreibe. Ganz vereinfacht gesagt: erst etwas Gutes, dann der Teil mit der Kritik und dann zum Ende wieder etwas Gutes. Genau so führe ich auch Gespräche.

  • ... mit Ziffernnoten so bequem! Hier einige Beispiele aus meiner fernen Vergangenheit (Anhang).


    Damals gab es noch keine Grundschulempfehlungen. Nach der 5. Klasse Volksschule kam die Aufnahmeprüfung zur Oberrealschule, dann die Probezeit, dann 9 Jahre bis zum Abitur.

  • Ich bin froh, dass wir "nur" Ziffern ins Zeugnis schreiben müssen (Ausnahme waren die beiden Kinder mit Schwerstbehinderten-Lehrplan im letzten Durchgang, das war mühsam genug).

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