Ein Junge aus meiner Klasse ist "irgendwie anders" Könnte es Autismus sein?

  • Hallo,
    jetzt kommt schon der zweite Thread zu einem Kind aus meiner Klasse, aber ich habe gestern mit einer Freundin darüber gesprochen und würde jetzt gerne einmal eure Meinung hören.


    Vielleicht erst einmal zu dem Kind. Der Junge ist zur Zeit 6 Jahre alt und geht seit September in die 1. Klasse. In den ersten Wochen hat er kaum mit mir oder anderen Kindern gesprochen. Wenn man ihn direkt angesprochen hat, dann antwortete er zwar, aber dies auch häufig sehr undeutlich und so, dass andere Kinder ihn kaum verstanden haben. Er hat immer noch sehr große Schwierigkeiten Laute in einem Wort herauszuhören und spricht seinen eigenen Namen teilweise auch falsch aus. Als eine andere Lehrerin ihn beispielsweise fragte, ob er der Noah sei antwortete er mehrmals,"Nein ich bin der Moah". In der Pause beschäftigt er sich regelmäßig alleine. Entweder läuft er scheinbar ziellos durch die Gegend, fängt plötzlich komisch an zu rennen, oder beschäftigt sich mit Straßenmalkreide und zieht sehr lange Striche auf dem Schulhof, teilweise schreibt er auch sehr große Zahlen auf. Auch im Sportunterricht entzieht er sich häufig Spielen. Nur wenn wir sein Lieblingsspiel spielen und er der Jäger sein darf, macht er mit. Ansonsten sitzt er auf der Bank mit der Ausrede, dass er "total verschwitzt sei". Generell hat er sehr große Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Dies mag vielleicht auch daran liegen, dass er die Buchstaben nicht als Laute gelernt hat, sondern sie wie die Erwachsenen ausspricht, aber ich denke dass dies nicht der einzige Grund ist. Hingegen weist er in Mathe deutliche Stärken auf. Dies fiel mir zum ersten Mal auf, als wir in einem Erzählkreis vom Wochenende saßen und er ausgerechnet hat, dass wir schon seit 19 Tagen in die Schule gehen (Wochenenden waren nicht mitgerechnet). Ein anderes Beispiel: Ca. 2 Wochen vor Weihnachten hat er eine sehr lange Zahl an die Tafel geschrieben. Daraufhin hat er mich gefragt, ob ich wisse was dies für eine Zahl sei. Er hat mir dann erklärt, dass dies die Sekunden seien, die es noch bis Weihnachten dauert. Das habe ich jetzt natürlich nicht nachgeprüft :P aber schon alleine solch eine Vorstellung vom Zeitgefühl mit 6 Jahren zeigt doch, dass er "irgendwie anders" ist. Auch hat er keinerlei Schwierigkeiten die Aufgaben im Matheheft zu bewältigen, teilweise braucht er nur recht lange dafür, weil er sich auch oft mit anderen Dingen beschäftigt, z.B. einen Faden um seinen Finger wickeln oder ständig auf der gleichen Seite des Blattes mit seinem Stift rumzumalen. Seit den Herbstferien ist er sozial etwas aufgeschlossener geworden. So spricht er z.B. gerne mit mir in den Pausen oder geht auch teilweise zu anderen Kindern hin, dabei hält er jedoch nie Blickkontakt. Wenn er mit Kindern spricht, dann redet er aber scheinbar "wirres Zeug", was die anderen Kinder verwirrt. Manchmal geht er auch zu den Kindern hin, geht ganz nah an deren Gesicht und verabschiedet sich von ihnen oder schüttelt sie teilweise. All dies führt natürlich automatisch dazu, dass er nicht gerade zu den beliebtesten Kindern in der Klasse gehört. Aber er zieht sich auch selbst gerne zurück. Am liebsten verbringt er die Pause in der Klasse in einem kleinen Zelt. Dort spielt er mit Bausteinen oder einem anderen Konstruktionsspiel.
    Es gab bisher erst ein Gespräch mit den Eltern, im Rahmen des normalen Sprechtages. Dabei erzählte mir die Mutter, dass er erst recht spät angefangen hat zu sprechen. Als Baby hat er wohl auch kaum geschrien, sondern saß immer nur lieb auf deren Schoß und sah gut aus. Im Kindergarten war er auch schon der Sonderling und hat stets lieber alleine gespielt. Er hat sich auch noch nie verletzt und sollte wenn möglich vor anderen beschützt werden. Die Familie war mit ihm, laut Mutter auch schon bei einem Kinderpsychologen und der sagte, dass das Kind einfach so ist. Die Mutter und der Arzt haben ihn mit Monk vergleichen und angeblich kann man daran nichts ändern.
    Ich weiß jetzt nicht, ob die Familie ihn wirklich auf Autismus hat testen lassen. Müsste so etwas dann in der Schülerakte stehen? Vermutlich nicht, oder?
    Ich möchte dem Jungen aber gerne helfen, weiß jedoch nicht wie. Ich möchte den Eltern auch nicht zu Nahe treten, würde aber gerne wissen ob ein solcher Test bereits stattgefunden hat bzw. würde sie gerne dazu bringen, diesen machen zu lassen.


    Wie klingt das ganze für euch und wie würdet ihr in so einer Situation vorgehen?

  • Hallo,


    ich hatte auch schon Autisten vor mir sitzen. Wenn ich eines gelernt habe, dann:
    - jeder Autist ist anders
    - manchmal ist es kein Autismus, sondern nur das Fehlen von Grenzen/Strukturen etc.
    - man kann dem Kind und der Umgebung beibringen, mit dieser Besonderheit umzugehen.


    Ich habe eher Fragen an dich:

    Zitat

    ob er der Noah sei antwortete er mehrmals,"Nein ich bin der Moah".

    Wofür spricht diese Beobachtung?


    Zitat

    Auch im Sportunterricht entzieht er sich häufig Spielen.

    Wie macht er das? Wie kann er das?


    Zitat

    dass er die Buchstaben nicht als Laute gelernt hat, sondern sie wie die Erwachsenen ausspricht,

    Von wem?


    Zitat

    Am liebsten verbringt er die Pause in der Klasse in einem kleinen Zelt. Dort spielt er mit Bausteinen oder einem anderen Konstruktionsspiel.

    Wo steht dieses Zelt?


    Zitat

    dass er erst recht spät angefangen hat zu sprechen.

    Wie spät? Wurde sein Gehör geprüft? Das sollten dir die Eltern konkret sagen können?


    Zitat

    Im Kindergarten war er auch schon der Sonderling und hat stets lieber alleine gespielt.

    Hast du dich schon mit der Kindergärtnerin in Verbindung gesetzt? Vielleicht kann sie dir ein paar Tipps geben für den Umgang mit diesem Jungen. Bei uns ist die Zusammenarbeit zwischen GS und KITA sehr eng.


    Zitat

    Er hat sich auch noch nie verletzt und sollte wenn möglich vor anderen beschützt werden.

    ???



    Gibt es eine Autismusambulanz in eurer Nähe? Die können auch ganz praktische Tipps (auch im Umgang mit den Eltern) geben. Dann verstehe ich nicht, wie er, wenn er so auffällig ist, problemlos durch die Schuleingangsuntersuchung gekommen ist. Da schaut sich doch auch ein Arzt die Schulfähigkeit eines Kindes an und gibt Empfehlungen für Integrationsstunden oder anderes.


    Viele Grüße.

  • Ich denke, dass du dem Kind am meisten "hilfst", wenn du ihn sensibel und normal behandelst. Wenn er gerne Fänger ist, dann lass ihn fangen, beziehe ihn so gut es geht mit ein. Offensichtlich geht es ihm gut bei dir, er fängt an, Beziehung aufzubauen, das ist das A und O.


    Wenn die Familie beim Psychologen war, scheint sie sich Hilfe zu suchen. Ansprechen würde ich das Verhalten trotzdem. Nicht als Vorwurf aber ganz klar als Abweichung vom Normalverhalten. Möglicherweise gibts eine gute Frühförderstelle/ SPZ bei euch?


    Was würde dir eine Diagnose "Autismus" bringen? vielleicht ist auch die Mutter psychisch krank? vielleicht wird das Kind misshandelt? Ich hab schon psychisch kranke Kinder unterrichtet und du möchtest nicht wissen, was sie in ihrer frühen Kindheit durchgemacht haben. Sie hatten das Glück, dass jemand dahintergekommen ist. Der Gutachten gibts da viele, leider führen oft zu wenig, außer dass man beruhigt sein kann, andere haben auch schon nicht gewusst, was man bei dem Jungen machen soll.


    Ich bin mit Diagnosen sehr vorsichtig. Klar, vielleicht gibts eine ominöse und angeborene Krankheit namens Autismus. Letztlich weiß man über Ursachen aber nichts. Eine Diagnose wird allein anhand der Art und Häufigkeit der Symptome gestellt. Und führt meines Erachtens selten zu Besserungen der Situation. Außer, dass die Lehrer entspannen und denken "ach so, der hat halt ADHS/ Autismus/ Dyskalkulie, dann kann ich das besser akzeptieren und das Kind so nehmen, wie es ist".

  • unqualifizierte privatmeinung von sekundarlehrerin: hat das kind einen leidensdruck oder nicht? falls nein und keine gefährdung des kindes oder anderer vorliegt - wieso großartig intervenieren jenseits dessen, was du offenbar schon machst (beziehungsarbeit, strukturen etc.)? müssen alle immer 'norm' sein? meine beiden bisherigen autisten waren offiziell diagnostizert, aber nur im fall des einen war das auch der schule offiziell bekannt. beide waren recht anders, aber beide in sehr unterschiedlicher weise, beide waren einigermaßen integriert in die klasse, beide waren auffällig, aber nicht so, dass der durchschnittliche gymnasiallehrer "aah, autist" denkt. beide bekommen keine weitere therapie und laufen trotdzem am bayerischen gymnasium mit, der eine durchschnittlich, der andere extrem (!) erfolgreich. neurountypische verarbeitungsweisen sind eben einfach nur genau das - untypisch. problematisch werden sie meiner erfahrung nach erst, wenn sie auf 'norm' gebügelt werden sollen (z.b. nicht akzeptiert wird von einzelnen kollegen, dass der eine autist neue sozialformen nicht ausprobieren kann, weil ihn das völlig überfordert. er verarbeitet das, indem er dann mit dem kopf auf dem tisch liegt und hält sich die ohren zuhält, geschlossene augen, betonte laute atmung - junge, 13 jahre, körperlich schon wie 17, 18. schreibt aber nur sehr gute noten und wird in der klasse akzeptiert. die kennen das schon und lassen ihn dann eben da liegen.). wenn das kind funktionierende coping-verhaltensweisen hat (alleine im zelt spielen, auf bank setzen mit ausrede etc.), dann ist das doch gut.

    2 Mal editiert, zuletzt von kecks ()

  • Danke schon einmal für die Antworten:

    Zitat

    - man kann dem Kind und der Umgebung beibringen, mit dieser Besonderheit umzugehen.

    Genau dafür erhoffe ich mir hier Hilfe ;)

    Zitat

    ob er der Noah sei antwortete er mehrmals,"Nein ich bin der Moah".
    Wofür spricht diese Beobachtung?

    Er hat sicherlich auch große logopädische Probleme. Allerdings erzählte mir die Mutter, dass er oft seine eigene Fantasiesprache spricht und beim Kinderarzt oder irgendwelchen Tests, die mit ihm gemacht wurden, dann kann er alles sehr wohl richtig aussprechen. Inwiefern das nun stimmt, weiß ich natürlich nicht. Aber ich glaube der Mutter erstmal alles was sie mir erzählt hat.

    Zitat

    Auch im Sportunterricht entzieht er sich häufig Spielen.
    Wie macht er das? Wie kann er das?

    Wie gesagt, er setzt sich dann auf die Bank, sagt dass er jetzt so verschwitzt und "kaputt" ist und macht dann nicht weiter mit. Gutes Zureden hilft da nichts und er verweigert sich dann einfach. Dabei ist er ganz ruhig, aber er bleibt stur und macht nicht mit. Natürlich lasse ich ihn auch häufig Fänger sein. Aber das geht ja nun nicht jede Stunde und wir können ja auch nicht jede Stunde das gleiche Spiel spielen.

    Zitat

    dass er die Buchstaben nicht als Laute gelernt hat, sondern sie wie die Erwachsenen ausspricht,
    Von wem?

    Vermutlich von den Eltern???

    Zitat

    Am liebsten verbringt er die Pause in der Klasse in einem kleinen
    Zelt. Dort spielt er mit Bausteinen oder einem anderen
    Konstruktionsspiel.
    Wo steht dieses Zelt?

    Das Zelt steht in der Klasse. In der Leseecke.


    Mit dem Kindergarten habe ich bisher noch nicht gesprochen. Ich bin auch erst seit diesem Schuljahr an der Schule und muss mich mal dort informieren.

    Zitat

    Er hat sich auch noch nie verletzt und sollte wenn möglich vor anderen beschützt werden.
    ???

    Das habe ich mir auch gedacht, als ich dies in seiner Akte gelesen habe :)

    Zitat

    Dann verstehe ich nicht, wie er, wenn er so auffällig ist, problemlos
    durch die Schuleingangsuntersuchung gekommen ist. Da schaut sich doch
    auch ein Arzt die Schulfähigkeit eines Kindes an und gibt Empfehlungen
    für Integrationsstunden oder anderes.

    Vielleicht hat er da dann wieder alles richtig gemacht in den Testphasen, so wie die Mutter es gesagt hat.



    Zitat

    Wenn die Familie beim Psychologen war, scheint sie sich Hilfe zu suchen.
    Ansprechen würde ich das Verhalten trotzdem. Nicht als Vorwurf aber
    ganz klar als Abweichung vom Normalverhalten. Möglicherweise gibts eine
    gute Frühförderstelle/ SPZ bei euch?

    Ich hatte den Eindruck als wenn sie schon "aufgegeben" hat. Sie sagte mehrmals, dass der Junge so ist und dass man ihn da auch nicht ändern wird. Sein kleiner Bruder sei da ganz anders und das beruhige sie, dass der wenigstens "normal" sei. Der Junge tut mir leid und will ihm gerne helfen, natürlich versuche ich das auch im normalen Unterricht auch immer. Dabei muss ich nur aufpassen, dass er keine Sonderstellung einnimmt. Schwierig finde ich es auch ihn dazu zu bewegen mit anderen Kindern zu spielen, er soll ja nicht ganz alleine bleiben. Daher lasse ich ihn schon in 2 Pausen der Woche in der Klasse. Dort darf er sich dann ein Kind aussuchen, dass mit ihm da bleibt. Aber meistens weiß er nicht wen er nehmen soll und zeiht sich dann in das besagte Zelt zurück oder redet halt die ganze Zeit mit mir.


    Eine Diagnose würde mir in dem Fall etwas bringen, dass sich die Eltern vielleicht mit einer klaren Diagnose eher dazu bewegen lassen Förderprogramme mit ihm zu besuchen und auch dass ich besser mit ihm umgehen kann, so wie er es braucht.

  • Zitat

    Mit dem Kindergarten habe ich bisher noch nicht gesprochen. Ich bin auch erst seit diesem Schuljahr an der Schule und muss mich mal dort informieren.

    Dann würde ich dort anfangen. Sie können dir sicher auch Tipps zum Umgang mit den Eltern des Kindes geben.Frage aber vorher nach, inwieweit du dir dort Informationen einholen darfst...bei eurer SL


    Und wenn du dann die Eltern nochmal bestellst, sag ihnen


    Zitat

    Ich hatte den Eindruck als wenn sie schon "aufgegeben" hat. Sie sagte mehrmals, dass der Junge so ist und dass man ihn da auch nicht ändern wird.

    dass es nicht darum geht, den Jungen zu ändern, sondern, dass du ihn besser verstehen möchtest.


    Zitat

    Der Junge tut mir leid

    Mitgefühl ist gut, Mitleid nicht!


    Wenn es einen Leidensdruck auf Seiten des Kindes gibt, ist das ein guter Handlungsansatz. Kannst du sagen, dass er mit seinem Verhalten und den Reaktionen seiner Mitschüler selbst große Probleme hat?


    Und zum Sport und dem Verweigern:


    du musst da dran bleiben!
    Er muss schon merken, dass er sich nicht einfach ausklinken darf. Du musst dir überlegen, welche Konsequenzen es für ihn haben könnte, wenn er sich wieder verweigert. (Von daher wäre ein Gespräch mit der Kindergärtnerin sicher hilfreich)
    Die teilst du ihm mit und bleibst konsequent. Das ist ganz wichtig!


    Ich glaube dir, dass du ganz neu an einer Schule erst einmal viele Dinge für dich herausfinden musst.

  • Sein kleiner Bruder sei da ganz anders und das beruhige sie, dass der wenigstens "normal" sei.

    Natürlich, dass ist für sie ja auch "beruhigend". Hat der Große einen anderen Vater als der Kleine? frag doch mal, wie er aufgewachsen ist, ob er ein Wunschkind war.
    Nein, frag das natürlich nicht wirklich, das steht einem Lehrer nicht zu.


    ob er der Noah sei antwortete er mehrmals,"Nein ich bin der Moah"... Wenn er mit Kindern spricht, dann redet er aber scheinbar "wirres Zeug", was die anderen Kinder verwirrt. Manchmal geht er auch zu den Kindern hin, geht ganz nah an deren Gesicht und verabschiedet sich von ihnen oder schüttelt sie teilweise.

    Das finde ich das Auffälligste an der ganzen Geschichte und hat m.E. nichts mit Autismus zu tun. Schon klar, ich bin kein Psychiater und stelle meine Diagnosen etwas sehr spontan über die Entfernung ;) . Wenn du magst, dann guck dich im Internet mal nach Bindungstheorien und Bindungsstörungen um. Ich denke, dein Gefühl ist richtig, hier stimmt etwas ganz massiv nicht. Wenn du Zeit hast, dann versuche dich mit dem Kindergarten auseinanderzusetzen. Dazu müsstest du eigentlich eine Schweigepflichtsentbindung von den Eltern besorgen, fraglich, ob sie das wollen.


    Für den Unterricht sehe ich das ähnlich wie MarlenH. Es gibt Zeiten und Orte, wo er sich zurückziehen darf (Pause im Zelt) und Zeiten, wo er sich beteiligen muss (Sportunterricht). Wie das genau aussehen kann, weiß ich noch nicht, weil mir nicht ganz klar ist, wie beeinträchtigt er ist und was passieren wird, wenn du ihn zum Mitmachen "zwingst". Ich würde das auf jeden Fall mit ihm besprechen, dass du siehst, dass es ihm schwerfällt, mit anderen zusammenzuspielen und er sich deswegen ins Zelt zurückziehen darf. Dass Unterricht aber Unterricht ist und du von ihm erwartest, dass er jede Stunde zumindest an einem Spiel teilnimmt/ die Bälle trägt/ bis zum Schluss auf dem Spielfeld bleibt, oder was sonst passt...

  • "Helfen" muss/sollte man nur in Punkten, wo jemand unter einem Anderssein leidet.


    Ich stimme in vielen Punkten mit Kecks überein (obwohl ich Beiträge mit ausschließlicher Kleinschreibung nervig zu lesen finde.. ;) ) - nicht alles, was "nicht normal" ist, gehört "bekämpft". Man sollte Anderssein auch gelten lassen können, wenn das Kind selbst oder sein Umfeld dadurch nicht beeinträchtigt werden; bei welchen Punkten das der Fall ist, sollte man sorgfältig abwägen, nicht nur vom eigenen Standpunkt her.

  • Ob nun Autismusspektrumsstörung oder nicht - auffällig ist sein Verhalten natürlich schon, und Du wirst nicht umhin kommen, darauf zu reagieren.


    Für ASS würde – so aus der Ferne gesehen – allerdings einiges sprechen:


    Das gestörte Sozialverhalten, das sich offenbar auch darin zeigt, dass er Kontakt unangemessen anbahnt; die Affinität zu Zahlen und Strukturen; und auch der Rückzug in das Zelt, das ja eine begrenzte Umgebung ist (Vielleicht verhindert er damit aus eigenem Antrieb einen Overload. Das hielte ich für ein gutes Zeichen.). Auch dass er Sport nur mitmacht, wenn er Fänger ist, könnte ein Indiz für ASS sein: Sehr viele Autisten ertragen Körperkontakt nur, wenn sie ihn selbst kontrollieren und steuern können. Einen Fänger möchte ja niemand von sich aus berühren, so dass er hier die Kontrolle hat.


    Wie zeigt sich denn die Lese- und Schreibschwäche? Viele Autisten haben Probleme mit der Feinmotorik und der Hand-Augen-Koodination. Zudem auch Probleme mit der visuellen Wahrnehmung, die dazu führen können, dass sie auf einem Blatt mit vielen Zeilen (oder Zeichen) den Überblick verlieren. (Kann er auf einem Blatt DInge zählen, ohne durcheinander zu kommen?)


    Sogenannte "Frühkindliche Autisten" lernen spät, unzureichend oder nie sprechen. Durch ihre generellen Kommunikationsprobleme können sie Sprache nicht für eine angemessene Kommunikation verwenden ("wirres Zeug").


    Hier wäre eine Testung tatsächlich angeraten, denn dann könnte das Kind auch von speziellen Autismus-Therapien profitieren, bei denen ihm Kommunikationsstrategien und ganz allgemein Regel des sozialen Miteinanders beigebracht werden, die es ja nicht intuitiv verstehen kann.


    Du wirst das Verhalten des Kindes nicht sehr beenflussen können. Schwierig ist hierbei, zu wissen, was Du ihm zumuten und daher auch von ihm einfordern kannst. Dieses Problem würde aber auch keine Diagnose lösen, denn jeder Autist ist anders.
    Wenn Du die Situation in der Klasse unaufgeregt thematisieren möchtest, könnte dir das Kinderbuch "Irgendwie anders" dabei helfen:
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    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Danke für die vielen Antworten.
    Ich habe mir einen Fragebogen im Internet angesehen, durch den Eltern herausfinden können ob ihr Kind möglicherweise autistische Tendenzen hat (natürlich muss dies dann noch weiter von einem Experten diagnostiziert werden) und ich konnte aus dem Schulalltag viele Fragen mit Ja beantworten.


    Natürlich ist mir auch klar, dass sich durch die eigentliche Diagnose (sollte sie überhaupt festgestellt werden) nicht viel ändern wird.
    Ich habe eigentlich nicht den Eindruck, dass er sich jetzt besonders unwohl fühlt. Er ist halt sehr gerne in diesem Zelt, hat an einem Bewegungslied sehr viel Spaß und sitzt ansonsten eher passiv im Unterricht und beschäftigt sich mit Kleinigkeiten. Die anderen Kinder ignorieren ihn eigentlich größtenteils. Einmal im Monat wechseln entweder die Jungs oder die Mädchen den Sitzplatz, so dass er jeden Monat ein anderes Mädchen neben sich sitzen hat. Mit diesen Kindern spricht er dann auch etwas, aber weil er dies auf eine nicht ganz so normale Art tut, gehen ihm die anderen Kinder dann meist eher aus dem Weg. Was ihn aber auch nicht großartig stört.


    Ich denke halt auch, dass in der Familie irgendetwas nicht so ganz passt. Er hat z.B. häufiger keine Hausaufgaben und sagt dann er konnte sie nicht machen, weil der Papa ihm nicht dabei geholfen hat oder weil die Mama alle seine Stifte aus dem Fenster geworfen hat. Die Mutter erzählt mir dann, dass er sein Hausaufgabenheft vor ihr versteckt oder sagt er hätte es in der Schule gelassen. Angeblich würde er die Hausaufgaben extra nicht machen, damit er in der Pause nicht nach draußen darf und sie in der Klasse nachholen muss. Da weiß man nun auch nicht so richtig wem man glauben soll.

    Zitat

    Wie zeigt sich denn die Lese- und Schreibschwäche? Viele Autisten haben
    Probleme mit der Feinmotorik und der Hand-Augen-Koodination. Zudem auch
    Probleme mit der visuellen Wahrnehmung, die dazu führen können, dass sie
    auf einem Blatt mit vielen Zeilen (oder Zeichen) den Überblick
    verlieren. (Kann er auf einem Blatt DInge zählen, ohne durcheinander zu
    kommen?)

    Mit der Feinmotorik und der Hand-Augen-Koordination hat er eher keine Probleme, denn in Mathe bekommt er ja alles super hin. Teilweise ganze Seiten im Mathebuch ohne einen einzigen Fehler.
    Ich denke er hat da eher auditive bzw logopädische Probleme die passenden Laute zu hören. Z.B. wenn man ihn fragt wo hörst du bei Banane das B dann rät er erst und sagt "vielleicht am Ende?" oder da ist gar kein B.

  • immer noch meine unqualifizierte privatmeinung: wenn ich an meine autisten denke (gymnasium), dann glaube ich das kalkulierte "ich konnte die ha nicht machen" als ausrede, um dann "zur strafe" in der pause drinnen bleiben zu können, sofort. denk mal aus seiner perspektive: keine lauten kinder auf dem pausenhof! kein unkalkulierbares und unberechenbares gerenne anderer um ihn rum! grundschulpausen sind der inbegriff der nicht-struktur. das ist für autisten, so er denn einer ist, häufig völlig überfordernd, fast schon folter (wie gesagt, selbst mit 13 und sehr hoher intelligenz kann es schon zuviel sein, statt der üblichen einzel- und partnerarbeit bzw. gespräch im plenum mal eine aufstellung an einer skala am boden durchzuführen für einen autisten - völlig überfordernd, da zu unberechenbar und zu unstrukturiert. alle stehen plötzlich, wo sie sonst sitzen. und man weiß vorher nicht, wo sie stehen werden.... das macht angst bis panik, das macht kopfschmerz, das überforder einfach extrem). reizüberflutung ohne ende. statt dessen ein ruhiges zelt und ein spannendes konstruktionsspiel. paradise oder hell, was würdest du wählen? (deshalb würde ich ihn auch nicht zwingen, an bewegungsspielen mit kontakt teilzunehmen. vielleicht gibt es ja auch gemeinsame turnaktivitäten, die strukturierter ablaufen? wo jeder weiß, wann er wo zu sein hat? zum beispiel staffeln...). ich finde, das kind klingt für einen so kleinen autisten, wenn er denn einer ist, recht vernünftig und lösungsorientiert. nicht anpassung des neurountypischen kindes an die norm ist das ziel, sondern gemeinsames klarkommen mit der andersheit aller. wenn jemand keine lauten rennenden anderen kinder aufgrund seiner verschaltung im hirn ertragen kann - so what?

  • oder weil die Mama alle seine Stifte aus dem Fenster geworfen hat. Die Mutter erzählt mir dann, dass er sein Hausaufgabenheft vor ihr versteckt oder sagt er hätte es in der Schule gelassen.

    Hältst du das für eine normale Kommunikation mit einem 6jährigen? Sie wirft die Stifte aus dem Fenster?! das hat er sich nicht ausgedacht. Zusammen mit diesem Akteneintrag, er müsse vor anderen beschützt werden, hätte sich noch nie verletzt? Fantasiesprache und schütteln anderer Kinder etc.



    Guckt euch mal das an. Nur so als Relation: Sowas passiert, wenn Kinder völlig bindungslos aufwachsen.
    http://www.youtube.com/watch?v=MGzb3HaVRUw



    Ich kenne das kleine Kerlchen nicht, aber ich würde mir gut überlegen, ob er nicht besser vor einer Autismusdiagnose geschützt wird, mit der er seinen Stempel samt als Toleranz bezeichneter Ignoranz durch das Umfeld erst bekommt. Ich streite nicht ab, dass es Autismus gibt und manch einem mag es besser gehen, wenn er endlich einen Namen für seine Probleme hat. Aber kümmere dich lieber weiter um ihn, so wie du es bereits machst und versuche regelmäßig und wertschätzend mit den Eltern zu sprechen. Wenn du einen Draht zur Mutter aufbauen kannst, wird sie möglicherweise von alleine über ihr Überforderungserleben sprechen und vielleicht bereit sein, sich Unterstützung zu suchen.

  • "Ich denke halt auch, dass in der Familie irgendetwas nicht so ganz passt. Er hat z.B. häufiger keine Hausaufgaben und sagt dann er konnte sie nicht machen, weil der Papa ihm nicht dabei geholfen hat oder weil die Mama alle seine Stifte aus dem Fenster geworfen hat. Die Mutter erzählt mir dann, dass er sein Hausaufgabenheft vor ihr versteckt oder sagt er hätte es in der Schule gelassen. Angeblich würde er die Hausaufgaben extra nicht machen, damit er in der Pause nicht nach draußen darf und sie in der Klasse nachholen muss. Da weiß man nun auch nicht so richtig wem man glauben soll."



    So ein Wirrwarr muss du auch nicht selbst entwirren.


    Was sagen deine SL oder andere Kollegen dazu?

  • So, heute nach all euren Vorschlägen ging ich hochmotiviert an die Sache heran. Fest entschlossen ihn so zu akzeptieren wie er ist und neugierig mehr über ihn herauszufinden.
    Er hat es mir allerdings nicht einfach gemacht. In der 1. Stunde war er bei einer Vorlesemutter. In der nächsten Stunde sollten die Kinder zu Fotos schreiben, was das Klassentier in den Ferien erlebt hat. Da hat er es mit Mühe gerade mal geschafft den Namen des Klassentiers von der Tafel abzuschreiben. Ansonsten hat er entweder seine Sitznachbarin gestört, indem er ihr ganz nah auf die Pelle gerückt ist oder sie andauernd angestupst hat.
    In der Pause habe ich ihn dann in der Klasse gelassen und gemeinsam versucht mit ihm etwas zu dem Foto zu schreiben. Es war nicht einfach aber nach zehn Minuten hatten wir dann auch einen ganzen Satz geschrieben, den er sich vorher ausgedacht hatte. Hinterher hat er sich ganz nett bei mir bedamkt, dass ich ihm alles "vorgersagt habe". :victory:
    Im Anschluss daran habe ich dann noch versucht mehr über ihn herauszufinden. Er hat mir gesagt, dass er in den Pausen nie gerne nach draußen geht, weil da so viele Kinder sind und alle immer so wild hin und her rennen. Er würde da so gerne etwas mit Kreide malen und dann schubst ihn immer jemand an und dann ist das ganze Bild "versaut" (O-Ton)
    Er sagte mir dann noch, dass er am liebsten jede Pause drin bleiben möchte, denn dann kann er mit den ganzen Sachen spielen. Heute hat er sich hauptsächlich mit den Magneten und der Tafel beschäftigt. Als ich ihn fragte, ob er denn zum spielen gerne ein anderes Kind dabei haben möchte, verneinte er und sagte, dass es ihm mit mir in der Klasse alleine am besten gefällt. Wir haben dann abgemacht, dass er an zwei Pausen in der Woche alleine drin bleiben darf. Das hat ihn erstmal gefreut, auch wenn er am liebsten alle Pausen gehabt hätte.
    Als ich dann runter ging, um die anderen Kinder aus der Pause zu holen, hat er sich wieder ins Zelt gesetzt und kam erst nach mehrmaliger Aufforderung wieder heraus. In der nächsten stunde hatten wir Mathe und dort hat er seine Sitznachbarin noch häufiger als vorher gestört. Nach mehrmaligem Ermahnen habe ich dann seine Tasche und sein Buch genommen und an einen Einzelplatz gelegt. Er hat sich aber geweigert dorthin zu gehen. Ich habe ihn dann zuerst ignoriert, aber er blieb stur. Nach ca. zehn Minuten habe ich noch einmal versucht mit ihm zu reden und er hat gesagt, dass er auf gar keinen Fall an den Einzeltisch will und er sich ab jetzt benehmen möchte. Da habe ich ihm dann seine Heft wiedergegeben und er hat auch gearbeitet.
    In Sport gab es dann ein neues Spiel, ohne Körperkontakt und er hätte gut mitspielen können, aber er hat sich wieder geweigert und sich auf die Bank gesetzt. Er war zu gar nichts zu bewegen.
    In der nächsten Stunde hat er dann seiner Sitznachbarin mehrmals Stifte weggenommen. Als ein Stift nicht mehr aufzufinden war, habe cih ihn gefragt wo der sei und er antwortete, dass er es nicht wisse. Ein Blick in seine Schultasche und der Stift war gefunden. Seine Reaktion war nur: "Ich frage mich wie der da rein kommt?"


    Ein Gespräch am Ende des Schultages mit dem Vater brachte auch nicht sooo viel. Dieser sagte nur, ja wenn er etwas nicht will, dann will er einfach nicht.


    Das Schlimme (bzw. eigentlich Gute) ist, dass er wenn er etwas nicht will nicht stört. Er sitzt dann einfach nur still rum und guckt.
    Morgen in der Pause muss ich wohl noch einmal mit ihm explizit über die Pflichten eines Schülers sprechen.
    Habt ihr vielleicht sonst noch ein paar Tipps für mich?

  • :top: Hervorragend, dann hast du schon eine Belohnung, für die er etwas machen würde. Suche dir eine Sache raus, die am Wichtigsten ist (zum Stundenbeginn bin ich auf meinem Platz/ liegen alle Sachen bereit/ im Sport wird nicht auf der Bank gesessen/ ich beginne sofort mit der Aufgabe...) pro Erfolg ein Stempel. Wenn das klappt (und nur dann!), darf er in der 2. Pause am Dienstag drinbleiben. Einzelzeit mit dir ist Belohnung und keine Selbstverständlichkeit!



    -> Einzeltisch beibehalten (wenn ich die nächsten Wochen sehe, dass du alleine arbeiten kannst, darfst du wieder einen Sitznachbarn bekommen).



    -> Auch wenns widersprüchlich klingt: dass es gerade schlimmer wird, ist ein gutes Zeichen. Jetzt fängt er an zu testen und er merkt genau, wie du ihn im Blick hast, dass du einen Draht zu ihm gefunden hast! Zieh durch, was du ankündigst. Lass es getrost auf einen möglichen Ausbruch ankommen.



    -> Verantwortung zuteilen (eine beliebte Lehrer-Helfer-Aufgabe/ Hilfestellung in Mathe für ein schwächeres Kind o.ä.)



    -> Klare Absprachen mit den Eltern bzgl. der Hausaufaben.
    (Papa: "tja, wenn er nicht will, will er nicht". Lehrer: "Aha, Sie schaffen es nicht, ihn zu etwas zu bewegen, worauf er keine Lust hat. Verstehe ich Sie richtig?" Papa: "nee, Sie kennen ihn ja. Er macht dann einfach nix mehr". L: "okay und was machen Sie dann?" Papa: "..." L: "mhm, ich verstehe. Aber er muss Hausaufgaben machen. Wenn er das Hausaufgabenheft in der Schule lässt, telefonieren wir jetzt jeden Tag einmal wegen der Ha, bis das klappt. Schaffen Sie das? oder haben Sie andere Vorschläge?" Papa: "ich gehe arbeiten, wie soll ich da jeden Tag anrufen?!" Lehrer: "machen Sie einen Vorschlag. Ich erwarte, dass XY ab morgen mit Hausaufgaben kommt". Papa: "meine Frau versucht es ja, aber..." L: "ich verstehe, dass das anstrengend ist, er weiß genau, wie er Sie zur Verzweiflung treibt. So sind Kinder. Wenn ihre Frau es nicht schafft, dann müssen Sie das machen oder brauchen Sie Unterstützung von außen? kann die Oma...? Das Jugendamt vermittelt z.B. auch Familienhelfer.") oder so ähnlich.


    Bleib am Ball :)

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