Flexible Grundschule

  • Hallo!
    Unsere kleine bayrische Grundschule überlegt ab kommenden Schuljahr eine Flexible Grundschule zu werden (1-3 Jahre Zeit für die erste und zweite Klasse). Wir haben dafür auch schon eine Veranstaltung besucht. Allerdings wurde uns dort alles in den schillernsten Farben erzählt. Es sei alles toll, wunderbar und auch mit 25 Kindern, unterschiedlichen Alters, überhaupt kein Problem. Wir eins-zwei Lehrer sollen uns nun überlegen, ob wir das machen wollen. Grundsätzlich sehe ich viel Positives darin, dennoch denke ich , dass es mit ziemlich viel Mehraufwand zu tun hat. Jetzt meine Bitte: Könnten bitte Lehrer, die schon Erfahrung mit der Flexiblen Grundschule haben, mal ganz frei offen und ehrlich von den Vor- und Nachteilen berichten? Es kann nicht alles nur rosig sein. Wie sind die Bedingungen an den Schulen? Was ist ein Muss, dass es funktioniert? Wie viele Stunden zusätzlich stehen zur Verfügung? Und was bedeutet es für die Lehrkraft im Allgemeinen und wie ist der tatsächliche Nutzen? Bitte ehrliche Antworten!
    Vielen lieben Dank
    britta

  • Ich habe an einer Grundschule mit flexibler Eingangsphase gearbeitet und kann ein bisschen was zu dem Thema sagen.
    Erstmal braucht man Lehrwerke und Materialien, die es den Kindern ermöglichen eigenständig zu arbeiten. Dazu eignet sich nicht jedes Werk.
    Meiner Meinung nach braucht man dazu auch ein nicht zu kleines System. Wenn es 2-3 Lerngruppen parallel gibt und alle Kollegen mitziehen, kann das ganze funktionieren. Nur wenn einer quasi Deutsch-Klasse1, einer Deutsch-Klasse2 und vielleicht noch einer Deutsch-Förder vorbereitet, kann man den Arbeitsaufwand bewältigen. In jedem Fach musst du Einführungsstunden mit Frontalphasen geben und das kannst du nur, wenn du eine Art Kurssystem einführst.
    An der Schule an der ich war, gab es morgens 2 Stunden Freiarbeit in den gemischten Klassen. Danach entweder Fächer wie Sachunterricht, Kunst etc in den gemischten Klassen oder einen Mathe- oder Deutschblock. In diesem z.B. Deutschblock marschierte jeder Schüler in seinen Deutschkurs. Diese waren nach Leistungsstand eingeteilt und es wurden Einführungen gegeben, Sachen erklärt, Aufgaben für die Freiarbeit gegeben. So hatte jeweils ein Lehrer den Fortschritt einer Gruppe in einem Fach im Blick.
    An der Schule hat es gut geklappt, sodass inzwischen dort gemischte Klassen mit Schülern der Jahrgangsstufe 1-4 unterrichtet werden. Bin allerdings nicht mehr da, so dass ich dazu nichts sagen kann. Ich weiß aber, dass nach wie vor alles gemeinsam vorbereitet wird. An einem Nachmittag in der Woche ist für die Lehrer Anwesenheitspflicht und alles (Inhalte der Fächer, Hausaufgaben....) für die nächste Woche wird vorbereitet.
    Fazit: Es kann klappen, wenn alle mitziehen und bereit sind, gemeinsam vorzubereiten, um sich die Arbeit aufzuteilen und die räumlichen und materiellen Voraussetzungen stimmen.
    Gruß


    PS: Toller Nickname im Übrigen. Ich heiße auch Britta und bin 1978 geboren 8)

  • Hallo Britta,


    ich kann das, was Bribe schreibt, nur unterstreichen. So kann es funktionieren... Ich selber bin - wie du ja scheinbar auch - an einer winzigen Schule. Wir unterrichten (aus Mangel an Schülern) jahrgangsübergreifend, d.h. wir haben eine Lerngruppe 1/2 und eine Lerngruppe 3/4. Ich selber bin seit Sommer Klassenlehrerin der 3/4 und kann nur sagen: In so einem kleinen System funktioniert es in meinen Augen nicht. Ich selber bin für alles allein verantwortlich, d.h. ich muss jeden Plan erstellen, jede Klassenarbeit etc. Das ist schlicht und einfach nicht so zu leisten, wie ich es mir - für einen guten Unterricht - vorstellen würde. Ich sitze tagelang an Arbeitsplänen für die Gruppe, habe niemanden, mit dem ich die Arbeit teilen oder auch nur mal absprechen kann. Die Mehrstunden, die sie der Schule anfangs mal zugestanden haben, sind so nach und nach gekürzt worden. Inzwischen habe ich immer alle Kinder dabei. Jede Klasse habe ich nur einmal die Woche alleine für eine Deutschstunde. Ich finde es ganz unglücklich, kaum Zeit für eine neue Themeneinführung zu haben. Erkundigt euch wirklich genau, wie viele Stunden euch zusätzlich zur Verfügung stehen würden. Und wenn du wirklich keine (Parallel-)Kollegen hast, kann ich euch leider nur abraten...


    VG,
    Elli

  • Hallo Ihr Beiden,
    vielen Dank schon mal für eure Meinung. Ich sehe das ähnlich wie ihr. Nur wenn alle mitmachen und dahinter stehen kann es funktionieren.
    Vielleicht haben ja noch mehrere Kollegen eine Meinung dazu?
    Lg
    Britta

  • Hier in Berlin mussten ja eine zeitlang alle Schulen jahrgangsübergreifend (1./2.) arbeiten, mittlerweile dürfen die Schulen wieder selber entscheiden. Nachdem ich drei Jahre so unterrichtet habe, haben wir seit letztem Jahr wieder "homogene" Klassen. Bei uns hat es definitiv nicht gut funktioniert. Gründe: schwieriges Einzugsgebiet, viele Schüler mit hohem Förderbedarf, wenig Kinder, die auch nur annähernd selbständig arbeiten können. Kaum Räume, um mal mit einer Gruppe extra zu arbeiten, kaum Material, das selbständiges, entdeckendes Lernen zulässt. Theoretische Doppelsteckung fiel praktisch ständig aus wegen Vertretung und (ganz wichtig): obwohl ein großer Teil der Kollegen durchaus bereit war, den Unterricht zu verändern, waren die meisten eben doch nicht in der Lage den Unterricht tatsächlich zu öffnen. Das hat ganz viel mit Umdenken zu tun und ist für Kollegen, die schon seit langen langen Jahren Frontalunterricht machen, einfach ganz fremd. Und ich finde, Öffnung des Unterrichts ist etwas, was man selber wollen muss, das kann man niemanden von außen verordnen. Alle paar Wochen eine Werkstatt einzubauen reicht da nicht. Aber: wenn man ständig versucht, zwei Jahrgänge gleichzeitg frontal zu beschulen, reibt man sich total auf. Die Frage für eure Schule wäre also: inwieweit sind die Lehrer wirklich bereit,sich auf diese Öffnung einzulassen und wird das auch von den Lehrern der höheren Klassenstufen weitergeführt?
    Wenn das bei euch so wäre, ihr die räumliche und sächliche Ausstattung habt, Ihr kinder habt, die mit halbwegs guten Lernvorausetzungen kommen, (und auch zu Hause gut unterstützt werden) und wenn sicher ist, dass regelmäßig zwei Erwachsenen in der Klasse sind,gibt es durchaus auch Vorteile: der Hauptvorteil ist tatsächlich die Möglichkeit des längeren Verweilens ohne das die Gruppe gewechselt werden muss. Man kann einfach von Anfang an das Tempo rausnehmen und den langsameren Kindern die Zeit lassen, die sie brauchen. Die Kinder, die bei uns länger brauchen, müssen jetzt nach zwei Jahren die Gruppe wechseln, was bei uns auch zu einem logistischen Problem führt: solange wir die Jahrgangsmischung hatten, war jedes Jahr klar: so viele Kinder geben wir in die dritten klassen ab, so viele neue Kinder kann die Schule aufnehmen. Jetzt ist es so, dass die Plätze vorgehalten werden müssten, weil die Kinder erst nach zwei jahren zurückgesertzt werden. Das interessiert aber das Schulamt nicht. Das tut einfach mal so als gäbe es keine Verweiler (dabei sind das bei uns, auch dank vorgezogener Einschulung, fast 50%) und stopft die erstenKklassen gleich von anfang an so voll, dass sie gar keine Kinder mehr aufnehmen können. Das Ende vom Lied: wir werden nächstes Jahr eine neue Klasse nur mit Verweilern aufmachen (was wir eigentlich gar nicht dürften, aber irgendwo müssen die Kinder ja hin....). Aber vielleicht ist das ja nur berlinspezifischer Wahnsinn....

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Ich bin an einer Schule mit flexibler Schuleingangsphase (und habe bisher immer nur jahrgangsübergreifend unterricht, 1-4 an meiner vorherigen Schule und nun 1/2 und 3/4). Ich kenne es also nicht anders.
    Für mich liegen Vorteile schon klar auf der Hand: Der Schuljahresanfang ist sehr angenehm. DIe Zweitklässler kennen sich schon aus, wissen wo alles in der Klasse/Schule ist und wie alles funktioniert und können den "Kleinen" wunderbar helfen sich zurechtzufinden. Ich arbeite recht offen und jeder arbeitet an seinem Arbeitsplan für die Woche, aber es gibt auch immer wieder gemeinsame Phasen, wo wir alle zusammen an einem Thema arbeiten. Da sind die Aufgaben dann natürlich so gestellt, dass jeder sie nach seinem Können bearbeiten kann.
    Wir sind eine recht große Grundschule und haben auch eine feste Planungsgruppe, wo mehrere Kolleginnen zusammen planen und sich austauschen.
    Bei uns gibt es drei Stunden, die jeder Jahrgang alleine Unterricht hat. Diese Stunden sind zur Einführung von neuen Lerninhalten auch sehr relevant. Meist sind sie bei uns in den Randstunden. Der Vorteil ist, dass ich als Lehrerin dann auch nur die Hälfte der Kinder habe (variiert je nach Klassenzusammensetzung zwischen ca. 9 und 15 Kindern).
    Natürlich gibt es auch Nachteile. Ich schreibe später nochmal was dazu.

  • Liebe Britta,


    ich habe ein paar Jahre jahrgangsübergreifend unterrichtet und bin sehr froh, dass dieser Trend in S h wieder rückläufig ist und ich es nun nicht mehr muss... Ich war zunächst sehr offen eingestellt und auf die Vorteile gespannt. Die Realität hat mir aber gezeigt, dass ich ohne Zwänge diese Organisationsform niemals wieder wählen würde, da sie (aus vielen bereits genannten Gründen) wenig Effekt hat im Vergleich zum Aufwand. Es ist machbar (wenn man beispielsweise durch Schulgesetz oder Schulgröße MUSS), aber freiwillig würde ich ich dafür nicht entscheiden!


    Viel Glück und Erfolg bei der Entscheidung!


    LG Mare

  • So, etwas später, aber jetzt kann ich nochmal einiges schreiben:
    Was ich als großen Vorteil empfinde ist, dass man nach 1 bis 2 Jahren, die natürlich anstrengend sind, sich einen Grundstock aufgebaut hat. Es wiederholt sich für dich als LehrerIn in der 1/2 das meiste jedes Jahr, anderes jedes zweite bis dritte Jahr. Das kommt sowohl dir als auch den Kindern zugute, dass du recht schnell zum "Experten" für die 1/2 wirst. Du hast für dich eine enorme Arbeitserleichterung (da du dein Material jährlich bis zweijährlich wieder einsetzen kannst) und du bekommst einen sehr guten Blick für Auffählligkeiten bei den Kindern (ab wann ist es kritisch, dass sie noch so oder so schreiben etc.) und auch dein Fördermaterial und die differenzierten Pläne kannst du oft wieder verwenden.


    Ich für mich bin auch sehr sehr gerne bei den "Kleinen". Ich finde es toll jedes Jahr bei den Lese- und Schreibanfängen der Kinder dabei zu sein. Die Kinder sind so motviert und die meisten freuen sich sehr auf die Schule und sind auch mir gegenüber sehr herzlich.
    Zudem bin ich sehr froh, dass ich nicht so viel nachzusehen habe (was die Kinder produzieren ist am Anfang ja noch überschaubar, aber ich bin jemand, der gerne alles genau nachschaut), dass ich keine Noten geben muss (bei uns an der Schule gibt es erst ab dem 3. Schuljahr Noten, und dass ich mit Übergangsempfehlungen und co nichts zu tun habe ( das entstresst meine Arbeit sehr).


    Nachteile gibt es aber auch: Die Arbeit im Unterricht empfinde ich zumindest im ersten Halbjahr als sehr sehr anstrengend, weil die Kinder das selbstständige Arbeit und vor allem auch die Regeln und den Ablauf erstmal kennenlernen und verinnerlichen müssen. Man muss sehr geduldig sein bis es dann alles mal läuft. Nächster Nachteil: Wenn es dann läuft , die Grundlagen gelegt sind und man mit den Kindern gut weiterarbeiten könnte, dann muss man sie an den nächsten Kollegen weitergeben (wobei das teilweise auch wieder ein Vorteil ist, denn bei einigen "speziellen" Kindern bin ich froh, wenn sie dann nach zwei Jahren nicht mehr bei mir in der Klasse sind und oft werden verhaltensauffällige Kinder mit zunehmendem Alter ja auch nochmal schwieriger zu händeln) .

  • Meine Tochter geht in eine 1-4-Klasse (gibt es einmal an der Schule), ich finde das klasse und sie lernt enorm schnell, im Vergleich zu den Jahrgangsklassen an ihrer Schule.

  • Ich habe sowohl schon in jahrgangsübergreifenden Klassen 1/2 als auch in Lerngruppen 1-4 gearbeitet.


    Noch an der Uni war ich begeistert von den Vorteilen, die das jahrgangsgemischte Lernen versprach und war gespannt, wie es sich in der Praxis darstellen würde.
    Mittlerweile sehe ich das Ganze deutlich kritischer.
    Das einzige Argument, was mich noch überzeugt, ist, dass Kinder eben 3 Jahre Schuleingangsphase machen können ohne die Klasse zu wechseln.


    Und für richtig starke Schüler, die in der Lage sind, selbstständig zu lernen, ist das sicher auch machbar, aber für die breite Masse nicht, das zeigt zumindest meine Erfahrung.


    Ansonsten kann ich nur sagen, dass ich mich freiwillig niemals mehr für jahrgangsübergreifendes Lernen entscheiden würde.
    Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Nutzen.
    Klar, es mag funktionieren, wenn rundherum wirklich alles stimmt. Aber wann tut es das schon…

  • Hallo,
    vielen lieben Dank für eure ehrlichen Antworten. Ich bin sehr gespannt wie es bei uns laufen wird. Allerdings denke ich, wir werden zwar gefragt aber die Entscheidung fällt dann doch ein anderer!
    Ich freue mich weiterhin über die Meinung von euch.
    Guten Rutsch
    Britta

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