Provokante Thesen eines Berliner Schulleiters

  • Zitat

    Als Nicht-Haupschullehrer kam es mir bis jetzt so rüber, dass man die Hauptschule als eine Schule betrachtet und betrieben hat, die im Prinzip (fast) das Gleiche macht wie die Realschule und Gymnasium, bloß kognitiv um etliche Level niedriger. Kein Wunder, dass dann der Begriff Restschule entstanden ist. Aber auch die Gemeinschaftsschule wäre eine Restschule, eben halt von dem Rest, der dann nicht aufs Gymnasium geht. Fürchte in diesem Zusammenhang, dass die meisten Realschüler nämlich das Gymnasien besuchen würden.


    Jein. Grundsätzlich sind bei uns schon die kognitiv schwächeren Schüler anzusiedeln - und ja, leider ist die 6-stufige Realschule nicht günstig für die Mittelschule und auch die privaten Wirtschaftsschulen nehmen viele Kandidaten, die dann dort doch scheitern und eigentlich Mittelschüler wären.


    Konzeptionell arbeiten wir schon anders - Klassleiterprinzip, viele Wiederholungen, viele Praktika, starke Orientierung auf die Berufsfindung. Viele Schüler haben Probleme sich zu strukturieren, erhalten wenig Anregung von daheim, brauchen viel persönliche Zuwendung und Betreuung - und sind leider nicht zwingend handwerklich begabt. Ich erlebe es aber durchaus so, dass das Konzept häufig (nicht immer) erfolgreich ist und viele (nicht alle) kommen im Berufsleben an und gehen ihren Weg. Einige Spätzünder entschließen sich auch, über den zweiten Bildungsweg Abitur zu machen.


    Denen, die ich bis jetzt als gescheitert sehe - hätte eine Eintrittskarte in Realschule oder Gymnasium keineswegs geholfen - da stecken meist gravierende psychische Probleme dahinter, die die Schule nicht lösen kann. Was teilweise hilft sind Maßnahmen und Hilfen auch nach der Schule - kostenlose Nachhilfe in der Berufsschule, sozialpädagogische Betreuung, überbetriebliche Ausbildung.


    Vielleicht ist es tatsächlich ein bisschen "Rest" - wobei ich das für mich sehr unmotivierend finde, das so zu sehen - aber dem Rest hilft es mit Sicherheit nicht, notwendige Hilfen zu entziehen.

  • Dann frage ich mich natürlich, wieso in den 50ern und 60ern die gute alte Volksschule gut funktioniert und ein respektables Ansehen gehabt hat. Die künftigen Handwerker und Bauern gingen in die Volksschule (Das war überhaupt keine Schande!), künftige Kaufleute und Büromenschen in die Realschule und künftige Akademiker auf das Gymnasium. Das war gesellschaftlicher Konsens und bei allen akzeptiert.


    Genau dieses Denken ist aber doch auch das Problem gewesen. Das Schulsystem ist nur eine logische Folge dessen.
    Wie wird denn festgelegt, wer ein künftiger Handwerker, wer ein künftiger Akademiker wird? Das kann man doch nicht ernsthaft anhand der schulischen Leistungen eines Achtjährigen prognostizieren. Da werden doch die Chancen von Spätzündern völlig verbaut. Wir haben regelmäßig Abiturienten, die mit Hauptschulempfehlung zu uns gekommen sind. Wir verschenken das Abitur nicht. Die sind also irgendwann schulisch auf die Füße gefallen und haben von den differenzierten Angeboten, die wir machen, und dem höheren Ausgangsniveau ihrer Mitschüler deutlich profitiert. Ob diese Entwicklung so an einer Hauptschule stattgefunden hätte, sei mal dahingestellt.


    Im Übrigen war es in den 50ern und 60ern durchaus nicht so, dass nur die Begabtesten aufs Gymnasium gewechselt sind, sondern vor allem diejenigen, deren Eltern ebenfalls höhere Bildungsabschüsse hatten. Arbeiterkinder wurden systematisch am Wechsel aufs Gymnasium gehindert, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Diese Zeiten möchte ich nicht zurückhaben.

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Zitat Jule13 :

    Zitat

    Genau dieses Denken ist aber doch auch das Problem gewesen. Das Schulsystem ist nur eine logische Folge dessen.

    Nein !

    Zitat

    Wie wird denn festgelegt, wer ein künftiger Handwerker, wer ein künftiger Akademiker wird? Das kann man doch nicht ernsthaft anhand der schulischen Leistungen eines Achtjährigen prognostizieren. Da werden doch die Chancen von Spätzündern völlig verbaut.

    Bei uns in Klasse 5 sind die Schüler ca. 10 Jahre alt ! Da wir ein offenes Schulsystem haben, sind auch Schulformwechsel möglich. Manchmal wird ja auch mit Erfolg gewechselt.
    Wo ist das Problem ?

    Zitat

    Im Übrigen war es in den 50ern und 60ern durchaus nicht so, dass nur die Begabtesten aufs Gymnasium gewechselt sind, sondern vor allem diejenigen, deren Eltern
    ebenfalls höhere Bildungsabschüsse hatten. Arbeiterkinder wurden systematisch am Wechsel aufs Gymnasium gehindert, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Diese Zeiten möchte ich nicht zurückhaben.

    Und wieso kenne ich dann genügend Gegenbeispiele erfolgreicher Arbeiterkinder aus den 60ern? Es ist natürlich chic, frühere Zustände per se als schlimmer zu betrachten als sie tatsächlich waren. Und man muss sich auch fragen, ob Schüler, Lehrer und Eltern heute wirklich zufriedener als früher sind.


    Aber natürlich bin ich in der Sache bei Euch, dass die soziale Herkunft keine Rolle für die weitere Schullaufbahn spielen darf. Allein die Leistung muss entscheidend sein. Deshalb bin ich ja auch für Aufnahmeprüfungen nach der Grundschulzeit.


    Aber so, wie es jetzt läuft, dass fast jeder Hans und Franz das Gymnasium besucht, ist auch nicht der wahre Jakob. Woher kommen sonst die gegenwärtigen Probleme ?8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    Einmal editiert, zuletzt von Elternschreck ()


  • Ruhig bleiben. Bildungspolitiker haben doch schon die Lösung parat:

    Zitat

    "Die beste Stärkung der Stadtteilschulen ist im Sinne einer guten Bildung für alle Kinder die Abschaffung des Zwei-Säulen-Modells", sagt die Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus. "In der Konsequenz haben wir dann das Gymnasium für alle, warum nicht?", fragt Boeddinghaus


    Darauf wird´s hinauslaufen. Selbstverständlich wird es ein paar (private und staatliche) "Eliteschulen" geben zur "Stärkung des Standortes Deutschland" (lies: für die Oberschicht und oberste Mittelschicht). Und schon schließt sich der hundertjährige Kreis der Schulstrukturentwicklung.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Aber natürlich bin ich in der Sache bei Euch, dass die soziale Herkunft keine Rolle für die weitere Schullaufbahn spielen darf. Allein die Leistung muss entscheidend sein. Deshalb bin ich ja auch für Aufnahmeprüfungen nach der Grundschulzeit.


    Aber so, wie es jetzt läuft, dass fast jeder Hans und Franz das Gymnasium besucht, ist auch nicht der wahre Jakob. Woher kommen sonst die gegenwärtigen Probleme

    Selbstverständlich spielt in einem selektiven Schulsystem die soziale Herkunft eine entscheidende Rolle für die Schullaufbahn. Und daran würden Aufnahmeprüfungen nach der Grundschulzeit nichts ändern. Vor und während ihrer Schulzeit werden Kinder sehr unterschiedlich gefördert, gefordert, ermutigt und vorgebildet. Sie haben außerdem sehr unterschiedliche gute Lern- und Arbeitsbedingungen. Natürlich haben es Kinder leichter, wenn ihe Muttersprache Deutsch ist, wenn im Kleinkindalter ihre Fragen beantwortet wurden, wenn die Eltern ihnen vorgelesen und mit ihnen gespielt haben, anstatt sie viel zu früh vor Bildschirme zu setzen. Selbstverständlich hilft es, wenn ihnen ein Schreibtisch in einem ruhigen Zimmer und bei Bedarf ein Nachhilfelehrer zur Verfügung stehen. Und wie könnte es keine Rolle spielen, wenn Eltern sich scheiden lassen, ihren Kindern ein leistungsloses Leben als Almosenempfänger vorleben oder einfach keine Zeit für ihre Kinder und deren Probleme haben bzw. sich nicht dafür interessieren?


    Das sind nur einige der Gründe für die große Unterschiedlichkeit der familiären Voraussetzungen unserer Schülerinnen und Schüler. Weil wir die Eltern und damit auch die Unterschiedlichkeit der Lernenden kaum ändern können, bräuchten wir ein Schulsystem und Unterrichtsmethoden, die mit der gegebenen Unterschiedlichkeit umgehen können. Und das haben wir nicht, solange alle Jugendlichen in einer Schulklasse am selben Tag die selbe Klausur schreiben müssen. Nicht Hans und Franz und ihre Unterschiedlichkeit sind das Problem, sondern der unglaublich dumme Versuch, alle Lernenden einer Klasse im selben Tempo lernen lassen zu wollen. Da hilft auch nicht der lächerliche Versuch, die gesunden Lernenden in läppische drei Leistungsklassen einzuteilen. Es gibt keine 3 Leistungsgruppen, sondern ein ganz breites Spektrum.


    Wenn alle Lernenden so viel und so schnell wie möglich lernen sollen, dann müssen sie auf ihren jeweiligen Lernständen abgeholt werden und in ihren eigenen Lerntempi sowie ihren jeweiligen Lerntypen entsprechend lernen dürfen. Das ist auch ohne zusätzliches Lehrpersonal möglich, wenn die Kinder von Anfang an daran gewöhnt werden, weitgehend selbständig zu lernen. Man benötigt dafür nur Selbstlernmaterial, welches sich aber mit den heute zur Verfügung stehenden Techniken durchaus herstellen lässt.


    Natürlich würde die größere Freiheit beim Lernen gleichzeitig eine größere Verbindlichkeit bei den Leistungsnachweisen erfordern, aber das brauchen wir ohnehin. Denn das Abitur ist bereits seit Jahrzehnten kein wirklicher Nachweis einer allgemeinen Hochschulreife und erfolgreiche Absolventen von Realschulen können keinswegs unbedingt Lesen und Schreiben. Schon aufgrund der großen und pädagogisch auch notwendigen Bedeutung der mündlichen Mitarbeit kann man das Abitur schaffen, ohne wirklich etwas zu können. Statt des Etikettenschwindels Abitur, mittlere Reife oder Hauptschulabschluss brauchen wir Zertifikate, die aufgrund bundeseinheitlicher Prüfungen feststellen und bescheinigen, was die Prüflinge zum Zeitpunkt der Prüfung tatsächlich können. Und Hochschulen oder Arbeitgeber könnte verlangen, dass wichtige Prüfungen vor nicht zu langer Zeit (nochmals) abgelegt wurden. Berufsverbände könnten bekannt machen, welche Zertifikate ihre Bewerber vorweisen müssen. Und Lernende könnten mit ihren Eltern selbst entscheiden, ob sie sich auf die Prüfungen in einer Schule, mit Privatlehrern oder allein zuhause vorbereiten wollen. Zählen würde in erster Linie das Ergebnis und weniger die dafür benötigte Zeit. Aber die Flexibilität hinsichtlich der Lerngeschwindigkeit würde verhindern, dass Lernende über- oder unterfordert werden. Ein beispielsweise von den Universitäten, Berufsverbänden, Stiftungen und Vereinen organisiertes bundeseinheitliches Prüfungssystem könnte die Grenzen zwischen Schule und Erwachsenenbildung, zwischen Ausbildung und Fortbildung ebenso überflüssig machen wie die Gliederung unseres Schulsystems.


    Mehr Freiheit und Flexibilität beim Lernen und Lehren auf der einen sowie mehr Verbindlichkeit und Vergleichbarkeit beim Nachweis von Wissen und Können auf der anderen Seite würde es nicht nur den Mittelmäßigen, sondern auch den Minder- und Hochbegabten ermöglichen, ihre Potentiale zu nutzen und vor allem die lebenslang notwendige Freude am Lernen nicht zu verlieren.

  • Zitat von »Elternschreck«


    Aber natürlich bin ich in der Sache bei Euch, dass die soziale Herkunft keine Rolle für die weitere Schullaufbahn spielen darf. Allein die Leistung muss entscheidend sein. D

    Vor und während ihrer Schulzeit werden Kinder sehr unterschiedlich gefördert, gefordert, ermutigt und vorgebildet. Sie haben außerdem sehr unterschiedliche gute Lern- und Arbeitsbedingungen. Natürlich haben es Kinder leichter, wenn ihe Muttersprache Deutsch ist, wenn im Kleinkindalter ihre Fragen beantwortet wurden, wenn die Eltern ihnen vorgelesen und mit ihnen gespielt haben, anstatt sie viel zu früh vor Bildschirme zu setzen. Selbstverständlich hilft es, wenn ihnen ein Schreibtisch in einem ruhigen Zimmer und bei Bedarf ein Nachhilfelehrer zur Verfügung stehen. Und wie könnte es keine Rolle spielen, wenn Eltern sich scheiden lassen, ihren Kindern ein leistungsloses Leben als Almosenempfänger vorleben oder einfach keine Zeit für ihre Kinder und deren Probleme haben bzw. sich nicht dafür interessieren?

    Man nehme....


    Kinder sind kein Kuchen, den man nur nach dem richtigen Rezept und bei der richtigen Temperatur backen muss, dann wird er schon schmecken. Ich z.B. hatte nie einen eigenen Schreibtisch in einem ruhigen Zimmer. Von den anderen Sachen mal abgesehen. Ich amüsiere mich immer wieder über solche Rezepte. Wirklich.


    Ich hatte aber, neben einer Grundbegabung, etwas, was man heute intrinsiche Motivation nennt. Ich wollte selbst, und nicht meine Eltern oder Lehrer. Und, weil ich es selbst wollte und ein klares Ziel vor Augen hatte, habe ich mir unbewußt Verbündete gesucht und gefunden. Meine soziale Herkunft hat da in der Tat keine Rolle gespielt.

    Das sind nur einige der Gründe für die große Unterschiedlichkeit der familiären Voraussetzungen unserer Schülerinnen und Schüler. Weil wir die Eltern und damit auch die Unterschiedlichkeit der Lernenden kaum ändern können, bräuchten wir ein Schulsystem und Unterrichtsmethoden, die mit der gegebenen Unterschiedlichkeit umgehen können. Und das haben wir nicht, solange alle Jugendlichen in einer Schulklasse am selben Tag die selbe Klausur schreiben müssen. Nicht Hans und Franz und ihre Unterschiedlichkeit sind das Problem, sondern der unglaublich dumme Versuch, alle Lernenden einer Klasse im selben Tempo lernen lassen zu wollen. Da hilft auch nicht der lächerliche Versuch, die gesunden Lernenden in läppische drei Leistungsklassen einzuteilen. Es gibt keine 3 Leistungsgruppen, sondern ein ganz breites Spektrum.

    Ich saß 10 (in Worten: zehn )Jahre mit den selben Schülern in einer vollen Klasse. Geschadet hat es mir wenig.

    Wenn alle Lernenden so viel und so schnell wie möglich lernen sollen,

    Wer sagt denn eigentlich, was viel ist? Und warum muss alles schnell gehen?

  • Es lebe Utopia, geehrter Biologe !

    Was sie Utopie nennen, funktioniert problemlos seit Jahrzehnten. In Montessori-Schulen lernen seit über 100 Jahren Kinder selbständig und in ihren individuellen Lerntempi in altersgemischten Klassen mit Lernbehinderten und Hochbegabten und ohne zusätzliche Lehrer. Meine Tochter war in einer solchen Schule und hatte deswegen einen großen Vorsprung, als sie anschließend auf ein Gymnasium wechselte. Erst dort wurden ihre Begabung, Fleiß und Selbständigkeit ein Problem und sie musste eineJahrgangsstufe überspringen sowie zusätzliche Kurse belegen, um nicht völlig unterfordert zu werden. Die theoretische Führerschein-Prüfung sowie DELF und andere Sprachzertifikate zeigen ebenfalls schon seit Jahrzehnten, dass auch schulunabhängige Prüfungssysteme gut funktionieren.

  • Wobei ich von zumindest unserer örtlichen Montessorischule inzwischen weiß, dass die Kinder genau aussortiert werden. Laute und zapplige Kinder werden nicht genommen. Außerdem hat jede Klasse eine Doppelbesetzung. Würde ich auch meiner Klasse alle ADHS-Kinder aussortieren könnte ich auch ganz anderen Unterricht machen. ;)

  • Bevor Sie sich über etwas amüsieren, sollten Sie es vielleicht erst einmal verstehen. Sinnentnehmendes Lesen könnte da schon sehr helfen. Und da Sie sich binnendifferenziertes Lernen offensichtlich nicht vorstellen können, empfehle ich die Nutzung eines Tages der offenen Tür in einer Montessori-Schule. Ich konnte es mir auch nicht vorstellen, bevor ich es erlebt habe.


    Wer glaubt, seine Begabungen, Interessen, Frustrationstoleranz, Konzentrationsfähigkeit und Arbeitseifer hätten nichts mit der eigenen Familie oder allgemein der sozialen Herkunft zu tun, ist ziemlich naiv und weit hinter dem Stand der Hirnforschung und Epigenetik zurück.


    Übrigens habe ich nicht geschrieben, dass alle Schüler schnell und viel lernen sollen, sondern möglichst viel und schnell. Das bedeutet, dass Geschwindigkeit und Pensum des Lernens individuell an die Voraussetzungen und Fähigkeiten des Einzelnen angepasste werden sollen, damit sie weder über- noch unterfordert werden. Das ist auch in großen Klassen möglich, wenn nicht ein Lehrer das Lerntempo für eine ganze Klasse vorgibt, sondern jeder einzelne Schüler bzw. Zweierteams oder kleine Gruppen weitgehend selbständig lernen und nur gelegentlich die Hilfe von Lehrern in Anspruch nehmen. In Montessori-Schulen ist das völlig normal und funktioniert sehr gut. Voraussetzung ist nur, dass keine vergleichenden Noten gegeben werden. Stattdessen könnten Lernende einzelne Lernmodule mit Prüfungen abschließen, wenn sie soweit sind. Dann brauchen Lernbehinderte natürlich länger für die Erarbeitung des Stoffes als Hochbegabte, aber beide stören sich nicht gegenseitig, halten sich nicht auf und überfordern sich nicht und können deshalb problemlos in einer Klasse bleiben.

  • Zitat

    Sinnentnehmendes Lesen könnte da schon sehr helfen.

    Danke. Den Tipp kann ich weiter geben.


    Zitat

    Wer glaubt, seine Begabungen, Interessen, Frustrationstoleranz, Konzentrationsfähigkeit und Arbeitseifer hätten nichts mit der eigenen Familie oder allgemein der sozialen Herkunft zu tun, ist ziemlich naiv und weit hinter dem Stand der Hirnforschung und Epigenetik zurück.

    Ich schrieb nichts von Glauben. Aber du meintest ja auch nicht mich.


    Zitat

    Übrigens habe ich nicht geschrieben, dass alle Schüler schnell und viel lernen sollen, sondern möglichst viel und schnell.

    Das ist natürlich ein riesiger Unterschied. Doch beantwortet es die Frage nach dem WARUM nicht. Vielleicht bekomme ich die Antwort ja noch.

  • Zitat Biologe :

    Zitat

    Selbstverständlich spielt in einem selektiven Schulsystem die soziale Herkunft eine entscheidende Rolle für die Schullaufbahn.

    Dann frage ich mich natürlich, warum z.B. die Russlanddeutschen, aus denen mittlerweile spitzenmäßige Leistungsträger hervorgehen, das ganz gut auf die Reihe kriegen. Kenne konkret ehemalige Realschüller, die bei uns waren, deren Eltern nur mäßig Deutsch konnten und sonst auch nicht besonders priviligiert waren, und später 1er Abis hingelegt haben und jetzt erfolgreich in ihren Berufen sind.


    Ich denke, deine o.g. Denke hat sich in der Realität mittlerweile relativiert.

    Zitat

    Vor und während ihrer Schulzeit werden Kinder sehr unterschiedlich gefördert, gefordert, ermutigt und vorgebildet. Sie haben außerdem sehr unterschiedliche gute Lern- und Arbeitsbedingungen.

    Mag im Prinzip so sein. Aber wie sieht es in den heutigen priviligierten Schichten mit der Förderung der Geistesbildung in der Realität aus ? Welche relevanten Kompetenzen bringen sie für die Schullaufbahn wirklich mit, über die Unterschichtskinder nicht verfügen können ?


    Dazu einige Wahrnehmungen gegenwärtiger Gymnasialkollegen : Es stimmt, dass man spüren kann, aus welcher sozialer Schicht das betreffende Kind entstammt.


    Kinder aus den heutigen sozialpriviligierten Schichten unterscheiden sich von Unterschichtskindern dadurch, dass sie z.B. eine größere Kompetenz hinsichtlich EC-Kartenbedienung entwickelt haben, weil der Konsumkontostand stets sehr hoch ausfällt.


    Ebenfalls ist eine höhere Modekompetenz ausgeprägt, die sich im Tragen teurer Markenklamotten manifestiert. In der Fahrschule fallen sie dadurch positiv auf, dass ihnen der Umgang mit Mutters Cabrio und Vaters Porsche Cayenne vertraut ist.


    Im Sportunterricht können sie, aufgrund eigener Erfahrungen, dem Sportlehrer erklären, wie man optimal Tennis und Golf spielt. Auch das Bedienen einer Yacht ist ihnen vertraut.


    Auch der Erdkundelehrer verspürt einen größeren geistigen Horizont dbei Oberschichtskindern. In Städten wie New York, Paris und London sind sie beim Shoppen mit Mama sehr intensiv wirtschaftsgeographischen Fragestellungen nachgegangen.


    Beeindruckt sind fast alle Lehrer vom Selbstbewusstsein und sprachlicher Ausdrucksweise dieser Kinder. Nicht wenige Lehrer gehen vor ihrer Rhetorik auf die Knie und geben ihnen gute Noten. Ein böser und rückständiger Lehrer, der das Auftreten dieser Kinder als überheblich, arrogant und frech beurteilt...


    Ich hab es mal absichtlich für Sie karrikiert, geehrter Biologe !


    Kurzum : Die Gymnasialkollegen, die ich kenne, kommen immer häufiger zu der Überzeugung, dass in der heutigen Oberschicht immer weniger Wert auf wahre Geistesbildung gelegt wird als früher im priviligierten Bildungsbürgertum. Eine Kollege äußerte mir, dass die Abstammung aus der Oberschicht schon lange keinen Schulerfolg mehr garantieren würde, deshalb, weil die Konsumhaltung besonders ausgeprägt sei und Oberschichtseltern eher dazu neigen, die Schuld bei den Lehrern zu suchen, wenn ihr verwöhntes und freche Gör, beim Abi kaum was auf die Pappe bringt.-Etliche Kollegen setzen heutzutage daher eher auf Kinder unterer Schichten, mittlerweile besonders aus russlanddeutschen Familien.


    Soviel zum Thema soziale Herkunft und Schulerfolg, geehrter Biologe ! 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • Wobei ich von zumindest unserer örtlichen Montessorischule inzwischen weiß, dass die Kinder genau aussortiert werden. Laute und zapplige Kinder werden nicht genommen. Außerdem hat jede Klasse eine Doppelbesetzung. Würde ich auch meiner Klasse alle ADHS-Kinder aussortieren könnte ich auch ganz anderen Unterricht machen.

    Es gibt sogar sogenannte Montessori-Schulen mit Lehrern ohne Montessori-Ausbildung und mit konventionellem Unterricht. In Aachen wurde vor vielen Jahren von der Stadt eine Montessori-Gesamtschule mit Lehrern gegründet, die Montessori-Pädagogik für Unsinn hielten. Leider gibt es das, so wie es auch gute und schlechte konventionelle Schulen gibt. Ich ziehe als Vorbilder die gut funktionierenden Schulen vor und davon gibt es nach meiner Erfahrung immer mehr. So gibt es beispielsweise in Alsdorf bei Aachen ein Gymnasium, in dem sich Schülerinnen und Schüler weitgehend selbst aussuchen dürfen, von welchen Lehrern sie sich Dinge erklären lassen. Und in der vierten Aachener Gesamtschule wird nach dem Vorbild einer bekannten Berliner Schule weitgehend selbständig mit Lernmodulen gelernt. Je problematischer die Schülerschaft, umso kreativer werden einzelne Kollegien. Und bekannte Hirnforscher wie Hüther und Spitzer bringen inzwischen ihre Erkenntnisse in die Beratung einzelner Schulen ein. Ganz pragmatisch an Schulpolitik und Schulbehörden vorbei haben sich in Deutschland wieder viele interessante reformpädagogische Ansätze entwickelt, die Unterricht und Schule oft wissenschaftlich begleitet an die gestiegenen Anforderungen anpassen und dabei in so kleinen, strikt kontrollierten Schritten vorgehen, dass die Lernenden nicht als Versuchskaninchen mißbraucht werden.


    Die Montessori-Schule meiner Tochter war eine ganz normale staatliche Stadtteilschule in dem Sinne, dass sie alle Kinder ihrer Umgebung aufgenommen hat. Zusätzlich gab es in der Klasse meiner Tochter zwei von etwas weiter hergebrachte Kinder mit Hochbegabungen sowie ein lernbehindertes und ein sehbehindertes Kind. Das störte überhaupt nicht, denn die Klasse war ohnehin altersgemischt mit je 7 Kindern der Schuljahre 1-4. Die Kinder haben sich jahrgangsübergreifend die Lernpartner gesucht, die am besten zu ihnen passten. Ältere Schüler fungierten als Paten und Vorbilder der Jüngsten, die sich dadurch sehr schnell an das konzentrierte Lernklima anpassten. Und miteinander gespielt haben sie weitgehend unabhängig von ihren Lernständen. Diese Kinder haben nicht für Tests und Noten gepaukt und anschließend sofort wieder vergessen, sondern Schritt für Schritt richtig gelernt. Vor allem haben sie neben dem Stoff das selbständie Lernen gelernt und den Spaß am Lernen nicht verloren.

  • Danke. Den Tipp kann ich weiter geben.


    Ich schrieb nichts von Glauben. Aber du meintest ja auch nicht mich.


    Das ist natürlich ein riesiger Unterschied. Doch beantwortet es die Frage nach dem WARUM nicht. Vielleicht bekomme ich die Antwort ja noch.

    Die Antwort habe ich längst gegeben. Lernende sollen deshalb so schnell und viel wie ihnen möglich lernen, damit sie weder über- noch unterfordert werden. Denn nur so können sie ihre intellektuellen Fähigkeiten verbessern.

  • Dann frage ich mich natürlich, warum z.B. die Russlanddeutschen, aus denen mittlerweile spitzenmäßige Leistungsträger hervorgehen, das ganz gut auf die Reihe kriegen. Kenne konkret ehemalige Realschüller, die bei uns waren, deren Eltern nur mäßig Deutsch konnten und sonst auch nicht besonders priviligiert waren, und später 1er Abis hingelegt haben und jetzt erfolgreich in ihren Berufen sind.

    Versuchen Sie die Sache mit der sozialen Herkunft mal ein wenig differenzierter zu denken. Entscheidend für die Förderung der Kinder sind doch nicht Geld und Einfluss der Eltern, sondern deren vorgelebte Haltungen zum Lernen, zur Anstrengung, zur Eigenverantwortung und ähnlichen Tugenden. Ich schreibe nicht über Ober- und Unterschicht, sondern über bildungsferne und bildungsnahe sowie über erziehungsfähige und erziehungsunfähige bzw. emotional intakte oder eben zerrüttete Elternhäuser.

  • Okay. Verstehe. Dir geht es um die intellektuellen Fähigkeiten.



    Manche lernen wegen...und manche trotz...und manche sogar ihr ganzes Leben und manche erst viel später, wenn das Ziel klar ist oder andere Lebensthemen in den Hintergrund geraten sind. Das ist übrigens der neueste Stand der Hirnforschung. Zum Glück ist das ja immer möglich.


    Deine Tochter hat ja wohl auch den harten Schulalltag an der staat lichen Schule überlebt.


    Zitat

    Erst dort wurden ihre Begabung, Fleiß und Selbständigkeit ein Problem und sie musste eine Jahrgangsstufe überspringen sowie zusätzliche Kurse belegen, um nicht völlig unterfordert zu werden.

    Sicher wurde ihr das ermöglicht und das ist doch erfreulich.


    Kinder verlassen die Schule nicht als fertige Menschen.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Diese Kinder haben nicht für Tests und Noten gepaukt und anschließend sofort wieder vergessen, sondern Schritt für Schritt richtig gelernt. Vor allem haben sie neben dem Stoff das selbständie Lernen gelernt und den Spaß am Lernen nicht verloren.


    Diese Schüler waren im Grundschulalter.
    Warum wird bei solchen Diskussionen die Baustelle Pubertät immer so gerne außen vor gelassen? Eine Baustelle, die völlig unanbhängig von Wohnort, Elternverhalten, Gedlbeutel auftritt?

  • Mir geht es keineswegs nur um intellektuelle Fähigkeiten, aber meine Antwort bezog sich auf die konkrete Frage nach dem Sinn möglichst hoher Anforderungen.
    Mir reicht es auch nicht, wenn hochbegabte Jugendliche im Gymnasium irgendwie überleben. Meiner Ansicht nach sollten Schulen alle Lernenden ihren Fähigkeiten entsprechend fördern und fordern - nicht nur die mittelmäßigen.
    Nicht wirklich erfreulich finde ich auch die deutsche Fortbildungskultur. Auch in dieser Hinsicht sollte man ruhig mal den Blick über den Tellerrand in skandinavische Länder wagen.

  • Diese Schüler waren im Grundschulalter.
    Warum wird bei solchen Diskussionen die Baustelle Pubertät immer so gerne außen vor gelassen? Eine Baustelle, die völlig unanbhängig von Wohnort, Elternverhalten, Gedlbeutel auftritt?


    Diese Schüler waren im Grundschulalter.
    Warum wird bei solchen Diskussionen die Baustelle Pubertät immer so gerne außen vor gelassen? Eine Baustelle, die völlig unanbhängig von Wohnort, Elternverhalten, Gedlbeutel auftritt?

    Ich lasse gar nichts außen vor, sondern habe die Vorteile der Montessori-Pädagogik an einem konkreten realen Beispiel geschildert, das ich selbst erlebt habe. Es gibt nunmal fast nur Montessori-Grundschulen. Ich habe zwar auch schon in einem Montessori-Gymnasium unterrichtet, aber das konnte wegen der schulpolitischen Zwänge nicht wirklich die Montessori-Pädagogik umsetzen. Es ergibt einfach keinen Sinn, Schüler unterschiedlich schnell lernen zu lassen, wenn dann doch alle Lernenden einer Klasse am selben Tag die selbe Klausur schreiben müssen. Immerhin durfte ich an diesem Gymnnasium meine klausurfreien Klassen und Kurse im "Neben"-Fach Biologie weitgehend selbständig lernen und die Tests dann schreiben lassen, wenn die einzelnen Schüler sich vorbereitet fühlten.


    Mit der Baustelle Pubertät habe ich keine großen Probleme, obwohl die meisten meiner Schülerinnen und Schüler in der Pubertät sind. Mich nerven pubertierende Jugendliche fast gar nicht und sehr viel problematischer für meinen Fachunterricht sind die mangelhaften Deutschkenntnisse in meinen Klassen bei über 90% Migrationshintergrund. Kinder mit Deutsch als erster Fremdsprache haben in unseren Schulen leider nicht ausreichend und nicht den richtigen Deutschunterricht. Da lässt man tatsächlich genau nach Lehrplan Lernende Goethe-Gedichte analysieren, obwohl sie weder die Rechtschreibung, noch die Zeichensetzung und nicht einmal den Satzbau beherrschen. Deshalb verstehen sie im Fachunterricht die Texte und Aufgaben nicht und können schon gar keine Antworten sinnvoll formulieren. Solche Lernende müssten viele gute Bücher lesen und viele Diktate sowie Aufsätze schreiben. Aber dafür fehlt die Zeit, weil einfach über die Köpfe der Kinder hinweg völlig unangepasste Lehrpläne erfüllt werden.


    Ein weiteres Problem in meiner aktuellen Schule ist die religiöse Indoktrination vieler Schüler. Die hören im naturwissenschaftlichen Unterricht oft gar nicht mehr zu, sobald sie den Eindruck haben, naturwissenschaftliche Erkenntnisse stünden im Widerspruch zur wortwörtlichen Auslegung von Koran oder Bibel im kreationistischen Sinne. Stattdessen fragen sie ständig Lehrer nach deren religiöser Zuordnung. So muss man im Biologie-Unterricht erst einmal wochenlang klar machen, was eine Naturwissenschaft ist, wie die naturwissenschaftliche Methode der Vermehrung von Wissen funktioniert und warum Religion Privatsache sein muss, wo Menschen unterschiedlicher religiöser Ausrichtungen friedlich zusammen leben wollen.

Werbung